von Hanna Vock
Die meisten Menschen, etwa Zweidrittel (68 %) eines Altersjahrgangs, erreichen bei Intelligenztests einen Intelligenzquotienten (IQ) zwischen 85 und 115.
Etwa 95 % haben einen IQ zwischen 70 und 130.
Extrem niedrige und extrem hohe Werte sind selten:
Etwa 2 % des Jahrgangs haben einen sehr niedrigen IQ (unter 70),
Etwa 2 % des Jahrgangs haben einen sehr hohen IQ (über 130).
Von intellektueller Hochbegabung (oft mit Hochbegabung gleich gesetzt)
wird gesprochen, wenn der IQ 130 oder höher ist.
Wie ist die Skizze zu lesen? Es ist zum Beispiel zu entnehmen, dass 13,6 % der Bevölkerung einen IQ (unterste waagerechte Linie beachten) zwischen 115 und 130 haben. Die Prozentzahlen beziehen sich auf die Bereiche zwischen den senkrechten Linien.
Die Fläche, die von der waagerechten Linie, der Kurvenlinie und zwei senkrechten Linien bestimmt wird, entspricht der Menge der Menschen, die entsprechende IQ-Werte haben.
Die Verteilung der Intelligenz in der Bevölkerung folgt, wie auch zahlreiche andere natürliche Größen der Gauß’schen Normalverteilung. (Sie ist benannt nach dem Mathematiker und Physiker Carl Friedrich Gauß, der von 1777 bis 1855 lebte.)
Diese Normalverteilung erscheint grafisch als „Glockenkurve“, so genannt, weil ihr Bild an eine Glocke erinnert. Eine ähnliche Kurve erhält man, wenn man zum Beispiel die Körpergröße einer sehr großen Anzahl mitteleuropäischer Frauen feststellt und die Verteilung der Körpergrößen in einer Kurvengrafik darstellt. Dabei würden die Zahlen für die Körpergröße (beispielsweise von 135 cm bis 210 cm) auf der waagerechten Achse dargestellt und dann die Anzahl der Frauen, die z. B. genau 172 cm groß sind, über der 172 senkrecht nach oben abgetragen.
In der oben abgebildeten Kurve finden sich auf der waagerechten Achse die IQ-Punkte von 55 und darunter bis 145 und darüber (bzw. die Prozentränge von 10 und darunter bis 99 und darüber). Senkrecht nach oben ist jeweils die Anzahl der Menschen eingetragen, die den entsprechenden IQ- (PR-) Wert bei einem Intelligenz-Test erreichen würden. Es fehlen auf der senkrechten Achse die konkreten Angaben für die Anzahl der Menschen – sie ist ja jeweils abhängig von der Gesamtzahl der Getesteten.
Aber das Muster der Glockenkurve ergibt sich auf jeden Fall, wenn die Zahl der Getesteten nicht zu klein ist. Wenn die Zahl der Getesteten zu klein ist, spielt der Zufall eine zu große Rolle und verzerrt das Bild. Das ist so ähnlich wie das Problem mit dem Würfeln: Würfele ich nur ein paar Male, dann verteilen sich die Ergebniszahlen auch bei einem ideal geformten Würfel nicht gleichmäßig. Ich erhalte also z. B. bei 24 Würfen 4 mal die 4, aber 6 mal die 1 und nur 3 mal die 2. Je öfter ich jedoch würfele, desto wahrscheinlicher ist es, dass ich am Ende jede Zahl gleich oft gewürfelt habe. Oder umgekehrt betrachtet: Je öfter ich würfele, desto unwahrscheinlicher wird es, dass am Ende nicht jede Zahl gleich oft gewürfelt worden ist. Also zum Beispiel bei 240.000 Würfen würde ich ziemlich genau 40.000-mal die 4 erhalten, aber ziemlich genau ebenso oft auch die 1, die 2, die 3, die 5 und die 6.
Bei IQ-Tests werden häufig – aber nicht immer – verschiedene Bereiche getestet (zum Beispiel sprachliche und mathematische Fähigkeiten). Es wird bei solchen Testungen versucht, die Struktur der Begabung zu ermitteln und es wird ein „Intelligenzprofil“ erstellt. Deshalb sollte man immer nach den Teilergebnissen fragen (und sie sollten im Gutachten, das die Eltern bekommen, genannt und erklärt werden).
Ein einzelner Wert („Mein Kind hat einen IQ von 126.“) sagt nichts über die Struktur der Begabung aus. Es ist oft ein Durchschnittswert, der aus verschiedenen Testleistungen errechnet wurde. Manche Hochbegabte erreichen hohe Testergebnisse in mehreren Bereichen (zum Beispiel sprachlich und mathematisch), manche erreichen nur in einem Bereich hohe Werte. Wenn dann bei der Testauswertung aus starken mathematischen und schwachen sprachlichen Ergebnissen eine Durchschnittszahl gebildet und nur mit dieser Durchschnittszahl argumentiert wird, kann ein Wert von zum Beispiel IQ 126 (= nicht hoch begabt) eine mathematische Hochbegabung verschleiern.
Siehe auch: Standards für die Durchführung diagnostischer Testverfahren
Häufig werden die Ergebnisse in Testberichten oder –gutachten auch in PR (Prozentrang) angegeben. Ein Prozentrang von 95 beispielsweise bedeutet, dass 95 % der Kinder eines Jahrgangs die Aufgaben im Test gleich gut oder schlechter lösen würden, nur 5 % könnten sie besser lösen.
Hochbegabung wird üblicherweise attestiert, wenn das Kind einen Prozentrang von 98 erreicht hat, was dem IQ-Wert 130 entspricht.
Siehe auch: Hochbegabung und hohe Intelligenz
Dieser Grenzwert (IQ 130 bzw. PR 98 als Grenze zur Hochbegabung) wurde in der Geschichte der Forschung irgendwann willkürlich festgelegt, ist aber inzwischen international gebräuchlich. (Vergleichbar ist die Geschichte mit der Festlegung der Maßeinheit „Meter“. Vor dieser Festlegung im Jahre 1793 in Frankreich – und auch noch danach, denn das Meter musste sich ja erstmal durchsetzen) waren ganz unterschiedliche Längenmaße in Gebrauch, zum Beispiel die „Elle“ – die auch wieder von Stadt zu Stadt ganz unterschiedlich lang sein konnte – oder der „Fuß“.)
Es macht wenig Sinn, ein Testergebnis, zum Beispiel IQ 132, absolut zu nehmen.
Denn:
1. ist die Diskussion, wie gut die üblichen Intelligenz-Tests „die wirkliche Intelligenz“ messen, noch zu keinem Abschluss gekommen – was auch gar nicht sein kann, so lange noch wissenschaftlich um das Verständnis von Intelligenz gerungen wird.
2. beinhaltet jede Intelligenzmessung einen mehr oder weniger großen Messfehler, dessen Größe wir nicht genau kennen. Mithilfe verschiedener Techniken wird die Größe des Messfehlers aber abgeschätzt und auf dieser Grundlage wird im Handbuch des Tests ein „Vertrauensintervall“ angegeben. Also liegt die „wahre“ Intelligenz eines Menschen innerhalb dieses Vertrauensintervalls. Es liegt um den gemessenen Intelligenzquotienten herum, mit einer möglichen Abweichung von 10 bis 15 IQ-Punkten sowohl nach oben als auch nach unten.
Das bedeutet: Ein mit IQ 132 getestetes Kind kann „in Wahrheit“ zum Beispiel einen IQ von 141 oder aber von 120 haben – und würde damit aus dem (irgendwann willkürlich festgelegten) Hochbegabungsbereich herausfallen.
3. Gerade im Bereich sehr hoher Intelligenz sind manche ältere Tests eher ungenau, da der Anteil der Probanden, die während der Eichphase des Tests getestet wurden und die tatsächlich hoch begabt sind, zu klein war. Beim BIS-Test wurde diese bekannte Schwäche dadurch bekämpft, dass gezielt viele Hochbegabte in die Stichprobe aufgenommen wurden.
Intelligenztests werden, bevor sie verkauft und angewendet werden, geeicht – wie andere Messinstrumente auch. Damit ein Test gut geeicht werden kann, müssen Tausende Probanden bemüht werden. Das heißt, für einen Test für 5- bis 10-Jährige werden Tausende Kinder dieser Altersgruppe aufgefordert, die Testaufgaben zu lösen. Ihre Ergebnisse werden ausgewertet – und notfalls werden die Testaufgaben nochmals verändert und der Test dann nochmals überprüft, bis er den geforderten Gütekriterien für Intelligenztests entspricht.
4. gibt es das Problem des „Deckeneffekts“. Hochbegabte lösen manchmal alle Aufgaben des Tests, sie stoßen im Ganzen oder in einzelnen Aufgabenbereichen somit an die „Testdecke“, wir können nicht feststellen, ob sie noch mehr und Schwierigeres bewältigt hätten. Wir merken also: Sie sind noch intelligenter als der Test erlaubt – aber wir können nicht mehr messen, um wie viel sie intelligenter sind.
5. bearbeiten manche hoch begabte Kinder Tests lustlos und wenig engagiert (und damit häufig auch wenig erfolgreich), wenn die zu lösenden Aufgaben zu einfach sind. Auch dadurch erhalten wir fragwürdige Ergebnisse.
In den IHVO-Zertifikatskursen, in denen es ja um die Entwicklung guter Förderung hoch begabter Kinder (und vermutet hoch begabter Kinder) im Kindergarten geht, hat es sich als praktisch erwiesen, neben dem Begriff der hoch begabten Kinder (für die 2-3 % mit einem IQ von 130 und darüber) auch den Begriff der besonders begabten Kinder zu gebrauchen (der auch die 13-14% weit überdurchschnittlich begabten Kinder mit einem IQ von 115-129 einschließt).
Hierfür gibt es zwei Gründe.
Der erste Grund:
Aller Erfahrung nach wirkt sich gute Förderung, die auf die hoch begabten Kinder zielt, auch positiv auf viele andere sehr kluge, sehr talentierte und sehr interessierte Kinder aus.
Der zweite Grund:
Da für die Kinder in den Kitas oft keine Testergebnisse vorliegen, verschwimmen die Grenzen zwischen diesen beiden Gruppen in der Praxis.
Trotzdem ist es uns wichtig, den Begriff „hoch begabte Kinder“ zu verwenden; denn es geht darum, genau auch ihre Bedürfnisse und Ansprüche an Bildung zu bedenken und zu berücksichtigen. Gegenüber Hochbegabten ist es eben nicht damit getan, ein bisschen mehr Bildung und Herausforderung anzubieten.
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Datum der Veröffentlichung: 12.6.08 / Version: 31.3.09