– Zur veränderten Rolle der Lehrer / Lehrerinnen –
von Barbara Teeke
„Wenn wir für die Einzigartigkeit jedes Kindes offen sein wollen, müssen wir uns selbst das Recht zugestehen und den Mut haben, einzigartig zu sein.
Wenn wir besonders begabte Kinder erkennen wollen, müssen wir etwas über “Begabungssignale” positiver und negativer Art wissen.
Wenn wir besonders begabte Kinder fördern wollen, müssen wir unsere eigenen kreativ-produktiven Kräfte wecken.
Wenn wir besonders begabte Kinder besser verstehen wollen, sollten wir unsere eigenen Begabungen kennen und uns um deren Entwicklung und Vervollkommnung bemüht haben, sollten unsere Möglichkeiten und Grenzen kennen.
Wenn wir besonders begabte Kinder unterstützen wollen, müssen wir uns fragen, ob wir sicher und stark genug sind, es zuzulassen und zu akzeptieren, dass Kinder z.B. intelligenter und aufnahmefähiger sind, schneller lernen als wir oder in bestimmten Bereichen über erheblich mehr Expertenwissen verfügen, als wir es je vermöchten.“
Quelle: Klaus K. Urban: Methodisch-didaktische Möglichkeiten der (integrativen) schulischen Förderung von besonders begabten Kindern – erschienen in Beispiele, 14 (H. 1) 1996, S. 29-35.
…kurz gefasst…
Dieser Beitrag befasst sich mit Fragen zur rechtzeitigen Einschulung und mit dem geeigneten Zeitpunkt einer Einschulung, mit der Frage, ob ein hoch begabtes Kind auf jeden Fall vorzeitig eingeschult werden soll und ob und wie das Gespräch über eine Hochbegabung mit der Schule gesucht werden sollte.
Es werden einige Maßnahmen zur individuellen Förderung genannt, Qualitätskriterien eines begabungsentwickelten offenen Unterrichts aufgeführt sowie ein eindringlicher Wunsch an Lehrkräfte gerichtet.
Wichtig bei allen Maßnahmen, allen unterstützenden und begleitenden Angeboten ist, die Bedürfnisse und Wünsche des Kindes in Überlegungen und Planungen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen. Dabei ist zu beachten, dass keine allgemeingültigen Aussagen getroffen werden, sondern dass sich vielmehr Überlegungen und Entscheidungen immer auf das einzelne Kind beziehen.
Jedes Kind ist einzigartig und sollte in seiner Einzigartigkeit wahrgenommen und angenommen werden.
Wenn Kinder etwa fünf Jahre alt sind, beginnen Eltern, sich Gedanken um die Einschulung und die Auswahl einer geeigneten Schule für sie zu machen.
Für Eltern hoch begabter Kinder stellt sich diese Frage mitunter noch etwas eher und/oder die Überlegungen, die sie sich machen, gehen in andere Richtungen.
Nach dem Kindergarten ist die Schule ein weiterer Ort, in dem Kinder über mehrere Stunden hinweg mit zunächst fremden Personen zusammen treffen, sich auf diese einstellen müssen und sie näher kennen lernen, von diesen Personen begleitet und ein Stück weit geprägt werden. Dabei kommt meiner Meinung nach der Grundschule eine ganz besondere Rolle und Verantwortung zu. In der Grundschule wird der Grund-Stein für die weitere Schulzeit gelegt. Schon hier werden Weichen dafür gestellt, ob Kinder die Schule, das Lernen auch im Zusammensein mit anderen Kindern als positiv, gewinnbringend, Freude bereitend erleben.
Um einige Gedanken von Eltern aufzugreifen, um Anregungen und Gedankenanstöße für Eltern, aber auch für pädagogische Fachkräfte zu geben, ist in diesem Handbuch ein Kapitel dem Thema Schule gewidmet.
Früheinschulung / rechtzeitige Einschulung
Meiner langjährigen Erfahrung nach machen sich Eltern die Frage nach dem geeigneten Zeitpunkt der Einschulung und der Auswahl der geeigneten Schule nicht leicht.
Im Gegenteil erlebe ich eine zunehmende Verunsicherung, auch im Hinblick auf die Auswahl der Grundschule und dann der weiterführenden Schule, die ich sehr gut nachvollziehen kann, werden hier doch nachhaltige Entscheidungen getroffen, die sehr wichtig für die spätere Zukunft des Kindes sind. Erschwert werden die Schulwahl-Überlegungen der Eltern, weil sie die immer schwierigere Situation des Arbeitsmarktes, die in vielen Familien zu bereits erfahrbarer Belastung geführt hat, zusätzlich unter Druck setzt.
Hinzu kommt noch die nicht zu unterschätzende Frage nach dem sozialen Umfeld, in dem das Kind aufwächst, in dem das Kind möglichst seine weitere Zeit verbringen soll, sowie die Entscheidungen der Freunde und Spielpartner, die die eigene Entscheidung des Kindes mit beeinflusst.
Die Überlegung, ob ein Kind möglicherweise zu einem früheren als dem regulären Termin eingeschult werden soll, ergibt sich häufig dann, wenn
- das Kind häufig und vehement den Wunsch äußert, nun doch unbedingt in die Schule gehen zu wollen und nicht noch weiter in den Kindergarten.
- das Kind eine länger anhaltende starke Unlust oder sogar Verweigerungshaltung dem Kindergarten gegenüber zeigt.
- die Eltern bemerken, dass ihr Kind über höhere und umfangreichere Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügt als andere gleichaltrige Kinder.
- das eigene Kind bereits ein großes Interesse für Buchstaben und Zahlen entwickelt hat und darin über ein gewisses Maß an Kompetenz verfügt.
- das Kind bereits lesen kann und/oder über eine auffallende mathematische Denkfähigkeit verfügt.
- das Kind bei einer pädagogisch- psychologisch durchgeführten Testung sehr hohe Werte erzielte und die begleitenden Beobachtungen den Schluss zulassen, dass eine Einschulung für das Kind genau das Richtige ist, damit es seine Freude an Herausforderungen und am Lernen-wollen aufrecht erhalten kann.
- die pädagogischen Fachkräfte des Kindergartens, den das Kind besucht, zu der Überzeugung gelangt sind, dass die Förderung von Seiten des Kindergartens für dieses Kind nicht mehr ausreicht.
- die pädagogischen Fachkräfte des Kindergartens den Eltern im Gespräch mitteilen, dass sie der Meinung sind, dass eine Einschulung zum nächstmöglichen Termin für die weitere Entwicklung des Kindes sinnvoll sei.
- alle bisherigen Kontakt- und Spielpartner des Kindes in die Schule gehen UND das Kind absehbar keine neuen adäquaten Kontakte im Kindergarten aufbauen kann UND wenn es über die Schulreife verfügt.
Hochbegabt = Einschulung???
Sollte ein Kind im Alter von 4 oder 5 Jahren getestet worden sein und bei dieser Testung hohe Werte erzielt haben, ergibt sich daraus nicht zwangsläufig die Konsequenz einer schnellstmöglichen Einschulung. Hier muss vielmehr ganz individuell für dieses einzelne Kind überlegt werden, welche Maßnahme für es die geeignete ist.
Dies möchte ich hier anhand eines Beispiels erläutern:
Paul (Name wurde geändert) wurde im Oktober geboren und kam mit 3;10 Jahren in den Kindergarten. Seine reguläre Kindergartenzeit betrug zu diesem Zeitpunkt voraussichtlich drei Jahre, wenn er mit 6;9 Jahren die Schule besuchen würde.
In den ersten beiden Kindergartenjahren hatte Paul keinen Freund und keine Freundin in seinem Kindergarten. Er wurde während dieser Zeit niemals zu Geburtstagen eingeladen. Mit gleichaltrigen oder jüngeren Kindern gestaltete sich der Umgang eher schwierig.
Völlig unproblematische und sehr positive Kontakte hatte er dagegen zu Kindern, die zwei bis vier Jahre älter waren. Zu den Kindern im Kindergarten wollte Paul schon ganz gerne Kontakte haben. Diese suchte – und fand er, indem er sie ärgerte und verbal provozierte. Dies machte er so lange, bis es den Kindern reichte, sie sich körperlich gegen ihn zu Wehr setzten und manchmal zu dritt auf ihn einschlugen.
Dennoch ging Paul nicht ungern in den Kindergarten, wobei ihm seine Eltern zwischendurch auch “Auszeittage“ zubilligten.
Paul hatte einen sehr guten Kontakt zu seiner Gruppenleiterin im Kindergarten. Diese setzte sich mit ihm zusammen, las ihm vor, machte schwierige Puzzles oder spielte Schach mit ihm.
Für Paul stand fest, dass er erst mit fast 7 Jahren in die Schule gehen würde. Da ließ er sich auch auf keine Diskussion ein.
Im letzten Drittel des zweiten Kindergartenjahres fand Paul nach und nach einen ständig wachsenden und sich vertiefenden Kontakt zu zwei Jungen aus seiner Gruppe. Von da an traf er sich mit ihnen nachmittags zum Spielen, wurde zu Geburtstagsfeiern eingeladen und feierte erstmalig mit Kindern seinen eigenen Geburtstag. Einer der beiden Jungen war älter und verließ den Kindergarten zur Einschulung. Der andere Junge war im gleichen Alter wie Paul und blieb folglich noch das letzte Kindergartenjahr mit ihm zusammen.
Für Paul war es sehr wichtig, dass er dieses letzte Jahr noch im Kindergarten verblieb, obwohl er bei der Testung mit 5 ½ Jahren einen IQ-Wert von 145 erlangte.
Er machte in diesem letzten Kindergartenjahr die Erfahrung, was es heißt, einen Freund zu haben, mit dem er im Kindergarten spielen und sich nachmittags verabreden konnte. Eine Einschulung vor dem regulären Termin hätte ihm diese wichtige Erfahrung genommen.
Dies ist nur ein Beispiel dafür, genau hinzuschauen und die Wünsche des Kindes zu ermitteln – wie auch seine tatsächlichen Bedürfnisse.
An dieser Stelle sei aber ausdrücklich davor gewarnt, eine vordergründig mangelhafte Sozialkompetenz als alleinigen Grund gegen eine Einschulung anzuführen.
Ich erlebe immer wieder bei Familienwochenenden mit Eltern und ihren hoch begabten Kindern oder in Gruppen, in denen hoch begabte Kinder zusammen kommen, dass Sozialverhalten oder sogar ein schlechtes oder gar fehlendes Sozialverhalten auf einmal gar kein Thema mehr ist. Hier empfiehlt es sich sehr, genau hinzuschauen und die Gründe für dieses “mangelnde Sozialverhalten“ zu ergründen. Kommen hoch begabte Kinder in eine Gruppe älterer Kinder oder in eine Gruppe ähnlich befähigter Kinder, so ist ihr Sozialverhalten durchaus angemessen und bietet keinen Anlass mehr zur Beunruhigung oder Kritik.
Natürlich gibt es auch hoch begabte Kinder, die bis zur regulären Einschulung die Zeit im Kindergarten noch sehr gut nutzen können, um ihre Kompetenzen im sozialen, emotionalen oder auch in anderen Bereichen zu vertiefen – wie das geschilderte Beispiel von Paul ja auch zeigte. Voraussetzung dafür ist, dass die Fachkräfte im Kindergarten auch hinsichtlich der Begleitung und Förderung hoch begabter Kinder geschult und motiviert sind und sich das Kind dort angenommen und wohl fühlt.
Aber ich möchte nochmals darauf hinweisen wie wichtig es ist, genau hinzuschauen und nicht ein angeblich mangelhaftes Sozialverhalten als Indiz gegen eine Einschulung anzuführen.
Wann kann ein Kind eingeschult werden?
Lassen Sie uns an dieser Stelle zunächst einen Blick auf die Ausführungen des Schulministeriums werfen (www.schulministerium.nrw.de vom 17.12.07.)
„Nach dem Willen der Landesregierung sollen Kinder zukünftig früher eingeschult werden als das bisher der Fall ist. Eine Änderung des Einschulungsalters wird selbstverständlich behutsam – das heißt in mehreren Schritten, die über mehrere Jahre verteilt sind – erfolgen.
Die frühere Einschulung soll dazu beitragen, dass Lernbereitschaft und kindliche Neugier rechtzeitig für schulisches Lernen genutzt wird- gerade und zum Vorteil der Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern.“
An dieser Stelle möchte ich ergänzen, dass dieses rechtzeitige Nutzen der Lernbereitschaft und kindlichen Neugier gerade auch den hoch begabten Kindern zugutekommt und dieses Wort „rechtzeitig“ Eltern hoch begabter Kinder die Möglichkeit eröffnet, in einen offenen Dialog mit der zukünftigen Schule zu treten.
Weiter heißt es:
„Ziel ist, dass Kinder, die im Kalenderjahr das sechste Lebensjahr vollenden, im Sommer des Jahres eingeschult werden. Den Kindern, die noch nicht voll schulfähig sind, wird eine besondere Förderung ermöglicht. Weiterhin ist vorgesehen, dass Eltern, deren Kinder im letzten Quartal des Jahres geboren wurden, entscheiden können, ob ihr Kind erst ein Jahr später in die Schule gehen soll.
Das Schulgesetz sieht vor, dass der Stichtag für das Einschulungsalter in Monatsschritten innerhalb von sieben Jahren vom 30. Juni auf den 31. Dezember vorverlegt wird. Diese Vorverlegung begann mit dem Schuljahr 2007/2008.
In den folgenden Jahren gelten folgende Stichtage:
zum Schuljahr 2007/2008 und zum Schuljahr 2008/2009 der 31. Juli
zum Schuljahr 2009/2010 und zum Schuljahr 2010/2011 der 31. August
zum Schuljahr 2011/2012 der 30. September
zum Schuljahr 2012/2013 der 31. Oktober
zum Schuljahr 2013/2014 der 30. November
zum Schuljahr 2014/2015 der 31. Dezember
Die Anmeldung erfolgt formlos direkt in der jeweiligen Schule und zu den vom Schulträger festgesetzten Terminen. Diese können bei der Grundschule erfragt oder der örtlichen Presse entnommen werden.
Eine vorzeitige Einschulung ist auf Antrag der Eltern darüber hinaus auch für Kinder möglich, die ihr sechstes Lebensjahr später vollenden.
Eltern, die ihre Kinder vor Vollendung des sechsten Lebensjahres einschulen wollen, können einen formlosen Antrag an die Grundschule richten.
Die Schulleitung entscheidet nach eingehender Beratung mit den Eltern über die Aufnahme des Kindes. Als Entscheidungshilfe kann die Schulleitung ein schulärztliches oder im Einzelfall auch ein schulpsychologisches Gutachten heranziehen. Als Orientierung kann auch das Schulfähigkeitsprofil dienen.
Eine Aufnahme ist immer dann möglich, wenn erwartet werden kann, dass das Kind erfolgreich in der Schule mitarbeiten wird. Eine Altersbegrenzung nach unten besteht dabei in Nordrhein-Westfalen nicht.“
(www.schulministerium.nrw.de /17.12.07)
Auch für Eltern von hoch begabten Kindern, die sich mit ebendiesem Gedanken einer – wie es hier heißt – vorzeitigen Einschulung tragen, sind in diesem letzten Absatz bedeutende Hinweise gegeben.
Zunächst einmal wird hier ganz klar auf die Möglichkeit einer früheren Einschulung hingewiesen.
Anstatt einen formlosen Antrag an die Schule zu stellen empfehle ich, einen Termin mit der Schulleitung zu einem persönlichen Gespräch zu vereinbaren. In einer Schule habe ich es in zwei Fällen erlebt, dass die Schulleitung zu diesem Gespräch ebenfalls die potenziellen zukünftigen Klassenlehrer und –lehrerinnen eingeladen hatte. Dies habe ich als besonders positiv empfunden, weil Eltern hier die Möglichkeit haben, alle möglichen Beteiligten, die mit ihrem Kind in Zukunft zusammenwirken werden, kennen zu lernen. Sie haben die Möglichkeit, den Lehrkräften ein entsprechendes Bild ihres Kindes zu vermitteln und gemeinsam mit ihnen Fördermaßnahmen zu überlegen.
Die Lehrkräfte haben ihrerseits die Möglichkeit, sich ein Bild von den Eltern und indirekt vom Kind zu machen, direkte Fragen an die Eltern zu stellen und abzuwägen, ob dieses Kind in ihrer Klasse gut aufgehoben sein wird.
Die Entscheidung, ob das Kind in die Schule aufgenommen wird, liegt im Grunde genommen einzig bei der Schulleitung. Alle anderen aufgeführten Mittel werden hinzu gezogen, letztendlich liegt die Entscheidung aber bei der Schulleitung. Auch eine ablehnende schulärztliche Bescheinigung muss für die Schulleitung nicht bindend sein. In der Regel (oder im besten Fall) macht sich die Schulleitung im Einzelkontakt ein eigenes Bild vom Kind.
Mir sind Kinder bekannt, die sich bei der schulärztlichen Untersuchung verweigerten, weil ihnen die Aufgaben zu “blöd und baby“ waren oder weil die Ärztin oder der Arzt in keiner Weise angemessen auf das Kind eingegangen ist. Diesen Kindern wird dann unkooperatives Verhalten bescheinigt, was gegen eine Einschulung und gegen einen guten Verlauf der Schulzeit spreche.
Im Einzelkontakt mit dem Kind hat die Schulleitung die Möglichkeit, sich ein eigenes und dem Einzelfall entsprechendes Bild von dem Kind zu machen und somit zu einer eigenen Entscheidung zu kommen.
Mitunter empfehlen Schulleiter Eltern die Durchführung einer entsprechenden Diagnostik. Eine fundiert durchgeführte, mehrdimensionale Förderdiagnostik hilft dann der Schulleitung und den Lehrkräften, sich ein Bild von den Stärken und den Noch-nicht-Stärken des Kindes zu machen und es sehr gezielt zu fördern und ihm entsprechend zu begegnen. Siehe hierzu auch
Begabungsdiagnostik – Was ist das?
Standards für die Durchführung diagnostischer Testverfahren
Mögliche Gründe für die Durchführung einer Begabungsdiagnostik
Gedanken, Sorgen, Ängste von Eltern und pädagogischen Fachkräften im Zusammenhang mit einer Testung
Wichtig ist ebenfalls der Hinweis, dass eine Altersbegrenzung nach unten in NRW nicht besteht. Mitunter erlebe ich, dass Eltern pauschal gesagt bekommen, dass Kinder unter 6 an dieser oder jener Schule nicht aufgenommen werden. Natürlich liegt es immer im Ermessen der Schulleitung und ist sicherlich auf deren Anschauung und gemachte Erfahrungen gegründet. Manchmal sind es aber auch ganz pragmatische Gründe – wie z.B. bereits ausgelastete Klassenstärken, keine vorhandene Lehrkraft, die sich mit dieser Thematik auskennt, oder schwierige Schülerkonstellationen -, die gegen eine Einschulung zu diesem frühen Zeitpunkt in dieser Schule sprechen.
In dem oben zitierten Text heißt es, dass eine Aufnahme immer dann möglich ist, wenn erwartet werden kann, dass das Kind in der Lage ist, erfolgreich mitzuarbeiten.
Aus dieser offenen Formulierung lässt sich der Schluss ziehen, dass eine Einschulung nicht nur nach den Sommerferien erfolgen kann, sondern dass es auch möglich ist, ein Kind im laufenden Schuljahr einzuschulen. Eine Vielzahl solch erfolgreicher Einschulungen konnte ich erleben.
Erfolgreich sind sie allerdings nur dann, wenn bestimmte Punkte berücksichtigt werden:
- Es ist der ausdrückliche Wunsch des Kindes, die Schule zu besuchen.
- Es erfolgt eine persönliche Kontaktaufnahme der Eltern zur Schulleitung.
- Die Schulleitung macht sich ein umfassendes Bild von dem Kind und gelangt zu der Überzeugung, dass das Kind für eine Einschulung geeignet und in ihrer Schule gut aufgehoben ist und entsprechend gefördert werden kann.
- In einem ersten Gespräch zwischen Eltern und Schulleitung werden Fragen, Wünsche, Stärken und Noch-nicht-Stärken, Bedürfnisse des Kindes, aber auch die Erwartungen und Wünsche der Schulleitung sowie der Eltern abgeklärt.
- Dieses Gespräch wird ebenfalls unter Hinzuziehung der Klassenlehrerin/des Klassenlehrers sowie der pädagogischen Fachkräfte des Kindergartens, den das Kind noch besucht, geführt.
- Im besten Fall arbeiten Kindergarten und Grundschule zusammen, um einen optimalen Übergang für das Kind zu gewährleisten.
- Das Kind darf eine gewisse Zeit die Schule besuchen, um zu sehen, ob die Vorstellungen, die es über Schule hat, auch der Realität entsprechen, um die Klasse kennen zu lernen und zu erfahren, ob es sich dort wohl fühlt. Gleichzeitig haben die Lehrkräfte somit die Möglichkeit, das Kind näher kennen zu lernen und abzuschätzen, ob es in ihrer Klasse gut aufgehoben ist. Sein Platz ist nach wie vor zunächst noch der Kindergarten.
- Dies ist wichtig, damit das Kind weiß, dass es jederzeit einen Ort vorfindet, an dem es bleiben kann.
- Die Dauer der Hospitation wurde mit allen Beteiligten und somit auch mit dem Kind vereinbart.
- Mit dem Kind wurde im Vorfeld abgesprochen, dass es jederzeit sagen kann, dass es doch lieber im Kindergarten bleiben möchte. Eine Entscheidung für den Kindergarten und gegen die Einschulung wird nicht als Misslingen gewertet.
- Die Kinder der aufnehmenden Schule werden auf das neue Kind vorbereitet. Ein oder zwei Schulkinder erklären sich freiwillig bereit, das Kind als Paten zu begleiten.
- Schule, Kindergarten und Eltern stehen im ständigen Kontakt.
- Nach der Hospitation setzen sich alle Beteiligten zusammen und tauschen sich über die Hospitation sowie über den weiteren Verlauf aus.
- Fällt die Entscheidung für die Schule, dann ist es empfehlenswert, den Schulbesuch sogleich fortzusetzen. Überlegt werden sollte, ob das Kind noch in seiner Kindergartengruppe Abschied feiern möchte. Dies ist sicherlich von der Qualität der Kontakte des Kindes zu dem Kindergarten sowie von seiner Haltung dem Kindergarten gegenüber abhängig. Auch der erste offizielle Schultag kann mit einer kleinen Feierlichkeit und einer Schultüte begangen werden – vorausgesetzt, dass dies von dem Kind gewünscht ist.
Sage ich es der Schule – und wie?
Die Frage, ob Eltern eine erkannte Hochbegabung an die Lehrkräfte herantragen sollten, wird sehr häufig von Eltern gestellt.
Auch hierfür gibt es kein Rezept, gibt es keine allgemeingültige Antwort. Ausschlaggebend hierfür ist die Einstellung und Haltung der Eltern zu diesem Thema. Ich halte es für fatal, Eltern, die noch sehr unsicher dem Thema Hochbegabung gegenüberstehen, die unsicher und zweifelnd sind, ob sie es denn nun den Lehrkräften in der Schule mitteilen sollen, aufzuerlegen, unbedingt die Hochbegabung ihres Kindes anzusprechen. Dies wäre aufgezwungen und wäre in der Durchführung eher kontraproduktiv.
Zwei Aussagen möchte ich allerdings zur Überlegung anbieten:
1.
Eine Schule, die das Thema Hochbegabung abblockt, ist nicht die geeignete Schule für mein Kind.
Damit ich herausfinde, welche Haltung die Schulleitung – und im besten Fall auch die Lehrkräfte haben – muss ich das Gespräch suchen. Hier ist es aus meiner Sicht empfehlenswert, Gesprächstermine mit den in Frage kommenden Schulen zu vereinbaren, um zu erfahren, wie diese Schule dem Thema gegenüber steht, welche Angebote es in der Begabtenförderung gibt und welches die Konzeption auch für diese Kinder ist.
Von Vorteil ist dabei, wenn mehrere Schulen zur Auswahl stehen. Nehmen Sie – wenn es ihre häusliche, familiäre und berufliche Situation zulässt – nicht immer und unbedingt die ortsnahe Schule.
Das Argument, dass das Kind ja dadurch seine Kontakte aus dem Kindergarten fortführen kann, zählt nur dann, wenn das Kind wichtige und beständige Freundschaften aufgebaut hat, die es selbst unbedingt weiter in der Schule fortsetzen möchte. Mitunter kann es aber auch von großem Vorteil sein, einen Neuanfang zu starten in einer Klasse, in der das Kind noch niemanden kennt – und in der es von niemandem gekannt wird.
Darüber hinaus schließen Kinder sehr rasch neue Kontakte und eine positiv erlebte Schulzeit wird eher in einer förderlichen Umgebung erlebt.
2.
Ich möchte Lehrkräften die Gelegenheit geben, meinem Kind entsprechend zu begegnen.
Dazu ist es erforderlich, dass die Lehrkraft über die Fähigkeiten und Fertigkeiten des Kindes informiert ist. Es ist kein fairer Zug, wenn ich erst einmal zuwarte, ob die Lehrkraft es vielleicht selbst herausfindet und wenn sie es dann nicht tut, kann ich ja immer noch mit ihr sprechen. Die Krux an dieser Sache ist, dass dann das Gespräch gesucht wird, wenn schon einiges schief gelaufen ist. Dann müssen Meinungen revidiert, Vorurteile und Missverständnisse abgebaut werden, was mitunter viel schwieriger sein kann als ein offenes Gespräch zu Beginn.
Mitunter erlebe ich Fachkräfte aus Kindertageseinrichtungen oder Schulen, die sagen, dass sie ja ganz anders auf dieses Kind hätten eingehen können, dass sie sich informiert und weiter gebildet hätten, wenn sie etwas von seiner Hochbegabung gewusst hätten. Diese Gelegenheit möchte ich den Lehrkräften geben, was darüber hinaus beinhaltet, dass von Anfang an ein offener Dialog gestartet werden kann.
Beispiel Paul – Fortsetzung
Paul (siehe oben) kam in die Grundschule. Im Vorfeld gab es zwei Gespräche mit der Schulleitung und seinem zukünftigen Klassenlehrer. Beide waren vor der Einschulung über Pauls Hochbegabung informiert und zeigten sich sehr interessiert und offen. Paul entwickelte dann auch eine sehr gute Beziehung zu seinem Klassenlehrer, die auf Gegenseitigkeit beruhte. Einzig schwierig gestaltete sich der Umgang mit den übrigen Kindern in seiner Klasse sowie in der Schule. Hier gab es sehr viele verbale Auseinandersetzungen, die mitunter auch in Handgreiflichkeiten endeten. In der vierten Klasse kam ein Junge neu dazu, der ebenfalls als hoch begabt getestet worden war. Dieser Junge zeigte ein sehr negativ auffallendes Sozialverhalten und hatte massive und zunehmende Auseinandersetzungen mit seinen Mitschülern und auch mit den Lehrkräften.
Besonders mit Paul rasselte dieser Junge immer wieder zusammen. Paul ging seinerseits keiner Auseinandersetzung aus dem Weg. Paul sagte, dass er niemals feige weglaufen würde. So ließ sich Paul auf jede Diskussion ein, auf jede verbale und auf jede körperliche Auseinandersetzung mit diesem Jungen und mit jedem anderen Kind, bei dem sich die Gelegenheit bot. Dennoch waren alle Lehrer und auch die Schulleitung Paul gegenüber sehr wohlgesonnen, weil er auch mit ihnen in eine angeregte Diskussion ging, sein Verhalten begründete und weil er sehr offen, ehrlich und “klar“ war. In seiner Klasse hatte er von Anfang an zwei sehr gute Freunde, mit denen er sich auch nachmittags traf, von denen der Eine ebenfalls hoch begabt ist und der Andere über besonders hohe Fähigkeiten im mathematischen Bereich verfügt.
Paul wurde von den Lehrkräften aus der Grundschule entlassen in der Hoffnung, dass er einen guten Weg einschlagen und gehen kann.
Paul suchte sich als weiterführende Schule ein bestimmtes Gymnasium aus, in das er mit seinen beiden Freunden aus der Grundschule wechselte.
Hier kam er in eine Klasse mit überdurchschnittlich vielen hoch begabten und leistungsstarken und –willigen Kindern (bei einer Klassenstärke von 26 Kindern waren der Mutter 5 hoch begabte Jungen sowie zwei Mädchen bekannt). Wichtig ist hier zu erwähnen, dass diese Klasse zufällig zusammengesetzt wurde und keine Klasse mit dem Schwerpunkt Hochbegabung war.
Von der ersten Woche an war Paul in dieser Klasse voll integriert, hatte gleich eine Gruppe von acht engeren Freunden und weiteren lockeren Kontakten. Ein auffälliges negatives oder problematisches Sozialverhalten war zu keinem Zeitpunkt mehr Thema.
Pauls Mutter hatte bezüglich seiner Hochbegabung kein erklärendes Gespräch mit der Schulleitung und den Lehrkräften des Gymnasiums gesucht.
Erweist sich das Führen eines Gespräches im Kindergarten und in der Grundschule als sehr sinnvoll, (immer vorausgesetzt, dass die Rahmenbedingungen zur Führung eines offenen und konstruktiven Gesprächs gegeben sind) so zeigt die Erfahrung, dass in den weiterführenden Schulen das Führen eines solchen Gesprächs von der Bedeutung her eher abnimmt. Ob in weiterführenden Schulen solch ein Gespräch geführt wird, ist sicherlich von der Disposition des Kindes sowie von der Konzeption und den Fördermaßnahmen der Schule abhängig. Suchen sich Eltern beispielsweise eine Schule mit einem ganz speziellen Angebot für hoch begabte Kinder aus, werden sie sicherlich das Gespräch mit der Schulleitung suchen, zumal dann, wenn eine besondere Begabung zu den Aufnahmekriterien der Schule gehört.
In Regelschulen sollten Eltern eher individuell entscheiden, ob sie das Gespräch mit der Schulleitung oder dem Klassenlehrer/der Klassenlehrerin suchen. Oftmals zeigt es sich, dass Kinder, die, wie am Beispiel Paul gezeigt, in eine sehr leistungsstarke Klasse kommen, Herausforderungen sowie adäquate Kontakte erfahren, so dass es keinen Handlungsbedarf gibt und somit kein Gespräch nötig ist. Aber auch dies kann nicht allgemeingültig gesagt, sondern muss von Kind zu Kind abgewogen werden.
Ein Wunsch/eine Bitte an die Lehrkräfte in Grundschulen
Mit wenigen Ausnahmen freut sich jedes Kind auf die Schule.
Es hat in der Regel mehrere Jahre im Kindergarten verbracht, hat dort einen Spannungsbogen erlebt und wurde auf den Abschied und den Neustart in der Schule vorbereitet. Auch in seiner Familie erlebt es, dass seine Eltern der Einschulung schon gespannt entgegen sehen. Es hat Erwartungen und Vorstellungen an die Schule und fiebert dem ersten Schultag ebenfalls entgegen.
Dann ist es soweit. Es kommt in die Schule und erlebt dort –
die Fortsetzung des Kindergartens. Es wird auch hier „mein rechter, rechter Platz ist frei“ gespielt. Es wird gesungen, vorgelesen, es werden Bilder und Mandalas gemalt – und das Kind bemerkt, dass es sich unter Schule etwas ganz anderes vorgestellt hatte.
Beispiel „Ich kündige!“
Ein hoch begabter Junge kommt endlich in die Schule. Er hatte sich im Kindergarten viel gelangweilt, nun rennt er in die Schule – mit großen Erwartungen, was das Lernen betrifft. Er ist bei der Einschulung 5 Jahre und 9 Monate alt.
Er kann fließend Bücher lesen und rechnet wie ein Drittklässler. Nach dem ersten Schultag fragt ihn die Mutter: „Wie war´s, was habt ihr gemacht?“ Der Fünfjährige erzählt: „Wir haben das O gelernt und dann haben wir noch ein schönes Blatt zum Ausmalen bekommen. Und dann habe ich die Lehrerin gefragt, was wir dann morgen machen. Ja, morgen würden wir dann überlegen, welche Wörter mit O anfangen. Und sie hätte auch noch ein schönes Blatt zum Ausmalen. Da habe ich dann gesagt: Ich kündige.“
Der Fünfjährige überblickt die Situation: er passt auch da nicht hin, für ihn gibt es wieder nichts zu Lernen. Nur leider, die Freiheit zu kündigen, hat er nicht. Statt dessen liegt eine lange Zeit der Frustration vor ihm.
(aufgeschrieben von Hanna Vock)
Daher meine große Bitte an die Lehrkräfte in Grundschulen:
Nutzen Sie die Freude, die Begeisterung, die Neugier der Kinder auf die Schule, nutzen Sie den Lerneifer aus. Machen Sie sich auf die Suche nach Kennenlernspielen, die das Kind noch nicht im Kindergarten gespielt hat. Geben Sie vom allerersten Schultag an Hausaufgaben auf, die nicht aus einem “Bildchenmalen“ bestehen sondern auf die Erwartungen der Kinder bezüglich Schule eingehen. Kinder erwarten, dass sie in der Schule lesen, schreiben und rechnen lernen.
Lernen Sie am ersten Schultag bereits einen Buchstaben mit dem Kind und geben Sie dazu etwas als Hausaufgabe auf. Sie werden erleben, dass das Kind stolz zu seinen Eltern läuft und ihnen berichtet, was es nun tun muss.
Dies funktioniert allerdings nur bei den Kindern, die noch nicht lesen oder schreiben können. Versuchen Sie, wenn möglich bereits im Vorfeld, zu ergründen, welche Kinder schon über diese Kompetenzen verfügen. Halten Sie für diese Kinder ein Blatt bereit, dass für sie eine Herausforderung darstellt und an die bereits vorhandenen Fähigkeiten anknüpft. Haben Sie keine Angst davor, möglicherweise doch nicht das Richtige für dieses einzelne Kind ausgewählt zu haben. Für dieses Kind ist alles besser als das Malen eines Bildchens.
ABER: sprechen Sie ganz offen mit diesem Kind. Sagen Sie ihm, dass es ja schon lesen oder schreiben kann (oder dass es ja schon einige Buchstaben kennt) und dass in ihrer Klasse jedes Kind seine zu ihm passenden Aufgaben bekommt. Da sie dieses Kind aber noch nicht kennen, müssen Sie sich nun erst einmal einander annähern. Daher soll es einmal diese Aufgaben versuchen und Ihnen dann am morgigen Tag mitteilen, wie es damit zurande kam.
Sie werden erleben, dass sie die geballte Aufmerksamkeit des Kindes erzielen, dass dieses Kind in einen offenen Dialog mit Ihnen treten wird und Sie eine spannende und interessante Schulzeit gemeinsam verbringen werden.
Grundlage dafür ist eine offene, annehmende und wertschätzende Atmosphäre in der Klasse, in der jedes Kind zu seinen Stärken und Noch-nicht-Stärken stehen kann, in der jedes Kind seinen Begabungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten entsprechend wahrgenommen und gefördert wird.
Probieren Sie es aus. Sie werden (hoffentlich) erleben, dass es gar nicht so viel Mühe macht, wie Sie vielleicht zunächst denken. Sie brauchen nur: Phantasie und Kreativität.
Lassen sie mich hier ein Beispiel schildern, das ich selbst erfahren durfte:
Irgendwann stand in der Grundschule, in der ich dies erlebt habe, das Thema „Zeit“ auf dem Lehrplan.
Da gab es Kinder in der Klasse, denen die Handhabung einer Uhr noch gänzlich unbekannt war. Diese Kinder haben damit begonnen, sich in Kleingruppen eine Uhr anzuschauen. Wie ist so eine Uhr aufgebaut, was gehört zu einer Uhr, usw.
Dann gab es Kinder, die diese Kompetenzen bereits hatten, die wussten, dass anhand eines großen und eines kleinen Zeigers die Uhrzeit abgelesen werden kann und dass Zahlen und Unterteilungen das Ablesen vereinfachen. Sie wussten auch, wie spät es ist, wenn der große Zeigen auf der 12 und der kleine Zeiger auf der 9 stehen. Aber die Zwischenschritte beherrschten sie noch nicht, so dass für diese Kinder – wiederum in einer Kleingruppe – hier das Lernen begann.
Und es gab Kinder, die das Ablesen der Uhr sicher beherrschten. Diese Kinder bekamen die Aufgabe, in Büchern und im Internet nachzusehen, welche Uhren es denn noch gibt. Da gibt es beispielsweise Sonnenuhren, Sanduhren, Wasseruhren oder Feueruhren. Hierzu sollten die Kinder eine Mappe anfertigen und in einer der nächsten Stunden über diese Uhren berichten.
Somit hatte der Lehrer es geschafft, alle Kinder an diesem Thema zu beteiligen, ohne dass sich Kinder überfordert fühlten und abschalteten oder störten und andere Kinder das gleiche Verhalten an den Tag legten, weil sie sich schrecklich langweilten. Das Einzige, was dieser Lehrer tun musste war, das Thema im Vorfeld aufzubereiten, Material zu besorgen und bereit zu halten, Lerngruppen einzuteilen und als Ansprechpartner zu fungieren.
Dies ist nur ein Beispiel für unzählig viele weitere Themen und Lerninhalte, die alle in einer ähnlichen Form durchgeführt werden können.
Ergänzend vielleicht: Es handelte sich bei dieser Schule um eine Schule mit einem problematischen Einzugsgebiet und einem mittelhohen Ausländeranteil.
Weitere Maßnahmen zur individuellen Förderung
Verkürzen der Schulzeit
Das NRW-Schulministerium erklärt dazu unter www.chancen-nrw.de (März 2006):
„Die Rahmenbedingungen der Schule ermöglichen Kindern ihrer Auffassungsgabe und ihrem Lerntempo folgend die Schule früher zu beginnen oder die Schulzeit verkürzen, indem Klassen übersprungen werden.“
Manchmal kann das Überspringen eine sinnvolle Hilfe für ein Kind sein. Aber Sie sehen auch schon an dieser Formulierung, dass hier wieder individuell für das einzelne Kind entschieden werden muss.
In vielen Schulen wird bereits jahrgangsübergreifend unterrichtet. Hier werden die erste und die zweite Klasse, in manchen Schulen bereits alle vier Grundschulklassen zusammengeführt und gemeinsam unterrichtet. Dies kann Kindern auch ermöglichen, die Grundschule schneller zu durchlaufen.
In den Schulen, in denen dies noch nicht der Fall ist, sollten die vorhandenen Kompetenzen des Kindes genau berücksichtigt werden. Nichts ist schlimmer für ein Kind, als sich jeden Vormittag in der Schule zu langweilen, weil ihm die Inhalte bereits bekannt sind, weil Unterrichtsstoff häufig wiederholt und mehrfach erklärt wird.
Erfahrungen zeigen, dass hoch begabte Kinder sehr rasch die noch fehlenden Unterrichtsinhalte aufholen können, nachdem sie eine Klasse übersprungen haben. Voraussetzung hierfür ist, dass
- es der Wunsch des Kindes ist, die Klasse zu überspringen,
- sich das Kind mit seinen intellektuellen Voraussetzungen im oberen Bereich der aufnehmenden Klasse befindet,
- es die Kinder der neuen Klasse zur Probe kennen lernen kann,
- das Überspringen von der Schulleitung und der aufnehmenden Lehrkraft sowie den Eltern selbst als positiv gesehen und mitgetragen wird,
- das Kind intrinsisch motiviert, lernfreudig und lernbereit ist.
Auch der Zeitpunkt für ein Springen sollte nicht allgemeingültig festgelegt werden, sondern vom Kind abhängig sein in Absprache mit den Lehrkräften.
Die Erfahrung zeigt, dass ein Überspringen nicht die Lösung aller vorhandenen Probleme darstellt. Mitunter bedeutet es lediglich einen Aufschub, bis das Kind auch in der neuen Klasse wiederum Anzeichen von Unterforderung zeigt. Daher ist eine individuelle, differenzierte und herausfordernde Förderung in der ursprünglichen Klasse immer vorzuziehen.
Anreicherung der Lernumwelt (Enrichment)
Das NRW-Schulministerium erklärt dazu unter www.chancen-nrw.de (März 2006):
„Um individuellen Lernfortschritt besser anregen und unterstützen zu können, werden in Unterricht und Schulleben ergänzende, erweiternde Angebote gemacht, die bei individuellen Aufgabenstellungen beginnen und bis zu schulischen Förderangeboten reichen, die im Schulprogramm verankert sind. Dazu zählen insbesondere auch Schüleruniversitäten und z.B. Austauschprogramme.“
(März 2006)
Als Beispiele für eine Anreicherung seien hier genannt
- die Anregung des Kindes, Aufgaben mit einem erhöhten Schwierigkeitsgrad zu bearbeiten – bei gleichzeitigem Wegfall mechanischer Übungen (immer vorausgesetzt, dass das Kind über diese Kompetenzen verfügt),
- die Betreuung von Langzeit-Beobachtungen und -Tätigkeiten (beispielsweise Experimente, Wetterbeobachtung, Geschichtenbuch, …),
- die Übernahme von Verantwortung und Führungsaufgaben,
- die zeitweilige Teilnahme am Unterricht in höheren Klassen in ausgewählten Fächern oder
- die Teilnahme an Förderkursen.
Dies sind nur wenige Beispiele, die jedoch zeigen, dass mit einem geringen Aufwand, jedoch mit Phantasie und Kreativität der Lehrkräfte, das Lernen für besonders begabte und motivierte Schüler so angereichert werden kann, dass der Unterricht für auch für sie einen Gewinn bedeutet.
Wichtig hierbei ist jedoch, dass nicht nur ein einzelnes Kind hervorgehoben wird, dass nicht nur ein Kind besondere Aufgaben erhält. Dies würden die Kinder sehr schnell bemerken und sich dann eher zurückziehen, weil sie oftmals gerade nicht auffallen möchten, ihre besonderen Fähigkeiten gerade nicht noch mehr im Vordergrund stehen sollen.
Daher ist es sinnvoll, innerhalb der Klasse homogene Lerngruppen einzurichten, in denen die Kinder sich ihren Fähigkeiten entsprechend einbringen können.
An dieser Stelle mag vielleicht der Eine oder Andere einwerfen, dass es doch besser sei, die Kinder lieber nicht in homogene Gruppen einzuteilen, sondern eher leistungsschwache mit leistungsstarken Kinder zusammen zu bringen, damit sie sich gegenseitig helfen und unterstützen. Das mag hin und wieder auch zutreffen, sollte aber auf gar keinen Fall ein Dauerzustand sein. Kein Kind sollte immerzu als “Hilfslehrer” eingesetzt werden. Geschieht dies hin und wieder, kann es die Sozialkompetenz des Kindes fördern. Allerdings möchten auch die hoch begabten Kinder Anregungen und Herausforderungen erhalten, die sie weiterbringen, möchten schneller vorwärts gehen und nicht immer Rücksicht nehmen und warten, bis die anderen Kinder so weit sind. Außerdem haben sie einen anderen Anspruch an Arbeiten und deren Inhalte, die sie in einer homogenen Gruppe besser einbringen können.
Die Teilnahme an Kursen in Universitäten ist für manche Schüler und Schülerinnen eine sinnvolle Ergänzung zum Regelschulbesuch. Der Schüler/die Schülerin wird dazu in Absprache mit der Schulleitung für einige Stunden vom Besuch in seiner/ihrer Schule befreit und besucht dann ausgesuchte Kurse an der Universität.
Eine 15jährige Schülerin (höchstbegabt) eines Gymnasiums berichtet, dass sie während des Besuchs der ersten Klassen auf der weiterführenden Schule oft gehänselt und ausgegrenzt wurde, weil sie immer Klassenbeste war und bereits zwei Schuljahre übersprungen hatte. Nun besucht sie parallel zum Gymnasium die Universität und hat dort den Kurs Wirtschaftsenglisch belegt. Sie berichtet, dass sie sich vom ersten Tag an in der Universität wohl fühlte, von allen Kommilitonen/-innen sogleich angenommen wurde und ihre “Andersartigkeit”, ihre Art zu sprechen und zu denken, dort überhaupt nicht mehr von Belang sind.
Urban nennt 10 Qualitätskriterien eines begabungsentwickelnden Offenen Unterrichts:
„1. Methodenvielfalt
Gibt es (in welchem Umfang) mehrere unterschiedliche Methoden wie freie Arbeit, Projekte, Kreisgespräche, Kleingruppenarbeit, Partner- und Gruppenarbeit, (längerfristige) Einzelprojekte, Berichte, Ausstellungen oder Vorführungen von SchülerInnen? Wieweit werden diese Methoden zur Lehr- Lernorganisation von Kindern als hilfreich, vielfältig und transparent erfahren?
2. Freiräume
Gibt die Klasse/Schule den Kindern definitiv in ihrem Organisationsrahmen Freiräume zum vertiefenden, spielerischen, selbständigen, entdeckenden Lernen? Wochenplanarbeit, Freie Arbeitszeit, Projekte, Projektwochen, -tage?
Teilbefreiung vom obligatorischen Unterricht zugunsten spezifischer Tätigkeiten im Interessen- bzw. Fähigkeitsbereich? Wie groß sind die inhaltlichen Freiräume? Gibt es Möglichkeiten, an anderen “Lernorten” zu arbeiten? Wie groß ist die unterrichtsorganisatorische Flexibilität?
3. Umgangsformen
Gibt es klare, gemeinsam ausgehandelte Regeln, die von beiden Seiten eingehalten werden? Wieweit sind Lehrerinnen und Lehrer bereit, Kinder in ihrer emotionalen Befindlichkeit und in ihrer Abweichungen von (imaginären) Durchschnittserwartungen anzunehmen? Werden Konflikte gemeinsam bearbeitet? Gibt es eindeutige Interpunktionen (Gewichtungen) im Sinne sozialen Lernens? Toleranz und Akzeptanz des Andersseins? Lob? Ermutigung? Humor?
4. Selbständigkeit und Inhalt
Werden Kindern/SchülerInnen aktive Rollen bei der Steuerung von Lernprozessen ermöglicht? Welche Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten haben die Kinder, z.B. bezüglich Inhalts- oder Zeitgestaltung? Gehen die Kinder wirklich ihren eigenen, auch extra-curricularen Fragen nach? Gibt es ein Helfersystem?
5. Lernberatung
Gibt es Beratungssituationen im/neben dem Unterricht? Ist der Unterricht (begabungs)förderungsorientiert? Werden Umwege, Irrwege, Fehler als notwendige Bestandteile des Lernprozesses akzeptiert, und wird entsprechend beraten? Werden eigenständige, abweichende Lösungswege aufgegriffen und unterstützt?
Beschäftigung mit leistungsschwachen und hochleistungsfähigen SchülerInnen? Diagnosekompetenz für Leistungsversagen und für besondere Begabungen? Schulische BeratungslehrerInnen für Fragen besonderer Begabung?
6. Öffnung zur Umwelt
Bietet der Unterricht/die Schule neue Erfahrungen in direkter Begegnung mit der Umwelt? Erkundungsgänge? Exkursionen? Experten in der Klasse? Tutoren oder Mentoren für einzelne Kinder mit spezifischen Interessen und Fähigkeiten? Ständige oder projektbezogene Kooperation mit außerschulischen “Lernorten”?
7. Sprachkultur
Bietet der Unterricht Möglichkeiten zur direkten Koppelung von Sprache an sinnlich-konkrete Erfahrungen? Gesprächskultur? Schriftkultur? Freier Ausdruck in Texten? Sprachspiele? Narrative Kultur? Kreisgespräche? Drucken und Gestalten? Zusammenhang von Sprache und Sache (Kulturtechniken-Sachunterricht)? Kreatives Schreiben?
8. Lehrerrolle
Wird der Beziehungsarbeit Raum gegeben? Verständnis für die Vielfältigkeit der “Lehrerrolle” (nicht nur be-lehren, sondern anregen, moderieren, initiieren, teilnehmen, beobachten, instruieren, stabilisieren, herausfordern, helfen, vermitteln, be-raten, organisieren, Experte, Vorbild und Freund sein u.a.m.)? Geduld, Gelassenheit und Toleranz für langsame Schüler? Keine Angst und Verunsicherung bei intellektuell hochbefähigten SchülerInnen? Sind Lehrerfragen anspruchsvoll (problemlösungsorientiert und anwendungs-orientiert)? Verfügbarkeit über Bearbeitungsinstrumente zur Klärung von Störungen und Konflikten? Umgang mit pädagogischen “Imperativen” (Bewusstsein über die eigene Rolle, Umgang mit den Zwängen, “guten” Unterricht zu machen)? Teamarbeit oder Supervision mit Kollegen?
9. Akzeptanz des Unterrichts
Wieweit wird der Unterricht als gemeinsame Arbeit verstanden? Wie gut wird die Unterrichtszeit genutzt? Stoffbewältigung im Unterricht und nicht über Hausarbeiten? Erfahrbarkeit von Person und Unterricht als positiver Zusammenhang? Akzeptanz durch die Eltern, Mitarbeit von Eltern?
10. Lernumgebung
Gibt es handlungsorientierte Materialien? Offene Lernflächen? Variable und lernfunktionelle Raumaufgliederung? Karteien, Differenzierungsmaterial, Spiele, Bücher, Druckerei, Computer, Experimentierecke, Leseecke usw. ? Hat die Schule eine Bücherei, einen Werkraum, Lerngarten oder eine Lernwerkstatt, >Forschungskabinett< (resource-room)? Austausch von Spiel- und Lernmaterialien? Zusammenarbeit mit anderen Schulen oder Institutionen? Offene Klassentür?“
(Urban, S. 146 ff.)
Mobbing
Sicherlich werden Sie nun irritiert die Stirn runzeln, weil Sie sich fragen, warum dieser Punkt hier aufgeführt wird, wo es doch klar ist, dass Mobbing nicht toleriert werden kann. Und wenn dies so ist, freut es mich sehr.
Immer wieder erfahre ich jedoch von Kindern und Jugendlichen, dass sie mitunter sehr massiv in der Schule gemobbt werden oder wurden.
Da ist beispielsweise das 12jährige Mädchen, das in der sechsten Klasse jede Pause nur noch alleine verbringen musste, weil seine Klassenkameraden diese Zeit nicht mit ihm verbringen, sondern lieber mit ihrem Handy SMS versenden oder sich über Jungen und ihre Erlebnisse mit diesen unterhalten, was allerdings nicht zu den Themen und Beschäftigungen des betreffenden Mädchens gehörte. In der Klasse wurde dieses sehr eifrige, sehr lernmotivierte und sozial sehr kompetente Mädchen als Angeberin, Streberin und Besserwisserin gehänselt.
Im Gespräch mit einigen Lehrkräften und der Klassenlehrerin wurde deutlich, dass dies diesen Lehrkräften überhaupt nicht aufgefallen war. Natürlich hätten sie, wenn sie jetzt darüber nachdächten, bemerkt, dass korrekte Aussagen des Mädchens während des Unterrichts manchmal belächelt oder negiert wurden. Aber man habe sich nichts dabei gedacht.
Ein 13jähriges Mädchen beschrieb in einem Gespräch ähnliches. Auf meine Frage, ob sie denn glaube, dass es die sie begleitenden Lehrkräfte mitbekommen hätten, meinte sie, dass für die Lehrer nur ihre sehr guten Leistungen und Zensuren gezählt hätten. Etwas anderes habe sie gar nicht interessiert, weil ja alles gut lief.
Erst dann, als das Mädchen seine sehr guten Leistungen verweigert hätte, seien die Lehrer aufmerksam geworden, hätten das Gespräch mit ihr und ihren Eltern gesucht. Schade war, dass dieses Gespräch mit vielen Vorhaltungen und Appellen von Seiten der Lehrkräfte geführt wurde.
Meine große Bitte an Lehrkräfte:
Lassen Sie es nicht so weit kommen, dass Kinder den Weg, um auf ihre Nöte aufmerksam zu machen, nur noch in der Verweigerung und Einstellung von Leistungen sehen. Natürlich werden Sie nicht jeden Mobbingversuch mitbekommen. Aber wenn es Ihnen gelingt, in Ihrer Klasse ein Klima zu schaffen, in dem sich jeder Schüler/jede Schülerin so einbringen kann, wie es ihm/ihr entspricht, wird es eine Bereicherung für jeden Schüler/jede Schülerin und letztlich auch für die Lehrkräfte darstellen. Dazu gehört unbedingt, dass das Einbringen gewünscht ist und dass jedem Schüler und jeder Schülerin von Anfang an klar ist, dass jeglicher Versuch von Mobbing keinesfalls akzeptiert wird und ernsthafte Gespräche mit demjenigen, der mobbt, zur Folge hat.
Seien Sie darüber hinaus aufmerksam für die Atmosphäre und für Stimmungen, für Äußerungen und “Frotzeleien“ in Ihrer Klasse. Machen sie Mobbing regelmäßig zum Thema. Vielleicht kann es hilfreich sein, wenn dieses Thema von einem Vertrauenslehrer geführt wird. Darüber hinaus haben manche Jugendämter Stellen eingerichtet, die sich speziell mit dem Thema Mobbing beschäftigen und vor Ort in den Klassen ihre Unterstützung anbieten
Literatur
Urban, Klaus K.
Hochbegabung. Aufgaben und Chancen für Erziehung, Schule und Gesellschaft
Münster 2004
www.schulministerium.nrw.de www.chancen-nrw.de
Barbara Teeke
ist Erzieherin und Diplom-Sozialpädagogin mit Ausbildung in pädagogisch-psychologischen Testverfahren.
Sie führt Förderdiagnostik durch (in einer Praxis in Witten www.ppos.de und arbeitet als freie Mitarbeiterin, Kursleiterin und Referentin am IHVO
IHVO-Master-Zertifikat 2005
E-Mail: barbara.teeke@gmx.de
Datum der Veröffentlichung 27.02.2008
Copyright © Barbara Teeke 2008, siehe Impressum.