Text und Zeichnungen: Hanna Vock
Es war einmal vor langer Zeit eine kleine Prinzessin. Sie war lustig und munter und tat niemandem etwas zu Leide. Zu allen Leuten war sie lieb und freundlich.
Sie hatte eine Kinderfrau, die ihr Kinderlieder beibringen wollte.
Diese Lieder konnte sich die Prinzessin überhaupt nicht merken. Immer musste sie sich wundern, wie albern die Worte und wie kindisch die Melodien waren.
Die Kinderfrau dachte insgeheim:
>Was ist bloß mit der kleinen Prinzessin los? So ein dummes Kind habe ich noch nicht erlebt. Es behält ja gar nichts. <
Nun wollte sie aber eine gute Kinderfrau sein, und deshalb sang sie die Lieder immer wieder und wieder – immer nur die einfachsten – und sie dachte:
>Na, irgendwann wird wohl auch bei der Prinzessin ein bisschen davon hängen bleiben. Gar so dumm kann sie doch nicht sein! <
Die Prinzessin aber blieb stumm und dachte gar nicht daran, den Mund für die blöden Lieder aufzumachen.
Und irgendwann dachte sie sich:
>Sie singt immer nur dieselben paar Lieder, und es sind tatsächlich nur die allereinfachsten… Sogar die Stallknechte singen den Pferden was Besseres vor. Die Kinderfrau ist wirklich nicht sehr schlau! <
***
Die kleine Prinzessin ging gerne in den Pferdestall, was sie eigentlich nicht durfte. Immer wenn sie erwischt wurde, gab es ein großes Geschrei:
„Eine Prinzessin darf nicht im Stall spielen, im Stall werden ihre schönen Kleider schmutzig, und dann sieht sie garstig und hässlich aus.“
Und so konnte sie nur heimlich in den Stall schlüpfen.
Das tat sie oft, denn der alte Knecht Kasimir wusste viele interessante Geschichten zu erzählen, und vor allem konnte er sich unendlich viele Rätsel ausdenken. Rätsel liebte die Prinzessin sehr!
So sagte Kasimir eines Tages:
„Prinzessin, hilf mir. Ich muss frischen Hafer für die Pferde holen, aber ich weiß nicht genau wie viel.
Wir haben vier Ponys auf der Weide, jedes bekommt einen Sack Hafer, jedes der sechs großen Pferde braucht zwei Sack Hafer. Wie viel muss ich denn nun holen, damit alle satt werden?“
Die kleine Prinzessin überlegte nur kurz.
„16 Säcke brauchst du.“
Der Stallknecht staunte, er konnte selber gut rechnen. Er hatte es lange geübt – aber woher konnte es die kleine Prinzessin, die doch noch gar keinen Unterricht hatte?
„Woher weißt du das?“
Und die Prinzessin antwortete:
„Ich weiß es eben.“
Und dann vertraute ihr Kasimir sein größtes Geheimnis an:
Er hatte ein Buch, und er konnte darin lesen. Er verstand die Buchstaben, und so konnte ihm das Buch seine Geschichte erzählen.
„Prinzessin, es gibt noch viel mehr Bücher. Sie stehen im Schloss, in der Bibliothek. Ich darf da nicht rein, aber ich hätte zu gern mal ein zweites Buch. Ich möchte sehen, welche Geschichten darin verborgen sind.“
Und so huschte die kleine Prinzessin von nun an oft in die Bibliothek und holte Bücher für Kasimir. Wenn er sie fertig gelesen hatte, stellte die kleine Prinzessin sie ganz heimlich wieder zurück. Denn sie wusste – und Kasimir wusste es auch – dass der König es nie erlaubt hätte, dem Stallknecht die königlichen Bücher in die Hände zu geben.
Aus Dankbarkeit erklärte Kasimir der Prinzessin die Buchstaben, und ehe er sich´s versah, konnte sie noch besser und schneller lesen als er selbst.
So waren sie dicke Freunde geworden.
***
Eines Abends saß die Prinzessin wieder einmal ganz stumm mit ihren Eltern, dem Königspaar, beim Essen. Als alle fertig waren, sagte die Königin zum König:
„Unsere Prinzessin redet nicht viel, auch spielt sie nicht wie die anderen Kinder. Es scheint ihr keinen Spaß zu machen, im Schlossgarten hundertmal vom Mäuerchen zu hüpfen, wie die anderen Kinder es tun.
Sie ist ziemlich seltsam.
Was denkst du darüber, du bist schließlich ihr Vater.“
Der König antwortete:
„Ja, ja, ein bisschen merkwürdig ist sie schon. Wie ich hörte, will sie der Kinderfrau die Lieder und Reime nicht nachsprechen, sondern macht nur ein trotziges Gesicht.
Vielleicht sollten wir bald einen Lehrer rufen, der ihr Unterricht gibt, damit sie nicht allzu dumm bleibt. Denn eine allzu dumme Prinzessin will kein Prinz zur Frau nehmen.“
Und so wurde ein berühmter Lehrer gerufen. Er sollte der Prinzessin alles Wichtige beibringen. Und das versuchte er so:
„Nun, verehrte Prinzessin, zuerst wollen wir mit dem Einfachen anfangen. Sieh mal, hier steht ein Stuhl. Wenn ich noch einen zweiten dazu stelle, wie viele Stühle stehen dann da?
Denke gründlich in Ruhe nach und sage mir morgen die Antwort.“
Dann durfte sie gehen. Sie hörte noch, wie der Lehrer zur Königin sagte:
„Ich habe der Prinzessin eine schwierige Aufgabe gegeben. Es ist wichtig, dass sie zunächst etwas rechnen lernt, ehe wir mit den Buchstaben beginnen.“
„Ah ja“,
antwortete die Königin, denn sie vertraute der Kunst des Lehrers.
Und der Prinzessin war klar, dass der Lehrer nicht ihr Freund werden konnte.
***
Nach dem unangenehmen Erlebnis mit dem Lehrer lief die Prinzessin in ihr Schlafgemach, um zu lesen. In der Bibliothek hatte sie ein Buch gefunden, das sie ungemein interessierte. Sie hatte es unter ihrer Matratze versteckt.
Im Schlafgemach gab es aber ein Problem:
Dort saß die Kinderfrau und stickte an einem Deckchen. So entschied sich die kleine Prinzessin, ein bisschen zu schwindeln:
„Ich will schlafen, lass mich bitte allein.“
Zum Glück stand die Kinderfrau auf und schickte sich an, das Gemach zu verlassen:
„O je, Prinzessin, hat dich der Unterricht so sehr angestrengt? Du bist noch so klein und sollst schon so viel lernen. Schlaf schön, mein Engel.“
Endlich allein, las die Prinzessin in ihrem Buch.
Das Buch handelte davon, wie die Ärzte schlimme Krankheiten heilen können, und auch davon, was alles noch nicht erforscht war an den Krankheiten.
Die Prinzessin dachte:
>Warum interessiert das die anderen Kinder nicht?
Jeder kann doch mal schlimm krank werden, und dann will man doch wissen, was gemacht werden kann. Nie kann ich mit den anderen darüber reden…
Außer Kasimir habe ich keinen richtigen Freund. <
Da wurde die kleine Prinzessin traurig und musste eine Weile weinen.
Als sie damit fertig war, dachte sie sich:
>Aber einer ist besser als keiner!<
und sie beschloss, Kasimir das interessante Buch von den Krankheiten zu bringen. Auch er konnte schließlich mal krank werden.
***
Jeden Montag, genau um 12 Uhr, ließ der König Minister und Gelehrte zu sich kommen.
Und jetzt war Montag. Die Prinzessin verhielt sich ganz ruhig und still, damit sie hören konnte, was die Erwachsenen redeten.
Heute war ein Mann da, der Alexander hieß. Er hatte die ganze Welt bereist und erzählte spannende Geschichten von fernen Ländern.
Die Prinzessin hätte gerne noch länger zugehört, aber der König bekam Hunger und wollte Mittag essen, und so schickte er den Mann weg.
Beim Essen wagte die kleine Prinzessin zu fragen:
„Kommt der weit gereiste Mann wieder?“
Die Königin hob erstaunt die Augenbrauen und forderte die Prinzessin auf, lieber ihr Püree zu essen – aber die Prinzessin trotzte. Sie dachte: <Jetzt oder nie!> Mutig fragte sie weiter:
„Kann der Mann mein Lehrer sein, er weiß so viel!“
Nun wunderte sich auch der König, denn er hatte gar nicht bemerkt, dass die Prinzessin im Thronsaal zugehört hatte.
„Du hast den besten Lehrer, also komm nicht auf so dumme Gedanken!“
Die Prinzessin aß weiter und dachte darüber nach, ob ihre Gedanken wirklich dumm waren.
Und je länger sie so nachdachte, desto wütender wurde sie.
Schließlich riss ihr der Geduldsfaden. Sie schrie so laut, dass sich alle die Ohren zuhalten mussten. Sie brüllte und trampelte mit den Füßen.
Und als sie wieder Zeit zum Luftholen hatte, sagte sie ganz laut und deutlich:
„Mutter und Vater, wozu bin ich eine Prinzessin, wenn ich mir nie was wünschen darf? Ich wünsche mir diesen Mann als Lehrer und damit basta! Und wenn ich ihn nicht kriege, dann…dann…dann esse ich nie mehr Püree!“
Die Eltern waren erschrocken. Aber sie hatten die Prinzessin lieb.
„Also gut, er soll geholt werden“,
befahl der König.
***
Nun bekam es die kleine Prinzessin mit der Angst. Was würde der Mann dazu sagen, dass er ihr Lehrer sein sollte?
Von der Kinderfrau hatte sie erfahren, dass er diesmal nicht freiwillig gekommen war. Die Palastwache hatte ihn mit Gewalt von seinem Hause zum Schloss gezwungen. Und da stand er nun und war insgeheim stinksauer auf die Prinzessin.
„Ich bitte um Entschuldigung“, sagte sie, „ich bin sehr an deinen Geschichten über die fernen Länder interessiert und möchte von dir lernen. Wenn es dir jetzt nicht gut passt, können wir uns ja ein andermal treffen.“
So artig hatte man die kleine Prinzessin lange nicht reden gehört.
Der Mann mit Namen Alexander war beeindruckt. Und da er Geld für neue Reisen verdienen wollte, willigte er ein, Prinzessin-Lehrer zu werden.
Er sagte:
„Ich gebe dir aber schwierige Rätsel auf.“
Und die Prinzessin antwortete:
„Das macht nichts, ich werde sie schon lösen.“
Nun begann eine schöne Zeit für die Prinzessin. Alexander behandelte sie nicht wie ein kleines Kind, sondern sprach ganz normal mit ihr. Sie lernte, ohne es zu merken, denn es machte ihr großen Spaß.
Und tatsächlich löste die Prinzessin die schwierigsten Rätsel, die Alexander ihr aufgab. Und alle, die das hörten, staunten.
„Prinzessin, was ist braun oder weiß oder schwarz,
hat vier Beine und kann an beiden Enden gleich gut sehen?“
Die Prinzessin musste eine Weile nachdenken, dann sagte sie:
„Ist doch einfach. Das ist ein Pferd, das die Augen zugemacht hat.“
„Prinzessin, du bist nicht dumm, sondern klug!“
rief Alexander aus.
***
Die Mutter der Prinzessin, die Königin, machte das alles gar nicht froh. Eines Abends sagte sie sorgenvoll zum König:
„Unsere Tochter ist allzu klug. Was soll aus der Prinzessin werden?
Welcher Prinz wird sie heiraten wollen? Die meisten Prinzen wollen keine strohdumme Prinzessin zur Frau, aber allzu klug soll sie nun auch wieder nicht sein.“
„Du hast Recht, Frau“,
meinte der König.
„Was soll ein Prinz mit einer Prinzessin, die mehr weiß und besser denken kann als er?
Er muss ja Angst haben, dass sie ihm nicht gehorcht und dass ihn die anderen Männer auslachen.
Wir werden den Lehrer wegschicken, denn der ist an allem Schuld.“
Und so geschah es. Alexander musste gehen.
Die Prinzessin weinte und klagte und zeterte, aber es half alles nichts.
Alexander ging auf eine weite Reise. Er war sehr traurig, weil er die Prinzessin verlassen musste.
Und weil es zu ihrer Zeit noch keine Post, kein Telefon und keine E-Mails gab, hörten die Beiden nie mehr etwas voneinander. Alexander dachte oft an die Prinzessin und hoffte, dass es ihr gut gehen möge.
Und die Prinzessin dachte oft an Alexander und hoffte, dass er glücklich sein möge.
***
Als einige Zeit vergangen war, kam Prinz Heinrich angeritten. Er wollte König in dem großen Königreich werden, und dazu musste er die Prinzessin heiraten.
Der Prinzessin grauste es, als sie beim Essen merkte, wie dumm er daherredete, und zur Probe stellte sie ihm eine Frage:
„Prinz Heinrich, wenn ich dich heirate und dir zwei Töchter und zwei Söhne gebäre, wie viele Kinder haben wir dann?“
Der Prinz lächelte mitleidig und antwortete:
„Fünf. Aber das reicht mir nicht, ich will zehn Kinder haben!“
Zur Königin gewandt, sagte die Prinzessin:
„Mutter, dieser Mann ist wirklich zu dumm, er könnte nicht mal seine Kinder zählen.“
Die Königin seufzte, und Prinz Heinrich zog von dannen.
***
Bald darauf kreuzte Prinz Kuno auf. Er fand sich nicht nur schön und stark, sondern auch sehr klug.
Die Prinzessin dachte:
>Er ist nicht ganz so dumm wie Heinrich, deshalb muss ich ihm eine schwierigere Frage stellen, um ihn zu prüfen.“<
„Sag mir, Prinz Kuno, was wünschst du dir: eine Frau, die dümmer ist als du selbst oder eine Frau, die klüger ist als du selbst, oder eine Frau, die genauso klug ist wie du selbst? Sage mir morgen deine Antwort.“
Prinz Kuno aber überlegte nicht lange, er antwortete:
„Es gibt gar keine Frau, die so klug ist wie ich oder gar noch klüger. Also kann ich mir nur eine Frau wünschen, die dümmer ist als ich. Das macht auch gar nichts, denn ich denke für sie mit und sage ihr, was gut und richtig ist.“
„Durchgefallen. Du kannst gehen“,
sagte die Prinzessin, wandte sich ab, und guckte Kasimir an. Sie mussten sehr lachen über den eingebildeten Prinzen.
***
Nicht lange, da kam der nächste Prinz, der es auf die Prinzessin und das Königreich abgesehen hatte.
Er hieß Adelbert, er war gelehrt und wollte schnell heiraten, denn er hatte sich gleich auf den ersten Blick in die schöne und kluge Prinzessin verliebt.
Der König sprach sehr ernst zur Prinzessin:
„Gleich kommt Prinz Adelbert. Er ist gelehrt und sehr in dich verliebt. Du wirst ihn heiraten.“
„Immer mit der Ruhe“,
sagte die Prinzessin und stellte dem Prinzen ihre Frage:
„Stell dir vor, du hast eine Frau, die oft bessere Ideen hat als du. Könntest du das vertragen?“
Adelbert wollte alles richtig machen, denn er wollte doch so gerne, dass die Prinzessin ihn heiratete. Also dachte er angestrengt nach und dachte nach und dachte nach…
>Ich bin der Mann, und deshalb will ich der Klügere sein. <
Aber er wollte auch die Prinzessin nicht kränken. Schließlich hatte er seine Antwort gefunden und ging zur Prinzessin hin.
„Prinzessin, es macht mir nichts aus, wenn meine Frau gute Ideen hat. Sie braucht sie ja nicht zu sagen. Wenn sie ihre guten Ideen nicht ausspricht, können sie ja kein Unheil anrichten.“
Traurig schüttelte die Prinzessin den Kopf.
„Das reicht mir nicht, Prinz Adelbert.“
Auch diesen Prinzen wollte sie nicht heiraten, aber der König hatte keine Geduld mehr mir seiner Tochter: Er verkündete:
„Schluss jetzt. Morgen wird Hochzeit gefeiert!“
***
Was sollte die Prinzessin nun tun? Traurig saß sie in ihrem Zimmer.
Und dann stand sie auf einmal auf und sagte zu sich selbst:
„Nein, ich will meine guten Ideen nicht verschweigen, ich will sie laut sagen dürfen. Und niemand soll mich komisch finden, weil ich Spaß am Lesen und Denken habe. Ich will auf die Suche gehen und Freunde finden, die so sind wie ich.“
Und da die Prinzessin nun gar nicht mehr klein war, nahm sie alles Gold aus ihrer Schatztruhe und packte ihre Lieblingssachen in eine große Tasche.
Für ihre Eltern schrieb sie einen Brief, darin stand:
>Liebe Mutter, lieber Vater, ich ziehe in die Welt und suche mein Glück. Drückt mir bitte die Daumen, dass ich es wirklich finde. <
Dann lief die Prinzessin zu ihrem alten Freund Kasimir.
„Kasimir, bring mir das schnellste Pferd. Ich will in die Welt ziehen und mein Glück suchen.“
Und dann zog die Prinzessin, ein bisschen bange und ganz voll Freude, in die Welt. Und wenn sie nicht gestorben ist, dann lebt sie noch heute.
Siehe auch: Theaterfassung dieses Märchens
Verbergen von Fähigkeiten und Interessen
Datum der Veröffentlichung: 26. 1. 09
Copyright © Hanna Vock 2001, siehe Impressum .
Konny und Karl-Heinrich Eppmann aus Köln.