von Hanna Vock

 

Wenn Sie Ihre Gruppe daraufhin betrachten, ob es in ihr vielleicht ein oder vielleicht mehrere hoch begabte Kinder gibt, ist es sinnvoll, zunächst alles zusammen zu tragen, was auf eine besondere oder sogar hohe Begabung hindeuten könnte.

Dieses Zusammentragen von bereits vorhandenem Wissen ist der erste Schritt der Erstbeobachtung.

Sie können dazu allein oder im Team die Hinweise auf eine mögliche intellektuelle Hochbegabung zu Hilfe nehmen. Wenn Sie die Punkte durchgehen, werden Ihnen vielleicht Situationen wieder einfallen, in denen Sie sich über Verhaltensweisen oder Äußerungen eines Kindes gewundert haben, die zu einzelnen Punkten in den >Hinweisen< passen – was dann aber im Alltagsgeschehen wieder untergegangen ist.

Oft sind es die sprachlichen Künste eines Kindes, die zuerst auffallen. Es gibt aber auch hoch begabte Kinder, die über eine durchschnittlich entwickelte Sprachfähigkeit verfügen, damit aber erstaunliche Gedanken ausdrücken können. Auch erstaunliches nicht-sprachliches Verhalten kann sehr wichtig sein.

In jedem Fall sollten Sie auch Ihre Kolleginnen befragen, was ihnen an dem betreffenden Kind auffällt.

Die Beobachtungsbögen, die Sie in Ihrer Einrichtung für alle Kinder verwenden, können eine gute Grundlage sein, um weit entwickelte Kinder zu erkennen. Aber wenn Sie sich darauf beschränken, wird Ihnen vermutlich das eine oder andere hoch begabte Kind nicht auffallen. Hochbegabung ist eben oft auch verbunden mit Nicht-Anpassung, mit eigenwilligen Lernwegen oder auch mit Auskunfts-Verweigerung.

Während manche hoch begabte Kinder gerne alles vorführen, was sie schon können, halten sich andere gerade in ihrer ersten Kita-Zeit sehr stark zurück, zeigen wenig von sich oder begeben sich zunächst für Wochen und Monate in eine „Beobachterposition“.

Siehe: Verbergen von Fähigkeiten und Interessen.

Wenn Sie sich hier im Handbuch den Beitrag Kommunikation und die darauf folgenden Beiträge ansehen, werden Sie nachvollziehen können, dass es gerade auf die ersten Tage und Wochen ankommt. In dieser Zeit kann sich entscheiden, ob ein hoch begabtes Kind sich vertrauensvoll öffnet, oder ob es seine Eigenarten, die mit der Hochbegabung zusammenhängen, lieber in sich verschließt.

Deshalb ist es sinnvoll, möglichst früh aufmerksam zu werden und eine Erstbeobachtung in den ersten Wochen des Kindergartenbesuchs durchzuführen.

Gerade wenn die neuen Kinder kommen, habe ich keine Zeit für eine intensive Beobachtung eines einzelnen Kindes!

Es ist bestimmt schwierig. (Ich habe selbst 10 Jahre lang in einer Kita gearbeitet und stehe sehr kritisch zu den Arbeitsbedingungen in vielen Kitas.) Andererseits erspart man sich selbst und dem Kind unter Umständen wahrscheinlich Einiges, wenn es gelingt, das Kind von Anfang an gemäß seiner Begabung anzusprechen.

Die Erstbeobachtung kann alle Arten der Beobachtung einbeziehen.

Nach dem Zusammentragen der nun bereits vorliegenden Einschätzungen und konkreten Beobachtungen wird es erst richtig spannend.

Jetzt sollte der Beobachtungsbogen nach Joelle Huser zur Hand genommen werden, um zu erkunden, wo genau die Stärken des Kindes liegen. Hierfür sind >provozierende Beobachtungen< besonders nützlich. Beispiele für solche Beobachtungen finden Sie hier.

Ein Beobachtungsinstrumentarium, das auch helfen kann, besondere Begabungen und Unterforderung von Kindern zu bemerken, ist die Leuvener Engagiertheitsskala. Literatur dazu finden Sie (unter Laevers) im Literaturverzeichnis.

Zu einem passenden Zeitpunkt im Prozess der Erstbeobachtung kann auch der Elternfragebogen für Kinder, die neu im Kindergarten sind, eingesetzt werden. Sie können den Bogen auch als Leitfaden für ein Elterngespräch benutzen. Er liegt hier im Handbuch in mehreren Sprachen vor, um Eltern entgegenzukommen, die in einer dieser anderen Sprachen sicherer sind als im Deutschen.

Zunächst möchten Sie das Wort Hochbegabung im Gespräch mit den Eltern vielleicht vermeiden, was sehr sinnvoll sein kann (Siehe: Den Begriff Hochbegabung vorsichtig verwenden).

Dafür empfehle ich Ihnen, beim Kopieren des Fragebogens die Kopfzeilen abzudecken. Diese Kopfzeilen sind aus unserer Sicht wichtig für unsere Fortbildungsveranstaltungen, nicht aber für erste, tastende Gespräche mit Eltern, bei denen Sie selbst noch kaum Klarheit über die Höhe der kindlichen Begabung haben.

Die Erstbeobachtung ist ein erstes Herantasten an die mögliche Hochbegabung eines Kindes.

Später, im Verlaufe passgenauer Förderung, die angemessene Angebote, angemessene Einbindung in Projekte und den ständigen Dialog zwischen Erzieherin und Kind einschließt, werden die Begabungen, Interessen und das besondere Potenzial des Kindes immer stärker sichtbar – und können immer genauer benannt und berücksichtigt werden.

In den IHVO-Kursen wird das Instrumentarium für gezielte Beobachtungen (zur Erkennung hoher Begabungen) erarbeitet und in den Praxis-Hausaufgaben situationsgerecht eingesetzt.

Die aufgeführten Beispiele für Erstbeobachtungen entstammen den jeweils ersten von fünf Praxis-Hausaufgaben von IHVO-Kursteilnehmerinnen.

Die Kolleginnen hatten dabei die Aufgabe, sich aus ihrer Kindergartengruppe ein ihrer Einschätzung nach besonders begabtes (möglicherweise hoch begabtes) Kind auszusuchen. Dies sind häufig Kinder, die bereits älter sind und den Kindergarten schon längere Zeit besuchen; denn es wäre natürlich ein ziemlich großer Zufall, wenn just zu Kursbeginn ein junges hoch begabtes Kind aufgenommen würde.

Und so wird es auch sein – unabhängig von Weiterbildungskursen – wenn eine Kita beschließt, besonders begabten und hoch begabten Kindern zukünftig eine größere Aufmerksamkeit zu schenken:

Zunächst wird überlegt: Auf welche unserer Kinder kann das überhaupt zutreffen? Dann werden diese Kinder genauer beobachtet, um die Vermutungen zu überprüfen – und um das pädagogische Handeln dem Beobachtungsergebnis anzupassen. Denn auf Beobachten muss vernünftigerweise Fördern folgen, und im weiteren Verlauf sollten sich Fördern und Beobachten gegenseitig durchdringen und befruchten.

Siehe auch:

Feststellen von Hochbegabung

Mögliche Gründe für die Durchführung diagnostischer Testverfahren

 

VG Wort Zählmarke