von Hanna Vock
Im Handbuch werden viele Kinder beschrieben. Sind sie alle hoch begabt? Sicher nicht.
Allerdings gehören sie (geschätzt) alle zu den besonders begabten Kindern; so bezeichnen wir die Kinder, die einen Intelligenzquotienten von mindestens 115 Punkten haben. Der Mittelwert für alle Kinder liegt bei 100.
Genaueres zur Verteilung der Intelligenz und zum Intelligenzquotienten sowie zum Zusammenhang von Intelligenz und Begabung finden Sie in:
Normalverteilung der Intelligenz und Begriffsbestimmung Hochbegabung
Begabung oder Hochbegabung? und Was ist Intelligenz?
Hochbegabung und hohe Intelligenz.
Die Kinder, die in den von mir selbst geschriebenen Beiträgen vorkommen, sind zum größten Teil getestet hoch begabt. Oft fand ihre Testung erst Jahre nach den beschriebenen Begebenheiten statt und bestätigte die Vermutung.
Während meiner vieljährigen Beschäftigung mit hoch begabten Kindern konnte ich lernen, Hochbegabung gut zu schätzen. Hoch begabte Kinder fallen mir recht schnell auf; und ich kann auch Kolleginnen und Eltern treffsicher beraten, wenn ihr Kind deutlich nicht hoch begabt ist oder sich im Grenzbereich zur Hochbegabung befindet. Konkrete Beobachtungen (von mir selbst, Kolleginnen oder Eltern) und / oder die direkte Interaktion mit dem Kind sind dafür hinreichend.
Um einen Zahlenwert (zum Beispiel einen IQ-Wert) zu erhalten, ist natürlich eine Testung nötig. Aber ein solcher Zahlenwert ist vergleichbar ungenau wie eine gute Schätzung auf der Grundlage präziser Beobachtungen und großer Erfahrung.
Ein im Test gemessener Wert von zum Beispiel IQ 130 kann wegen der im Test enthaltenen Messungenauigkeit ebenso gut einen tatsächlichen IQ von 125 oder 135 abbilden. Das Ergebnis 130 bedeutet lediglich, dass die reale Intelligenz wahrscheinlich in der Nähe von 130 liegt. Genauer können Tests bisher nicht messen. Verschiedene Tests haben verschiedene Messungenauigkeiten. Der Tester kennt sie, sie sind im Testmaterial angegeben und auf sie sollte auch in einem Gutachten, das die Eltern erhalten, hingewiesen werden.
Die Beispiele aus den Handbuch-Beiträgen der anderen Autorinnen und Autoren beschreiben sowohl hoch begabte Kinder, als auch besonders begabte Kinder.
Die Auswahl der Kinder kommt so zustande: Nach der ersten Seminarphase im zweijährigen IHVO-Zertifikatskurs erhalten alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Aufgabe, für ihre erste praktische Hausaufgabe ein Kind aus ihrer Gruppe / ihrer Kita auszuwählen. Es soll ein Kind sein, das durch auffällige Entwicklungsvorsprünge und / oder durch auffällig intelligente Fragen oder Ideen oder durch besonders intelligentes, für die Altersgruppe ungewöhnliches Spielverhalten bereits aufgefallen ist. In einigen Fällen konnte der Auswahl auch schon ein Testergebnis zugrunde gelegt werden.
Rein rechnerisch kann in längst nicht jeder Kindergartengruppe ein hoch begabtes Kind sein. (Auf 100 Kinder kommen statistisch zwei bis drei hoch begabte.) Allerdings verschiebt sich die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Teilnehmerin in ihrer Gruppe ein hoch begabtes Kind findet, durch zwei Faktoren:
1. Die meisten Teilnehmerinnen melden sich aus eigenem Antrieb an (sie werden in den seltensten Fällen durch ihren Arbeitgeber darauf gebracht). Als Motiv für die Anmeldung wird des öfteren genannt: „Wir haben ein hoch begabtes Kind in unserer Einrichtung und möchten es besser fördern können“ oder: „Eltern haben uns schon bei der Aufnahme erzählt, dass sie ihr Kind für hoch begabt halten und wir möchten damit umgehen können“ … oder Ähnliches.
2. Einige Teilnehmerinnen kommen aus Integrativen Schwerpunktkindergärten für Hochbegabtenförderung, in denen sich im Laufe der Zeit schon mehrere (vermutet oder getestet) hoch begabte Kinder versammelt haben, weil die Eltern diese Kita gezielt für ihr Kind gewählt haben.
Aus diesen Gründen erhöht sich die Zahl der hoch begabten Kinder, die für Praxisaufgaben ausgewählt werden können.
Dennoch findet nicht jede Teilnehmerin in ihrer Gruppe ein hoch begabtes Kind – aber jede findet ein besonders begabtes Kind, das im Kurs ihr „Beobachtungskind“ werden kann und mit dem sie gezielte Erfahrungen in der Begabtenförderung machen kann. Im Laufe der zwei Kursjahre kann sie – vor allem auch im Austausch mit den anderen Kursteilnehmerinnen – ein immer besseres Gespür für die Art und Höhe von Begabungen entwickeln.
Der pädagogische Prozess, der im Kursverlauf stattfindet, dreht sich dann um das Erkennen – Verstehen – Fördern der kindlichen Begabung. Diese drei Aufgaben greifen im pädagogischen Alltag ineinander und finden stets gleichzeitig statt.
Phase 1:
Am Anfang achte ich im Alltag des Kindergartens auf Indikatoren für besondere und hohe Begabungen.
Siehe: Hinweise auf eine mögliche intellektuelle Hochbegabung.
Im Umgang mit dem Kind, im ersten Kennenlernen des Kindes in den ersten Wochen fallen mir (und Kolleginnen, mit denen ich mich austausche) besondere Entwicklungsvorsprünge, erstaunliche Äußerungen und andere Indikatoren auf.
Ich kommuniziere mit dem Kind auf seinem beobachteten Entwicklungsniveau und gebe ihm damit das Signal, dass ich seine Stärken wahrnehme. Damit stelle ich aktiv Vertrauen her. Ich biete ihm Spiele und Geschichten an, von denen ich glaube, dass es sie schon bewältigen kann, die es aber auch geistig herausfordern.
In ersten Gesprächen mit den Eltern (mit Hilfe des Elternfragebogens) sammle ich weitere Informationen und gleiche sie mit meiner eigenen Wahrnehmung des Kindes ab. Erstes Vertrauen zu den Eltern (auch zum Thema „Besondere Begabung“) wird aufgebaut.
Phase 2:
Das kontinuierliche Wahrnehmen der Reaktionen des Kindes (im Gespräch, auf gezielte Spielangebote, auf Angebote durch die anderen Kinder) geben weiteren Aufschluss, zum Beispiel über seine intrinsischen Motivationen, seine Interessen, seine Lernleichtigkeit und sein Lerntempo. Dadurch kann ich weitere Begabungsindikatoren entdecken.
In diesem Stadium spielen provozierende Beobachtungen eine wichtige Rolle.
Siehe: Arten der Beobachtung und Beispiele für provozierende Beobachtungen.
Phase 3:
Wenn das Kind über längere Zeit eine gelungene bestätigende und herausfordernde Kommunikation erlebt hat, wird es sich öffnen und seinen eigenen Lernprozess aktiv mitgestalten, indem es vermehrt Fragen stellt und eigene Vorschläge macht.
Diese Phase ist für beide Seiten (Erzieherin und Kind) besonders befriedigend und kann bis zur Einschulung andauern, sofern auch die Arbeitsbedingungen in der Kita das auf Dauer ermöglichen.
(Siehe auch: Rahmenbedingungen verbessern!)
Datum der Veröffentlichung: Juli 2017
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