von Hanna Vock

 

Erzieherinnen lernen in ihrer Ausbildung, Kinder im Kindergarten gezielt zu beobachten und Beobachtungen zu notieren. Für die Planung der weiteren Arbeit, für Team- und Elterngespräche sind diese konkreten Verhaltensbeobachtungen nützlich.

In unseren Fortbildungen erlebe ich, dass Erzieherinnen beobachtetes kindliches Verhalten und die dazugehörigen Situationen sehr präzise und anschaulich schildern. Diese Fähigkeit ist eine gute Grundlage, um Hochbegabungen zu erkennen. Immerhin haben Erzieherinnen nach einigen Berufsjahren viele Kinder dieser Altersgruppe kennen gelernt und beobachtet, so dass sie über eine gute Vergleichsbasis für gezeigte kindliche Fähigkeiten und Interessen verfügen.

Wichtig ist die Orientierung an den Stärken des Kindes!

Auf die oft ganz am Anfang einer Fortbildung gestellte Frage von Erzieherinnen: “Wie kann ich denn erkennen, ob ein Kind hoch begabt ist?” gibt es keine schnelle Antwort.

Zunächst ist die Frage zu klären: Welchen Sinn sehen wir darin, hohe Begabungen schon bei Kindergartenkindern erkennen zu wollen? Worauf zielt das Erkennen hoher Begabungen?

Unser Ansatz ist, dass es wichtig ist, die Spiel- und Lernbedürfnisse sowie die Interaktionsbedürfnisse zu erkennen, die bei hoch begabten Kindergartenkindern zum Teil ganz andere sind als bei nicht hoch begabten Gleichaltrigen. Erst wenn wir diese mit der Hochbegabung eng verknüpften Bedürfnisse erkennen, können wir die hoch begabten Kinder auch bedürfnisgerecht und entwicklungsgerecht fördern .

In den IHVO-Zertifikatskursen verwenden wir als Beobachtungsgrundlage die Hinweise auf eine mögliche Hochbegabung und zusätzlich

einen Beobachtungsbogen , den Joelle Huser für ein Züricher Förderprojekt für hoch begabte Kinder entwickelte und der recht konkrete Verhaltensbeschreibungen auch für hoch begabte Kinder im Vorschulalter auflistet. (Huser, 2000);

Gut nutzbar sind auch Listen von Urban (1992, S. 161) und Roedell, Jackson & Robinson (2000, S. 63).Damit ein umfassendes Bild von den Begabungen eines Kindes entstehen kann, hat sich Folgendes als sinnvoll erwiesen:

  • Eine, möglichst die gesamte Kindergartenzeit begleitende gezielte Beobachtung des Kindes mit Hilfe der oben genannten Beobachtungsbögen, und zwar in verschiedenen Situationen, vor allem auch bei Tätigkeiten, die das Kind sich selbst ausgedacht hat.
  • Provozierende Beobachtungen (Arten der Beobachtung), vor allem wenn vermutet wird, dass das Kind Fähigkeiten und Interessen verbirgt. (Verbergen von Fähigkeiten.)
  • Das Zusammentragen von Beobachtungen im Team, vor allem bei offener und gruppenübergreifender Arbeit des Kindergartens.
  • Das Gespräch mit den Eltern über Interessen und Stärken ihres Kindes und über sein (möglicherweise sehr unterschiedliches) Verhalten in Kindergarten und Familie. (Eltern-Fragebögen.)

Im Weiteren wäre wünschenswert die gezielte Beobachtung des Kindes bei Kleingruppen-Angeboten /-Projekten, die an den Fähigkeiten des Kindes anknüpfen, also für das Kind in seinem Begabungsbereich eine echte Herausforderung darstellen.

Bereiche hoher Begabungen

Hier ist die Anmerkung wichtig, dass eine Hochbegabung – und vor allem ihre tatsächliche Höhe – durch Beobachtung nicht mit letzter Sicherheit festgestellt werden kann, sondern nur durch einen Test. (Begabungsdiagnostik.) Darauf verweisen auch die Autoren einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (2000) herausgegebenen Ratgeberbroschüre (die Sie im Internet finden / siehe im Literaturverzeichnis) und schreiben dann: Merkmalslisten können “jedoch erste Hinweise geben und zumindest die Aufmerksamkeit dafür schärfen, daß ein Kind hochbegabt sein könnte.” (S. 21)

Für Erzieherinnen, die sich intensiv mit dem Thema Hochbegabung auseinandergesetzt und längere Zeit Erfahrung mit hoch begabten Kindern gesammelt haben, gilt aber meines Erachtens, dass ihre Einschätzung besondere Qualitäten aufweisen kann, die ein Test nicht bietet. Denn die Erzieherinnen erfassen Interessen, Aktionen, Reaktionen und Äußerungen des Kindes, und zwar über einen längeren Zeitraum, oft über mehrere Jahre in Alltagssituationen, bei komplexen Herausforderungen, im sozialen Zusammenhang sowie im Dialog.

Wenn der Kindergarten hochbegabungsförderliche Strukturen (siehe: Gütekriterien für die Hochbegabtenförderung im Kindergarten) sowie eine entsprechende offene Atmosphäre aufweist und wenn das Kind eine vertrauensvolle Beziehung zur Erzieherin aufbauen konnte, so erfährt diese Vieles über die Begabungen des Kindes, was ein Test nicht erfassen kann.

Zum Beispiel kann sie mit dem Alltag verbundene kreative Denkprozesse und Problemlöse-Strategien des Kindes erleben und Entwicklungsprozesse wahrnehmen.

Das alles spricht dafür, möglichst vielen Erzieherinnen Gelegenheit zu geben, ihre Beobachtungskompetenz in Richtung Hochbegabung zu trainieren. In den IHVO-Zertifikatskursen ist dies ein wichtiger Ausbildungsbaustein.

Wenn Sie vermuten, dass ein Kind Ihrer Gruppe hoch begabt sein könnte, sollten Sie die Hinweise auf eine mögliche Hochbegabung lesen.

 

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