Leserbrief zu: Integrative Förderung – was heißt das?

Kurz nach der Veröffentlichung des Artikels „Integrative Förderung – was heißt das?“ erreichte mich der folgende Brief, den ich wegen seiner klaren und eindringlichen Parteinahme für die behinderten Kinder gerne veröffentliche.

Die Verfasserin des Briefes ist eine erfahrene Sonderpädagogin, die seit vielen Jahren mit behinderten Kindern arbeitet.
Der Name ist der Redaktion bekannt.

Sehr geehrte Frau Vock!

Ich las Ihren Artikel mit großem Interesse und stimme ihm auch im Hinblick auf behinderte Kinder zu.
Besonders gut gelungen finde ich Ihre Beispiele für seh- und geistig-behinderte Kinder oder Kinder mit einer Spastik.

Es gibt noch viele weitere Beispiele für ungünstige Situationen, die das Wohlbefinden und die Lernmöglichkeiten von behinderten Kindern beeinträchtigen, wenn sie in Regelkitas und Regelschulen „inkludiert“ werden.

– Das hörgeschädigte Kind kann in einer Klasse mit 25 Schülern kaum etwas verstehen. Es wird dies der Lehrerin selten kund tun.

– Ein stark stotterndes Kind wird sich kaum im Unterricht zu Wort melden, und jedes Antworten ist eine Qual.

– Für ein Kind, dessen Behinderung nicht offensichtlich ist, z.B. ADS, Lern- oder Emotional-soziale Behinderung ist es besonders schwierig.
Es kann selten von allen Mitschülern, Eltern, anderen Lehrern Verständnis und Unterstützung erwarten.

– Wer übt und praktiziert die Gehörlosensprache, die Blindenschrift oder vermittelt Schülern ohne verbale Sprache andere Unterstützte Kommunikationsmöglichkeiten (z.B. Sprachcomputer)?

Dazu braucht es immer eine kompetente Fachkraft, die das Kind kontinuierlich mehrere Jahre lang unterrichtet.

Wechselnde Aushilfskräfte, die selten das Wissen, die Motivation und oft auch nicht das nötige Verständnis für

pädagogische Arbeit (Geduld und üben, üben, üben…) beruhigen nur das Gewissen derer, die es besser wissen müssten.

Die Finanzierung notwendiger Hilfsmittel ist zur Zeit problemlos und gut, aber ein Gerät, was nicht bedient werden kann, ist wie ein Buch im Schrank, welches man nicht gelernt hat zu lesen.

Mir gefiel auch Ihre Anmerkung zu den Kindern aus „Problem“- Familien – obwohl: nach außen wird ja alles immer so dargestellt, dass alles normal ist und dass alle Kinder hervorragend zurecht kommen. Was ist mit Kindern, die Verhaltensauffälligkeiten zeigen? Es gibt nicht mehr viele Schulkinder, deren Eltern nicht getrennt sind.

Selbst ältere Schulkinder brauchen dringend die nötige Nestwärme, Personen in der Schule, denen sie vertrauen, die sie akzeptieren und sie zu nehmen wissen. Wechselnde Lehrer, klassenübergreifender Unterricht, große Schulen und Klassen. Das Kind/ der Schüler kann das angeblich prima vertragen – so lange, bis es sich und Anderen Probleme bereitet.

Inklusion verhilft vielen Eltern behinderter Kinder zu der Wunschvorstellung oder dem Image in der Umgebung: “Mein Kind ist ja nur körperbehindert.“

Und: Viele behinderte Kinder erhalten in der Schule durch eine Hilfskraft Unterstützung, durch die dann oft auch das eingeschränkte Leistungsvermögen des Kindes vertuscht wird. Gedacht ist, dass diese Hilfskraft durch den Sonderpädagogen angeleitet wird. Aber die Erfahrung zeigt, dass es oft wenig bringt, wenn Aufgaben an eine ungelernte Person delegiert werden.

Es gibt zu diesem Thema unendlich viel zu sagen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Kinder/ Schüler, die Hilfe im Schulalltag benötigten, vor einigen Jahren auch unkomplizierter, fachlich kompetenter und schneller Unterstützung erhielten. Und die Eltern/ Schüler, die es nicht wollten oder benötigten, waren im integrativen Bereich aufgehoben.
Heute aber wissen viele Eltern gar nicht mehr, dass es auch Förderschulen gibt, und über allem steht oft nicht die Frage: „Welche Schulbildung ist für welches Kind optimal? Wer zeigt sich verantwortlich? Heute ist es Frau X im 1.Schuljahr; morgen der Therapeut XY (das Kind bringt ja Rezepte); am nächsten Tag die ungelernte Helferin, die das macht, was ihr in den Sinn kommt.
Und bald darauf sind es wieder andere, für die dann irgendwann kein Geld mehr da ist, weil Jemand entschieden hat, dass das Kind keine Förderung mehr benötigt…

Datum der Veröffentlichung: Mai 2016
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.

Drei Jungen erforschen die Zeit

Den abstrakten Begriff „Zeit“ für die Kinder transparent machen

von Nicole Tomann-Viesel

 

Nachdem ich mehrmals im Morgenkreis beobachtet habe, wie spannend die Gespräche über Wochentage und Monate für René, mein Beobachtungskind, und unsere anderen Kinder sind, meine ich, dass das Thema Zeit ein interessantes und ansprechendes Thema für eine Kleingruppe sein kann.

Zu René siehe auch: René (5;4) lernt lesen.

Das Ziel meiner Arbeit ist, dass die Kinder ein individuelles Zeitverständnis aufbauen.
Innerhalb von fünf Wochen möchte ich den abstrakten Begriff Zeit für die Kinder transparent gestalten. Zeit soll erkannt werden als etwas, was unaufhörlich fortschreitet und durch die Natur vorgegeben wird.

Da die Altersspanne der Kinder in der Kleingruppe mehr als 18 Monate beträgt, muss das Zeitverständnis individuell ermöglicht werden. Für mich wird es besonders interessant sein zu sehen, wie René sich in einer Kleingruppe verhält, die sich sehr gezielt mit einem Thema beschäftigt.

Im Laufe des Projektes wollen wir uns mit spannenden Fragen beschäftigen:

    • Was ist natürliche Zeit, wo erleben wir sie?
    • Wie können wir erkennen, dass die Zeit vergeht?
    • Wie können wir Zeit messen?

Jeder Forscher aus unserem Team legt sich von Beginn an eine Projektmappe an. In dieser Mappe wird alles dokumentiert, was wir bzw. jeder Einzelne, mit dem Thema Zeit in Verbindung bringen. Diese Mappe soll eine Verbindung zwischen Kita und zu Hause sein. Ich habe die Kinder und Eltern dazu angeregt, dieses Projekt auch parallel in der Familie zu besprechen. Über zusätzliches Material in der Mappe würde ich mich sehr freuen. Dieses Material kann uns neuen Gesprächsstoff bieten. Außerdem wird die Wichtigkeit des Projekts noch größer, wenn die Eltern daran mitarbeiten.

Die Gruppe der Zeitforscher

Bei der Auswahl der Kinder für die Kleingruppe habe ich versucht, Kinder auszuwählen, die ähnliche Interessen haben wie René. Dabei hat sich ergeben, dass die Kinder einen Altersunterschied von eineinhalb Jahren haben.

Hannes ist 4;4 Jahre alt. Er ist sehr aufgeweckt und liebt Beschäftigungen, in denen viele Fragen entstehen. Alles möchte er gerne genau erklärt haben. Hannes hat einen sehr großen Wortschatz und versteht Zusammenhänge sehr schnell. Sicherlich könnte auch er mein Beobachtungskind sein.

Malte ist 5;7 Jahre alt und ein Vorschulkind. Malte kann sich für sehr viel interessieren und weiß über sehr viele Dinge gut Bescheid. Sobald man ein Thema anspricht, zieht er Verknüpfungen. Er teilt gerne mit, was er in diesen Bereichen schon alles weiß und bringt immer wieder gerne Informationsmaterial für die Gruppe mit.

René, mein Beobachtungskind, ist nun 5;10 Jahre alt. Er gehört jetzt zu den Vorschulkindern und kommt sehr regelmäßig und gerne in den Kindergarten. Nach wie vor spielt René gerne mit Baumaterial auf dem Bauplatz, mit Puzzle und logischen Spielen. Er hat immer noch viel Spaß an Buchstaben und Zahlen.

Alle drei Kinder freuen sich und sind auf unser gemeinsames Projekt gespannt.

Bei der Auswahl der Beschäftigungsangebote versuche ich, eine ganzheitliche Förderung zu beachten. Das Projekt lebt vom Gespräch und den individuellen Ideen der einzelnen Kinder. Daher kann es sein, dass geplante Angebote weggelassen werden und neue hinzukommen.
Geplant habe ich zwei bis drei Beschäftigungen pro Woche.

Tag 1: Vorstellung des Forscherthemas

Zu Beginn erkläre ich den Kindern, dass wir uns in den nächsten Wochen mit dem Thema Zeit auseinandersetzen werden. Die Kinder reagieren zunächst sehr zurückhaltend. Es scheint mir als hätten sie sich noch nie Gedanken zu diesem Thema gemacht.
René wirkt desinteressiert und schaut zum Fenster hinaus. Malte ist sehr interessiert und überlegt, was er dazu weiß. Hannes hört zu.

Nach etwa fünf Minuten kommen erste Aussagen:

– Zeit ist, wie viel Uhr es ist (René).
– Zeit ist Wettrennen.
– Zeit ist Wachsen der Bäume.
– Zeit ist die Autowaschstraße.
– Zeit ist die Geschwindigkeit des Wetters.

Zum Abschluss dieser Gesprächsrunde erzähle ich den Kindern von einer natürlichen Zeit. Eine Zeit, die fortschreitet, auf die wir keinen Einfluss haben. Die wir aber immer erleben können.
Als kleine Hausaufgabe bekommen die Kinder die Aufgabe, einen Globus und Taschenlampen mit zu bringen. Das macht sie anscheinend neugierig.

Tag 2: Tag und Nacht

Den zweiten Forschertag können wir optimal beginnen: Die Kinder haben alle an ihr Material gedacht, so dass wir mit fünf Globen (Malte hat drei mitgebracht!) starten können.
Unser Thema ist heute: Tag und Nacht. Die Kinder sollen durch Experimentieren mit dem Globus und einer Taschenlampe und durch ein Rollenspiel die Entstehung von Tag und Nacht wahrnehmen

Sehr lebendig tauschen die Kinder ihre Vermutungen untereinander aus. Interessiert nehmen sie die Erklärungen vom Stand der Sonne und der Drehung der Erde auf.

Im dunklen Raum können die Kinder sehr gut erkennen, wie das Licht auf die Erde fällt. Als die Kinder im Rollenspiel selbst Erde und Sonne darstellen, verstehen sie die Erd-Drehung und die Lichteinstrahlung. Sie können fühlen, wie ihnen die Sonne (Taschenlampe) ins Gesicht strahlt. Als sie den Rücken zur „Sonne“ drehten, ist das Gesicht im Dunklen.

René ist aktiv dabei, ist aber nicht gleich in der Lage zu erzählen, wie Tag und Nacht entstehen.
Für mich ist es schwer zu erkennen, ob dies mit seinen sprachlichen Defiziten zusammenhängt oder ob er das Spiel nicht nachvollziehen kann. Als wir aber eine Stunde später im Garten sind, kommt René zu mir und sagt: „Tag und Nacht hängt mit der Erdumkreisung zusammen.“

Tag 3: Bildbetrachtung

Motiviert treffen sich die Zeitforscher und schauen sich ein Bild an, auf dem die Entstehung von Tag und Nacht zu sehen ist. René erklärte mir heute, dass er genau weiß, womit der Wechsel von Tag und Nacht zusammenhängt. Er erklärt mir das Bild und will es von sich aus farblich gestalten.

Die Kinder in der Gruppe achten sich gegenseitig, obwohl es drei ganz verschiedene Charaktere sind. Gemeinsam sind sie, wie sie sagen, ein Forscherteam. Dieser Tag ist sehr wertvoll für die soziale Integration. Der Umgang miteinander ist sehr rücksichtsvoll.

Tag 4: Fragen und Antworten

Immer wieder fragen die Kinder, wann wir uns in unserer Forscherrunde treffen.
Heute stelle ich einfach eine Frage an unserem runden Tisch:

„Wie können wir wissen, wie schnell die Zeit vergeht?“

Die Kinder antworten: „Ich weiß, wie die Zeit schneller vergeht. Wenn etwas Spaß macht. Gestern habe ich erforscht: Als mein Freund abgeholt wurde, war die Zeit viel zu schnell vergangen.“
„Im Malbuch darf man nicht über die Linie malen, das braucht Zeit.“
„Der Wettkampf braucht Zeit.“
René antwortet zurückhaltend: „Ich weiß nichts, vielleicht weiß der Malte was.“

Auf meine zweite Frage: „Wie können wir die Zeit messen?“ kommen diese Antworten:

„Es gibt viele Zeiten.“
„Man kann Zeit in Monaten messen. Ein Monat hat 30/31 Tage.“ (René)
„Es gibt Stunden und Minuten.“

Ich schlage vor, dass wir eine Zeitmessmaschine erfinden könnten:
vielleicht eine Musikzeituhr.
Ein Lied singen braucht seine Zeit. Die Kinder stellen fest: dafür brauchen wir eine Stoppuhr.
Wenn wir ein Lied singen und dabei die Zeit stoppen, wissen wir, wie lange das Lied dauert. Dauert das Lied eine Minute, dann müssen wir fünfmal das Lied singen, damit fünf Minuten vorbei gehen.
Es ist eine sehr spannende Diskussion, an der sich alle drei Kinder gleichwertig beteiligen.

Tag 5: Stoppuhr

Heute nutzen wir die Stoppuhr. Wir stoppen die Zeit und stellen fest, was wie lange dauert.
Wir dokumentieren alles in unseren Forschermappen.
Am Morgen haben wir gemeinsam überlegt, was wir im Laufe des Tages alles mit der Stoppuhr messen können. Wir haben uns entschieden für:

    • den Morgenkreis,
    • ein Puzzle spielen,
    • das Frühstück,
    • das Zähneputzen,
    • das Anziehen,
    • das Rausgehen.

Dieses Zeitmessen mit der Stoppuhr hat zur Folge, dass unsere kleine Gruppe heute den ganzen Vormittag gemeinsam verbringt. Mir fällt auf, dass die Kinder trotz Stoppuhr keinen Wettkampf aus den einzelnen Situationen machen. Sie haben gemerkt, dass sie gemeinsam etwas machen können und somit gleichzeitig fertig werden (zum Beispiel ein Puzzle oder gegenseitiges Helfen beim Anziehen).
Wichtig ist es für die Kinder, die einzelnen Zeiten in ihren Mappen zu dokumentieren. Die ganze Zeit über zeigen die Kinder große Ausdauer.

Tag 6: Basteln einer Zeitmessmaschine

Heute wird ein neues Mitglied in unsere Forschergruppe aufgenommen: Jasmin ist 5;9 Jahre alt und ist vor acht Wochen in unsere Kindergartengruppe gekommen. Sie zeigt großes Interesse an unserem Projekt.

Wir wollen heute die Zeit mit Hilfe einer Kerze messen.

Wir zünden eine Kerze an und stellen eine Sanduhr daneben. Nach 20 Minuten wollen wir schauen, wie weit die Kerze abgebrannt ist. Während dieser Zeit lese ich den Kindern eine Geschichte von der Zeit vor (Lisa, Max und Oma Lotte: Zeit messen, JuniorForscher Verlag).

Nach 20 Minuten blasen wir die Kerze aus und vergleichen sie mit einer neuen Kerze.
Jedes Kind hat eine eigene Kerze. Die neuen Kerzen markieren wir nun an der Stelle, bis zu der die andere Kerze abgebrannt ist. Dann zünden wir die Kerze ein zweites Mal an und wiederholen das Ganze noch einmal.

In der Zwischenzeit dekorieren die Kinder ihre neuen Kerzen. Am Ende haben wir nun eine Kerze gebastelt, mit der wir einen Zeitraum von 20 Minuten messen können.

Malte fehlt heute, weil er krank ist. Für mich ist es sehr spannend zu sehen, wie René sich verhält, wenn Malte nicht da ist. Malte ergreift oft das Wort, da er sehr sprachgewandt ist.
René zeigt sehr viel Geduld, obwohl er nicht sehr gerne bastelt. Oft verweigert René Beschäftigungen im feinmotorischen Bereich. Er will zuerst viele Buchstaben auf seine Kerze drücken. Das gelingt ihm – aber nicht so, wie er es sich vorgestellt hat. Er löst das Wachs wieder ab und drückt nun Punkte auf die Kerze. Die Gestaltung der Kerze hat René Spaß gemacht. Zum Abschluss sagt er: „Heute werde ich 20 Minuten mit meiner Mama spielen, ich weiß jetzt genau, wie viel das ist.“

Tag 7: Wochentagsfächer

Heute haben wir einen Gastforscher: Elias ist ein Besucherkind aus der ersten Klasse. Somit beschäftigen sich heute fünf Kinder mit dem Thema Zeit.
Wir sprechen noch einmal kurz darüber, in welcher Einheit wir den Tag messen können. Den Kindern fällt sofort die Stoppuhr ein.

René berichtet Jenny und unserem Gastforscher ausführlich darüber, dass wir den Tag in Stunden, Minuten und Sekunden messen können. Dabei kann René wieder sein ganzes Zahlenverständnis zeigen. Außerdem erklärt er in einer Kurzfassung, was wir zuvor in den Tagen alles erlebt haben.

Wir lernen die Wochentage als neue Maßeinheit. Als Hilfsmittel basteln wir uns einen Wochentagsfächer. Dieser Fächer besteht aus 7 verschiedenfarbigen Streifen (ca. 2 cm mal 6 cm), die mit einer Klammer zusammengehalten werden.

Wir haben die Woche unterteilt in Werktage und Wochenende. Zwei Streifen für das Wochenende haben die gleiche Farbe. Nun diskutieren wir, was uns an die einzelnen Wochentage erinnert: Montag erinnert uns an einen Mond, Mittwoch an die Mitte von fünf. Die Kinder malen jedes für sich ein Symbol pro Tag auf einen Streifen.

Am Ende können alle fünf Kinder mit Hilfe ihres individuellen Fächers die Wochentage in der richtigen Reihenfolge aufzählen. Es ist interessant zu sehen, welche Ideen die Kinder haben, um sich kleine „Eselsbrücken“ zu bauen.

Tag 8: Monate

Nach einer Woche Urlaub ist die erste Frage: Was machen wir heute im Forscherteam?
Wir sprechen über die Monate – eine weitere Methode, Zeit im Jahr zu planen. Spontan zählen die Kinder die Monate auf. René erzählt: „Ich merke mir Januar, da habe ich Geburtstag.“ Bald merke ich jedoch, dass René sehr unkonzentriert ist und herumalbert.

Als ich jedoch ein Arbeitsblatt einsetze, ist René wie verwandelt: aufmerksam und hochkonzentriert. Die Anforderungen, die das Blatt stellt, sind recht schwierig. Sehr schnell und ohne viel nachzufragen, erledigt René seine Aufgabe. Er hat überhaupt nicht das Gefühl, dass die Arbeit schwierig ist und wirkt danach ausgeglichen und ruhig. Von sich aus will er das Blatt anmalen und dann frühstücken gehen.

Die anderen Kinder brauchen für dieses Blatt meine Begleitung. Für den nächsten Tag nehmen wir uns vor, die einzelnen Monate und ihre Tage in Bausteintürmen nachzubauen. Das haben wir gemacht und so konnten wir sehen, dass die Monate unterschiedlich lang sind.

Tag 9: Das Lied von der Jahresuhr

Da sich René sehr gerne mit Instrumenten beschäftigt, ist es mir wichtig, eine Beschäftigung mit Instrumenten anzubieten. Ich stelle den Kindern Schlaginstrumente zur Verfügung.

Dann stelle ich das Lied „Die Jahresuhr“ von Rolf Zukowsky vor. Gemeinsam beschäftigen wir uns mit dem Text und den Instrumenten.

Januar, Februar, März April,
die Jahresuhr steht niemals still.

Mai, Juni, Juli, August
weckt in uns allen die Lebenslust.

September, Oktober, November, Dezember
und dann, und dann,
fängt das Ganze schon wieder von Vorne an!

Die Kinder haben Spaß daran, einen eigenen Rhythmus zu erfinden. Das Lied wird gesungen, gesummt oder auch gesprochen. Durch die Schlaginstrumente, die eine sehr rhythmische Musikbegleitung darstellen, ist es recht einfach, den Text zu erlernen.

Tag 10: Abschlussgespräch

Heute teile ich dem Forscherteam mit, dass wir uns nun nicht mehr regelmäßig treffen werden. Das Projekt „Zeit“ haben wir intensiv ausgearbeitet.
In einem Resümee besprechen wir noch einmal alle Projekt-Tage. Es ist interessant, dass die Kinder zu allen Tagen etwas erzählen können. Am intensivsten haben die Kinder die Erdumdrehung erlebt. Außerdem finden sie das Thema „Zeit messen“ sehr spannend.

Hier ein schöner Abschluss-Satz von ihnen:
„Wir haben herausgefunden, dass die Welt sich immer dreht und die Zeit nie stehen bleibt. Wenn die Erde stehen bleibt, dann geht alles kaputt und die Zeit bleibt stehen.“

Die Kinder sind aber auch enttäuscht, dass das Projekt zu Ende ist. Alle sind der Meinung, dass sie schon viel über die Zeit erfahren haben, aber dennoch gerne mehr erfahren möchten.

Malte fragt: „Braucht eigentlich alles seine Zeit oder gibt es auch etwas, was keine Zeit braucht?“
Eine sehr spannende Frage!
Wir einigen uns darauf, dass wir uns in der darauffolgenden Woche noch einmal zusammensetzen müssen um darüber zu sprechen.

Konntet Ihr das tun? Und wenn Ja, was kam dabei heraus?

Was bleibt? (Reflektion)

Es hat mich sehr beeindruckt, zu sehen, wie motiviert die Kinder über einen langen Zeitraum in ihrer Forschergruppe gelebt haben. Immer wieder, wenn wir uns getroffen haben, begrüßten sich die Kinder mit: „Guten Morgen, Forscherteam. Was wollen wir heute besprechen?“ Die Rolle des einzelnen Forschers haben die Kinder sehr wichtig und ernst genommen.

Es war ein fester Zusammenhalt in der Gruppe, obwohl die Charaktere der einzelnen Kinder sehr unterschiedlich sind. Den Zusammenhalt brachte das gemeinsame Interesse am Thema und am Forschen wollen. Interessant war auch, wie positiv neue Kinder ins Team aufgenommen wurden.
René, mein eigentliches Beobachtungskind, informierte sich hauptsächlich im Kindergarten über dieses Thema. Er hat dieses Projekt nicht mit in die Familie übernommen. Andere Kinder jedoch haben sich auch zu Hause sehr intensiv mit diesem Thema auseinander gesetzt, haben viel Material mit in die Einrichtung gebracht.
Es war gut zu sehen, wie sich die Informationen wie ein Netz über unsere Gruppe spannten. An einem Punkt sind wir gestartet und in alle Richtungen ausgeschweift.

Schnell habe ich gemerkt, dass fünf Wochen viel zu wenig Zeit für solch ein Projekt sind. Es haben sich immer wieder neue Impulse ergeben, die Kinder wollten viel ausprobieren und erfinden.
Durchaus hätten wir uns die Zeit nehmen müssen, ein ganzes Jahr zu beobachten. Die Geburtstage, Jahreszeiten und Festtage. Eine Umdrehung der Erde um die Sonne.

Meine Ziele jedoch waren konkret formuliert und für die Kinder in dieser Zeit nachvollziehbar. Jedes einzelne Kind konnte sich eine Vorstellung vom Begriff Zeit machen.
Mit viel Spaß wurden die einzelnen Projekttage in den Mappen festgehalten. Ich konnte immer wieder beobachten, wie die Kinder auch im Großgruppengeschehen ihre Mappen holten und den anderen Kindern erklärten, was sie bis dahin erfahren haben.
Die Kinder haben eine schöne Möglichkeit nachzuschlagen und können zu jeder Zeit Neues hinzufügen.

Wichtig war für mich noch einmal, die Erfahrung zu machen, wie sinnvoll ein interessenorientiertes Lernen ist. Kinder nach ihren Schwerpunkten zusammenzuführen und in individuellen Gruppen zu fordern. Die Eigenmotivation ist um vieles größer und somit auch der Lernerfolg. Außerdem kann Integration durch gleiche Interessen entstehen. Die Kinder fühlen sich durch das Thema miteinander verbunden.

 

Datum der Veröffentlichung: Mai 2016
Copyright © Nicole Tomann-Viesel

René (5;4) lernt lesen

von Nicole Tomann-Viesel

 

René war im Rahmen des IHVO-Zertifikatskurses mein Beobachtungskind im Kindergarten. Im Alter von 4;4 Jahren kam er zeitgleich mit mir in die Einrichtung. Von Anfang an kam er mir „anders“ vor als die mir bisher bekannten Kinder.

René konnte ich über die ganze Kurszeit sehr intensiv beobachten. Das wirkte sich positiv auf die Zusammenarbeit mit ihm aus, seine „Andersartigkeit“ kann ich jetzt besser verstehen.

René ist „andersartig“, „lebt in seiner eigenen Welt“

Zu Beginn fiel mir auf, dass René sehr wenig und oft nur in Einwortsätzen sprach. Er hatte keinen festen Spielpartner, war wenig bewegungsfreudig und bewegte sich oft auch noch unsicher.

Zugleich zeigte René besonders großes Interesse an logischen und kognitiven Spielen. Puzzle, „mini lück“ und Memory sind ihm eine wahre Freude. René versteht Spielregeln sehr schnell, oft auch von sich aus. Seine akustische Wahrnehmung ist sehr gut.

 

… kurz gefasst …

Der fünfjährige René zeigt zunächst Eigenheiten, die auch in Richtung Autismus zeigen könnten. Aber die Autorin beobachtet weiterhin offen und genau und sucht aktiv nach den kognitiven und sozialen Fähigkeiten von René. Sie baut eine vertrauensvolle Beziehung zu ihm auf und bahnt ihm Wege, seine guten kognitiven und sozialen Fähigkeiten zu zeigen, weiter zu entwickeln und seinen Platz in der Gruppe zu finden.

Die Autorin entwickelt – entlang an Renés Interessen – eine Methode zum Lesen lernen. Als sie genauso bei einem anderen Kind vorhehen will, erkennt sie, dass sie die Methode für dieses Kind flexibel abwandeln muss; denn jedes Kind lernt auf seine eigene Art.

In bestimmten Situationen blockiert René. So weigert er sich, Mandalas auszumalen. Geht es allerdings darum, Formen zu entdecken, malt er diese ohne Probleme an. Wobei er dies oberflächlich tut, oft malt er nur Umrisse von Dingen.

Wenn er sich anfangs hilflos fühlte – etwa beim Streit um eine Schaufel – haute René drauflos oder fing an zu weinen. Er nutzte nicht die verbale Konfliktlösung.

René lebt in seiner eigenen Welt, er hat eine andere Zeitvorstellung. Oft zieht er sich in aller Ruhe um; er hat nicht das Gefühl etwas zu versäumen. René erscheint dann, wenn er fertig ist.

Großes Interesse zeigt er bei Hörspielen, die er sich auch in Wiederholungen mit sehr viel Ausdauer immer wieder gern anhört. Er hört auch klassische Musik und hat Spaß daran, Lieder Komponisten zuzuordnen. Beim Zuhören legt er mit Magnetbuchstaben die Namen, die auf der CD-Hülle stehen.
Außerdem kennt René sich sehr gut mit Zahlen aus. Dabei hat er auch eine klare Vorstellung vom Wert der Zahlen.
Gerne begrüßt er alle Erzieherinnen mit Namen und mit einem freundlichen Lächeln.

Gezielte Beobachtungen

Um René genauer kennen zu lernen, beginne ich ihn gezielt zu beobachten. Im Folgenden ein paar Beispiele:

Zunächst beobachte ich aus der Distanz auf dem Außengelände:

René sitzt in der Sandkiste und wechselt dann zur Matschkiste. Er ist allein, spricht vor sich hin und schaufelt den Sand hin und her. Wenn andere Kinder dazu kommen, nimmt er das Spielzeug in der Kiste zu sich und schimpft. Er möchte lieber alleine spielen.
Später dazu kommende Kinder weist er nicht ab, zeigt ihnen jedoch, was sie machen sollen, indem er ihre Hand führt. Auch jetzt spricht René kaum. Es entsteht kein gemeinsames Spiel.

René reagiert nicht auf Anweisungen, die andere Kinder geben. Wenn ein Kind zum Beispiel sagt: „Matsch bitte auf die Schaufel laden“, dann legt René den Matsch in eine andere Ecke. Kurz darauf sagt René einzelne Worte wie „festhalten!“ Aber kurz darauf verlässt er die Matschkiste und geht in den Sandkasten. Dort vergräbt er seine Füße und spielt wieder alleine.

Für eine teilnehmende Beobachtung wähle ich ein Puzzle mit gestanztem Untergrund. Ich weiß, dass er jedes Puzzle mit Freude annimmt. René schaut es sich kurz an und kippt es aus. Vor ihm liegt jetzt eine Platte mit vielen Umrissen. Die Puzzle-Teile liegen verteilt auf dem Tisch.

René greift sich die einzelnen Teile und legt sie unabhängig voneinander (ohne Beachtung des Bildes) an die richtigen Stellen: er beobachtet nicht das Bild, sondern die Formen der Teile. Dabei arbeitet er sehr schnell. Nachdem das Puzzle fertig ist, kippt René es wieder aus und möchte es noch einmal spielen.

Jetzt zeige ich René einen Umriss auf dem Puzzle-Untergrund und bitte ihn, mir das passende Teil zu geben. So spielen wir das Spiel bis zum Ende. René hat sich dabei nicht ein einziges Mal vergriffen. Es macht ihm Freude, diese Anforderung zu erfüllen.

Bei einer dritten Runde liegen die Puzzle-Teile verdeckt auf dem Tisch. Auch nun kann er alles richtig zuordnen. Er greift ein Puzzle-Teil, dreht es um und legt es an die richtige Stelle. Zum Abschluss fragt er, ob er das morgen noch einmal machen kann.

Bei einer folgenden provozierenden Beobachtung will ich sehen, wie René sich verhält, wenn er mit einer ungeliebten Beschäftigung konfrontiert wird. Ich habe ein Mandala ausgesucht, auf dem Blumen auszumalen sind.
Zunächst muss ich René dazu überreden, sich das Mandala auch nur einmal anzuschauen. Dann fängt er lustlos an zu malen. Dabei sucht sich René nacheinander immer die gleichen Blumen aus und malt sie dann in einer Farbe an.

Erst als ich ihn frage, ob seine Blumen alle nur eine Farbe haben, wechselt er die Farbe. Die Stifthaltung beim Malen ist sehr verkrampft. Außerdem wirkt sein ganzer Körper angespannt – was man auch deutlich an seinen Gesichtszügen ablesen kann.

Nach zwei Minuten sagt René zum ersten Mal: „Das schaffe ich nicht.“ Nach jedem gemalten Strich ruft er, dass er fertig sei. Nach vier Minuten sagt René, dass das Malen soo lange dauert. Nach fünf Minuten verweigert René das Malen und wirft die Stifte weg. Nun ist er nicht mehr ansprechbar. Ich beende die Beobachtung.

René verfällt in ein kleinkindhaftes Verhalten. Er schmeißt sich auf den Boden und fängt an zu weinen. In dieser Situation besitzt er keine Ausdauer und keine eigene Motivation. Er ist kompromisslos. Er hat keinen eigenen Antrieb, das Ganze irgendwie zu beenden.

Auswertung

Nachdem ich verschiedene Arten der Beobachtung angewendet habe, muss ich sagen, dass mir die teilnehmende Beobachtung und die Beobachtung mit Hilfe eines Beobachtungsbogens die meisten neuen Erkenntnisse gebracht haben.
Ich habe dabei viele positive Erfahrungen machen können. René hat immer mit viel Begeisterung mitgearbeitet. Es hat ihm Spaß gemacht, sein Können zu zeigen.

Bei diesen Beobachtungen habe ich gemerkt, wie sehr René die Beschäftigung mit einem Erwachsenen genießt. Er wollte nie von selbst mit dem Spielen aufhören.
Leider ist es im Kindergarten-Alltag schwierig, René immer diese Zuwendung zu geben. Sicherlich wäre das eines meiner Ziele, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben wären.

Oft war ich begeistert von seinen Leistungen,
die er sonst so nicht in der Einrichtung zeigt.

Meinem Ziel, René besser einschätzen zu können, bin ich mit diesen Beobachtungsformen etwas näher gekommen.

Es hat sich gezeigt, dass René in vielen Bereichen weiter entwickelt ist, als ich erwartet habe – so bei Zahlenkenntnis, akustischer und optischer Wahrnehmung.
Ich erkenne, dass René bei optimaler Förderung viel mehr leisten könnte. Sicherlich würde es ihm Freude machen, mehr gefordert zu werden.

René wird selbstbewusster

Nach einem halben Jahr in unserer Kita ist René nun 5;0 Jahre alt und zeigt sich offener und selbstbewusster. Er traut sich immer mehr zu, sein Können preiszugeben. Er ist stolz darauf, dass er sich so gut mit Zahlen auskennt. Bei unseren Spielen fordert er nun gerne die „Lehrerrolle“ und möchte den Kindern erklären, was sie machen können.

Oft kommt er zu mir und sagt genau, was er machen möchte. Zwischen uns hat sich eine besondere Beziehung entwickelt. René hat ein größeres Vertrauen zu mir als zuvor. Im Morgenkreis oder im Stuhlkreis möchte er gerne meine Hand halten.

René ist bei allen Angeboten, die wir erarbeitet haben, immer sehr motiviert. Er genießt die gezielte Beschäftigung. Seit etwa vier Wochen geht René zweimal wöchentlich zur Logopädin. René geht gerne dorthin.

Angebote an René zielen auf seine Interessen und Begabungen

Der Schwerpunkt meiner weiteren Arbeit mit René soll in der Kleingruppe liegen. Einige Angebote möchte ich auch mit René alleine erarbeiten. Das Hauptthema in der Kleingruppe sind „Zahlen“. Außerdem geht es für René um die Förderung der Kommunikation und um das „Anders sein“. In der Einzelarbeit mit René geht es um die Themen Buchstaben – Vorlesen – Hören.

Bei der Zusammenstellung der Kleingruppe nutze ich die Informationen aus dem Interessen-Fragebogen für Kindergartenkinder und dem Fragebogen nach Joelle Huser, die gut zu den Angaben aus dem Eltern-Fragebogen für das erste Halbjahr der Kindergartenzeit passen.
Die Kinder ergänzen sich sehr gut:

Jacob ist ein Junge aus der Nachbargruppe, René kennt ihn, da sie auch benachbart wohnen.

Egon ist 4;11 Jahre alt, er ist sehr redegewandt (Renés große Schwäche). Im Gegensatz zu René hat Egon aber noch keine Vorstellung von Zahlen.

Malte ist 4;9 Jahre alt. Er wirkt ausgleichend, ist sehr aufgeweckt und kann sehr gut sprechen.

Bilderbuch „Irgendwie Anders“

Um eine gewisse Vertrautheit in unserer Kleingruppe zu schaffen, beginne ich das Projekt mit dem gemeinsamen Anschauen und Reflektieren des Bilderbuchs „Irgendwie Anders“. (Irgendwie Anders, Kathlin Cave, aus dem Englischen von Salah Naoura, Oetinger Verlag 1994 – siehe auch: Bilderbücher… )

René hört gerne und aufmerksam zu, wenn vorgelesen wird. Dabei nimmt er Dinge auf für mich etwas ungewöhnliche Art wahr. Ihm ist zum Beispiel der Stuhl im Spiegelbild aufgefallen oder die Farbgestaltung der einzelnen Seiten. Die im Mittelpunkt stehenden Figuren hat er dagegen nicht benannt. René geht selten auf meine Fragen ein. Als ich frage, was das „Irgendwie Anders“ nun mache, nachdem es die Tür hinter dem „Etwas“ verschlossen hat, sagt René nur, er mache sicher das Licht aus. Oft habe ich das Gefühl, René nehme den Inhalt des Buches gar nicht wahr. Als ich René gezielt frage, bekomme ich immer wieder zur Antwort: „Das weiß der Egon“.

Wir betrachten unsere Porträt-Fotos

Am Tag zuvor habe ich Porträt-Fotos von den Kindern gemacht. Wir setzen uns gemeinsam an einen Tisch, auf dem die Fotos verteilt liegen. Alle Kinder fangen an zu lachen und es entsteht eine lustige Stimmung. René reagiert genau wie die anderen Kinder. Jeder sucht zuerst sein Bild aus der Mitte. Ohne Aufforderung beginnen die Kinder, die Fotos zu vergleichen.

Ähnlichkeiten fallen ihnen sofort auf. Das „Anders sein“ wird erst gar nicht angesprochen. Nach einer Zeit lenke ich das Gespräch in Richtung Besonderheiten. René darauf: „Ich kann gut basteln, will spielen und sonst nichts.“ Er sagt jedoch nichts davon, was er wirklich gut kann, nämlich zum Beispiel mit Zahlen umgehen.

Als es um Zahlen geht, beteiligt sich René rege

Am nächsten Kleingruppentag (nachdem nur René und ich uns tags zuvor mit Magnetbuchstaben beschäftigt haben) geht es um Zahlen:
Wo begegnen sie uns?
Wofür brauchen wir Zahlen?

René ist gut gelaunt, strahlt über das ganze Gesicht. Er erzählt ganz viel, führt das Gespräch und motiviert die anderen Kinder mitzumachen.

Diese Situation habe ich zuvor noch nicht erlebt.
Sonst ist René meistens eher zurückhaltend.
Die anderen Kinder in der Gruppe wirken verwundert, sie werden immer ruhiger und hören René zu.

René entdeckt die Zahlen überall: Auf Autos, Straßen, beim Einkaufen, beim Telefonieren, auf Münzen, an den Kleidern usw. Er merkt selber, dass er die Zahlen schon gut kennt. Geben andere Kinder eine Antwort, die René gefällt, unterstützt und lobt er sie.

Ich bin sehr überrascht, wie sozial René ist
und wie es ihn freut, wenn die Kinder die Zahlen richtig erkennen.

Zum Abschluss dieser Kleingruppe gibt es eine kleine Wochenaufgabe:
Wir sammeln alle Zahlen und bringen sie mit in den Kindergarten.

Das Thema Zahlen spricht anscheinend alle Kinder in unserer Kleingruppe an. Beim nächsten Treffen bringen sie Telefonnummern mit, dazu Münzen, Bücher Spiele, Kleidung, usw. Nachdem wir alles betrachtet haben, spielen wir auch die mitgebrachten Spiele. Da die Kinder alle viel Spaß daran haben, wiederholen wir das ganze noch einmal einen Tag später.

Ich frage René, ob er Lust hat, mit den Kindern ein Zahlenspiel zu spielen. Er soll dabei die Spielleitung übernehmen. Nachdem ich René die Aufgabe erklärt habe, nimmt er sie gerne an.

Während dieses Spiels herrscht eine angenehme Stimmung in der Kleingruppe. Es erscheint so, als ob die Kinder Renés starke Zahlenkompetenz wahrnehmen. Ganz selbstverständlich bitten die Kinder René um Hilfe und akzeptieren, was er sagt.

Zeitweise kann ich mich ganz zurückziehen und das Spiel aus der Ferne beobachten. René und die anderen Kinder haben sehr viel Freude dabei. Tage später sehe ich, wie die Kinder im Nebenraum sich erneut mit diesem Spiel beschäftigen. Auch jetzt haben sich die Kinder René als Spielführer ausgesucht.

René bekennt sich offen als Experte

Nachdem sich unsere Kleingruppe nun schon gut zusammengefunden hat, will ich noch einmal ein Bilderbuch betrachten, in dem es um das Thema Akzeptanz und Anderssein geht: Einer für Alle-Alle für Einen, Brigitte Weninger und Eve Tharlet, ISBN: 978-3-86566-504-1.

Diesmal wirken die Kinder spontaner und lockerer auf mich. Alle beteiligten sich an der Betrachtung. Anschließend frage ich noch einmal nach Besonderheiten oder nach dem, was die Kinder besonders gut können. Diesmal kann René vor der Gruppe sagen, dass er sich besonders gut mit Zahlen und Buchstaben auskennt.

Einzelbeschäftigungen mit Magnet-Buchstaben

Zwischen den Kleingruppentreffen mache ich René immer wieder Angebote nur für ihn.
Weil René gerne mit Magneten arbeitet, habe ich Magnet-Buchstaben und -Zahlen besorgt. René soll zunächst Buchstaben und Zahlen an unserem Heizkörper sortieren.
René ist ganz begeistert und beginnt, die einzelnen Dinge an die Heizung zu heften. Auf meinen Vorschlag, die Buchstaben von den Zahlen zu trennen, reagiert er nicht. Diese Aufgabe scheint ihn nicht sonderlich zu interessieren.

Kurz darauf heftet er ein E an die Heizung und fordert mich auf: „Sag was dazu!“ Spontan singe ich: „EEE – die Katze liegt im Schnee.“ René fängt laut an zu lachen und fordert mich auf, ebenfalls einen Buchstaben an die Heizung zu heften. Ich nehme das P. René singt „PPP“. Ich nehme das M. René singt: „MMM – der Malte ärgert mich.“ Zum T singt er „TTT – der Torben, der ist lieb.“ Das geht fast eine halbe Stunde so weiter.

Buchstaben, Silben und Wörter stempeln

Beim nächsten Einzelangebot an René sind wir Buchstabendetektive. Wir wollen alle Buchstaben stempeln, sie wiedererkennen und benennen. Zur Verfügung steht René eine Box mit allen Buchstaben-Stempeln.
Erst stempelt René einzelne Buchstaben, später Silben wie MA und PA. Dann hat er die Idee, sich ein Stempelheft zu gestalten, weil er noch viel mehr stempeln möchte. Kurz darauf sagt René zu mir: „Ich brauch mal kurz deinen Stift!“ Und er malt ein Tor zu dem Wort TOR, das wir zuvor zusammen gestempelt haben. Danach gibt er mir meinen Stift zurück und stempelt weiter.

Gerne fordert er nun auch zwischendurch sein Heft und stempelt alleine darin weiter. Nachdem ich René zweimal beschäftigt habe, als die meisten Kinder draußen waren, hat René schnell erkannt, dass dies eine Möglichkeit sein kann, nicht nach draußen in den Schnee zu gehen. Als wir einmal alle nach draußen wollen, sagt René: „Nee, Nicole. Wir machen lieber was mit Buchstaben.“

Eigentlich geht René aber auch gerne in den Schnee. Meine Antwort: „Ich gehe lieber nach draußen. Lass uns Buchstaben in den Schnee malen!“
René findet die Idee gut und geht sofort nach draußen.

Buchstaben und Memorykarten

Ich habe Memorykarten mit einfachen Symbolen wie Ball, Boot, Puppe, Auto, Katze, Hund, usw. an den Heizkörper geheftet.
Ich bitte René, die Anfangsbuchstaben der abgebildeten Symbole zu suchen – also zur Katze das K, zum Ball das B und so weiter. Schafft es René, sich die Anfangsbuchstaben aus der Dose zu suchen?

Erstmal reagiert René nicht auf meine Aufgabe. Er will sich lieber mit anderen Dingen beschäftigen. Auf einem Schrank entdeckt er ein Körbchen mit Instrumenten. Er bringt mir das Körbchen und setzt sich wieder zu mir. Er sucht die Buchstaben aus der Dose und spielt nach jedem richtig zugeordneten Buchstaben ein kleines Konzert mit den Klanghölzern. Ohne Fehler kann er alle Anlaute zuordnen. Im Anschluss spielt René noch auf den Instrumenten und singt dazu Phantasielieder.

Namen aus Buchstaben-Nudeln

Heute schauen wir uns eine Packung mit Buchstaben-Nudeln an. René ist überrascht, dass es solche Nudeln gibt. Er findet es lustig. Wir sortieren die Nudeln und schauen, welche wir wiedererkennen. Dann kleben wir uns kleine Namensschilder mit diesen Buchstaben. René arbeitet eifrig mit. Zum Schluss kochen wir die restlichen Nudeln und laden die Freunde zum Essen ein.

Die gezielten Angebote haben René und die Gruppe weiter gebracht

Die intensive Arbeit mit René und der Kleingruppe war sehr schön. Die Gruppenmitglieder und René konnten sehr viel lernen, auch voneinander. Oft kam René aus sich heraus und zeigte ein selbstbewusstes Bild von sich. Zeitweise war ich überrascht, wie stark René wirkte.

Da es klar ist, dass ich René diese intensive Betreuung nicht immer bieten kann, habe ich ein paar kleine Brücken in den Alltag gebaut. Ich habe ihm besondere Privilegien gegeben. Wir haben einen bestimmten Platz, an dem besondere Dinge für René liegen (zum Beispiel Magnetbuchstaben, Buchstabenstempel). Verantwortungsvoll darf er damit umgehen Er darf sich bestimmtes Material selbstständig nehmen. Manchmal gibt es aber auch Tage, an denen wir uns nur mal zwischendurch die Hand drücken können.

René will lesen

René ist nun 5;4 Jahre alt. Er hat sich zu einem aktiven Jungen entwickelt und spielt nun häufiger in einer kleinen Kindergruppe. Der regelmäßige Besuch beim Logopäden tut ihm sehr gut. Er nimmt viel an und setzt das Gelernte gut um. Sein Ausdruck und sein Wortschatz haben sich stark verbessert.

Zurzeit verarbeitet René sehr viele Erlebnisse über das Malen. Er ist momentan sehr aufgedreht, wirkt gut gelaunt und lacht viel. Er ist hin und wieder laut und macht sich bemerkbar. Immer wieder stellt er sich in den Mittelpunkt. Oft jedoch durch negatives Verhalten. Motzig und trotzig setzt er sich zum Beispiel falsch auf den Stuhl, nimmt teilweise kleinkindhaftes Verhalten an.

René ist motiviert, lesen zu lernen. Er freut sich sehr, etwas im Bereich Buchstaben zu machen.

Ein Gespräch zum Einstieg – Tag 1

Auf meine Frage, was wir zum Lesen lernen brauchen, entgegnet René erst einmal mit der Frage, wofür er lesen brauche.
Antworten waren dann: zum Einkaufen, für die Schule, usw. Darauf frage ich, ob er noch lesen lernen möchte.

Ganz froh und spontan
antwortet er
mit „Ja“.

Er hat aber keine Vorstellung, wie Lesen funktionieren könnte. Gemeinsam haben wir uns noch einmal Buchstaben angeschaut und benannt: Das Wichtigste, was wir zum Lesen brauchen, sind diese Buchstaben. Das findet René lustig, bezweifelt aber, ob es wirklich ausreicht.

Ich erkläre ihm, dass wir diese Buchstaben auf eine Schnur fädeln wollen, die dann ganz dicht miteinander verbunden sind. So entstehen dann Worte, die wir dann lesen können. Wie das ganze dann klingt, werden wir einen Tag später besprechen.

Tag 2: Die Klangschale

Heute werden wir Buchstaben klingen lassen. Dazu benutzen wir Holzbuchstaben und eine Klangschale. Jedes Mal, wenn René die Klangschale anschlägt, soll er einen Buchstaben so lange klingen lassen, bis die Schale verstummt. Wir verwenden die Laute A, M, N, O, L, I. Schnell hat René die Aufgabe verstanden und sehr gut gelöst.

Danach lege ich einen weiteren Buchstaben an einen einzelnen Buchstaben, der vor ihm liegt. Nun kommt die eigentliche Schwierigkeit: während die Klangschale klingt, soll er zum Beispiel von einem M auf ein A wechseln. Auch das gelingt René sehr gut.
Bei dieser Beschäftigung hat René sehr viel Spaß und möchte gar nicht aufhören. Er hat verstanden, was ich mit dem Klingen der Schale erreichen will.

Tag 3: Vertiefung

Nachdem René den zweiten Tag so gut fand, ist eine Vertiefung dieser Einheit willkommen. Begonnen haben wir heute mit einem einzelnen Buchstaben, kurze Zeit später habe ich einen zweiten Buchstaben dazu gefügt. Beendet haben wir die Übung mit vier Buchstaben. Zwischendurch hat René immer wieder gerne einzelne Silben gesungen und ein La-Le-Lu-Li-Lied gedichtet. Die Kombination von Silbenlesen und Klangschale war ein voller Erfolg.

Tag 4: Lesescheibe

Wir erstellen eine Lesescheibe. Ähnlich den Zahlen einer Uhr klebt René alle Buchstaben auf den äußeren Rand der Scheibe. Auf die Scheibe legen wir einen beweglichen Pfeil. Die Pfeilspitze soll immer von einer Stelle des Rands auf die Scheibenmitte zeigen. Auf den Mittelpunkt werden nun immer wieder andere Buchstaben gelegt.
Nun kann René den Zeiger zum Beispiel auf das B stellen. Auf dem Mittelpunkt liegt ein A. Verfolgt René nun mit dem Finger den Pfeil vom B ausgehend zum A, so kommt es zu einem BA.
Mit viel Arbeit und Spaß erstellten wir die Scheibe und probierten viele Silben aus. René arbeitet eifrig und setzt die Aufgabe erfolgreich um. Jedoch fragt er immer wieder nach der Klangschale.

Tag 5: Leseübung mit Hilfe von „Silbenstufen“

Nachdem ich festgestellt habe, dass René besonders gerne in Verbindung mit einem Instrument lernt, setze ich nun wieder die Klangschale ein.
René hat so schon nach drei Übungsstunden das „Schleifenziehen“ verstanden. Er weiß, wie die Buchstaben aneinander gefädelt werden, damit daraus ein Wort entsteht.

Bei der heutigen Übung hat René zuerst ein M gemalt. Dann hat er diesen Buchstaben klingen lassen. Im zweiten Schritt sollte René ein MA darunter malen. Im Anschluss ließ René die Silbe klingen. Die dritte Stufe war MAU und der letzte Schritt MAUS.
Nachdem René die Stufen alle gelesen hat, liest er bei der letzten Stufe direkt das Wort Maus.

René ist nun in der Lage,
Worte mit vier bis fünf Buchstaben zu lesen.

Eine Hilfe für ihn ist die Unterstützung des Fingers, den er unter dem Wort führt.

Tag 6: Leseübung im Buch

Heute nutzte ich das Leselernbuch „ABC der Tiere“. Darin gibt es kurze Sätze mit Worten, die nicht mehr als drei Silben haben. Gemeinsam lesen wir zwei Texte. René darf sich nach jedem gelesenen Wort einen Aufkleber (Fahrzeuge) aussuchen. Damit gestalten wir dann eine Straßencollage mit Feuerwehr und Großbaustelle.

Beim gemeinsamen Lesen habe ich den Eindruck, dass René das Gelesene mit dem Bild verbindet. Als er zum Beispiel von einem Hund gelesen hat, sucht er diesen dann auf dem Bild. René kann die gelesenen Worte erkennen und verstehen. Er weiß, was er gelesen hat.

Noch ist sein Lesen langsam. Das Lesen unterstützt er mit dem Zeigefinger, den er unter dem Wort gleiten lässt.

René braucht noch viel Übung,
aber das System „Lesen“ hat er gut verstanden.

Heute hat René sich fast eine ganze Stunde mit diesem Thema beschäftigt. Er ist sehr motiviert. Ich bin gespannt, ob René sich in Zukunft selbstständig mit dem Thema Lesen beschäftigen wird.

Tag 7: Silben sammeln, in Bewegung lernen

Bei diesem Lesetraining habe ich 24 Zettel im Gruppenraum auf dem Boden verteilt. Auf diesen Zetteln stehen sechs verschiedene Worte mit je zwei Silben. Jedes Wort wiederholt sich viermal. Zusätzlich stelle ich ein Glockenspiel bereit.

René sucht sich einen Zettel aus und liest ihn vor. Wenn das Wort richtig ist, darf er eine bestimmte Melodie auf dem Glockenspiel spielen.

Das Spiel macht ihm viel Spaß. Er läuft begeistert durch das Zimmer und bringt immer wieder neue Worte. Er achtet genau darauf, dass er immer ein anderes Wort sucht. Nach rund zehn Worten vergisst er das Glockenspiel und ist nur noch mit Lesen beschäftigt.

Nachdem alle Worte durchgespielt sind, nutzt er selbstständig die Worte weiter und fängt an, sie in Wortgruppen zu sortieren.

Worte wie „MoMo“ sortiert er mit der Begründung aus, er wolle sie nicht mehr lesen, da sie ihm zu leicht seien.

Nach einer Dreiviertelstunde will ich die Beschäftigung beenden. René beschäftigt sich aber alleine weiter mit den Zetteln.

Einen Tag später habe ich René gefragt, ob er glaube lesen zu können. Er antwortet mit „Ja“ und erzählt, dass er dazu die Buchstaben braucht. Er holt das Buch „ABC der Tiere“ und will es sich mit mir anschauen. Also haben wir noch ein wenig gemeinsam gelesen und ich habe damit dieses Projekt abgeschlossen.

René hat verstanden, wie Lesen funktioniert

Nachdem nun dreieinhalb sehr spannende Wochen vorüber sind, kann ich sagen, dass ich das gesteckte Ziel erreicht habe: René ist nun in der Lage, einfache Worte zu lesen. Er hat verstanden, wie Lesen funktioniert. Wenn René sich irrt und einen Buchstaben falsch liest, kann er sich selbstständig korrigieren.
Einzelne Buchstaben, die er zusammenführt, erkennt er als Wort. Er weiß, was er gelesen hat.

Bei diesem Projekt ist mir jedoch wieder aufgefallen, wie motivationsabhängig Renés Leistungen sind. Als das Lesen anfangs nicht sofort funktioniert, meckert er los und sagt, er habe kein Interesse mehr am Lesen. Mit Hilfe der Instrumente kann ich ihn dann aber sehr gut motivieren. Ich bin überrascht, wie gut René die Aufgaben umsetzt. Die Unterstützung der einzelnen Medien war optimal für René. Ich hoffe, dass er nun selbstständig weiter übt und sich das Medium Lesen als neue Informationsquelle erschließt.

Bei all diesen Beschäftigungen ist mir wieder aufgefallen, wie lange sich René konzentrieren kann, wie gerne er sich mit Dingen beschäftigt, die ihn interessieren. Oft haben unsere Beschäftigungen länger als eine Stunde gedauert. René wollte dann immer noch nicht aufhören. Selbst wenn ich die Aufgabe beendet habe, hat er alleine weiter gemacht.
Oft hat er die Beschäftigungen in andere Richtungen weiter entwickelt: So hat er zum Beispiel Instrumente weggelassen und nur noch gelesen oder Zettel in einer Spirale gelegt oder Worte sortiert, Worte zu Liedern zusammengeführt.

Eine Leselern-Methode für alle?

Da es mich sehr beeindruckt hat, wie schnell René mit meiner Methode lesen gelernt hat, habe ich ein weiteres Kind gesucht, das ähnliche Interessen wie René hat. Da ich dieses Kind nicht in unserer Einrichtung finden konnte, habe ich weitere Kindergärten angeschrieben. Leider bekam ich oft Absagen aus den Kitas, in denen die Meinung herrschte, Lesen lernen gehöre nicht in den Kindergarten.

Ich erhielt jedoch einen Anruf aus einem Kindergarten, den ich nicht angeschrieben hatte. Die Leitung berichtete von einem Kind mit Namen Tobias, das ähnliche Verhaltensmerkmale wie René hat und gerne Lesen lernen möchte. Mit Spannung startete ich ein zweites Projekt „Lesen lernen“.
Ich versuchte, genauso vorzugehen wie bei René. Schnell habe ich jedoch gemerkt, wie individuell ich handeln muss. Tobias hat das Verbinden der Buchstaben auch gut mit Hilfe der Klangschale verstanden. Sein Schwerpunkt lag aber eher im Schreiben. Auch Tobias konnte nach sechs Stunden Worte lesen.

Im Nachhinein kann ich sagen, dass das Lesen lernen nach meiner Methode gut ist. Die Methode „Lesen lernen durch Buchstabenverbinden auf der Basis der Wahrnehmungsschwerpunkte“ ist ganzheitlich, die Kunst der Anwendung liegt darin, die persönlichen Lernschwerpunkte des Kindes zu erkennen und schwerpunktmäßig zu fördern. Dabei ist das Erkennen wichtig, ob das Kind bevorzugt auditiv, visuell oder taktil wahrnimmt.

 

Datum der Veröffentlichung: Mai 2016
Copyright © Nicole Tomann-Viesel