von Margrit Bernsmann

 

Auf Grund der Beobachtungen, Gespräche und Aktivitäten, die ich mit Marcus (5;8) durchgeführt habe, unter Berücksichtigung seines Wunsches mit mir allein zu reden, bin ich zu dem Entschluss gekommen, mit ihm den Interessenfragebogen für Kindergarten zu erarbeiten.

Hierbei kann Marcus das Tempo und den Weg eigenverantwortlich bestimmen. Die Bearbeitung des Fragebogens hat insgesamt vier Vormittage in Anspruch genommen. Darin eingeschlossen ist die Zeit, die es brauchte, um von ihm mitgebrachte Spiele zu spielen.

Auch wenn er manchmal genervt wegen der doppelt gestellten Fragen reagierte, hatte er sichtlich Freude an unserem gemeinsamen Tun und erinnerte mich morgens an unser Vorhaben. Er wartete aber auch geduldig ab, bis ich die dringendsten anfallenden Alltagsgeschäfte (als freigestellte Leiterin) erledigt hatte und mit ihm in aller Ruhe an unsere gemeinsame Arbeit gehen konnte.

Und so verlief das Interview:

Auf die Frage, was er besonders gerne spielt, kann er sich nur schwer darauf einlassen. Immer wieder weicht er ab, erzählt von zu Hause, seiner kleinen Schwester und anderen Dingen. Endlich kommt die knappe Antwort:

„Mit meinem Magnetspiel.“

Und was noch?

„Das Eskimospiel, das habe ich zu Weihnachten bekommen.“

Mehr an Erklärungen gibt er mir nicht. Nach einer kleinen Weile der Besinnung fragt er mich, ob er die Spiele mal mitbringen und mit mir allein spielen darf. Natürlich machten wir das.

Das Magnetspiel besteht aus sehr kleinen Magnetstäben und Magnetkugeln, die auf verschiedenste Weise zusammengesetzt werden können und zu einem interessanten und experimentellen Spiel auffordern. In meinen Augen setzt dieses Spiel bei Kindergartenkindern schon eine sehr hohe Abstraktionsfähigkeit und Experimentierfreude voraus. Außerdem ist entweder schon Wissen oder aber die Energie nötig, Wissen über Magnetismus erlangen zu wollen. An diesem Spiel hat Marcus andere Kindern nicht teilnehmen lassen, aus Sorge, das von den kleinen Teilen etwas verloren gehen könnte.

Das Eskimospiel, ein Strategiespiel, hat er zunächst mit mir allein gespielt. Er hat es offensichtlich gut gefunden, mir das Spiel erklären zu können, hier war er der Fachmann. Anschließend hat er allerdings mit seinen Freunden weitergespielt und es genossen, als erfahrener Besitzer im Mittelpunkt zu stehen.

Auf die Frage, mit wem er am liebsten spielt, nennt er vier Kinder, die kurz vor der Einschulung stehen. Es ist auch für mich auffällig, dass Marcus mit jüngeren Kindern kaum Kontakt hat. Außerdem ist zu beobachten, dass er häufig die Nähe von Hortkindern sucht.

Er verneint aber die Frage, ob er eine besondere Freundin oder einen besonderen Freund hat.

Auf die Frage, was er gerne sammelt, ist seine Antwort:

„Müll zum Basteln! Ich habe mit einem großen Computerkarton und dem Styropor, was da drin war, eine Rutsche im Garten gebaut und damit Experimente gemacht. Mit kleinen Kartons habe ich Häuser gebaut.

Ich habe auch einen Haifischzahn aus Südafrika, der lag da am Strand und ist jetzt mein Schatz.“

Marcus schätzt ein, dass er besonders gut klettern kann.

„Weißt du, ich habe ein dickes Seil und binde es an meiner Schaukel fest und mache ganz viele Knoten – eine Schleife wäre schlecht, die würde aufgehen.“

Jetzt schließt sich ein Fachgespräch über verschiedene Knoten und den höchsten Berg der Welt an.

Und klettern möchte er auch noch besser können:

„Noch besser klettern, davon haben wir nämlich eine Zeitung zu Hause und die schaue ich mir immer an. Lesen kann ich ja noch nicht, aber das wäre schön, wenn ich die Zeitung alleine lesen könnte.“

Was machst du am liebsten im Kindergarten? Warum?

„Im Sand buddeln, Häuser konstruieren und Fundamente frei buddeln.“

Was gefällt dir im Kindergarten nicht? Warum?

„Dass man nicht hauen darf.“

Bei dieser Antwort schaut mich Marcus schelmisch von der Seite an, er hat meinen fragenden Blick bemerkt und erklärt:

„Ich will ja gar nicht hauen, aber manchmal muss das eben sein.“

Was ist im Kindergarten schwierig für dich?

„Nichts.“

Gibt es etwas, das dich häufig nervt?

„Dass Kinder einfach Sachen wegnehmen; kaum geht man mal zur Toilette, schwups ist etwas verschwunden.“

Auf die Frage, welches sein Lieblingsbuch ist und was ihm daran gefällt, antwortet er:

„Oskar, der Osterhase. Das Buch finde ich witzig und schön. Der Hase hat die halbe Welt zerstört, um ein großes Haus zu bauen. Ich will auch mal Häuser bauen.“

Marcus ist ein großer Baukünstler. Er experimentiert mit verschieden großen Bauklötzen, zur Zeit versucht er sich an der Hebelwirkung.

Was sind deine Lieblingssendungen im Fernsehen und im Radio?

„Die Sendung mit der Maus, weil man da soviel beigebracht kriegt.“

Was möchtest du gerne lernen?

„Schreiben, lesen kann ich schon.“

Schreibe oder zeichne hier etwas auf, das du einmal gemacht hast und worauf du richtig stolz bist.

Diese Aufgabe wurde von Marcus zurückgestellt und bisher noch nicht erledigt.

Was willst du später einmal werden?

„Schmied, wie bei Bibi Blocksberg.“

Du triffst eine alte Frau, die alles über die Welt und das Leben weiß. Was würdest du sie fragen?

„Ob sie mir Schreiben beibringt.“

Was auch noch?

„Wie die Luft in den Himmel kommt und ob es Engel gibt – aber das glaube ich nicht, das sagen nur die Eltern. Im Himmel kann keiner leben.“

Stell dir ein Fantasietier vor und male es hier. Wie heißt es?

Nach anfänglichen Schwierigkeiten, sich auf die Fragen einzulassen, wurde Marcus im Laufe der Zeit immer lockerer und hat die Zeit mit mir genutzt und genossen. Den Ort der Zusammenkunft hat er selbst gewählt: Das Büro schien für ihn der Wichtigkeit der Aktion angemessen zu sein.

Datum der Veröffentlichung: Januar 2012
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