Wie lernen hoch begabte Kinder?

 

Vortrag beim 5. IHVO-FachTag am 22. 9. 2012 in Remscheid

von Hanna Vock

 

Hoch begabte Kinder lernen vieles

  •  früher,
  •  intensiver und
  •  differenzierter.

Vieles fällt ihnen besonders leicht.

 

…kurz gefasst…

In ihrem Vortrag erläutert die Autorin acht Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit Lernen gut gelingt.
Da viele hoch begabte Kinder extrinsisch (von außen) nicht sonderlich gut zu motivieren sind, brauchen sie die Erfüllung dieser Lernbedingungen in besonders hohem Maße, um ihr Potenzial zu entfalten.

Warum ist das so?

Es liegt 1. an ihrer hohen Intelligenz und 2. an ihrer besonders großen Lernmotivation.

Im Einzelnen zur hohen Intelligenz der hoch begabten Kinder:

  • Ihre schnelle Auffassungsgabe bedeutet, dass sie besonders viele Informationen aufnehmen, die sie dann im Gehirn besonders schnell verarbeiten können. Sie können die neuen Informationen besonders gut mit schon vorhandenen Strukturen und Inhalten vernetzen.
  • Ihr gutes Gedächtnis filtert aus der Fülle aller ihnen verfügbaren Informationen zuverlässig diejenigen heraus, die für ihren aktuellen Lernprozess wesentlich sind. Diese wesentlichen Informationen werden verlässlich gespeichert und sind gut wieder abrufbar.
  • Die Kinder können in einer großen Informationsfülle besonders gut Muster und Gesetzmäßigkeiten erkennen.
  • Ihr Einfallsreichtum lässt sie vergleichsweise viele Ideen produzieren. Auch Fragen, die ihnen einfallen, sind solche Ideen. Der Einfallsreichtum ist häufig gepaart mit der frühen Fähigkeit, eigene und fremde Ideen zu bewerten und zu kritisieren. Das bedeutet, dass sie nicht nur viele Ideen produzieren, sondern viele gute Ideen.
  • Sie können neue Informationen gut miteinander in Beziehung setzen und miteinander verknüpfen.

Mit diesen Vorstellungen von Intelligenz stütze ich mich auf das Berliner Intelligenz-Strukturmodell (BIS), das als das modernste seiner Art gilt.

Siehe: Was ist Intelligenz?

 

Neben der Intelligenz hatte ich die besonders große Lernmotivation erwähnt, über die hoch begabte Kinder verfügen.

Wenn man die Kinder gut kennt, kann man ständig einige Lernprozesse erkennen, die gleichzeitig ablaufen. Mit diesen Lernprozessen sind sie intensiv beschäftigt, ohne dass sie aufgefordert wurden, genau das jetzt zu lernen.
Solange ihre Lernmotivation nicht zerstört wird, befinden sie sich ständig in Lernprojekten – von denen manchmal niemand anders etwas weiß.

Wir kennen aber hoch begabte Kinder, die zu so genannten Underachievern wurden. Das sind Kinder, die die Lernlust verloren haben oder die es zumindest nicht schaffen, das zu lernen, was sie lernen sollen. Underachiever sind traurige, oft äußerlich aufmüpfige und innerlich verzweifelte kleine oder große Menschen.

Es ist also lohnend, genauer hinzusehen, was die Lernlust hoch begabter Kinder erhält und was sie zerstört.

Generell kann man sagen:
Die Lernlust bleibt erhalten, wenn die Lernumgebung zum lernenden Individuum passt.

Ein Kind, das ständig überfordert ist, verliert die Lust am Lernen.

Ein Kind, das ständig unterfordert ist, verliert die Lust zum Lernen.

Ein hoch begabtes Kind, das auf kreative, selbstbestimmte Weise lernt, verliert die Lernlust, wenn es in ein unpassendes, starres, unkreatives System gepresst wird.

Wenn es uns gelingt, dem Kind die Lernlust zu erhalten und es angemessen beim Lernen unterstützen, wird es auch Leistung zeigen. Vielleicht zeigt es die Leistung nicht gerade dann, wenn es soll, und auch nicht gerade zu dem vorgegebenen Thema – aber über die Zeit gesehen, wird es großes Wissen erlangen und große Fähigkeiten entwickeln.

 

Dieses Vertrauen in hoch begabte Kinder zu haben
und es zu pflegen, ist wichtig!

Was ist dazu nötig, dass Kinder Lustlerner bleiben?

Das Wissen der Menschheit darüber, unter welchen Bedingungen Lernprozesse beim Menschen erfolgreich ablaufen, hat sich in letzter Zeit sehr erweitert.
Ich versuche im Folgenden, Wesentliches dazu in 8 Punkten zusammen zu fassen.

Diese 8 Punkte sind:

Es ist inzwischen wissenschaftlich geklärt, dass Lernprozesse dann am besten gelingen,

 

  •  wenn sie 1.  in einer angstfreien, heiteren und konzentrierten Atmosphäre stattfinden,
  • wenn 2. ein lustvolles Interesse oder wenigstens eine innere Bereitschaft vorhanden ist, sich mit dem Lerngegenstand zu befassen,
  • wenn 3. das Lernen auf bereits vorhandenem Wissen aufbaut und an bereits vorhandene Fähigkeiten anknüpft, die im aktuellen Lernprozess genutzt werden können,
  • Lernprozesse gelingen dann am besten, wenn 4. für den Lernenden einsichtig ist, wofür das zu erlernende Wissen und Können gebraucht wird, wofür es nützlich ist,
  • wenn 5. das Lernen in ein Projekt eingebunden ist, dessen erfolgreicher Abschluss dem Lernenden etwas oder sogar viel bedeutet,
  • wenn 6. das Ergebnis des Lernens zu sozialer Anerkennung führt,
  • wenn 7. ein befriedigender, möglicherweise sogar inspirierender Gedankenaustausch zum Lernthema stattfindet,
  • und wenn 8. ein anderer Mensch den Lernprozess durch seine Sachautorität, seine menschliche Autorität und am besten noch durch seine eigene Begeisterung für das Thema unterstützt.

Diese 8 Punkte umschreiben allgemein gute Voraussetzungen fürs Lernen beim Menschen. Sie gelten natürlich auch für hoch begabte Kinder.

 

Das Erstaunliche ist, dass hoch begabte Kinder im Unterschied zu anderen Kindern alle diese Bedingungen brauchen, weil sie über äußerliche Motivation kaum anzusprechen sind. Andere Kinder lassen sich durch Druck oder äußere Anreize noch einigermaßen zum Lernen bringen (natürlich kommt dabei auch nicht so viel heraus, wie wenn alle 8 Bedingungen erfüllt wären) – aber Hochbegabte bleiben ganz weit unter ihren Möglichkeiten, wenn auch nur eine dieser Bedingungen verletzt ist. Dabei müssen sie nicht zu auffälligen Underachievern werden, aber sie bleiben eben weit unter ihren Möglichkeiten, was frustrierend ist. Wenn aber alles stimmt, laufen sie scheinbar mühelos zu ungeahnter Hochform auf.

Nun will ich diese 8 Punkte näher beleuchten. Bei jedem dieser Punkte muss man sich auch fragen: Wann sind diese Voraussetzungen für gutes Lernen in der Kita und in der Grundschule gegeben?

 

Zu Punkt 1:
Lernprozesse gelingen am besten, wenn sie in einer angstfreien, heiteren Atmosphäre stattfinden.

Wovor können lernende Kinder in den ersten zehn Lebensjahren Angst haben, durch die sie dann teilweise oder weitgehend blockiert werden?

Sie können Angst vor Versagen, Angst vor Strafe, Angst vor Blamage haben.

Befassen wir uns zuerst mit der Angst vor dem Versagen. Sie kann schrecklich quälend sein.

Versagen heißt, eine gestellte Aufgabe (womöglich in vorgegebener Zeit) nicht zu erfüllen. Jeder Mensch muss lernen, mit der Angst vor Versagen umzugehen. Denn es kann uns lebenslang immer wieder passieren, dass wir versagen.

Hoch begabte Kinder stellen sich oft selbst Aufgaben; manchmal werden sie dabei dann ihrem eigenen hohen Anspruch nicht gerecht und fühlen sich als Versager, obwohl zum Beispiel die Erzieherin ihr Werk in Ordnung oder sogar gut findet. Ich denke dabei an ein künstlerisch begabtes vierjähriges Kind in meiner Gruppe, das tagtäglich wunderbare Bilder malte, sie aber fast alle zerriss und weg warf, weil sie seiner Ansicht nach „Murks“ waren.

Ob ein Kind in einer Situation versagt hat, hängt vom Betrachter ab. Da ist einmal der oder die Betrachter, die von außen darüber urteilen, und da ist zum anderen das Kind selbst, das sich als Versager fühlt. Wie oben gesehen, weicht die Einschätzung hoch begabter Kinder, dass sie versagt haben, oft von der äußeren Beurteilung durch Andere ab. Es gibt auch den entgegen gesetzten Fall: Ein Kind hat sich auf das Wesentliche, den Kern der Aufgabe konzentriert und alles schmückende Drumherum und alle Umwege weg gelassen oder es hat nicht sehr „ordentlich“ gearbeitet. Dann kann das Kind von seiner Leistung überzeugt sein und erlebt, dass sie aber nicht wie erwartet gewürdigt wird, weil der Betrachter andere Kriterien anlegt (die das Kind vielleicht nachrangig oder unwichtig findet).

Ob ein Kind häufig die gestellten Aufgaben nicht erfüllt, also oft versagt, hängt natürlich auch von den gestellten Aufgaben ab.

Ob ein Kind oft Versagensangst empfindet, hängt sowohl von seinen eigenen Ansprüchen, als auch von den Ansprüchen ab, die von außen an das Kind gestellt werden. Auch deshalb ist es wichtig, über das generelle und aktuelle Potenzial eines Kindes möglichst gut Bescheid zu wissen.

Wenn zum Beispiel ein nicht hoch begabtes Kind fälschlicherweise als hoch begabt betrachtet wird, kann die Umwelt durch zu hohe Erwartungen viel Versagensangst beim Kind produzieren, die das Kind blockiert.

Angst vor Strafe… sollte in unserer Gesellschaft überflüssig geworden sein – ist sie aber nicht.
Jede schwache Schulnote ist eine Strafe, die das System Schule vergibt. Und auf viele schwache Schulnoten (wobei schwach je nach dem Betrachter auch schon eine Drei sein kann) folgen weitere Strafen (vor allem immer wieder durch unaufgeklärte Eltern, aber auch durch das unaufgeklärte System Schule: Es verhängt: Sitzenbleiben, Einteilung zum Förderunterricht, Nachhilfe). Das alles ist als Hilfe gedacht, es geht davon aber auch permanent die vernichtende Botschaft aus: „Du hast es nicht gepackt.“

Angst vor Blamage ist eine (auf Kinder bezogen) weithin unterschätzte Angst. „Ich habe das (wieder) nicht geschafft und alle sehen es.“ (Zum Beispiel beim misslungenen Sprung über den Kasten.) Oder: „Ich schäme mich so. Ich konnte wieder keine richtige Antwort geben.“ Alles freundliche und beschwichtigende Einreden auf das Kind hilft bei hoch begabten Kindern wenig, wenn sie schon früh selbst ihre schärfsten Kritiker sind.

Diese Angst vor Blamage wehren die Kinder, die im System Schule wenig erfolgreich sind, dadurch ab, dass sie die Bedeutung des Erfolgs in der Schule abwerten. Dies ist verständlich und geschieht zu ihrem psychischen Selbstschutz. Manchmal geschieht das auch kollektiv in einer ganzen Klasse. Diejenigen hoch begabten Kinder, denen das Lernen in der Schule leicht fällt, werden zugleich mit abgewertet, als „Streber“.

Auch in der Kita müssen wir schon mit Angst vor Blamage rechnen. Hoch begabte Kinder fangen (auf Grund bestimmter schon entwickelter geistiger Fähigkeiten) früh an, sich mit den anderen Kindern oder gar mit Erwachsenen zu vergleichen. Sie fangen auch schon früh an, Ansprüche an ihr Tun zu entwickeln und diese mit dem Ergebnis zu vergleichen, das sie erreichen.

Manche Menschen sagen: „Unter Druck kann ich am besten arbeiten (zum Beispiel ein Referat schreiben).“ Ein Referat zu schreiben, ist ein großer und anstrengender Lernprozess mit ungewissem Ausgang. Es muss aber zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Ergebnis abgeliefert werden. Unangenehme Gefühle führen dazu, dass die Arbeit immer wieder aufgeschoben oder – kaum angefangen – unterbrochen wird. Und dann kriegt man es irgendwie „auf den letzten Drücker“ doch noch hin. Kann man also unter äußerem Druck doch besser lernen?

Nein, man hätte ganz sicher mehr bei diesem Referat gelernt, wenn man frühzeitig, freudig und kontinuierlich daran gearbeitet und dadurch mehr Zeit investiert hätte.

Kurz vor dem Termin, wenn der Druck immer größer wird, gelingt es dann doch noch den meisten Menschen – aber längst nicht allen -, die unangenehmen Gefühle so weit zu unterdrücken, dass Arbeiten möglich wird.

Was sind diese unangenehmen Gefühle, die uns so ausbremsen? Es ist die Angst, zu versagen, gepaart mit der Angst, dass sich die große Anstrengung am Ende vielleicht gar nicht lohnt. (Bin nicht fertig geworden, gar nicht dran gekommen, nicht fair oder nicht positiv bewertet worden). Vielleicht beherrscht uns auch das Gefühl, etwas eher Sinnloses tun zu sollen, das mit dem eigenen Leben und den eigenen Interessen nicht viel zu tun hat und hinterher in irgendeiner Mappe verschwindet, bis es schließlich weggeworfen wird, ohne etwas bewirkt zu haben.

Für die Kita bedeutet das aus meiner Sicht,

– dass jede Form von Auslachen eines Kindes (= Lachen, wenn dem Kind etwas nicht gelingt) im Keim unterbunden wird und Auslachen für alle Kinder klar ersichtlich als Gemeinheit eingestuft wird;

– dass das lockere Präsentieren von Ideen und Ergebnissen im Tageslauf der Kita immer wieder geübt wird;

– dass mit den geistig weit entwickelten Kindern vorbeugend über Angst vor Versagen und Angst vor Blamage gesprochen wird.

 

Zu Punkt 2:
Lernprozesse gelingen am besten, wenn ein lustvolles Interesse oder wenigstens eine innere Bereitschaft vorhanden ist, sich mit dem Lerngegenstand intensiv zu befassen.

Lust und Lernen sind zwei Dinge, die für die meisten erwachsenen Menschen nicht zusammen gehören. Sieht man einjährigen Kindern zu, dann ist die Lust am Tun und damit am Lernen unmittelbar zu sehen und zu hören. Sie lachen, sie quietschen vor Vergnügen. Selbst wenn sie sehr konzentriert sind, wirken sie keineswegs unlustig. Für uns ältere Menschen musste aber extra der Begriff „Flow“ erfunden werden, um den glücklichen Zustand zu beschreiben, in dem sich – leider nicht alle – aber doch etliche Menschen manchmal befinden.

„Flow“ ist ein englisches Wort, das „fließen“ bedeutet; in diesem Zusammenhang meint es in etwa: „alles fließt anscheinend wunderbar und wie von selber“.

Flow ist ein Zustand großer, freudiger Konzentration auf eine interessante Tätigkeit. Sie ist unmittelbar mit rasantem Lernen verknüpft. Wer im Flow ist – egal ob Kind oder Erwachsener – der lernt etwas Neues hinzu.

Wer also intensive Lernprozesse initiieren möchte, muss Flow herstellen.

Wie geht das?

Wir müssen etwas Spannendes, Begeisterndes machen, das die Kinder mitreißt. Man kann es forschendes Lernen nennen oder erlebnisreiche Pädagogik oder auch Abenteuerpädagogik. Spielen und Lernen mit Freude und mit allen Sinnen.

Wann geht den meisten Menschen die Begeisterung fürs Lernen aus?

– Wenn sie in einer unnötig reglementierten, schlecht strukturierten, anregungsarmen Umgebung gehalten werden, die von uninspirierten dauergelangweilten oder dauerunglücklichen Menschen bevölkert ist.
Das kann die eigene Familie sein, die Wohnumgebung, die Kita oder die Schule. Kinder, die großes Pech im Leben haben, finden sich von klein auf ausschließlich in solchen Umgebungen wieder. Sie werden sehr wenig lernen, viel weniger als sie könnten.

– Lernbegeisterung geht den Kindern auch verloren, wenn sie Vorgaben erfüllen sollen, die aus einem blutleeren Lernprogramm oder aus einem lebensfernen Lehrplan „entnommen“ sind.

Was ist Faulheit?

Diese Frage gehört zum Punkt Lernlust. Oft hört man: „Er ist eigentlich genial, aber einfach zu faul, um etwas zu lernen oder zu schaffen.“

Also, was ist Faulheit?

Aus der Sicht des faul genannten Individuums:
Keine Lust zu etwas haben und sich nicht dazu überwinden können oder sich auch nicht überwinden wollen, es trotzdem zu tun.

Notfalls nimmt der Faule die Schelte der Umwelt hin und er nimmt auch Nachteile hin, wenn er etwas nicht getan hat, zum Beispiel etwas nicht in Ordnung gehalten hat.

Aus der Sicht der Umwelt:
Etwas, wozu man keine Lust hat, einfach nicht zu tun, obwohl es (aus Sicht der Umwelt) wichtig und nötig wäre. Wir tadeln den faulen Menschen, weil er sich nicht genügend anstrengen will.

Der faule Mensch nimmt sich eine Freiheit, die wir uns nicht zugestehen: Er verweigert sich. Auch deshalb sind wir böse auf ihn.

Aber es lohnt sich, genauer hinzusehen und zu differenzieren.

Hier kommen fünf ganz unterschiedliche Fälle:

1.
Ein Vater, der seine berufliche Arbeit nicht zuverlässig macht, der immer wieder nicht rechtzeitig aus dem Bett findet und dadurch seinen Arbeitsplatz  gefährdet.
= Er ist weit gehend sozial geächtet, egal welch tragisches Entwicklungsschicksal dahinter stecken mag.

2.
Ein Mann, der zeitlebens nie ein Fenster putzt.
= Das ist sozial akzeptiert, so lange jemand anders für ihn putzt. Es gibt ganz viele Männer sowie reiche Frauen, die nie ein Fenster geputzt haben – bei den nicht reichen Frauen sieht es anders aus. Das zeigt uns, dass soziale Akzeptanz ungleich verteilt wird.

3.
Eine Frau, die zeitlebens nie ein Gemüsebeet anlegt und es sorgsam pflegt, weil sie dazu absolut keine Lust hat.
= Das ist heutzutage sozial akzeptiert, niemand würde diese Frau faul schimpfen. In früheren Zeiten, als die meisten Frauen auf einem Bauernhof gearbeitet haben, wäre sie von ihrer Umwelt stark kritisiert worden. Ob eine bestimmte Verweigerung akzeptiert wird, ist also stark kulturabhängig.

4.
Ein Kind, das manche Buchstaben nicht leserlich schreiben kann, aber das Üben verweigert, auch wenn man ihm erklärt, dass Schreiben nur Sinn macht, wenn man das Geschriebene hinterher auch lesen kann.
= Es sieht das Argument nicht ein, es verhält sich uneinsichtig. Das bedeutet: Es muss die Folgen tragen: nämlich eine unleserliche Schrift zu haben und schlechtere Zensuren zu bekommen.
Darf das Kind diese Entscheidung zur Verweigerung selber treffen? Oder hilft hier Zwang? Zwang zum Lernen lehne ich in jeder Form ab, denn Zwang verletzt die Menschenrechte, ist außerdem unproduktiv und zerstört die Kreativität. Ich muss also nach gründlichem, erfolglosem Argumentieren akzeptieren, dass das Kind seine Wahl trifft. Dies fällt leider gerade vielen Müttern schwer. Sie erhöhen den Druck bzw. führen das Lamento ins Unendliche fort, was nur schädlich für die Nerven aller Beteiligten ist.

„Der wahre Faule genießt die Faulheit, ohne ihr zum Opfer zu fallen.“ Das steht im „Kleinen Buch der Faulheit“ von Jack Chaboud.

Viele Hochbegabte haben ein sicheres Gefühl dafür, wie viel Verweigerung sie sich leisten können bei Lernprozessen, für die sie sich nicht interessieren. Andere fallen ihren Ängsten und Blockierungen zum Opfer, schaffen zum Beispiel wichtige Abschlüsse nicht und können kein begabungsgerechtes Leben führen.

5.
Und nun haben wir noch ein Kind, das in der 1. Klasse die Schwingübungen als Vorstufe zum Schreiben lernen nicht macht.
= Es ist unangepasst. Ist es im Recht? Ahnt oder weiß es sogar, dass es auch ohne diese Schwingübungen leserlich schreiben (lernen) kann? Es müsste ermutigt werden, es auszuprobieren.

Stellen wir uns ein hoch begabtes Kind vor, das viele fantasievolle Bilder gemalt hat, weil es schön gespielt und schön gelebt hat und die Zeit und Ruhe dazu hatte, seine Erlebnisse in Bildern und Zeichen zu verarbeiten. Ein Kind, das vielleicht sogar noch viel gesungen hat, weil die Menschen in seiner Umgebung dies tun. Dieses Kind hat seine Feinmotorik und sein Rhythmusgefühl hinreichend geübt, es braucht keine Schwingübungen – weder vor noch in der Schule! Es wäre ein sinnloses Tun, das nichts Wichtiges hervorbringt.

Hier greift der weise Satz von Laotse: „Nichtstun ist besser als mit vieler Mühe nichts schaffen.“

Aber auch ein besonders begabtes Kind, das nicht viel malt, lernt Buchstaben schreiben am besten, wenn es Texte aufschreibt, die ihm wichtig sind. In diesem eher beiläufigen Lernprozess werden die Buchstaben immer besser, wenn die Adressaten der Texte freundlich klar machen, dass sie einzelne Buchstaben einfach nicht erkennen können, weil sie zu ungenau oder auch ganz falsch geschrieben sind. Aber dafür muss sich der in dieser Situation Lehrende (die Mutter, der Vater, die Erzieherin, die Lehrerin oder wer auch immer) die Zeit nehmen, immer wieder mit dem Kind schriftlich zu kommunizieren – und sie oder er muss auch die zunächst krakeligen Buchstaben mit Gelassenheit akzeptieren können.

Wobei ist die Lust größer?
“Komm, wollen wir zusammen mal wieder einen kleinen Brief schreiben?“
Oder: „Üb noch mal, eine Reihe B zu schreiben.“

Der US-amerikanische Schriftsteller Thornton Wilder zitiert eine andere chinesische Weisheit:

„Der Gelassene nützt seine Chance besser als der Getriebene.“

 

Zu Punkt 3:
Lernprozesse gelingen am besten, wenn das Lernen auf bereits vorhandenem Wissen aufbaut und an bereits vorhandene Fähigkeiten anknüpft, die im Lernprozess genutzt werden können.

Je besser ich ein Kind kenne, je mehr ich schon mit ihm zusammen gemacht habe, desto besser kann ich einschätzen, was dieses Kind schon kann und weiß, was ich also voraussetzen kann und worauf das Kind aufbauen kann.

Um das Kind gut kennen zu lernen, muss ich viel mit ihm zusammen machen. Ich sehe wenig von dem, was das einzelne Kind kann, wenn es in einer Gruppe von 15, 20 oder gar 30 Kindern „verschwindet“.

Ich beobachte beim gemeinsamen Tun. Backe ich mit zwei Kindern zusammen einen Kuchen – und überlasse die anderen Kinder derweil ihrem freien Spiel und der Zuwendung meiner Kollegin -, dann weiß ich hinterher, welches der beiden Kinder schon ein Ei aufschlagen kann und welches nicht; ich bemerke auch nebenbei, welches Kind schon den Überblick über den gesamten Prozess hat und welches nur Teilhandlungen überblickt, und ich bemerke, welche Beziehung die Kinder zu Zahlen und Gewichten haben. Auch kann ich erfahren, welches Kind Mehl, Salz und Zucker am Aussehen und am Geschmack unterscheiden kann.

Ich sehe auch, welche Fähigkeiten zur Zusammenarbeit die Kinder bis jetzt schon entwickeln konnten.

Bin ich nicht maulfaul, sondern spreche mit den Kindern beim Backen, kann ich zum Beispiel herausfinden, ob die Kinder wissen, wo das Mehl herkommt und was Bio-Eier sind.

Aus solchem gemeinsamen Tun und solchen Gesprächen ergeben sich Ideen für neue gemeinsame Tätigkeiten, Lernfelder und Projekte.

Was ich im Zusammenwirken mit zwei Kindern beobachtet habe, kann ich mir kurzzeitig gut merken und direkt anschließend ein paar Notizen machen.

Backe ich dagegen mit 10 Kindern, bin ich damit beschäftigt, eine gewisse Ordnung zu sichern, zu regeln, wer die 4 Eier aufschlagen darf…
Und ich muss die gefrusteten Kinder, die gern mehr selber tun und dabei in einen friedlichen geistigen Austausch treten möchten, „bei der Stange halten“.

Ich habe dann zwar ein Angebot für 10 Kinder gemacht, bei dem aber am Ende weniger gelernt wurde und weniger Freude und Konzentration im Raum war, als wenn ich mit zwei oder drei Kindern gearbeitet hätte.

Und ich kann später nicht sehr viel über die einzelnen Kinder sagen, außer: P. drängt sich immer vor, L. hält sich zurück und F. macht Blödsinn. Ich bekomme keinen gründlichen Eindruck von den Kindern, sondern mache eher zufällige Einzelbeobachtungen, die Vorurteile verfestigen können oder die ich auch schnell wieder vergesse, weil ich sie in der Situation nicht vertiefen kann.

Welche Arbeitsform gibt der Erzieherin mehr berufliche Befriedigung? Das muss Jede und Jeder für sich selbst herausfinden.

Ganz abgesehen davon gibt es natürlich auch beglückende und wichtige Lernerlebnisse in der gesamten Gruppe.

Ganz lern-ineffektiv sind Schulklassen. Denn hier habe ich auch über 20 Kinder, aber keine 2. Kollegin, mit der ich mir die Gruppe zeitweilig aufteilen kann.
Ich wünsche mir manchmal, dass alle Kinder in der Klasse kleine Ampeln an der Stirn hätten: Das grüne Licht leuchtet, wenn das Kind freudig und konzentriert bei der Sache ist, das gelbe leuchtet, wenn es leidlich zuhört, das rote leuchtet, wenn es seine Aufmerksamkeit abgeschaltet oder ganz woandershin gelenkt hat. Ich fürchte, es wäre in vielen Klassen über längere Zeiträume kaum grünes Licht zu sehen.

Wenn dann auch noch das Deckenlicht im Klassenzimmer an dunklen Wintertagen nur dann anginge, wenn die Lehrkraft selbst Freude und Flow bei der Arbeit empfindet, dann säßen viele Klassen ziemlich im Dunkeln.

Bei der jetzigen Organisation von Schule und Unterricht dauert es sehr lange, bis ein Fachlehrer, der 130 Kinder in 5 Klassen unterrichtet, seine Kinder, ihre Fähigkeiten und Interessen wirklich gut kennt. Oft gelingt es auch gar nicht, manchmal hört es beim Namen fast schon auf. Kein Wunder, dass individualisierter Unterricht kaum stattfindet.

Aber nicht nur die Fachlehrer haben dieses Problem – auch die Klassenlehrerin in einer Grundschule kann nicht wirklich viel über alle Kinder erfahren. Sie kann sie höchstens im Hinblick auf den aktuellen Lernstoff einigermaßen einschätzen, aber weiß sie viel über ihr geistiges Leben?

Also:
Intensives Tun mit wenigen Kindern ist für das Lernen effektiver als Angebote an die gesamte Gruppe oder Klasse.

Kann ich das in der Kita organisieren? Und wie oft kann ich so arbeiten?

Die Arbeit mit Kleingruppen muss Jede für sich selbst durchsetzen und verwirklichen.
Ich persönlich wollte während meiner Arbeit im Kindergarten nicht mehr von der fast täglichen Kleingruppenarbeit lassen. Natürlich waren die Gruppen immer wieder anders zusammengesetzt: Mal sang ich mit vier Dreijährigen die Kindergartenlieder und sprach mit ihnen über die Texte, damit sie unsere gängigsten Lieder bald textsicher mitsingen konnten (das dauerte dann vielleicht nur eine Viertelstunde an mehreren Tagen), mal machten die besonders begabten Kinder naturwissenschaftliche Experimente, was schon gerne einen ganzen Vormittag dauerte.
Meine Kollegin in der Gruppe hatte dasselbe Recht auf Kleingruppenarbeit, und oft bemerkte ich, dass sie (eine Kinderpflegerin) intensive philosophische Gespräche mit zwei Kindern führte, während sie gleichzeitig mit ihnen ein schwieriges Spiel spielte.

Auch in unseren Projekten, die über längere Zeit die ganze Gruppe erfassten, hatte die Kleingruppenarbeit immer einen festen und wichtigen Platz.

Hochbegabtenförderung im Kindergarten ist für mich ohne Kleingruppenarbeit nicht denkbar. Den hoch begabten Kindern wird man dabei am besten gerecht in Integrativen Schwerpunktkindergärten für Hochbegabtenförderung, in denen mehr hoch begabte Kinder betreut werden, als statistisch zu erwarten wären.

(Zur Erinnerung: Etwa 2 bis 3 Prozent aller Kinder sind hoch begabt. Bei 60 Kindern wäre eines also mit hoher Wahrscheinlichkeit ganz allein auf weiter Flur.)

Je älter die hoch begabten Kinder sind, desto mehr andere hoch begabte Kinder sollten mit ihnen zusammen lernen.

 

Zu Punkt 4:
Lernprozesse gelingen am besten, wenn für den Lernenden einsichtig ist, wofür das zu lernende Wissen und Können gebraucht wird, wofür es nützlich ist.

Weshalb gehen wir jetzt mit der Gruppe zur Feuerwehr? Warum muss ich in Mathe den Dreisatz lernen? Wozu soll ich Zahlen schreiben üben? Wieso soll ich Schleife üben? (Ich habe Klettverschlüsse!)

Bleiben wir bei der Feuerwehr. Was wissen / können die Kinder vorher und nachher? Wie ist das Thema eingebettet in den Kita-Alltag? Es hat nur dann Sinn, die Feuerwehr zu besuchen, wenn den Kindern vorher schon klar ist, was Feuer überhaupt ist, wie schön Feuer ist, aber auch wie heiß und gefährlich Feuer ist, was ein Schadensfeuer anrichten kann und wie man als Kind mit Feuer umzugehen hat. Wer ein Kind keine Kerze anzünden lässt, braucht auch nicht zur Feuerwehr zu gehen.
Mit dem Kindergarten sollen die Kinder die Feuerwehr besuchen, aber viele Eltern kämen nie auf die Idee, mit ihren Kindern ein Lagerfeuer zu machen.
So bleibt das Wissen oberflächlich und vom eigenen Erleben losgelöst und das Interesse der Kinder eher flau und unkonzentriert. Hoch begabte Kinder haben auch hier, wenn 25 oder 15 oder 12 Kinder zwei Feuerwehrleute belagern, wenig Chancen, in einen intensiven Frage-Antwort-Dialog einzusteigen und sind am Ende häufig frustriert.

 

Zu Punkt 5:
Lernprozesse gelingen am besten, wenn das Lernen in ein Projekt eingebunden ist, dessen erfolgreicher Abschluss dem Lernenden etwas oder sogar viel bedeutet.

Ein fünfjähriger Junge brachte sich am Computer Schreiben mit MS Word bei, weil er den großen Wunsch hatte, ein richtiges Bilderbuch herzustellen. Für ihn war das Erlernen des Schreibprogramms (das in der Schule wenn überhaupt, frühestens in höheren Klassenstufen vorkommt) jetzt im Kindergarten dran, weil er überzeugt war, es jetzt zu brauchen. Er hat schnell und zügig viele Optionen des Schreibprogramms begriffen und erlernt.
Es kam ihm ganz natürlich vor, denn es gehörte zu seinem Projekt und bereitete ihm keine kognitiven Schwierigkeiten.

Ähnlich lief es, als meine Kollegin die Idee hatte, den Kindern beizubringen, wie man Knoten bindet. Es war für die Kinder uninteressant, solange sie keine Knoten für ihr Spiel brauchten. Als sie dann irgendwann begannen, im Garten der Kita Hütten aus Stöcken und Decken zu bauen, die sie für ihr Spiel haben wollten, wurde ihnen klar, dass knoten können nützlich sein kann.
Die meisten Kinder, auch die älteren, begnügten sich mit Einfach- und Doppelknoten. Bei den drei hoch begabten Kindern und zwei ihrer Freunde zündete das Thema Knoten einen weiter gehenden Lernprozess, sie lernten Seemannsknoten, allein nach Zeichnungen. Die Schwierigkeiten forderten sie heraus und die tollen Knoten begeisterten sie. Allerdings blieben nur zwei der drei hoch begabten Kinder bis zu den komplizierteren Knoten konzentriert bei der Sache.

Also: Initiieren und unterstützen wir spannende Projekte, dann lernen die Kinder.

 

Zu Punkt 6:
Lernprozesse gelingen am besten, wenn ihr Ergebnis spürbar zu sozialer Anerkennung führt.

Eine Theateraufführung, die mit dem Beifall der Eltern endet. Ein Kunstprojekt, dessen Ergebnisse in einer Ausstellung gezeigt und verkauft werden. Beim Bauern gesammelte Kartoffeln, die auf dem Mittagstisch der Kita landen. Selbst gezogene Blumen und Kräuter, die beim Erntedankfest verkauft werden können (was im Besuch einer Eisdiele mit selbst bezahltem Eis endet). Eingeübte Lieder, die Altenheimbewohner erfreuen. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse, die vor beeindrucktem Publikum präsentiert werden, – es könnten auch Akrobatik- oder Zauberkunststücke sein. Ein selbst gebasteltes (und selbst erfundenes) Spiel, was noch Generationen von Kindern in der Kita zugute kommt. Eine Hütte aus Stöcken, in der den ganzen Sommer über gespielt wird, usw. usf.

Die Fülle der Möglichkeiten ist riesig.

Sorgen wir dafür, dass die Kinder inner- und außerhalb des Kindergartens hinreichend Bestätigung erhalten.

Eine Vier in der Schule drückt keine soziale Anerkennung aus, und selbst eine Eins ist eine nur auf das Individuum bezogene Anerkennung, die gleichzeitig andere kränkt.

 

Zu Punkt 7:
Lernprozesse gelingen am besten, wenn ein befriedigender, möglicherweise sogar inspirierender Gedankenaustausch zum Lernthema stattfindet.

Schon bei jungen hoch begabten Kindern kann man beobachten, wie sie aufblühen, wenn sie adäquate Spiel- und Gesprächspartner finden. Sie brauchen sie von Anfang an. Auch gleichaltrige Kinder sollten darunter sein, denn die Fähigkeit und Lust zur Zusammenarbeit steht und fällt mit den frühen Erfahrungen:

Macht es Sinn, mit den anderen zusammen zu wirken, oder ist das immer wieder nur frustrierend?

Ein gutes Projekt kann Kinder unterschiedlicher Begabungen und Entwicklungsstände gemeinsam zu einem befriedigenden Erfolg führen. Dabei gilt es allerdings, die besonderen Spiel- und Lernbedürfnisse hoch begabter Kinder nicht zu ignorieren, sondern sie zu achten.

Wenn stets große Begabungsunterschiede „überbrückt“ werden sollen, müssen wir uns Folgendes einmal vorstellen:
Ein Erwachsener mit einem IQ von 110 sollte in jeder Situation seines Berufes mit Menschen zurecht kommen und befriedigende Gespräche führen, die in einem Test 30 IQ-Punkte weniger erreichen würden.

Wem das zu abstrakt ist, der stelle sich vor, auf Dauer als 6-jähriges Kind nur 4-Jährige als Spiel- und Lernpartner zur Verfügung zu haben. Wie würde sich das anfühlen? So ähnlich fühlt es sich für ein hoch begabtes Kind an, wenn es in seiner Gruppe kein anderes hoch begabtes Kind trifft.

Den ersten Fall (keine gleichaltrigen Spielgefährten) würden wir in der Kita aus pädagogischen Gründen zu verhindern wissen. Die Isolation des hoch begabten Kindes nehmen wir dagegen als normal und unvermeidlich hin.

In der Schule verschärft sich das Problem der inspirierenden Gespräche und der Zusammenarbeit auf hohem Niveau weiter. Sie werden für das hoch begabte Kind noch seltener.

Wie begeistert waren dann meine Töchter, als sie vor vielen Jahren in der CJD Schule in Braunschweig erstmals in ihrer Schulzeit und dann an dieser Schule auch immer wieder erlebten, dass die intensiven Diskussionen aus dem Unterricht draußen in den Pausen weitergingen, bis es zur nächsten Stunde klingelte. In vielen Schulen kommt das gar nicht vor.

 

Zu Punkt 8:
Lernprozesse gelingen am besten, wenn ein anderer Mensch den Lernprozess durch seine Sachautorität, seine menschliche Autorität und am besten noch durch seine eigene Begeisterung für das Thema unterstützt.

Dieser Mensch kann die Mutter, der Vater, die Oma, der Opa, die Schwester, der Bruder, die Freundin, der Freund, die Spielgefährtin, der Spielgefährte, die Erzieherin, die Lehrerin, der Coach, der Mentor sein.

Sie alle zusammen will ich Mentoren nennen. Jedes hoch begabte Kind braucht einen oder besser mehrere Mentoren.

Im Kindergarten sind wir gut dran. Wir sind nicht durch einen Lehrplan verpflichtet, sondern können interessante Themen der Kinder aufgreifen und Themen und Tätigkeiten einbringen, die uns selbst begeistern. Das heißt, wir können unsere eigene Begeisterung pädagogisch fruchtbar machen.

Was muss ich haben, damit ich ein guter Mentor für hoch begabte Kinder sein kann?

1. Das eigene Lernen macht mir noch (oder wieder) Spaß.
2. Ich habe ein echtes pädagogisches Talent, das heißt, es macht mir immer wieder, auch noch nach 20 Jahren, Freude, mit Kindern auf Entdeckung zu gehen. Es langweilt und nervt mich nicht, sondern die Lebendigkeit und Lernlust der Kinder inspirieren mich. Und die Kinder mögen mich, die meisten jedenfalls, und wollen mir nacheifern.

Das Problem ist:
Alle Erzieherinnen und Lehrerinnen, alle Mütter und Väter sind durch unser Schulsystem gegangen und haben ein mehr oder weniger verqueres und gestörtes Verhältnis zum Lernen daraus mitgenommen. Manche sehen für sich selbst Lernen als Strafe, Neues als Bedrohung und das Herausfordern von geistiger Leistung als Zumutung an.

Das heißt, sie müssen diese eventuellen Altlasten abwerfen, um gute Lehrer von Kindern zu sein.

Bei all den schwierigen, von zu großen Gruppen und Personalmangel bestimmten Arbeitsbedingungen in den Kitas, finde ich es wichtig, dass sich jede engagierte Erzieherin selber den Flow gönnt, dicht an den Gedanken der Kinder zu arbeiten.

Das bedeutet aus meiner Sicht, es als Recht und als berufliche Aufgabe anzusehen, regelmäßig mit wenigen Kindern in Kleingruppen zu wirken. Dieses Recht, sich so intensiv mit den Kindern auseinander zu setzen, sollten wir mit Zähnen und Klauen verteidigen!

Zum Lehrenden, zum Mentor für hoch begabte Kinder eignet sich, wer mit Talent und Begeisterung spielt, lernt und lehrt.

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Nachtrag

Nach einer fachlichen Diskussion über diesen Vortrag war ich angeregt, noch einen Abschnitt hinzuzufügen.

Was nehmen Kinder aus Angeboten mit?

Ein Stuhlkreis-Thema oder ein Angebot, bei dem eine Apfelsine zerschnitten wird, damit die Kinder daran riechen und erfahren können, dass Saft über die Hände läuft, wird einen Teil der Kinder hoffnungslos unterfordern, wogegen es für andere Kinder eine wesentliche Erfahrung ist, bei der sie viel lernen.

Wenn man in einer Kindergartengruppe im Gespräch zusammen trägt, was die Kinder schon über Apfelsinen wissen, kann sich folgendes Bild ergeben:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Manche Kinder verfügen nur über ganz wenig, andere fast über das ganze dargestellte Wissen. Das Angebot kann auch einem Kind Vergnügen machen, das dies alles kennt, weiß und vieles auch schon erfahren hat, aber gefördert wird es dadurch kaum.

Macht es also Sinn, solche Erfahrungen der ganzen Gruppe anzubieten? Die schwächer entwickelten Kinder sind vielleicht mit allen Sinnen dabei und brauchen geraume Zeit, um einige direkte Erfahrungen mit der Apfelsine zu machen.

Für besonders begabte und hoch begabte Kinder könnte dies auch ein (kurzer) Einstieg sein, es muss aber zügig weiter gehen, sie müssen Neues erkennen können, um ihren Wissenshunger zu stillen. Hier kann man sich also weiter außen im Begriffsmodell Apfelsine (siehe Abbildung) bewegen, in den Verästelungen, die zusätzliches Wissen und Verstehen versprechen.
Für diese Kinder ist auch das Diskutieren von Konzepten sinnvoll, wie z.B. gesunde Ernährung oder Transportwege für Lebensmittel oder das fantasievolle Ausdenken von Geschichten über das Leben einer Apfelsine oder das Gestalten eines Bilderbuchs zu einem dieser Themen.
Siehe auch: Kinder schreiben Bilderbücher.  

 

Datum der Veröffentlichung: Sept. 2012 / Dez. 2021
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum

 

Die Übersetzung dieses Beitrags ins Englische
wurde gesponsert von
Dr. Dr. Gert Mittring, Bonn.