Fußball und Zeitung

von Anke Cadoni

 

In dieser letzten Praxisaufgabe (im IHVO-Zertifikatskurs) soll ich ein Projekt in einer Kleingruppe durchführen, das an den Interessen und Spiel- und Lernbedürfnissen von Jonas anknüpft und ihm echte Herausforderungen bietet.

Da ich nach den Sommerferien den Kindergarten wechseln werde, finde ich es für Jonas und für mich ganz wichtig, unsere gemeinsame Arbeit richtig gut abzuschließen und Jonas von meiner Seite aus noch mal eine besondere Herausforderung zu geben.

Mehr  zu Jonas lesen Sie hier:

Jonas, 4;2 Jahre

Jonas faltet doch Papierflieger

Bilderbuch zu den Perchten

Jonas (5;3) macht noch ein Bilderbuch und schöpft Papier.

Da Jonas ein riesiger Fußballfan ist und in diesem Sommer eine Weltmeisterschaft (in Südafrika) stattfindet, ist es für mich relativ einfach, ein entsprechendes Projektthema zu finden.
Zunächst einmal beobachte ich Jonas wieder gründlich, um genau festzustellen, wo seine Interessen und Bedürfnisse liegen.

Seitdem ich Jonas kenne, ist er schon fußballbegeistert. Er spielt auch schon über ein Jahr in der Bambini-Mannschaft Fußball. Stolz erzählt mir Jonas nach dem Wochenende von einem Spiel oder einem Turnier, das sie erfolgreich gemeistert haben. Manchmal bringt er auch eine Urkunde, eine Medaille oder einen Pokal mit in den Kindergarten.
Jonas sucht sich auch oft mich als Spielpartner zum Fußballspielen aus. Manchmal kommt er extra nachmittags zurück in den Kindergarten, um mit mir im Außengelände, in der Turnhalle oder auf dem anliegenden Bolzplatz Fußball zu spielen. Denn Jonas weiß genau, dass ich nachmittags mehr Zeit für ihn habe.

…kurz gefasst…

Der besonders begabte Jonas (5;5) arbeitet gern in kognitiv anspruchsvollen Projekten. Die Autorin nutzt die bevorstehende Fußball-WM und Jonas‘ Fußballbegeisterung sowie sein Interesse am Schreiben dazu, ein Fußball-Zeitungsprojekt zu starten.
Dieses Projekt ist gut eingebettet in die Gesamtgruppe und kommt vielen Kindern zugute. Jonas kann wichtige Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit anderen hoch motivierten Kindern machen, was für seine soziale Entwicklung wichtig ist.
Hier verbinden sich anspruchsvolle kognitive Förderung und soziale Förderung.

Als Jonas längst fußballinteressiert war und gerne Fußball spielte, gab es kaum andere Kinder, die dies mit ihm teilten. Erst vor etwa einem halben Jahr fingen auch andere Kinder an, sich für Fußball zu interessieren. Jonas spielt nun häufiger mit Mick und Paul im Flur Fußball.

Leider geht das häufig nicht lange gut, da die Kinder es nicht so wie Jonas gewohnt sind, nach richtigen Fußballregeln zu spielen. Oft kommt es dann zu Streitereien und das Spiel ist schnell beendet.

Kurz vor der Fußball-WM wird das Thema Fußball bei uns im Kindergarten immer größer. Viele Kinder sammeln die REWE-Fußballkarten und tauschen sie im Kindergarten aus. Mittlerweile spielt auch Paul in der Bambini-Mannschaft und somit gehen Paul und Jonas jetzt regelmäßig zusammen zum Training. Das führt dazu, dass die Beiden auch im Kindergarten schöner und ausdauernder miteinander spielen.
Kurz vor der WM bricht im Kindergarten ein regelrechtes Fußballfieber aus. Ich glaube, es gibt zumindest bei uns in der Gruppe kaum ein Kind, das nicht fußballinteressiert ist, Jeder auf seine eigene Art und Weise.

Zusammen mit den Kindern entstauben wir den eingestaubten Kicker, den wir vor ein paar Jahren geschenkt bekommen haben, und machen ihn wieder spielfertig.
Sofort stürzen sich alle Kinder auf diesen Kicker, Jonas natürlich mitten drin. So funktioniert das natürlich nicht. Alle schimpfen und es kommt kein richtiges Spiel zustande.

Wir setzen uns erstmal in einen Kreis und führen eine Kinderkonferenz durch. Die Kinder erarbeiten sich Regeln und überlegen, wie man die „Situation Kicker“ am besten löst. Jonas macht den Vorschlag, eine Sanduhr einzusetzen, um den Kindern den Spielerwechsel zu verdeutlichen.

Außerdem legen wir fest, dass der Kicker nicht im Außengelände bleibt, sondern in unserem Gruppennebenraum stehen soll und dass ihn alle Kinder nutzen dürfen, auch die Kinder der anderen Gruppe. Hiermit sind alle Kinder einverstanden.

Schon am nächsten Tag merke ich, welche Dynamik das Thema Fußball entwickelt. Unser Nebenraum wird so allmählich zum Fußball-Fanraum. Es ist schön mit anzusehen, wie sozial die Kinder miteinander umgehen. Zu keinem Zeitpunkt gibt es Gedränge um den Kicker, die Kinder regeln es richtig gut untereinander.

Das Thema Fußball lässt auch eine neue Gruppenkonstellation entstehen, die es in der Form vorher noch nicht gab: Viele Kinder der anderen Gruppe besuchen jetzt unseren Fußballraum und zeigen sich sehr interessiert.

Jonas beginnt – schon während der Testspiele – tolle Fußballbilder zu malen. Er malt sehr detailgetreu. Mick eifert ihm bald nach. Es entstehen wunderbare Werke.

Eins der Bilder wird für die Monate Juni/Juli unser Kalendertitelblatt. Diese beiden Monate werden zwei echte Fußball-WM Monate. Jonas Fußballbilder werden immer komplexer und er will von mir wissen, wie die Namen der Fußballspieler geschrieben werden.

Die Projektidee

Da sich immer mehr Kinder Jonas‘ künstlerischen Ideen anschließen und ich mittlerweile viele tolle Werke gesammelt habe, kommt mir die Idee, diese Werke in einer Zeitung zu präsentieren. In einer ruhigen Minute berichte ich Jonas von meiner Idee.

Ich erkläre es ihm folgendermaßen: „Jonas, ich habe in letzter Zeit beobachtet, wie sehr dich das Thema Fußball interessiert und dass du auch schon sehr viel zu diesem Thema weißt. Es sind in den letzten Tagen schon richtig tolle Werke von dir und deinen Freunden entstanden. Ich fände es viel zu schade, wenn diese einfach wieder in euren Schubladen verschwinden. Wie wäre es, wenn wir eine Fußballzeitung erstellen würden, in der diese tollen Bilder und anderes einen Platz finden würden?“

Jonas finder diese Idee richtig gut, denn mittlerweile genießt er es – das ist mein Eindruck –  mit mir gemeinsam Projekte durchzuführen.

Doch jetzt muss ich Jonas noch klar machen, dass diesmal nicht nur wir alleine an der Zeitung arbeiten werden. Dies erkläre ich ihm so: „Du kennst doch bestimmt eine Tageszeitung oder eine Fußballzeitschrift und weißt auch, wie viele Seiten so eine Zeitung hat. Bevor eine Zeitung, so wie du sie kennst, in Druck gehen kann, haben viele Leute recherchiert (Informationen gesammelt), Texte verfasst, Fotos geschossen und vieles mehr. Dies bedeutet also, dass eine Zeitung eine Gemeinschaftsarbeit ist und nur so eine aufwändige Zeitung zu Stande kommen kann!“

Zu meinem Erstaunen sieht er es sofort ein und sagt: „Mick hat doch auch ganz schön viel Ahnung und malt tolle Bilder, der könnte mir doch helfen.“ Da stimme ich natürlich sofort zu. Dann berichte ich Jonas noch von einem Jungen, den Jonas auch kennt: Corvin aus der anderen Gruppe.

Corvin ist mir schon öfter aufgefallen, doch jetzt während der akuten Beobachtungszeit zum Thema Fußball noch mal verstärkt. Er verfügt wie Jonas ebenfalls über ein großes Wissen, insbesondere zum Thema Fußball. Am Frühstücktisch berichtete er mir einmal von einem Fußballspiel. Ich war erstaunt, was er alles wusste und wie toll er sich ausdrücken konnte.

Hinzu kommt, dass mir seine Erzieherin Frau F., berichtet hat, was er zuletzt in einer Kinderkonferenz äußerte. Es ging um die Vorarbeit zu einem Projekt. Frau F. stellte die Frage, wer denn wüsste, was ein Projekt ist. Hierzu meldete sich Corvin und berichtete: „Ein Projekt ist die Ausarbeitung zu einem bestimmten Thema. Ich nehme jetzt mal das Thema Fußball. In einem Projekt macht man dann ganz viel zu diesem Thema, wie zum Beispiel in ein Stadion fahren, auf einem Fußballplatz Fußball spielen, Trikots selber herstellen, ein Turnier veranstalten, ein Fußballfest feiern, Bücher zum Thema Fußball in der Bücherei ausleihen, usw.“
Man konnte heraushören, wie sehr sich Corvin ein Fußballprojekt wünschte.

Jonas ist auch mit Corvins Mitarbeit am Projekt einverstanden, darüber freue ich mich, doch gleichzeitig weiß ich, dass es nicht immer einfach werden wird.

Anmerkung der Kursleitung:
Es ist interessant, dass Jonas bei beiden Kindern prompt einwilligt; vermutlich steckt dahinter, dass er sie für qualifiziert genug hält.

Jonas übernimmt es, Mick und Corvin zu fragen, ob sie Lust haben mit ihm zusammen eine Fußballzeitung zu erstellen.
Beide bekommen große Augen und sagen sofort zu. Jil steht gerade in der Nähe, als Jonas Mick fragt. Nun will sie natürlich auch gerne mitmachen und fragt Jonas, ob dies in Ordnung wäre. Da Jonas sehr sozial ist, kann er hier wohl nicht nein sagen; und er weiß auch, dass Mick und Jil momentan viel zusammen machen.

Somit starten wir nun mit vier Kindern in das Projekt, was mir eigentlich schon ein wenig viel ist, aus den Vorerfahrungen mit Jonas. Ich werde einfach mal schauen, wie es sich entwickelt.

Über Jonas

Jonas ist jetzt 5;5 Jahre alt. Fußball schon seit längerem ein großes Thema bei ihm. Er spielt selber sehr gerne Fußball und ist Fan vom FC Bayern München. Die Fußballregeln beherrscht er schon sehr gut und deshalb will er auch gerne nach diesen Fußballregeln spielen, doch im Kindergarten können das nur sehr wenige Kinder, deshalb bevorzugt Jonas häufiger das Fußballspielen mit mir.

Da es jetzt kurz vor der WM sehr viele fußballbegeisterte Kinder gibt, schlage ich Jonas immer wieder vor, dass er mit den anderen Kindern spielen soll, er könnte ihnen doch auch so manche wichtige Regel erklären. Dies probiert er auch immer wieder, doch meistens endet es leider im Streit.

Da Jonas nicht nur im Bildungsbereich Bewegung Interesse an Fußball zeigt, sondern das Interesse auch in andere Bildungsbereiche überschwappt, habe ich mir überlegt, mit Jonas ein Fußball-Projekt zu gestalten. Gerade in den Bereichen Bildnerisches Gestalten und Sprache und Schrift zeigt er wieder tolle Werke, richtig viel Ausdauer und hohe Konzentration.

Jonas zeigt in den letzten Monaten großes Interesse an Buchstaben und am eigenen Schreiben. Er will wissen, wie Fußballausdrücke und Fußballernamen geschrieben werden.

Deshalb soll das Projekt Fußballzeitung ein Teil des Fußballprojektes sein, was zur Zeit für die Gesamtgruppe stattfindet.

Jonas überlasse ich ganz bewusst die Auswahl der Kinder für diese Aktion. Aus Erfahrung weiß ich mittlerweile, dass Jonas ganz gut abschätzen kann, mit wem er intensiv arbeiten kann. Außerdem fällt ihm die Gruppenarbeit nach wie vor nicht ganz so leicht, am liebsten arbeitet er immer noch mit mir alleine. Doch in dieser letzten Arbeit mit ihm ist mir eine Gemeinschaftsarbeit sehr wichtig, da er auch in diesem Bereich positive Erfahrungen sammeln soll.

Ziele für Jonas

– Er entfaltet frei seine kreative Persönlichkeit.
– Er probiert Neues aus, sammelt Erfahrungen.
– Er erlebt befriedigenden Austausch mit anderen Kindern.
– Er lernt, sich Anderen besser mitzuteilen, aber auch gleichzeitig ein offenes Ohr für die Ideen und Beiträge der Anderen zu haben.
– Er kann in der Kleingruppenarbeit erleben, dass es Kinder mit ähnlichen
Bedürfnissen, Begabungen und Interessen gibt. Dies soll er lernen, für sich als Chance zu nutzen.
– Er soll – wie auch alle anderen teilnehmenden Kinder – gute Einwirkungsmöglichkeiten auf das Ergebnis des Projektes haben.
– Er hilft dabei, die Ergebnisse der WM kindgerecht in Form einer Zeitung festzuhalten und einzelne Themen zur WM, entsprechend seinem Anspruch, zu vertiefen und verinnerlichen.

Es geht los! Wir sammeln Ideen.

Kurz vor dem WM-Start treffen wir uns zum ersten Mal in unserem WM-Fanraum (das ist der Raum neben dem Gruppenraum).
Hier steht jetzt der Kicker, Deutschlandfahnen schmücken den Raum. Etliche Fußballbücher, die ich in der Bücherei ausgeliehen habe, liegen zum Stöbern bereit.

Nun sitzen Jil (6;4), Mick (5;11), Corvin (6;3) und (als Jüngster) Jonas (5;5) zusammen an einem Tisch. Zur Ansicht und besseren Vorstellung habe ich ihnen ein paar unterschiedliche Kinderfußballzeitschriften und eine Tageszeitung mitgebracht.

Zunächst einmal haben sie die Gelegenheit, sich diese Zeitschriften in Ruhe anzuschauen. Das finden alle total klasse. Sie erkennen Fußballspieler wieder und nennen ihre Namen. Corvin erkennt die Noten der Nationalhymne und erzählt uns stolz, dass er die Hymne auswendig kann.

Ich frage ihn spontan, ob er Lust hat, sie uns vorzusingen. Das macht er sofort. Die anderen Kinder sind sofort ruhig. Sie finden Corvins Gesang richtig gut und wollen, dass Corvin die Hymne noch mal vorsingt, damit sie sie auch lernen können. Besonders Jonas ist ganz erpicht darauf. Ich glaube, er ist schon ein wenig neidisch auf Corvin.

Anmerkung der Kursleitung:
Vielleicht hat er sich auch einfach nur gewundert, dass er von einem anderen Kind so was Tolles lernen konnte?

Nach diesem Auftritt überlegen wir dann gemeinsam, was denn eine richtige WM- Fußballzeitschrift alles enthalten muss. Corvin sagt, dass die Nationalhymne nicht fehlen dürfe. Jonas meint, dass der WM-Pokal abgebildet sein müsse. Jil erwähnt das Deutschlandmaskottchen „Paule“, das kennen sie alle von den REWE-Sammelkarten. Mick ist es wichtig, den Spielplan in die Zeitung zu setzten, damit alle wissen, wann welches Spiel ist und wer gegen wen spielt.

Die Kinder sprudeln nur so von weiteren Ideen, zum Beispiel:

    • Bilder und Fotos zur WM,
    • die Fußballspieler,
    • Flaggen,
    • Vuvuzela,
    • Infos zum WM-Land Südafrika.

Abgesehen von der Zeitung möchten sie:

    • selber Fußballspielen,
    • Pokal und Medaillen selber machen,
    • ein Turnier durchführen,
    • Deutschlandfahnen herstellen,
    • rote und gelbe Karten basteln und eine Pfeife besorgen.

Jonas hat noch den Wunsch, einen Fußballplan im Fanraum aufzuhängen, wo er dann immer die Spiel-Ergebnisse eintragen kann.

Mit all diesen tollen Ideen in der Tasche beenden wir das erste Treffen. Ich lobe die Kinder dafür, dass sie fast eine Stunde lang sehr aufmerksam gewesen sind, tolle Ideen gesammelt und sich untereinander gut verstanden haben. Wir verabreden uns dann für den nächsten Tag am gleichen Ort.

2. Tag

Am nächsten Tag haben schon viele andere Kinder „den Braten gerochen“ und wollen nun auch an der Zeitung mitarbeiten.

Es ist genau das eingetroffen, was mit Jonas erfahrungsgemäß zu Schwierigkeiten führt:

Wenn es zu viele Kinder werden, verschließt sich Jonas und hat keine Freude mehr an der Arbeit,
weil er zu wenig Aufmerksamkeit bekommt und das Arbeits- und Lerntempo für ihn zu gering wird.

Also erkläre ich den Kindern, dass an einer Zeitung nicht so viele Kinder gleichzeitig in einem Raum arbeiten können, ich mich aber bemühen werde, noch weitere Treffen zu planen, so dass auch diese Kinder zum Zuge kommen.
Da heute Mick nicht da ist, erlaube ich Jan teilzunehmen; er hat schon den ganzen Morgen darum gebeten.

Anmerkung der Kursleitung:
Wie hättest Du Dich entschieden, wenn der Zeitrahmen deutlich enger gewesen wäre? Hättest Du es geschafft, den Kindern zu erklären, dass sie dieses Mal nicht dran sind, aber dann ein anderes Mal?
Hier zeigt sich, finde ich, die Notwendigkeit, Strukturen zu ändern:
Viel mehr Kleingruppenarbeit, damit alle Kinder in den Genuss (!) kommen und dadurch auch lernen können, aktuelle Zurückweisung gelassen hinzunehmen. Da Du selbst am Ende schreibst, dass es eine sehr schöne Zeit war, nehme ich an, dass Du selber auch diese Idee entwickelt hast.
Ich bin (wie Du ja auch andeutest) der Meinung, dass Projekte, die hoch begabte Kinder fördern sollen, nicht durch zu viele verschiedene Köche verwässert werden dürfen.

Und so verläuft das 2. Treffen:
Jonas schneidet seinen Spielplan aus einer Zeitung aus, klebt ihn auf feste Pappe  und hängt ihn im Fan-Zimmer auf, damit er ab Freitag, den 11. Juni, dort alle Ergebnisse eintragen kann.

Anschließend beginnen wir damit, alle deutschen Nationalspieler in die Zeitung zu kleben. Ich fragte in die Runde: „Weiß denn jemand von euch, wie viele deutsche Spieler mit zur WM gefahren sind?“
Corvin antwortet sofort: „Mit Jogi Löw 24!“
Ich weiß es selber gar nicht so genau und muss nachzählen, doch Corvin hat tatsächlich Recht. Ich merke, dass Jonas etwas verärgert ist und er jetzt auch endlich mal was Tolles und Wissenswertes erzählen will. Jonas: „Und sieben Spieler sind vom FC Bayern München und nur einer vom 1. FC Köln!“

Anmerkung der Kursleitung:
Vielleicht ist er gar nicht so sehr nur verärgert, sondern vielleicht fühlt er sich  herausgefordert und angespornt. – Bist Du sicher, dass es für ihn eine als unangenehm erlebte, negative Emotion war?
Unter Jungs ist das ja ein „normales“ Geschehen: sich gegenseitig übertrumpfen wollen – endlich hat Jonas mal die Gelegenheit dazu – aber von uns Frauen wird das schnell als unangenehm empfunden. Meine Anmerkungen sind hier natürlich nur Vermutungen…

„Kennst du denn auch die Namen der Spieler?“ „Ja klar!“ Und er beginnt aufzuzählen. Doch Corvin kann auch nicht still bleiben und ruft einige Namen rein. Da wird Jonas ziemlich sauer, und die ersten kleinen Auseinandersetzungen zwischen Jonas und Corvin beginnen.
Ich greife ein, lasse Jonas die Frage alleine beantworten und vertröstete Corvin, dass er nachher zusammen mit den anderen Kindern die restlichen Spieler benennen darf.

An dieser Stelle merke ich, dass Jonas es schlecht vertragen kann, wenn ihm einer „das Wasser reichen“ kann oder sogar etwas mehr weiß.

Dies habe ich hier und da schon mal beobachtet, deshalb finde ich es auch jetzt so wichtig, dass Jonas in einer Gruppe arbeitet, denn genau mit solchen Situationen muss er auch lernen klar zu kommen.

Anmerkung der Kursleitung:
Oder anders gesagt: Nur wenn er das öfter und oft genug erleben kann, wird er lernen können, damit umzugehen.

3. Tag

Nach dem ersten Deutschlandspiel treffen wir uns wieder.
Jonas durfte dieses Spiel sogar zu Hause im Fernsehen schauen, obwohl es erst abends kam. Er kann genau berichten, wer die Tore geschossen hat, wer eine rote oder eine gelbe Karte bekommen hat und wie es zu den Toren kam.
Von Corvin erfahre ich, dass er das Spiel nicht ganz schauen durfte, sein Vater es aber für ihn aufgenommen hat.

Jonas möchte am liebsten immer schreiben oder passende Bilder zu den Ergebnissen malen. Schneiden und Kleben machen ihm nicht so viel Spaß, es gehört aber leider auch zu unserer Zeitungsarbeit.

Weil die Nachfrage nach der Teilnahme an der Zeitungsarbeit immer größer wird, habe ich noch eine zweite Arbeitsgruppe gegründet. Hiermit sind auch die anderen Kinder einverstanden, denn sie merken schnell, dass so eine Zeitung ganz schön viel Arbeit ist und dass ein bisschen Unterstützung gar nicht schlecht ist.

Tim (5;10) und Jan (6;4) freuen sich darüber, sie nehmen ab sofort sehr regelmäßig an den Treffen der zweiten Gruppe teil. Die übrigen zwei Plätze werden immer von unterschiedlichen Kindern belegt, je nach Lust und Tagesform.

Schön ist es auch, die Freispielentwicklung der teilnehmenden Kinder zu beobachten. Täglich spielen Corvin, Mick, Jonas, Jan und andere Kinder draußen Fußball. Sie bitten mich jedes Mal, mit Kreide ein richtiges Fußballfeld aufzumalen. Ein Fußballtor haben wir gespendet bekommen und das andere bauen die Kinder aus Hölzern zusammen. Jil, Tim und andere Kinder bauen für jedes Spiel eine Tribüne und eine Imbissbude auf, an der man Getränke und kleine Gerichte kaufen kann.

In unserer Gruppe haben wir bereits Deutschlandfahnen gebastelt, womit einige Kinder die Fußballjungen anfeuern. Vor Spielbeginn stehen die Vier immer Arm in Arm in der Reihe und singen gemeinsam die Nationalhymne. Mittlerweile sind alle Vier recht textsicher.

Leider kommt es während des Spiels häufig zu Auseinandersetzungen zwischen Corvin und Jonas. Meistens behauptet einer der Beiden etwas und der andere ist aber ganz anderer Meinung. Es beginnt meistens mit verbaler Auseinandersetzung, dann wird es immer lauter, bis sie dann am Ende manchmal auch handgreiflich werden und das Spiel beendet werden muss.

Dies ist auch mit ein Grund dafür, dass ich später die zwei Arbeitsgruppen auch schon mal anders zusammengestellt habe, denn nach so einer Auseinandersetzung ist die Zusammenarbeit in einer Gruppe nicht gut möglich. Ich habe dann Tim anstelle von Corvin in die Gruppe genommen. Tim ist auch hoch engagiert. Er bringt später sogar Zeitungen von zu Hause mit oder hat bereits zu Hause wichtige Beiträge ausgeschnitten.

Weitere Treffen

Nun treffen wir uns zweimal die Woche. Nach einem Deutschlandspiel sprechen wir über das Spiel und tragen alle Ergebnisse der letzten Spiele in die Zeitung ein. Die Aufgaben werden gerecht verteilt, sodass jeder mal schreiben, schneiden, kleben oder malen kann.

Zu Beginn der Treffen frage ich, wer etwas zu berichten hat und wer welche Aufgabe gerne übernehmen möchte. Oftmals einigen sich die Kinder untereinander schon ganz gut.

Sind die Ergebnisse der Spiele festgehalten, arbeiten wir an allgemeinen Informationen zur WM. Jonas will zum Beispiel den Pokal malen und Jil die Fußballspieler, wie sie die Nationalhymne singen. Mick malt Spielszenen, wo zum Beispiel ein Spieler ein Tor schießt.

Bei einem Treffen setzen wir uns mit dem Land Südafrika auseinander. Hier ist mir auch noch mal wichtig, die Ursprungsgruppe zu nehmen, was bedeutet, dass Corvin und Jonas wieder aufeinander treffen. Es ist auch nicht so, dass sie sich im Alltag aus dem Weg gehen, im Gegenteil, sie suchen sich immer wieder zum Fußballspielen.

Auch heute ist es für Beide in Ordnung miteinander zu arbeiten. Zum Thema Südfrika ist es  auch unproblematisch, weil sie dazu Beide nicht so viel wissen.

Eigentlich alle Kinder äußern, dass Südfrika ein armes Land ist, dort viele Kinder hungern müssen und dort Elefanten und Löwen leben. Ich erkläre den Kindern, dass dies eine Seite von Südafrika sei, die während der WM von viel Positivem überdeckt wird. Es sei aber gut, Beides zu kennen.

Ich erzähle ihne, dass in Südafrika sogar Pinguine leben, das wusste ich vor meiner eigenen Recherche auch noch nicht. Die Kinder sind erstaunt. Dann frage ich sie nach den „Big Five“. „Welche Tiere könnten die „Fünf Großen“ sein?“

Jonas meinte: „Der Elefant, der Löwe und die Giraffe!“ Elefant und Löwe sind richtig, aber dann sind es noch der Leopard, das Nashorn und der Büffel. Sie sind auch auf den südafrikanischen Geldscheinen zu sehen.
Jonas: „Aber die Giraffe ist doch viel größer!“ „Das stimmt, aber ich glaube, dass die Big Five alle stärker sind als die Giraffe und sie deshalb nicht dazu gehört.“

Tim gefällt die südafrikanische Fahne sehr gut, er malt sie immer wieder nach.

Dieses Treffen mit dem Thema Südafrika verläuft sehr angenehm, keiner muss sich profilieren. Sie sind hierbei Alle Lernende und gehen gemeinsam auf Entdeckungsreise. Ich glaube, dies ist für alle Beteiligten sehr interessant und informativ.

Ein ganz besonderes Thema ist die Vuvuzela. Alle Kinder wissen natürlich mittlerweile, dass dies ein afrikanisches Blasinstrument ist, was sich wie ein Schwarm Bienen anhört, der hinter einem her ist. Ich bringe eine Vuvuzela mit in den Kindergarten, und die Kinder können ausprobieren, ob sie einen Ton heraus bekommen. Jonas ist ganz stolz, denn er bekommt einen lauteren Ton heraus als ich.

Je öfter die Deutschen gewinnen, desto spannender wird die Situation. Alle Kinder hoffen nun, dass wir auch Weltmeister werden. Die Zeitung wird immer voller, interessanter und schöner.

Jonas fragt:
„Wer bekommt eigentlich die Zeitung,
wenn sie fertig ist?“

Darüber habe ich mir Gedanken gemacht und mir ist da eine Idee gekommen. Ich will damit umgehen wie mit einem Wanderpokal, damit kennt Jonas sich gut aus, da er öfter einen gewonnen hat.
„Jeder von euch darf die Zeitung dann für eine Woche mal mit nach Hause nehmen und den Eltern, Geschwistern und Freunden zeigen, und am Ende bleibt die Zeitung dann im Kindergarten. Ist das okay für euch?“ Damit sind sie alle einverstanden.

Zu diesem Zeitpunkt ist mir allerdings noch nicht klar, dass unsere Zeitung noch sehr viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Zum einen sind die Kinder mit so einer riesigen Begeisterung bei der Sache. Sie bringen immer mehr Infomaterial von zu Hause mit. Jil bringt zum Beispiel eine ganze Fußballzeitung mit, die sich ihr Vater gekauft hat und nach dem Durchlesen ihr überlassen hat.

Zum anderen kommen mein Abschied aus der Kita, das Schlaffest der Vorschulkinder und die Sommerferien mit großen Schritten auf uns zu – und hierzu sind natürlich auch noch viele Dinge zu regeln und zu organisieren.

Außerdem hatte ich Jonas eine Sache noch ganz fest versprochen, nämlich ein Kickerturnier durchzuführen. Daran hat mich Jonas auch schon mehrmals erinnert, somit muss ich dies auf jeden Fall noch schaffen.

Ich organisiere es dann noch in der letzten Woche vor den Ferien. Von einer Bekannten habe ich drei unterschiedlich große Fußballpokale geschenkt bekommen. Als ich sie den Kindern zeige, sind sie begeistert. Jonas: „Schaut mal, die können wir gewinnen, wie bei einem richtigen Turnier. Der größte Pokal ist für den ersten Sieger, der mittlere für den zweiten Sieger und der kleinste für den dritten Sieger.“

Ich lasse immer zwei gegen zwei spielen. Jonas sucht sich Mick als Partner aus.

Die Durchführung des Turniers ist nicht ganz so einfach. Es wollen recht viele Kinder mitmachen, was das Turnier stark verlängert. Einige Kinder haben nachher nicht mehr so die Geduld. Doch im Nachhinein bin ich froh, dass ich es noch durchgezogen habe, da ich gemerkt habe, wie gut es Jonas getan hat. Er musste die gesamte Zeit mit einem Partner zusammen spielen und dies auch noch vor einem recht großen Publikum. Er musste lernen, die Fehler seines Partners zu akzeptieren und auch einige Gegentore verkraften. Ebenso hat er schöne Gemeinschaftserlebnisse erfahren. Er ist mit seinem Partner auf den zweiten Platz gekommen und ist stolz und zufrieden. Sogar den Erstplatzierten konnte er den Sieg gut gönnen.

Anmerkung der Kursleitung:
Das Gönnen-Können wächst bei vielen sehr begabten Kindern mit der Menge der schönen (Lern-) Erlebnisse, was man hier mal wieder sehen kann.

Unsere Zeitung wird auf den letzten Drücker fertig, genau einen Tag vor meiner Abschiedsfeier. Klar ist, dass die Zeitung nun nicht mehr wie ein Wanderpokal rund gehen kann. Das hat Jonas schon von selber gemerkt. Jonas: „Frau Cadoni, die Ferien fangen doch schon nächste Woche an, dann können wir ja gar nicht mehr die Zeitung mit nach Hause nehmen. Aber ich möchte sie so gerne Mama noch zeigen!“
„Da hast du Recht, Jonas, das ist jetzt echt dumm gelaufen, aber ich hab mir auch schon Gedanken darüber gemacht und da ist mir die Idee gekommen, die Zeitung morgen zu meinem Abschied im Flur groß zu präsentieren. Es werden nämlich viele Eltern zum Abschied kommen und dann wird auch noch genügend Raum und Zeit für die Zeitungspräsentation bleiben, dafür werde ich sorgen, denn dieses ist mir zum Abschluss noch sehr, sehr wichtig.“

Am Tag meines Abschieds bereite ich früh morgens mit den ersten Kindern den Zeitungsstand vor. Wir stellen einen großen Tisch in den Flur, bekleben ihn mit Deutschlandfahnen und anderen selbst gebastelten Fahnen, um auf die Zeitung aufmerksam zu machen.

Während der Zeitungserarbeitung und des gesamten Projektes habe ich einige Fotos geschossen. Jetzt kleben wir sie auf eine große Säule und stellen sie neben den Zeitungstisch. Auf diese Art und Weise können die Eltern wahrnehmen, was ihre Kinder in den letzten Wochen hier im Kindergarten geleistet haben.

Schon während der Bringphase wird der Tisch von vielen Eltern mit ihren Kindern besucht. Tim und Corvin zeigen ihren Eltern stolz die Zeitung und erklären, was sie selber gestaltet haben.

Später, während meiner Abschiedsrede, erwähne ich die ausgestellte Zeitung und lade die Eltern ein, sich dafür bitte Zeit zu nehmen und sich die eine oder andere von ihrem Kind gestaltete Seite anzuschauen. Die Eltern fangen laut an zu klatschen! Ich sage nur: „Kinder das ist euer Applaus, ihr habt mit dieser Zeitung Großes geleistet!“
Zum Ende der Verabschiedung kommt Jonas‘ Mutter noch mal zu mir und bedankt sich für mein Engagement und den Einsatz für Jonas: „Sie haben Jonas und viele andere Kinder auf einen guten Weg gebracht!“

Jonas‘ Mutter war während der gesamten Zeit, die ich nun mit Jonas zusammenarbeite, immer etwas zurückhaltend und manchmal auch skeptisch, so vermutete ich. Nun merke ich, dass sie meine Arbeit mit Jonas doch zu würdigen weiß.
Ich hoffe jetzt nur, dass meine Nachfolgerin Jonas und seine Belange nicht ganz aus den Augen verliert, dies wäre sehr, sehr schade. Ich habe ihr Jonas ans Herz gelegt, mehr kann ich dann zunächst einmal nicht tun. Mit den Eltern werde ich auf jeden Fall weiterhin in Kontakt bleiben.

Reflexion

Alle beteiligten Kinder hatten auf jeden Fall einen guten Einblick in die Medienarbeit und haben selbst erfahren können, wie viel Arbeit die Herstellung einer Zeitung macht.

Jonas hat das Schreiben der Buchstaben, Wörter, Sätze und Zahlen richtig viel Spaß gemacht, am liebsten hätte er dies ausschließlich gemacht. Doch hier konnte er erleben, dass er sich nicht immer nur das Schönste und für ihn Interessanteste aussuchen kann, sondern er auch Dinge tun muss, die ihm nicht so viel Spaß machen. So ist der Ernst des Lebens!

Jonas konnte viele Erfahrungen zu gemeinsamer Arbeit sammeln, positive wie negative. Mir war von Beginn an klar, dass die Zusammenarbeit mit Corvin nicht so leicht werden wird, trotzdem war mir die Erfahrung für Jonas sehr wichtig. Denn er hatte es bis dato in unserem Kindergarten fast noch nie erlebt, dass ihm einer das Wasser reichen kann. Corvin aber hat ebenso wie Jonas ein sehr breites Wissen, eine gute Merkfähigkeit und kann sich richtig gut ausdrücken.

In Situationen, in denen sie gegeneinander handgreiflich wurden, hatte ich auch ein paar Mal das Gefühl, dass das Projekt „Zeitung“ jetzt gelaufen sei. Doch das Interesse und das Engagement jedes einzelnen, hat es am Leben erhalten.

Anmerkung der Kursleitung:
Die Faszination war also unterm Strich immer deutlich größer als der Frust, das ist entscheidend.

Ans Aufgeben hat, glaube ich,
kein Kind zu irgendeinem Zeitpunkt gedacht.

Gut war, dass ich durch das große Interesse der Kinder die Gruppen schon mal unterschiedlich zusammensetzen konnte. So konnte ich je nach Interessenlage und Schwierigkeitsgrad variieren.

In manchen Situationen konnte ich auch mehr in die Tiefe gehen. Hierbei fällt mir noch eine Situation ein, die ich in der Durchführung noch gar nicht beschrieben habe, aber doch für wichtig halte:
Bei einem Treffen sprachen wir darüber, dass es unterschiedliche Fußbälle gibt und immer einen ganz besonderen WM-Ball. Jonas wollte dann wissen, wie so ein Ball hergestellt wird. Ich konnte ihm nur so vage erklären, dass die Bälle früher aus sechseckigen Lederstücken zusammengenäht wurden. Wie jedoch die modernen Bälle hergestellt werden, da war ich überfragt.
Spontan sind wir dann an den Computer gegangen und haben im Internet gesurft. Tatsächlich haben wir einen ganz tollen Videobeitrag über die Herstellung des WM-Balls gefunden. Wir holten die interessierten Kinder zusammen und ließen den Film ein paar Mal durchlaufen. Alle Kinder waren fasziniert und auch ich konnte noch einiges lernen.

Richtig gut fand ich auch, dass Jonas und Corvin sich trotz ihrer Rivalität immer wieder zum Spielen suchten und auf ein Neues das Zusammenspiel probierten.
Es gab nachher Situationen, da hatte ich das Gefühl, es ging nicht mit aber auch nicht ohne einander. Darunter litt manchmal die Freundschaft zwischen Mick und Jonas. Das hat Jonas wohl auch wahrgenommen – er ist eigentlich immer sehr darauf bedacht, dass es allen Kindern gut geht und besonders seinen Freunden. Ich glaube, deshalb hat Jonas auch Mick als Partner beim Kickerturnier gewählt.

Wenn ich mit Jonas alleine gearbeitet hätte, wäre ich wahrscheinlich inhaltlich noch mehr in die Tiefe gegangen. Doch bei diesem Projekt stand für mich das soziale Miteinander mehr im Vordergrund und ich denke, dies ist mir in Ansätzten auch ganz gut gelungen.

Anmerkung der Kursleitung:
Ich denke, ein hoch begabtes Kind braucht im Idealfall mal dies und mal das, also Beides.

Was Jonas oder auch Corvin speziell eingefordert haben, habe ich auch versucht irgendwie ins Projekt einzubeziehen. Hierzu zählen zum Beispiel das Kickerturnier oder die Einrichtung des Fußballplatzes auf dem Außengelände. Natürlich konnte ich ihre Wünsche nicht immer zu hundert Prozent erfüllen, doch wann kann man das schon. Auch hier müssen die Kinder lernen, dass es Grenzen gibt, sowohl zeitlich als auch materiell und finanziell. So konnten wir zum Beispiel leider nicht in ein großes Stadion fahren.

Anmerkung der Kursleitung:
Auch hierbei können begabte Kinder sehr viel Verständnis zeigen, solange ihre Grundstimmung in Ordnung ist (und also keine Dauerfrustration herrscht).

Im Großen und Ganzen, denke ich, waren die Kinder mit dem Ablauf und den Angeboten sehr zu frieden. Ich habe versucht, mich immer flexibel auf die Kinder und ihre Interessen einzustellen, und ich glaube, das haben die Kinder auch gespürt. Es gab keine Situation, in der mal ein Kind die Mitarbeit verweigert hat. Im Gegenteil, viele fingen auch an, zu Hause schon Texte und Bilder zu sammeln.

Jonas hat immer sehr genau die Spiele verfolgt, es war auch manchmal so, dass er dann am Tag nach dem Spiel fehlte, um Schlaf nachzuholen. Er hatte aber immer alle Tore und rote oder gelben Karten in seinem Gedächtnis gespeichert. Er konnte uns genau mitteilen, wer welches Tor geschossen hat, manchmal wusste er auch noch, wie es zu diesem Tor gekommen war. Hierbei konnte ich noch mal gut feststellen, wie gut Jonas‘ Merkfähigkeit ist und wie gut und verständlich er Gespeichertes schildern kann. Diese zwei Bereiche wurden auf jeden Fall noch mal stark gefördert.

Hinzu kommen erste Ansätze des Schriftspracherwerbs. Er hat Spaß und Freude daran, Buchstaben zu Papier zu bringen. Das konnte er während der Zeitungserstellung auch oft genug für sich nutzten und einsetzen.

Ich hatte für mein Projekt relativ viel Zeit und Freiraum zur Verfügung,
das kam natürlich auch den Kindern zugute.

Die Kinder konnten immer selbst bestimmen,  wie lange sie am Angebot teilnehmen und welche Aufgabe sie übernehmen wollten.

Die meisten Kinder zeigten viel Ausdauer und gute Konzentration. Am Ende einer Einheit haben wir oft noch Kicker gespielt, was den Kindern auch immer sehr viel Freude bereitet und oft auch als Motivationsschub gedient hat. Es gab auch Angebote, bei denen saß am Ende nur noch Jonas neben mir. Oft war er noch fleißig am Schreiben oder hatte noch die ein oder andere Frage, die ihn sehr interessierte.

Insgesamt hatte dieses Projekt eine große Auswirkung auf die Gruppe, was natürlich durch die laufende WM verstärkt wurde. Plötzlich interessierte sich jeder für Fußball und wollte auf irgendeine Art und Weise seinen Beitrag hierzu leisten. Auch die Mädchen überlegten sich, wie sie mitwirken konnten, so wurde zum Beispiel eine Imbissbude für die Halbzeit errichtet oder Fahnen zum Anfeuern gebastelt und vieles mehr. Es kamen auch immer mehr Kinder, die sich an der Fußballzeitung beteiligen wollten, was ich auch versucht habe zu ermöglichen.

Es war eine richtig schöne Zeit. Man merkte auch, dass die Kinder untereinander viel sozialer und hilfsbereiter miteinander umgingen. Auch gruppenübergreifend hatte dies zuvor nur selten so gut funktioniert wie in diesem Projekt.

 

Datum der Veröffentlichung: Januar 2017
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum

Jonas (5;3) macht noch ein Bilderbuch und schöpft Papier

von Anke Cadoni

 

Jonas hat den Wunsch geäußert, noch ein Bilderbuch mit mir zu erstellen.
Dies hat mir bestätigt, dass Jonas unsere letzte gemeinsame Arbeit viel Spaß und Freude bereitet hat. Wir hatten das „Bilderbuch von den Perchten“ hergestellt.

Mehr über Jonas:
Jonas, 4;2
Jonas faltet doch Papierflieger
Bilderbuch zu den Perchten
Fußball und Zeitung

Wie kann ich erreichen, dass Jonas nun neue Erfahrungen machen kann? Ich möchte ihm noch andere Möglichkeiten zur Buchgestaltung näher bringen und schlage ihm vor, das Papier für ein Bilderbuch mal selber herzustellen.
Da wir zur gleichen Zeit in der Gruppe das Projektthema: „Bücher wachsen nicht auf Bäumen, oder?“ beginnen wollen, wäre dies auch eine Aktion, die gut ins Rahmenprogramm passt. Trotzdem könnte Jonas noch mal gesonderten Freiraum dafür bekommt, auch seinen Bedürfnissen nachzugehen und tiefer in das Thema einzudringen.

Ich hatte mir gewünscht, dass Jonas diesmal mit einem anderen Kind zusammen arbeiten möchte. Doch dies wehrt er wieder ab, mit der Begründung, „die anderen stören mich und machen Unsinn“.

Anmerkung der Kursleitung:
Es wäre so wichtig, dass er hier noch lernt zu differenzieren: Ja, die meisten stören bei meinen Projekten, aber es gibt doch auch die Eine oder den Anderen, mit denen es gut geht – und es für mich auch schön und bereichernd ist.

Ich habe es zunächst einmal so hingenommen und habe mich wieder regelmäßig mit Jonas alleine getroffen, was er auch wieder sehr genossen hat.

Anmerkung der Kursleitung:
Ja, das halten wir in diesem Stadium für eine gute Entscheidung.

Wie genau dann anschließend die Verarbeitung des selbst hergestellten Papiers sein wird, lasse ich offen. Hier kann Jonas dann seinen guten Ideen und Vorstellungen freien Lauf lassen.

kurz gefasst…
Der fünfjährige Jonas hat bereits ein Bilderbuch selbst gestaltet und möchte jetzt noch ein anderes machen. Seine Erzieherin unterstützt ihn dabei und ermöglicht es ihm, sein Projekt in seinem eigenen schnellen Arbeits- und Lerntempo und mit seiner großen Konzentration und Ausdauer durchzuführen.

Jonas darf alleine arbeiten, muss sich nicht an die anderen Kinder anpassen und erhält die notwendige Anleitung, um zu einem guten Ergebnis zu kommen.
Trotzdem gelingt es der Erzieherin, dieses Einzelprojekt für die Gruppe nutzbar zu machen.

Mir ist es allerdings ganz wichtig, dass Jonas lernt, sich auch wieder ein Stück mehr den anderen Kindern zu öffnen und er zumindest den anderen Kindern seine Vorhaben und Tätigkeiten, zum Beispiel im Stuhlkreis, erklärt und vorführt.

Aktuelle Kindbeschreibung

Jonas ist jetzt 5;3 Jahre alt. Sein größtes Interesse liegt immer noch beim Malen und Zeichnen und mittlerweile auch beim Schreiben und Geschichten erzählen.

Jonas kommt morgens in den Kindergarten und spielt zunächst einmal mit seinen Freunden. Zur Zeit spielt er wieder häufig mit seinem Freund David. Ich beobachte sie häufig, wie sie auf der zweiten Ebene gemeinsam bauen. Hierbei geht es oft immer noch darum, dass Fallen für die Perchten gebaut werden. Während dieser Zeit verstehen sie sich auch meistens ganz gut.

Sein Freund Mick war leider wieder oft krank und hat deshalb häufig und lange den Kindergarten nicht besucht. Ich habe aber mitbekommen, dass Jonas Mick ein paar Mal zu Hause besucht hat.

Was ich immer wieder feststelle ist, dass Jonas sich irgendwann im Freispiel von David löst und sich an den Basteltisch zurück zieht. Als Mick den Kindergarten regelmäßig besucht hat, ist er meistens zusammen mit Mick an den Maltisch gekommen. Jetzt kommt er häufig alleine, aber da unser Maltisch eigentlich immer gut besucht ist, sitzt er in den seltensten Fällen dort einsam.

Dort malt er dann in aller Seelenruhe sein Bild, mit unheimlich viel Ausdauer, Konzentration und Genauigkeit. Manchmal erzählt er Geschichten zu den einzelnen Bildern, die ich dann notieren soll, oder er bittet mich, für ihn bestimmte Wörter vorzuschreiben, sodass er sie nachschreiben kann.

Das Schreiben fasziniert ihn jetzt immer mehr. Er interessiert sich für viele Buchstaben und fragt, wie sie ausgesprochen oder geschrieben werden.
Seine Ausführungen werden immer genauer und er wird mit sich auch immer kritischer. Hat er sich vermalt oder auch nur ein Strich ist mal nicht da, wo er hin sollte, wirft er das Bild sofort weg.

Oft bekomme ich auch mit, wie er anderen Kindern erklärt, wie sie zum Beispiel ein Auto malen können. Oder er mischt sich in Gespräche ein und versucht Dinge zu erklären oder richtig zu stellen. Dies macht er aber immer auf eine sehr nette Art und Weise, manchmal holt er sich dann noch Rückendeckung von mir und sagt: „Frau Cadoni, eine Spinne hat doch acht Beine, das stimmt doch?“

Einige Kinder bitten jetzt Jonas auch schon mal öfter um Hilfe und ich glaube, das ist auch ein Grund dafür, dass Jonas gerne mit mir alleine und in einem separaten Raum arbeitet. Dort kann er ungestört das machen, was er sich vorgenommen hat. Wenn er sich entscheidet sich zurück zu ziehen, dann möchte er auch in Ruhe gelassen werden. Er will dann geistig aktiv werden und anspruchsvoll arbeiten.

Anmerkung der Kursleitung:
Gut, dass Du das so klar erkennst und dafür so viel Verständnis zeigen kannst.

Vorüberlegungen und Ziele

Was will ich tun?

Ich möchte auf jeden Fall die Wünsche von Jonas aufgreifen. Das bedeutet, wir werden wieder ein Bilderbuch erstellen und zunächst einmal alleine arbeiten.
Gleichzeitig möchte ich Jonas aber noch mal vermitteln, dass es auch Spaß machen kann, mit einem anderen Kind zusammen zu arbeiten. Zu einem späteren Zeitpunkt hoffe ich, dass Jonas sich dann öffnet und dann vielleicht Jil mitarbeiten lässt. Sie ist ein Jahr älter als Jonas, interessiert sich auch sehr fürs Malen, Bilderbücher und ist immer offen für neue Sachen. Sie arbeitet auch immer sehr konzentriert und engagiert.
Ich werde Jonas diese Option immer wieder unterbreiten und ihm versuchen schmackhaft zu machen.

Auf der anderen Seite finde ich es wichtig, ihm auch weiterhin immer wieder Rückzug aus dem Alltagsgeschehen zu gewähren. Er darf auch mal alleine sein, denn so lernt er auch mit Außenseiterpositionen klar zu kommen, womit er in seinem weiteren Leben wohl durchaus noch häufiger zu tun haben wird.

Ein weiterer wichtiger Schritt, finde ich, ist die Öffnung zum Rest der Gruppe.
Die anderen Kinder merken ja auch, dass Jonas öfter alleine mit mir arbeitet und sind häufig neugierig und interessiert. Deshalb finde ich es wichtig, dass Jonas den anderen Kindern zeigt, was er für Ideen hat und was er mit mir erstellt oder erarbeitet hat.

Hier werden seine Ideen von Kindern bewertet. Positive Rückmeldungen stärken sein Selbstbewusstsein, er erlebt Erfolge und bekommt Vertrauen in seine Fähigkeiten. Andererseits wird er vielleicht auch kritisiert und kann lernen, mit solchen Situationen umzugehen: Misserfolge sollen seine Motivation nicht hemmen. Auch hat er Ängste zu überwinden: „Was werden die anderen wohl sagen?“

Wichtig finde ich auch, dass Jonas noch weitere Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie man Bücher gestalten kann. Bis jetzt nutzt Jonas immer Papier, das im Kindergarten stets zur Verfügung steht. Nun soll er die Möglichkeit haben, seinen Blickwinkel zu verändern. Dazu will ich ihm Denkanstöße geben:

    • Ist es selbstverständlich, immer Papier im Haus zu haben?
    • Wie entsteht es eigentlich?
    • Kann man Papier auch selber herstellen? Wie geht das?

Warum will ich das tun?

Jonas soll noch mehr darin gestärkt werden, sich eigene Ziele zu setzen.
Dies macht er eigentlich schon ganz gut. Doch es scheitert dann häufig noch an der Planung und Durchführung. Er nimmt wahr, dass seine Freunde oft andere Interessen haben und vernachlässigt dann häufig seine eigenen Vorhaben. Dies ist sehr schade, und ich möchte daran mit Jonas gerne noch arbeiten.

Ich möchte gerne erreichen, dass er so hinter seinen Ideen steht, dass er andere Kinder davon begeistern und mitziehen kann. So findet er dann auch andere Kontakte, was ja auch nicht zwingend heißt, dass er seine alten Kontakte aufgeben muss.

Dies setzt natürlich auch ein gutes Organisationsgeschick voraus, aber hierbei, denke ich, können Erzieherinnen und Eltern ihn gut unterstützen.

Anmerkung der Kursleitung:
Ja, seine Ideen für andere Kinder interessant und fassbar zu machen und die Zusammenarbeit zu organisieren, das ist eine sehr hohe Anforderung und von ihm sicher noch nicht allein zu leisten. Dazu braucht er noch Anleitung.

Wir finden gut, dass Du gleichzeitig seine Freiräume schützen willst und nicht von ihm erwartest, dass er alle seine Vorhaben teilen muss.

Was will ich erreichen?

    • Jonas soll die Möglichkeit bekommen, ein weiteres Bilderbuch zu erstellen.
    • Er soll zum Denken und Tun angeregt werden.
    • Er soll erleben, dass Zusammenarbeit genau so schön und effektiv sein kann wie Einzelarbeit.
    • Ihm sollen weitere Möglichkeiten eröffnet werden, seine Fähigkeiten und Ideen umzusetzen und zu erleben, dass Rückzug aus der Gruppe nicht seine einzige Möglichkeit ist.
    • Er soll einmal selbst Papier hergestellt haben und sich überlegen und erfahren, was man damit tun und wie man es verwenden kann.
    • Seine Tätigkeiten und Erfahrungen soll er der gesamten Gruppe mitteilen.

Wie will ich die Ideen praktisch umsetzen?

Zunächst werde ich mit Jonas wieder alleine arbeiten. Ich möchte mit der für Jonas bekannten Arbeitsweise beginnen. Die ist ihm vertraut und hierauf freut er sich auch. Ich werde Jonas zu verstehen geben, dass ich seinen Wunsch, ein weiteres Bilderbuch zu erstellen, gut finde und auch unterstützen werde.

Ich will mit ihm diskutieren, dass es ja ganz unterschiedliche Bilderbücher gibt und wir jetzt versuchen könnten, wieder etwas Neues zu entdecken und andere Techniken auszuprobieren. Ich will ihm meine Idee vorstellen, selbst Papier für ein Bilderbuch zu erstellen. Ich hoffe, dass Jonas von dieser Idee auch angetan sein wird oder selbser noch andere tolle Ideen entwickelt.

Ich hoffe einfach, dass Jonas dann wieder merkt, dass ich Zeit für ihn und seine Bedürfnisse habe und er somit auch irgendwann zulässt, dass Jil an einigen der Aktionen teilnimmt.

So wie ich Jonas kenne wird er auch wieder all seinen Mut zusammen nehmen und den anderen Kindern sein Vorhaben präsentieren.

Meine Planungen gestalte ich auch sehr offen, sodass immer genügend Freiraum für Jonas‘ Ideen und Vorhaben bleibt. Es kann also auch passieren, dass die geplanten Angebote eine ganz andere Richtung einschlagen und die Ziele sich etwas verändern.

Durchführung

Das erste Treffen mit Jonas findet wie gewohnt im Nebenraum des Gruppenraumes statt. Als ich mich nach Jonas‘ Wünschen für die nächste Aktivität erkundige, äußert er sofort: „Ich möchte noch ein Bilderbuch machen, vielleicht über Ostern oder Frühling!“

Ich gebe ihm zu verstehen, dass ich die Idee gut finde, aber gerne möchte, dass wir diesmal ein anderes Bilderbuch mit anderen Materialien und mit anderen Methoden herstellen.
Ich bitte ihn zu überlegen, was für Bilderbücher er kennt und wie man ein Bilderbuch noch gestalten könnte.

Plötzlich sagt Jonas: „Frau Cadoni, weißt du noch, letztes Jahr haben die Kinder aus der anderen Gruppe so Faltgeschichten gemacht, das können wir doch auch machen, oder?“

Anmerkung der Kursleitung:
Das hatte er also registriert und vermutlich damals schon interessant gefunden, es aber nicht geäußert.

Ich bin total überrascht, dass sich Jonas daran noch erinnern kann, denn hiervon hatte ich gar nichts mitbekommen, da musste ich erst mal meine Kolleginnen fragen.
Die Idee finde ich auf jeden Fall schon mal richtig gut. Gerade weil Jonas auch so gerne faltet.

Siehe: Jonas faltet doch Papierflieger

Dann sprechen wir über die Herstellung von Papier.

„Wie soll das denn gehen, Frau Cadoni? Dafür braucht man doch bestimmt Maschinen, ich hab das mal im Fernsehen gesehen!“

„Da hast du schon recht, aber um ein paar Blatt Papier herzustellen, reichen auch schon wenige einfache Hilfsmittel aus. Schließlich gibt es Papier schon ganz lange und früher hatten die Menschen auch noch nicht solche Maschinen wie heute.“

Jonas: „Was brauchen wir denn?“
„Ich habe es auch noch nie selber gemacht“, erkläre ich Jonas, „habe aber davon gehört, dass es wirklich geht, am besten gehen wir morgen mal ins Internet und recherchieren dort mal, okay?“

Dieses kurze Gespräch hat ausgereicht, um Jonas wieder für eine neue Sache zu motivieren!

Anmerkung der Kursleitung:
Er hat eben schon des öfteren die Erfahrung gemacht, dass das Arbeiten mit Dir zu interessanten Prozessen und Ergebnissen führt. Nun ist er zuversichtlich gespannt.

Am nächsten Morgen kommt er in den Kindergarten und will sofort mit mir ins Internet gehen. Ich versuche ihm zu erklären, dass die Jil sich momentan ein wenig langweilt und sehr gerne mit uns zusammenarbeiten würde. Doch hiervon ist Jonas nicht begeistert:

„Ich möchte das aber mit dir alleine machen, vielleicht ein anderes Mal!“

Ich erkläre ihm noch, dass Jil sehr interessiert ist und meistens auch sehr konzentriert und engagiert arbeitet, doch Jonas bleibt bei seinem Entschluss.

Anmerkung der Kursleitung:
Er will die Sache nicht gefährden und kein Risiko eingehen. Gut, dass Du seinen Entschluss akzeptieren kannst.

Also machen wir Beide das Internet unsicher. Ziemlich schnell werden wir bei „LABBÉ“ fündig. Dort finden wir eine ganz tolle Beschreibung mit vielen Bildern. Die drucken wir aus und besprechen sie anschließend. Die Bilder sind fast selbsterklärend, sodass Jonas die Vorgehensweise des Papierschöpfens gut nachvollziehen kann.

Jonas steckt die ausgedruckten Papiere in Folien, sodass ein kleines Anleitungsheft entsteht. Das hängen wir im Nebenraum auf, so können wir dort jeder Zeit hineinschauen.

Nun überlegen wir, was uns noch fehlt: die Schöpfrahmen und Cellulose (notfalls kann man stattdessen auch Zeitungspapier verwenden).
Die Schöpfrahmen bestelle ich zusammen mit Jonas im Internet.

Nun wartete Jonas jeden Tag auf die Post, in der Hoffnung es wären die Schöpfrahmen dabei.
Es dauert einige Tage, doch dann kommt der Tag X und es ist ein Paket für Jonas dabei. Schnell packt er die Schöpfrahmen aus!

In der Zwischenzeit habe ich über einen Bekannten, der in einer Papierfabrik arbeitet, Cellulose besorgen lassen.
Ich verspreche Jonas, dass ich am nächsten Tag für ihn Zeit haben werde und wir dann mit dem Schöpfen beginnen können. „Es wäre schön, wenn dann morgen auch Jil mitarbeiten könnte – kannst du dir ja mal überlegen!“
Jonas sagt zunächst nur kurz, etwas enttäuscht: „Ja, okay“, und verschwindet im Nebenraum.

Anmerkung der Kursleitung:
Nachdem Du zunächst flexibel auf seinen Entschluss (alleine zu arbeiten) eingegangen bist, bleibst Du aber doch – was die Erfahrung der Zusammenarbeit mit Jil angeht, „am Ball“. Das finden wir gut.

Es dauert gar nicht lange, da kommt Jonas auf mich zugestürmt und sagt: „Ich habe mir gerade noch mal die Anleitung angeschaut. Das Zeitungspapier müssen wir doch im heißen Wasser einweichen und du hast doch gesagt, dass das dann eine ganze Nacht stehen muss, bis wir es weiterverarbeiten können, oder?“
„Du hat vollkommen recht, das habe ich ja fast vergessen! Da hast du aber richtig gut aufgepasst.“ Ich lobe Jonas hierfür richtig doll, denn ich fand es einfach klasse, dass er so gut mitgedacht hat.

Anmerkung der Kursleitung:
Diese Umsicht ist wirklich beachtlich. Das zeigt, dass es wirklich schon sein Projekt ist.

Ich erkläre ihm dann, dass ich Cellulose besorgt habe und wir diese einweichen können. Natürlich erfährt er von mir auch, dass Cellulose Fasern aus Pflanzen sind, aus denen man Papier gewinnen kann.

Wir reißen die Cellulose in kleine Stücke, was gar nicht so einfach ist, da sie sehr hart ist. Dann übergießen wir sie mit kochendem Wasser. Auf 100 Gramm Cellulose kommen 4 Liter Wasser.

Jonas hilft die Cellulose zu wiegen und das Wasser im Litermaß abzumessen. Es macht ihm sichtlich viel Spaß. Ach, übrigens zum Thema „Jil“ äußert er: „Wir können das Schöpfen dann ja auch noch mit Zeitungspapier ausprobieren, und dann darf auch Jil mitmachen!“

Anmerkung der Kursleitung:
Alte Erfahrung: Wer selbst etwas hat oder bekommt, kann auch großzügig sein. Wer selber darbt, muss knausern und kann schwer abgeben. Dies gilt im kognitiven Bereich auch für hoch begabte Kinder, je nachdem ob sie selber gute Förderung erfahren oder aber nicht.

Am nächsten Tag ziehen Jonas und ich uns in den Nebenraum zurück, wo ich schon am Morgen schon alle Materialien und Geräte, die wir benötigen, zurechtgestellt habe, da ich die sonst entstehende Unruhe in der Gruppe vermeiden wollte. Hätten die Kinder mitbekommen, was wir vorhaben, hätten sie uns vor lauter Neugier nicht in Ruhe arbeiten lassen und Jonas wäre vermutlich sehr sauer geworden.

Jonas und ich machen nun alles so, wie es in der Anleitung steht. Ein bisschen hatte ich geglaubt, dass das Ganze nicht funktioniert. Umso erstaunter und überraschter bin ich über das Gelingen unseres ersten eigenen Papiers. Jonas‘ Augen werden richtig groß und auch er kann es kaum fassen, dass wir selber Papier gemacht haben.

Die anderen Kinder machen zu dieser Zeit gerade Stuhlkreis. Jonas sagt jetzt voller Stolz: „Ich möchte den anderen Kindern jetzt zeigen, was wir gemacht haben, geht das?“
Ich bin super froh, dass er das sagt, so brauchte ich keine Überzeugungsarbeit zu leisten. Denn die anderen Kinder haben natürlich mitbekommen, dass ich mit Jonas etwas im Nebenraum gemacht habe und sind ganz neugierig geworden.

Jonas und ich stellen alle Materialien in die Mitte des Kreises. Jonas erzählt den Kindern, dass wir selber Papier herstellt haben und zeigt ihnen anschließend, wie dies funktioniert. Alle Kinder sind total aufmerksam und gespannt. Selbst die Kinder, die sonst oft stören, hören gut zu und passen auf.

Jonas wächst in dieser Situation über sich hinaus, und ich glaube, er ist am Ende  ziemlich erleichtert, dass er es den Kindern gezeigt hat. Er hat ja auch nun erfahren, dass alle Kinder total begeistert waren.

Anmerkung der Kursleitung:
Hier kann man wirklich ohne Übertreibung sagen: Er hat etwas Wichtiges fürs Leben gelernt.

Ein paar Tage später wiederholen wir das Schöpfen noch mal mit Zeitungspapier –  und hierbei lässt Jonas Jil und auch noch ein paar andere Kinder mitmachen.

Zusammen mit Jil macht es Jonas auch viel Spaß. Die Beiden können sich schnell darüber einigen, wer welche Aufgaben übernimmt. Jil nimmt auch gerne Ratschläge und Tipps von Jonas an.
Die geschöpften Papiere hängen wir an eine Wäscheleine, damit sie dort besser trocknen können.

Am nächsten Morgen ist Jonas gespannt, wie sich die Papiere im trockenen Zustand anfühlen. Leider muss er feststellen, dass das Trocknen an der Wäscheleine nicht so eine gute Idee war, weil die Papiere nun alle sehr gewellt sind. Jonas macht den Vorschlag, die Papiere in einem dicken Katalog zu pressen, damit sie richtig eben werden und wir sie für unser Bilderbuch verwenden können. Das setzen wir sofort in die Tat um.

Anmerkung der Kursleitung:
Offenbar war er gar nicht groß frustriert, sondern im „Problemlöse-Modus“.

Nun geht es aber los mit dem Bilderbuch!

In der folgenden Woche will Jonas nun endlich mit dem neuen Bilderbuch starten. Ich habe mich in der Zwischenzeit bei meinen Kolleginnen über das Faltbilderbuch informiert. Sie gaben mir ein Beispielexemplar mit, das ich Jonas präsentieren und vorlesen kann.
Jonas: „Ja, genau das meinte ich – aber ich will meine eigene Geschichte erfinden! Ich kann ja schon ein super Flugzeug, ein Boot und eine Blume falten, diese Dinge kann ich schon in meiner Geschichte nutzen!“

Bevor sich Jonas jetzt eine eigene Geschichte überlegt, zeige ich ihm noch ein Origami-Buch, in dem er sehen kann, was für Faltmöglichkeiten es noch gibt.
Er sucht sich verschiedene Faltfiguren und Gegenstände aus und versucht anschließend hierzu eine Geschichte zu erzählen.

Ich notiere zunächst alles, was er sagt. Zwischendurch gebe ich ihm schon mal ein paar Tipps. Nach vielen Überlegungen will er dann endlich tätig werden und die ersten Dinge falten.

Schnell stellt er fest, dass das Falten gar nicht so einfach ist, wie es auf den ersten Blick ausgesehen hat. Er zeigt jedoch sehr viel Geduld und Motivation und lässt sich von Misserfolgen nicht entmutigen.

Er kann auch erleben, dass ich manchmal gut überlegen muss und hier und da auch Probleme habe. Ich glaube, das ist für ihn wichtig, sonst würde er wieder sehr schnell an sich zweifeln und würde unsicher werden.

Nachdem wir dann gemeinsam einige Figuren gefaltet haben, stehen wir vor einem neuen Problem!
Jonas: „Frau Cadoni, schau mal, die Faltfiguren sind für unsere selbst hergestellten Papiere viel zu groß – oder unsere Papiere sind zu klein.“
Ich hatte leider nur Schöpfrahmen für DIN A5-Papier bekommen, und die sind für solch ein Faltbuch wirklich zu klein. Das hat Jonas gut erkannt.
Nun müssen wir uns, zusätzlich zum Bilderbuch, noch etwas Gutes überlegen, wozu wir das sehr schöne selbst geschöpfte Papier nutzen können.

Als ich zu Hause über das Projekt nachdenke, erinnere ich mich plötzlich noch an einen Wunsch von Jonas, den er vor längerer Zeit schon geäußert hat. Jonas wollte gerne an eine schon länger erkrankte Erzieherin eine Karte schreiben. Dies ist bei uns auch eigentlich so Brauch, doch wir haben es bis jetzt noch nicht geschafft.
Am nächsten Tag unterbreite ich Jonas meinen Einfall. Ich helfe ihm ein wenig dabei, aus zwei Papieren eine Karte zu erstellen. Mit Klebeband verbinden wir die beiden Papiere. Jonas knickt ein normales Papierblatt so, dass es als Einlage in die Karte passt. Auf die eine Seite malt er ein schönes Frühlingsbild. Dann will er, dass ich ihm „Gute Besserung und Frohe Ostern!“ auf einem Zettel vorschreibe, und er schreibt es dann in die Karte hinein.

Anmerkung der Kursleitung:
Ja, Du reagierst wirklich flexibel. Ich denke auch, dass es wichtig ist, dass er sein „schönes“ Papier jetzt einer guten Verwendung zuführen kann.

Jonas arbeitet diesmal am Basteltisch, und einige neugierige Kinder kommen hinzu. Sie wollen von Jonas wissen, was er macht. Jonas erzählt ihnen von seinem Vorhaben und sofort wollen einige Kinder mithelfen. Jonas sagt: „Wir können noch was vorne auf die Seite machen.“
Da wir in der letzten Woche Tulpen gefaltet haben, kommt Jan auf die Idee, zwei Tulpen für die Vorderseite zu basteln.

Damit die anderen Kinder nicht enttäuscht sind, erkläre ich ihnen, dass später jeder einen Fingerabdruck in die Karte drucken darf und sie daraus einen Schmetterling malen können. Den Schmetterling versehen wir dann mit euren Namen, sodass die Frau N. dann sehen kann, wer alles an sie gedacht hat.

Hiermit ist Jonas auch ohne Frage einverstanden, weil wir das immer so machen, wenn wir an Jemanden schreiben.
Die Karte wird am Ende eine richtig tolle Gemeinschaftsarbeit, an der viele Kinder Spaß hatten.

Anmerkung der Kursleitung:
Schön, und Jonas war mittendrin und gleichzeitig auch vorneweg, wie es seinem Einsatz und seiner Begabung entspricht.

Am Ende schlage ich den Kindern vor, dass wir nach den Osterferien auch noch eine schöne Abschiedskarte für Frau G. machen können, da sie in Rente geht, schließlich haben wir ja noch ein paar tolle Papiere.
Die Idee finden alle beteiligten Kinder gut!

Die Arbeit an Jonas‘ Bilderbuch wird dann erst mal durch eine Woche Osterferien unterbrochen, doch danach geht es weiter. Gleichzeitig stellt Jonas zusammen mit Jil und Mick eine Abschiedskarte für Frau G. her. Jonas und Jil wissen jetzt ja schon Bescheid, wie man so etwas gut hinbekommt, doch Mick war länger nicht im Kindergarten und kennt sich mit der Kartenerstellung noch nicht so richtig aus.

Man merkt Jonas deutlich an, wie froh er darüber ist, dass Mick endlich wieder da ist. Jonas klärt mit Mick ganz in Ruhe, wie sie die Karte gestalten möchten. Jil gibt zwischendurch auch immer ein paar gute Tipps. Sie teilen die Arbeit gerecht auf, sodass jeder etwas an der Karte arbeiten kann.

Für mich ist es sehr schön anzusehen, wie sozial sie miteinander umgehen.

Anmerkung der Kursleitung:
Gute Teamplayer! Es ist kaum auszudenken, was aus so einem Kind wie Jonas werden würde, wenn er sich total frustriert von den anderen Kindern zurück zieht und dann nicht so pädagogisch gekonnt an positive Zusammenarbeitserfahrungen herangeführt wird. Er wäre dann ein Kandidat für die Aussage: kognitiv sehr weit, aber im Sozialverhalten unterentwickelt.

An Frau G.s Abschiedstag packt sie die Karte vor der gesamten Kindergartenschar aus. Sie freut sich riesig über die Karte und lobt die Künstler. Diese Erfahrung, so vermute ich, stärkt Jonas noch mal gut, und er kann feststellen, dass seine Werke hohe Anerkennung bekommen. Er hat auf diese Weise nicht nur sich, sondern auch noch Mick und Jil glücklich gemacht, denn diese sind genau so stolz.

Anmerkung der Kursleitung:
Ich finde es sehr bemerkenswert, wie Du das formuliert hast: Er, Jonas, hat auch die anderen beiden Kinder glücklich gemacht. Mit seinem Elan und seiner Begabung hat er sie mitgezogen. Auch das ist gemeint, wenn wir sagen, von der Hochbegabtenförderung profitieren nicht nur die hoch begabten Kinder.

Jonas und ich arbeiten täglich an dem Faltbilderbuch. Dies will er aber auch wieder ausdrücklich alleine machen. An einem der Tage erlaubt er Jil, mal mit in den Nebenraum zu kommen, wo Jonas und ich immer gemeinsam arbeiten. Für Jil ist es zu diesem Zeitpunkt natürlich schwierig, in die Materie einzusteigen, weil sie die gesamte Geschichte von Jonas nicht kennt. Jonas ist aber auch nicht bereit, ihr diese vollständig zu berichten, da er ja in seiner Arbeit weiterkommen und die nächsten Seiten fertig stellen will.

Anmerkung der Kursleitung:
Hier zeigt sich wieder ein gutes Verständnis für Jonas von Deiner Seite.

Die gesamte Situation ist somit für Jil ziemlich unbefriedigend. Sie verliert die Lust und zieht sich in die Leseecke zurück. Ich versuche, sie noch zu motivieren und ihr Aufgaben zu übertragen, jedoch ohne Erfolg.

Von nun an arbeiten wir Beide wieder alleine, meistens während die anderen Kinder Stuhlkreis machen oder auf dem Außengelände spielen, so haben wir auch immer genügend Ruhe und werden nur selten bis gar nicht gestört.
Jonas geht wieder sehr planvoll vor. Zuerst wird die Geschichte überlegt und aufgeschrieben, dann alle Figuren und Motive gefaltet und anschließend wird jede einzelne Seite des Bilderbuches gestaltet. Hierzu soll ich ihm die Geschichte immer wieder vorlesen, damit auch später der Text mit den Bildern überein stimmt.
Jonas klebt die Faltfiguren auf die Seiten und ergänzt sie mit Malereien.

Jonas will den Text aber nicht handgeschrieben haben, so wie es in dem Beispielfaltheft ist, sondern er bittet mich, den Text mit dem Computer zu schreiben. Das mache ich natürlich gerne für ihn. Im Anschluss daran fügen wir die Texte dann in die Seiten ein.

Jonas ist täglich mit sehr viel Elan und Ausdauer bei der Sache. Er arbeitet fast immer eine halbe bis eine Stunde intensiv. Hierbei ist es ihm auch völlig egal, ob die anderen Kinder draußen oder im Stuhlkreis spielen. Er hat keine Sorge, etwas zu verpassen. Eigentlich hat er nur ein Ziel: auch dieses Bilderbuch mit viel Konzentration fertig zu stellen, um es dann den Kindern und seiner Familie zu präsentieren.

(Hier sehen Sie das Deckblatt; das komplette Bilderbuch finden Sie am Ende des Beitrags.)

Präsentation

Als dann endlich der Tag kommt, an dem das Faltbilderbuch fertig ist, wirkt Jonas wieder mächtig stolz auf sein Werk. Er kann auch tatsächlich stolz darauf sein. Das Buch ist wieder richtig schön und vor allem für ein Kind in diesem Alter sehr aussagekräftig geworden.

Am Mittag stellt Jonas den anderen Kindern unserer Gruppe sein Bilderbuch im Stuhlkreis vor. Ich lese den langen Einführungstext vor (siehe am Ende des Beitrags), den restlichen Text erzählt Jonas frei. Die Kinder hören wieder mit viel Aufmerksamkeit und Interesse zu. Einige Kinder äußern später, dass sie auch gerne so ein Buch machen möchten.

Leider gibt es von einigen Neidern auch wieder ein paar unschöne Reaktionen auf das Buch, wie zum Beispiel: “Das ist ja voll langweilig!“ Dies hat Jonas mitbekommen und er erzählt es mir später etwas bedrückt. Ich erkläre ihm, dass es manchmal Leute gibt, die auf eine gute Leistung neidisch sind, wenn sie so etwas selber nur schwer hinbekommen würden. Deshalb urteilen sie dann manchmal sehr negativ, obwohl sie das Buch eigentlich schön finden.

„Solche Situationen werden dir im Leben noch öfter begegnen. Du musst einfach lernen, an deine Fähigkeiten zu glauben. Durch die vielen positiven Reaktionen der anderen Kinder kannst du Kraft tanken und Selbstvertrauen aufbauen. Jonas, ich glaube, du bist da auf einem guten Weg!“

Anmerkung der Kursleitung:
Das hast Du sehr schön für ihn formuliert – wieder hat er was fürs Leben gelernt!

Sofort kann ich wieder ein Lächeln auf seinem Gesicht erkennen, worüber ich sehr froh bin.
Seine Mutter ist auch glücklich über die gelungene Arbeit und lobt Jonas sehr.

Refelexion

Einfluss auf unser aktuelles Gruppenprojekt

Insgesamt denke ich, dass Jonas´ Interesse an Bilderbüchern, Sprache und Schrift mit dazu beigetragen hat, dass das Interesse vieler Kinder unserer Gruppe jetzt stärker dahin zielt. Das Projekt „Bücher wachsen nicht auf Bäumen, oder?“ hat sich auf über sechs Wochen ausgedehnt.

Dabei haben die jüngeren Kinder kleine Malbücher erstellt, die Leseecke wurde erweitert und neu gestaltet und es wurde den Kindern eine Schreibmaschine zur Verfügung gestellt. Stempel- und Magnetbuchstaben forderten die Kinder zu ersten Schreibversuchen auf. Durch dieses Projekt ist es uns auch gelungen, dass fast alle Kinder nun ihren Namen schreiben können. Wir haben gemeinsam einen Gruppenbriefkasten hergestellt und von da an wurden Briefe gemalt, geschrieben, in Umschläge gesteckt und mit einer Briefmarke versehen.

Zusätzlich haben wir erreicht, dass wir jetzt einen intensiven Kontakt zur örtlichen Bücherei haben und diese nun alle drei Wochen besuchen, um neue Bücher auszuleihen.

Jonas und ich haben zwar viel in Einzelarbeit gearbeitet, aber sein Interesse hat sich auf die anderen Kinder übertragen und sie neugierig darauf gemacht.

Habe ich meine Ziele erreicht?

Ich habe erreicht, dass Jonas ein zweites Bilderbuch erstellt hat und bin somit auch seinen Wünschen gerecht geworden. Hierdurch ist er auch wieder zum kognitiven Denken und Tun angeregt worden. Er hat sich wieder selbst eine Geschichte ausgedacht, in der viel Logik und Einfühlungsvermögen stecken. In den Geschichten zeigt er immer eine sehr soziale Ader.

Freunde sind ihm wichtig!

Man merkt auch immer wieder, dass er über den Tellerrand hinaus schaut. So hat er in dem Faltbuch ein Windrad gesehen und überlegt, wie er es in die Geschichte einfügen kann. Seine Idee, hiermit Strom zu erzeugen, fand ich sehr gut und sie zeigte mir, wie verknüpft Jonas schon denkt.

An seinem eigentlichen Projekt möchte Jonas am liebsten immer alleine arbeiten. Hier will er sein eigenes Lern- und Arbeitstempo nicht anderen Kindern anpassen, obwohl er im Grunde sehr sozial ist. Arbeiten, die von seinem eigenen Projekt etwas abweichen, wie zum Beispiel die Gestaltung der Karten, teilt er gerne mit anderen Kindern und zeigt sich hier auch immer sehr hilfsbereit und kooperativ. Diese Arbeit führt er dann auch gerne in der Gruppe aus und nutzt keinen Rückzug.

Einzelarbeit, so vermute ich, schätzt er für sich effektiver und erfolgreicher ein.

Allerdings merkt Jonas schon, dass er mit seinem Interesse auch das Interesse anderer Kinder geweckt hat. Viele Aktionen zum Thema Bücher und Papier fanden auch im gesamten Gruppenverband statt. So erinnere ich mich zum Beispiel noch an den Stuhlkreis, bei dem ich den Kindern die unterschiedlichsten Papiersorten gezeigt habe. Die Kinder sollten die Papiere mit den richtigen Namen bezeichnen, sie sollten sie ertasten und hören, wie unterschiedlich sie rascheln.

Daraus habe ich dann ein Spiel entwickelt: Einem Kind habe ich die Augen verbunden und ihm ein Papier zum Raten in die Hand gegeben. Dieses Spiel hat den Kindern viel Freude bereitet. Jonas war dabei sehr gut, er kannte fast alle Papiere und konnte sie ertasten. Hierbei hatten jedoch viele Kinder Erfolg, da ich den Schwierigkeitsgrad gut beeinflussen konnte. Somit waren trotz unterschiedlicher Entwicklungsstände alle Kinder stark gefordert, und es war eine gelungene Gemeinschaftsaktion, ohne dass ein Kind besonders heraus fiel.

Die Herstellung des Papiers war für Jonas noch einmal etwas ganz besonderes. Etwas zu machen, was vorher noch niemand aus dem Kindergarten gemacht hatte, worin selbst ich sehr unerfahren war. Es hat ihm Spaß gemacht, im Internet nach Anleitungen zu suchen. Er hat alle wichtigen Schritte von Anfang bis Ende miterlebt und vor allem selbst durchgeführt.

Ich glaube, hierdurch hat er ein gutes Stück an Selbstvertrauen hinzu gewonnen. Am schönsten war für ihn meiner Ansicht nach die Situation im Stuhlkreis, als er den Kindern seinen gelungenen Schöpfversuch gezeigt hat. Die Kinder zeigten sich total verblüfft und erstaunt, dass es wirklich funktioniert.

Er hat seine Werke, sowohl das geschöpfte Papier als auch das Bilderbuch, den anderen Kindern aus eigenem Antrieb vorgestellt. Das zeigt mir, dass er hierbei positive Erfahrungen gesammelt hat und mit negativen Reaktionen umzugehen lernt.

Er merkt, dass er die anderen Kinder mitreißen und begeistern kann!

Anmerkung der Kursleitung:
Die Rolle, die Jonas jetzt in der Gruppe eingenommen hat, ist eine angemessene und glückliche für ein hoch begabtes Kind:
sein Bestehen auf seinen eigenen Projekten, seine Bereitschaft, bei für ihn nicht so zentralen Dingen mit anderen zusammen zu wirken, seine Arbeit vorzustellen und damit anderen Kindern Anregung im besten Sinne zu geben.

Gleichzeitig hat er selbst viel Neues erfahren und ausprobieren können; auch konnte er einige Probleme lösen, was sicher seine recht zufriedene und entspannte Stimmung begründet hat.

Weitere Ideen

Ich glaube, das Thema „Lesen, Schreiben, Bilderbücher gestalten“ ist nun ziemlich ausgereizt. Die Kinder sind mit diesem Thema nun vertraut, haben vieles an die Hand bekommen, sodass es nun zu einem Selbstläufer geworden ist.

Jonas ist noch immer oft am Maltisch zu finden. Zur Zeit schreibt er alles nach, was er so findet, wie zum Beispiel Überschriften aus Zeitungen oder Notizen auf Papieren.

Sein Hauptthema ist zur Zeit Fußball. Er spielt oft mit anderen Kindern im Flur, dabei sind ihm die Fußballregeln sehr wichtig.
Ich muss nun mal schauen, wie es weiter geht.
Im Sommer wechsele ich in eine andere Kita. Ich weiß nicht, ob ich noch vor den Ferien ein Projekt mit Jonas zu Stande bekomme, weil während dieser Zeit bekanntlich noch jede Menge andere Tätigkeiten anstehen.

Es hat dann doch noch geklappt.
Siehe: Fußball und Zeitung.

Und hier ist das komplette Bilderbuch:

Datum der Veröffentlichung: Januar 2017
Copyright© Hanna Vock