von Klaudia Kruszynski
Kurz von den Sommerferien ist bei den Kindern das Thema „Schule“ sehr wichtig. Nicht nur die Vorschulkinder, auch die jüngeren Kinder spielen gerne Schule.
Vor einer Woche nahmen die Großen an einem echten Schulunterricht teil. Sie waren in einer ersten Klasse zu Gast. Dort durften sie die gleichen Aufgaben lösen, die ihre ehemaligen Kindergartenfreunde von ihrer Klassenlehrerin bekamen. Natürlich erzählten sie im Kindergarten aufgeregt von ihren Erfahrungen, und viele jüngere Kinder haben sehr aufmerksam zugehört.
… kurz gefasst …
Vier- bis fünfjährige Kinder richten im Nebenraum des Gruppenraums eine „Schule“ ein und überraschen die älteren Kinder damit. Sowohl die jüngeren wie die älteren Kinder spielen nun ganz viel Schule und setzen sich damit auseinander „wie Schule ist“.
Daraus ergibt sich ein weiteres Projekt: Die Kinder befassen sich mit ihren Gefühlen und damit, wie man sie körpersprachlich ausdrücken kann.
Beide Projekte laufen gleichzeitig und verflechten sich miteinander.
Schon oft habe ich von jüngeren Kindern gehört, dass sie auch in die Schule gehen möchten. Nun wollte ich von ihnen erfahren, was sie schon über die Schule wissen. Danach könnten wir gemeinsam eine Schulklasse in unserem Nebenraum einrichten.
Aber zuerst musste ich mich vergewissern, dass sie sich wirklich schon für dieses Thema interessieren, obwohl sie noch nicht zu den Vorschulkindern gehören.
Tag 1 (Dienstag, der 13. Juli):
Ich verabredete mich mit acht Kindern im Nebenraum. Es waren: Linea (4;8), Mandy (4;6), Tim (4;4), Jan (4;4), Tobi (5;3), Selma (5;1), Andreas (4;9) und Mark (3;11).
Am Anfang erzählte ich den Kindern, dass wir an einem Geheimnis arbeiten wollen. Sie haben sofort einen Namen für die Gruppe gefunden, und so hießen wir ab sofort „Geheime Gruppe Kira“. Der Nebenraum, in dem eigentlich unsere Puppenecke untergebracht ist, wurde zu einem Geheimraum und die Tür wurde mit dem Geheimschlüssel zugemacht.
In einem Gespräch überlegten wir, was sich bald im Kindergarten verändern würde:
Der Sommer kommt, die Ferien beginnen. Unter den Antworten waren auch einige alberne dabei.
Und dann sagte Mark: „Die neuen Kinder kommen“.
„Wie, die Gruppe ist doch schon voll, wir haben keinen Platz mehr.“
„Nee, die Großen gehen in die Schule und dann kommen die Neuen.“
Tim sagte: „Mein Freund Alex kommt auch!“
„Wisst ihr, wie viele Vorschulkinder wir in der Gruppe haben?“
Die Antworten waren unterschiedlich, von 10 bis 20. Dann haben wir uns überlegt, wie die Kinder heißen, und da kamen wir auf acht Vorschulkinder. Kevin, Harry, Barbara, Josefine, Katja, Kristin, Alice und Mira.
Ich fragte, ob sie Lust hätten, die Vorschulkinder zu überraschen. Was wäre, wenn wir bei uns eine Schulecke einrichten würden?
„Oh ja!“ – alle waren dafür.
Danach kamen die Überlegungen zur Umsetzung.
„Was brauchen wir für unsere Schulecke?“
„Tische!“
„Wie viele?“
„Zwei, drei, hundert!“
Wir einigten uns auf drei bis acht kleine Tische. Und sowieso müssen wir erst gucken, wie viele in den Raum passen.
Selma: „Eine Uhr!“
„Wozu?“
„Damit wir wissen, wie spät es ist!“
„Aber wozu müssen wir das wissen?“
Tobi: „Wann wir Pause machen oder nach Hause gehen!“
„Was noch?“
Mark: „Knete“.
Tim: „Schultornister“.
Selma: „Stühle“.
Mark: „Lehrer“.
Selma: „Bücher“.
Mark: „Pausenbrot, Gardine, Fenster…“
Die Kinder waren zwischendurch immer wieder albern. Mandy erzählte Linea etwas, Andreas gähnte und drehte sich um.
Einer schreit: „Spielzeug!“
Manche Kinder finden das gut und wiederholen es.
Jan schreit entsetzt: „Nein!“
Die Kinder streiten.
Mark sagt: „Die Kinder können spielen, wenn sie Lust dazu haben.“
Tobi meint: „Nur in den Pausen darf man spielen.“
„Tisch für die Lehrerin!“, schreit einer.
Selma: „Eigentlich steht die immer.“
Linea: „Herzchen!“
„Herzchen ?“
„Ja, auf der Wand.“
„Wozu?“
„Damit es schön ist.“
Für Andreas ist es langweilig geworden, er verwickelt Mark in ein Gespräch, streitet. Ich schlage ihm vor, dass er wieder zu den anderen Kindern gehen darf, wenn er nicht mehr mitmachen will. Mark will mit seinem Freund raus gehen, aber dann überlegt er es sich noch mal und bleibt.
Selma: „Turnbeutel, Füller und dieses, wo die Zahlen drauf sind“ – sie breitet ihre Hände aus.
„Ein Lineal?“
„Ja! Die Mama hat es mir gesagt, und Stifte, Buch“.
„Ihr wisst schon so viel von der Schule. Habt ihr schon eine Schulklasse gesehen?“
„Im Buch, im Fernsehen.“
„Wo gibt es Schulklassen?“
„Da, wo die große Turnhalle ist!“
„Kann man sich die Klasse ansehen?“
Die Kinder wollen wissen, wie eine echte Klasse aussieht. Sie möchten hingehen.
„Wie organisiert man es?“, will ich wissen.
„Die Schule ist genauso auf (offen) wie der Kindergarten.“
„Dann können wir mit dir hingehen!“
„Man muss klopfen oder klingeln und fragen, ob man rein gehen darf.“
„Und dann: Guten Tag. Wir sind vom Kindergarten. Wir möchten uns eine Klasse angucken.“
„Und wenn einer Euch fragt, wieso?“
„Weil wir noch nicht so viel über die Schule wissen, was es alles in der Schule gibt.“
„Wer möchte mitgehen?“
Selma, Tim, Jan, Mandy, Linea möchten, Mark und Tobi – nicht !
Mir ist aufgefallen, dass Selma sich sehr oft an unserem Gespräch beteiligt hat. Sie hat konzentriert zugehört und korrekte Antworten gegeben. Als ich ihr gesagt habe, dass ich mich gewundert habe, dass sie schon so viel über die Schule weiß, meinte sie:
„Ich weiß nicht, woher ich das alles weiß. Ich war noch gar nicht in der Schule. Vielleicht ist das in meinem Kopf geschrieben, mit einem Zauberstift.“
Und nach einer Weile:
„Ach, ich weiß, der Sebastian kommt mit seinem Tornister zu uns und macht die Hausaufgaben, und manchmal darf ich mit seinen Stiften malen.“
„Aber woher weißt du, wie es in der Schule aussieht, du wusstest doch, dass die Lehrerin steht und nicht sitzt?“
„Ja, das wusste ich schon ein paar Jahre…“
Tag 2, Dienstag, der 20. Juli
Erst sieben Tage später konnten wir uns wieder zusammensetzen: Die Geheime Gruppe Kira, ich und die Praktikantin.
Zum ersten Mal sind Sophie und Marius dabei. Jan und Andreas sind krank.
Alle können sich gut daran erinnern, was wir uns vorgenommen haben. Ich habe laut vorgelesen, was wir schon über eine Schulklasse gesprochen haben.
Leider bekamen wir keine Zusage, die Schule zu besuchen. Ich habe es den Kindern so erklärt, dass die Ferien bald anfangen und die Lehrer mit dem Schreiben der Zeugnisse sehr beschäftigt sind. Sie hätten leider keine Zeit.
„Aber ich habe ein Bild von einer Schulklasse mitgebracht, aus früheren Zeiten.“
Alle haben sich das Foto angeschaut. Dann erzählten einige Kinder, was sie darauf sehen konnten:
Sie haben die Tafel entdeckt. Und noch einen Globus, ein Klavier, ein Kreuz und Bilder an der Wand.
Anschließend haben wir Bilder von einer modernen Schulklasse betrachtet. Die Kinder entdeckten die Unterschiede: die Tische sind kleiner, Alles ist heller. Die Tafel ist viel breiter, und in einer Ecke stehen Computer. Die Kinder wissen auch, wozu es Computer in der Schule gibt: zum Schreiben, zum Lernen und auch zum Spielen.
Danach habe ich das Bilderbuch: „Ich gehe in die Schule“ auf den Tisch gelegt. Auf der ersten Seite sieht man ein Mädchen, das zum ersten Mal in die Schule geht.
Die Kinder entdecken die Schultüte und einen Tornister. Ich frage sie, ob sie wissen, was in einer Schultüte drin ist. Das wüssten sie so genau nicht.
Vielleicht könnte man jemanden fragen.
Ich soll Katja rufen. Sie ist ein Vorschulkind und sie muss es wissen. Ich ermutige die Kinder, Katja Fragen zu stellen. Leider weiß sie nicht, was sich in der Tüte befindet.
Dann schlage ich Barbara vor, denn sie hat eine ältere Schwester. Ja, sie kann die Frage beantworten: In der Schultüte sind Stifte, Bücher, Geschenke und Süßigkeiten für die Pause.
Dann haben wir Barbara wieder rausgeschickt. (Sie darf das Geheimnis doch nicht erfahren!)
In dem Bilderbuch haben die Kinder noch andere Gegenstände gefunden: einen Backofen zum Backen, ein Aquarium zum Fische angucken, große Buchstaben zum Nachschreiben. Sie erfuhren aus dem Buch auch, dass es verschiedene Fächer gibt: Sprache, Mathematik, Sachunterricht, Kunst und Sport. In den Pausen darf man draußen spielen. Es gibt noch eine Bibliothek, wo man verschiedene Bücher ausleihen kann. Es gibt auch eine Toilette und einen Waschraum.
Wir beschlossen, dass wir übermorgen den Klassenraum einrichten werden.
doch schon angefangen.
Mark, Selma und Sophie haben die Tische geschoben, die Stühle getragen, den Globus und den Regenmacher abgestaubt.
Wir haben einen Tisch für den Sachunterricht vorbereitet und eine Musikecke mit einem Keyboard, Regenmacher und Mikrofon ausgestattet.
Natürlich haben die Kinder alles ausprobiert, auch die Dosenlupe und die Magnetbuchstaben.
Danach haben wir acht Hefte gemacht.
Unser Nebenraum hat sich sehr verändert. Die alte Wand-Dekoration wurde gemeinsam abgemacht.
Wir sind sehr gespannt, ob es den Großen gefällt.
Tag 3, Mittwoch, der 21. Juli:
Die Tür zu unserem Nebenraum war bis fast halb zehn geschlossen.
Irgendwie haben die Kinder den Raum ständig bewacht, immer wieder warnte Jemand: „Die Tür muss geschlossen bleiben, wir dürfen nicht rein!“
Inzwischen hatte ich noch „Schulmappen“ vorbereitet: Schnellhefter mit einigen Arbeitsblättern und ein paar linierten und karierten Blättern.
Ich konnte die Spannung kaum aushalten. Wie nehmen die Großen das Angebot an?
Zuerst ist die Geheime Gruppe Kira in den Nebenraum gegangen. Selma und Mark zeigten den anderen Gruppenmitgliedern, was wir am Vortag gemacht hatten.
Andreas und Mark stürzten sich auf die Musikinstrumente, Tim entdeckte das Zahlen-Puzzle und fragte: „Was steht unter den Puzzle-Teilen?“ – „Das sind englische Wörter für die Zahlen“, habe ich ihm gesagt: „One, two, three, four, five…“
Linea hatte doch keine Lust mehr, die Herzchen zu basteln, deshalb haben wir gemeinsam beschlossen, dass die „Schule“ fertig ist.
Ich habe bemerkt, dass diese Kinder am liebsten selber drin spielen würden.
„Es ist gut so“, habe ich gedacht und laut sagte ich: „Jetzt könnt ihr vier Schulkinder in den Raum holen.“
Die Großen haben natürlich gespürt, dass sie dort etwas Besonderes erwartete. „Na, endlich“ – konnte man in ihren Gesichtern entdecken.
Ich habe abgewartet, bis sich die erste Aufregung gelegt hat. Dann habe ich die Geheime Gruppe Kira angesprochen, dass sie den Großen erklärt, was wir hier vorbereitet haben.
Danach wurden die Hefte verteilt. Während die Großen ihre Namen auf die Hefte geschrieben haben, setzten sich die Kira-Mitglieder auf den Teppich.
Ich zeigte ihnen die Schnellhefter. Gemeinsam haben wir uns überlegt, was es für Aufgaben sind. Die Kinder sollten herausfinden, was zu tun ist, wie man es erklären kann und welche Lösung es gibt.
Zu meinem Erstaunen war Mark bei einigen Aufgaben viel schneller im Begreifen und Lösen als Tim.
Dafür wollte Tim der Lehrer sein. Er hat den Vorschulkindern die Aufgabe korrekt erklärt. In einem Gewirr von Linien sollten die Kinder Tiere finden und sie bunt ausmalen. Danach haben die Kira-Kinder die Blätter kontrolliert und „Einsen“ darauf geschrieben.
Ich glaube, mit diesem Projekt haben wir gemeinsam etwas Besonderes geschaffen:
Die Vorschulkinder können sich als Schüler „ausprobieren“. Mit allem Ernst erledigen sie die Aufgaben. Sie erleben, dass sie schon in einem anderen Lebensabschnitt sind als die übrigen Kindergartenkinder.
Für die jüngeren Kinder bedeutet dieses Projekt auch sehr viel: Sie sind doch gar nicht so klein, sie haben etwas für die Großen vorbereitet, wobei sie sogar die „Erklärer“ und „Lehrer“ sind.
Sie haben sich zuerst mit den Aufgaben befasst, um sie später den Großen zu erklären.
Sie haben den Klassenraum gestaltet. Sie haben schon so viel über die Schule gewusst.
Und natürlich können sie selber Schule spielen. Sie fangen an, für sich selber Hefte zu basteln.
Ich möchte dazu noch einen zeitlichen Rahmen einführen (eine Glocke, die nach 15 Minuten Beschäftigung erklingt). Und die Fächer.
Ich bin überzeugt, ich kann den Kindern den Raum überlassen. Ich muss sie nicht mehr ständig begleiten.
Die Musikinstrumente haben wir erst heraus genommen. Wir machen lieber einen Musikunterricht mit der Begleitung einer „Lehrerin“, so wie in der echten Schule.
Die Schulecke wird ständig bespielt
Bis zu den Sommerferien, also bis zum 29. Juli, haben die Kinder „Schule“ gespielt.
Sie beeilten sich mit dem Frühstück, um weiter spielen zu können. Kristin sagte: „Ich will keine Pause machen, ich will zuerst alle meine Blätter fertig machen.“
Barbara meinte: „Mir gefällt die Schule sehr, ich könnte da bis 12 Uhr spielen, nein, bis 6 Uhr nachts!“
Auch das schöne Wetter konnte die Kinder nicht davon abhalten. Immer wieder holten sie sich ihre Mappen und lösten Aufgaben. Bald waren sie fertig und wollten neue Arbeitsblätter. Ich habe natürlich weitere Aufgaben vorbereitet.
Um sich zu beraten, haben die Kinder sich oft auf den Boden gesetzt – ob sie das in der Schule dann auch dürfen?
Dann musste ich neue Mappen vorbereiten. Die jüngsten Kinder wollten auch in der Schule spielen. Am Anfang haben sie nur beobachtet, aber so bald ein Sitzplatz frei war, setzten sie sich an den „Schultisch“. Diese Kinder brachten einfache Malblätter mit. Sie schrieben Buchstaben oder Zahlen von der Magnet-Tafel ab. Dann wollten sie auch Arbeitsblätter und Mappen haben.
Nachmittags wurde auch in der Schule gespielt. Dazu sind Kinder aus anderen Gruppen gekommen. Auch diese Kinder bekamen die Arbeitsblätter.
Auseinandersetzung mit der Lehrer-Rolle
Bei vier Kindern war in diesem Spiel die Rolle des Lehrers /der Lehrerin sehr beliebt.
Zunächst waren Selma und Tim die Lehrer.
Katja sagte: „Selma ist eine gute Lehrerin, von ihr kriegt man immer eine Eins.“
„Der olle Tim gibt nur die schlechten Noten“, klagte Harry.
Selma lachte: „Klaudia, Harry hat eine Zwei gekriegt, ha, ha, ha!“
„Du bist auch voll die blöde Lehrerin“, schrie der genervte Harry.
Ich meinte, Tim hat ihm zu Recht eine Zwei gegeben, Harry hätte sich mehr bemühen sollen und ordentlicher seine Aufgabe lösen. Die anderen Kinder bestätigen, dass die Lehrerin in der Schule darauf achtet.
„Ich will auch eine Lehrerin sein!“, sagt Barbara, 6 Jahre alt, plötzlich.
„Was willst du tun?“
„Rechnen!“
„Gut, dann musst du dir eine Aufgabe überlegen.“
Sie legt dreistellige Zahlen auf die Magnet-Tafel. Aber die Kinder interessieren sich gar nicht dafür. Dann legt sie Buchstaben drauf, die Kinder schreiben ab. Barbara geht durch die Klasse und schreibt die Noten: alle bekommen eine Eins.
Kristin sagt laut: „Barbara ist eine gute Lehrerin, sie soll immer die Lehrerin sein!“
Barbara ist sehr aufgeregt, glücklich und stolz.
Nach einer Weile höre ich ein „Gerappel“ aus der Schule. Barbara hält die Becherlupe in der Hand und rappelt damit. Sie fragt: „Was soll ich machen, wenn sie so laut sind?“
„Nicht die Becherlupe dafür nehmen, sie bekommt Kratzer und dann kann man sie nicht mehr benutzen. Wir nehmen ein Glöckchen am Band.“ Barbara ist begeistert. Jetzt steht sie vor der Tafel und rappelt mit dem Glöckchen. Die Kinder meckern.
Vor dem Stuhlkreis ist Kristin (4;11) zu mir gekommen. Sie sagte, sie möchte auch Lehrerin sein.
„Gut, dann musst du Aufgaben für die Kinder haben“
„Was für Aufgaben?“
„Du könntest Arbeitsblätter vorbereiten, ich kann dir dafür Papier geben.“
Das hat ihr sehr gefallen. Kurz vor dem Abholen bekam sie leere Blätter. Weil ihre Mutter noch nicht da war, holte sich Kristin einen Stift und fing an, die Arbeitsblätter zu fertigen.
Um 14 Uhr sind die Vorschulkinder wieder gekommen. Sie sind sofort in die Schule gegangen. Barbara schnappt sich das Glöckchen und will wieder die Lehrerin sein. Aber Kristin schreit laut: „Ich bin die Lehrerin, ich habe Aufgaben für euch, Klaudia hat es mir versprochen!“
Ich bestätige es, Barbara wird wütend und schreit laut: „Ich will nicht mehr Schule spielen!“ Sie hält sich sofort die Ohren zu, ich lasse sie alleine am Tisch. Dann gehe ich zu den anderen Kindern und sage: „Wer der Lehrer sein will, muss sich die Aufgaben überlegen.“
Kristin verteilt ihre Arbeitsblätter, die Kinder fangen an zu rechnen, Barbara rebelliert weiter. Alle sind entsetzt und Kristin wendet sich wieder an mich, sie braucht Hilfe.
„Du bist die Lehrerin, sie muss auf dich hören, du kannst ihr auch eine Sechs geben, wenn du willst.“
„Wo?“, fragte Kristin.
„In deinem Klassenbuch!“
Katja sagt zu Barbara: „Du warst schon heute Lehrerin, wir haben alles gemacht, was du gesagt hast!“
Barbara schreit: „Ich werde nie wieder Schule spielen!“
Ich muss zu den anderen Kindern in den Gruppenraum gehen. Als ich wieder in der Schule nachschaue, stelle ich fest, dass Kristin Barbara als Helferin genommen hat.
Später haben wir über das Geschehene gesprochen. Ich sagte den Kindern, dass ich es toll finde, dass sie die Lehrerinnen sein wollen. Natürlich können sie beide es sein und auch die anderen: Es gibt nämlich viele verschiedene Lehrer und sie unterrichten in verschiedenen Fächern. Nur sie müssen sich abwechseln und sich vorher etwas überlegen.
Diesmal haben alle zugehört, Barbara wurde überzeugt, eigentlich wusste sie das Ganze von ihrer älteren Schwester.
Am nächsten Tag brachte Katja Arbeitsblätter mit. Es waren mit dem Computer ausgedruckte Bilder mit einem Pferd und einem Reiter.
Ein paar Tage später brachte Kristin eine Glockenblume mit, die Kinder sollten sie genau abmalen.
Mit der Zeit ist der Streit um die Rolle der Lehrerin ganz verschwunden, die anderen Kinder beanspruchten es gar nicht.
Ich glaube, sie haben verstanden, was zu den Aufgaben der Lehrerin gehört. Und dass man in dieser Position eine andere Art Arbeit hat, aber auch die Verantwortung. Nicht nur die Macht, die Noten zu geben, sondern die Pflicht, sich vorzubereiten. Und das wollen sie doch nicht, das würde sie vielleicht auch überfordern. Sie wollen doch erst nur lernen, sie sind auf die Aufgaben gespannt, sie wollen ihre Arbeitsblätter haben. Die haben sie bekommen und nach dem Lösen hefteten sie in ihre Schnellhefter.
Die jüngsten Kinder
Die jüngsten Kinder wussten nicht so viel über die Schule. Sie ordneten sich unter und „bearbeiteten“ ihre Aufgaben. Dabei orientierten sie sich an den älteren Kindern, ließen sich etwas erklären oder guckten einfach ab.
Aber unbeobachtet, nur unter sich, versuchten auch sie sich in der Rolle des Lehrers, der mit dem Glöckchen die Macht im Klassenzimmer hat. Sie konnten sich auch nicht so lange konzentrieren wie die „Großen“, deshalb wurden ihre Arbeitsblätter nicht fertig. Allerdings brachten Linea, Jan und Selma meistens die Aufgaben zu Ende.
Tim hatte keinen Spaß an den Ausmalbildern, weil es zu lange gedauert hat oder weil er – auch ohne auszumalen – die Lösung erkennen konnte.
Mark (3;11)
Mark löste die Aufgaben korrekt, war aber nicht ausdauernd dabei, eher sprunghaft. Sehr oft brach er überraschend seine Arbeit ab. Er meinte, er könnte es nicht. Dabei schaute er mich auf so eine Weise an, dass ich es riskierte und versuchte ihn zu überreden. Und meistens machte er weiter.
Diese Verhaltensweise beobachtete ich bei ihm mehrmals. Wieso sagt er, er kann es nicht lösen, wo er gleich weiter korrekt arbeitet? Ist das eine Art von Machtspiel? Will er testen, wie wichtig das für mich ist? Oder vielleicht weiß er selber nicht mehr, ob er etwas machen will oder doch nicht. Gewiss versteckt sich etwas hinter diesem Verhalten.
Ich fing an, ihn intensiver zu beobachten und über ihn nachzudenken. Am wahrscheinlichsten erschien mir, dass ihn irgendeine Angst plagt.
Zunächst konnte ich zu Mark in dieser Frage keinen Zugang finden. Er mag mich, vertraut mir, spielt sehr viel mit mir. Er sucht meine Nähe. Er vergewissert sich oft, dass ich in seiner Nähe bin. Er fragt mich, was ich tue, was ich vorhabe, wohin ich gehe. Er kriegt oft unerwartet Angst. Er geht ungern in andere Gruppen, wenn die Gruppen nachmittags zusammen gelegt werden. Meistens weint er dann und bekommt Bauchschmerzen. Wenn man sein Unwohlsein nicht angemessen beachtet, fängt er an zu weinen, dann würgt er und es ist schon vorgekommen, dass er erbricht. Wenn man ihm vermittelt, dass man ihn versteht, aber das Geschehene nicht beeinflussen kann, reagiert er trotzdem genauso heftig.
Als ich seine Mutter darauf ansprach, erzählte sie mir, dass er sich zu Hause oft ängstlich verhält. Er bekommt von ihr Erklärungen auf beängstigende Fragen, die er stellt. Dann will er noch mehr wissen und dadurch bekommt er noch mehr Angst. Das wiederum verunsichert die Mutter, dann gibt sie lieber wenige Erklärungen, um den Jungen vor so viel Angst zu schützen. Aber dann bekommt er Angst, weil er zu wenig weiß (versteht). In Verzweiflung lässt sie ihn so stehen, aber bald muss sie wieder zu ihm, weil er sich erbricht.
Da die vielen Erklärungen bei ihm eher negative Auswirkungen verursachen, habe ich es mit einer anderen Methode versucht. Ich wollte erreichen, dass er lernt, seine Gefühle zu erkennen und sich selbst von seinem Unbehagen abzulenken.
An einem Nachmittag musste er in eine andere Gruppe gehen, weil ich schon Feierabend hatte. Er wusste es schon vorher. Er hat immer wieder auf die Uhr geguckt und kurz bevor ich gehen sollte, hat er zu mir gesagt, er will nicht in die andere Gruppe gehen.
„Das kann ich nicht ändern, ich muss nach Hause gehen, alle gehen in die andere Gruppe.“ Er weinte. Ich habe ihm beim Anziehen geholfen und zusammen sind wir nach draußen gegangen, wo schon die Kollegin und andere Kinder waren. Auch sein bester Freund wartete auf ihn. So blieb Mark draußen und ich habe den Gruppenraum aufgeräumt. Dann hörte ich, wie der Junge weinte, immer lauter. Er sah mich durch das Fenster und kam zu mir. Wir gingen in den Waschraum sein Gesicht waschen. Ich beruhigte ihn, trocknete ihn ab und wiederholte, dass ich nach Hause gehe.
Darauf fing er an zu husten und beugte sich schon über das Waschbecken – im Begriff zu erbrechen. Ich unterdrückte den Ärger und das in mir aufkommende Entsetzen. Ich sagte ihm, dass ich weiß, dass er sich nicht wohl fühlt und Angst hat. Er muss mir das nicht zeigen. Ich kann die Situation nicht ändern. Am besten wäre, wenn es ihm gelingt, an etwas anderes zu denken oder mit jemandem zu spielen. So vergeht die Zeit viel schneller. Wenn man spielt, vergisst man die Angst.
Mit diesen Worten und einem Lächeln brachte ich ihn wieder zu den anderen Kindern. Er suchte seinen Freund und spielte mit ihm.
Einige Tage später wartete Mark auf seine Mutter. Viele Kinder waren schon abgeholt. Ich beobachtete, dass er immer unruhiger wurde. Dann kam er zu mir und fragte, ob er spielen darf. Ich habe verstanden, was er mit dieser Frage meinte. Der Begriff „spielen“ bedeutete für ihn in diesem Moment auch: sich besser fühlen, die Angst vergessen.
So sagte ich zu ihm: „Das ist eine sehr gute Idee, so vergeht die Zeit, bis Mama kommt, viel schneller“.
Er lächelte mich an. Er hat dann meinen Rat, sich durch das Spielen abzulenken, angenommen, umgesetzt und auf die Wirkung überprüft. Und ich freute mich, dass Mark auf dem besten Wege ist, bei der Bewältigung seiner Ängste selbst aktiv zu sein.
Das Verhalten von Mark hat mich sehr beunruhigt. Ich spürte, dass ich etwas machen muss, was ihm helfen kann. In den Gesprächen mit ihm habe ich erfahren, dass er seine seelischen Zustände nicht einordnen kann. Er klagte über Bauchschmerzen, wurde unruhig, aber wusste nicht, was es war, was er fühlte. Andererseits konnte er sagen, dass er Angst vor Feuer hat.
Es besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass er weiß, dass er Angst hat, aber zugleich Angst hat, es zu zugeben, weil eigentlich „kein Grund besteht, Angst zu haben“.
So oder so ist es wichtig, dass er lernt, dass ein Gefühl etwas ist, was von alleine kommt. Man muss es erkennen und lernen damit umzugehen.
Und deshalb entwickelte ich zusammen mit meiner Kollegin das Projekt: Gefühle.
Projekt: Gefühle
Im Hinblick auf die Schule haben die Vorschulkinder auch verschiedene Gefühle. Es ist wichtig, dass sie sie bewusst erleben, auch wenn sie ambivalent sind.
Die jüngeren Kinder sind traurig, dass sie ihre großen Spielkameraden verlieren, aber gleichzeitig sind sie auf die neuen Kinder gespannt. Manche sind traurig, dass sie noch lange auf die Schule warten müssen.
Auch der Alltag bringt so viele Situationen, in denen Gefühle eine Rolle spielen.
Beim Umgang miteinander ist es wichtig, die Gefühle meines Gegenübers zu erkennen, den Gesichtsausdruck richtig zu interpretieren, die Körpersprache zu verstehen. Erst dann kann man sich angemessen verhalten.
Man kann auch Gefühle vortäuschen, um etwas zu erreichen.
Das Projekt „Schule“ wurde von den Kindern sehr gut angenommen. Wie tief sie die Inhalte aufgenommen haben, hat sich durch sehr intensive Gefühle geäußert. So haben wir, meine Kollegin und ich, uns entschlossen, die Projekte „Gefühle“ und „Schulecke“ gleichzeitig durchzuführen.
Beim Projekt: Gefühle ging es darum, Gefühle am Gesichtsausdruck zu erkennen und Gefühle mimisch und gestisch auszudrücken.
So versuchten die Kinder in der Turnstunde, Gefühle in verschiedenen Musikstücken zu erkennen und sie dann körperlich zu zeigen. Dazu benutzten sie bunte Tücher, denen sie Gefühle zugeordnet haben.
Wir haben aus Zeitschriften Gesichter ausgeschnitten, die unterschiedliche Gefühle ausdrücken. Daraus haben wir gemeinsam ein Spiel gebastelt. Ziel davon ist es, dass Gefühl zu erkennen, zu überlegen, in welcher Situation man dieses Gefühl haben könnte und dann mit der Hilfe eines Spiegels den Gesichtsausdruck nachzuahmen.
Wir hörten eine Geschichte von einem traurigen Clown. Dabei konnten wir erfahren, wie man den Clown wieder aufmuntern kann.
Wir spielten Situationen aus dem Leben nach, die die Kinder öfters erleben, zum Beispiel: Ein Kind wird aus dem Spiel ausgegrenzt, ist sehr traurig, weint. Was macht man, wenn man so was sieht?
Oder: zwei große ärgern ein jüngeres Kind. Wie reagiert man?
Da durften die Kinder ruhig schimpfen, ihre Meinung mit fester Stimme sagen. Und sich dann liebevoll um das traurige Kind kümmern.
Wir lernten ein neues Lied: „Siehst du, wie ich lachen (weinen, schimpfen) kann“.
So liefen die beiden Projekte nebeneinander. Die vielen Aktivitäten gehörten zu zwei unterschiedlichen Themenbereichen, aber irgendwie bildeten sie eine Einheit. Deshalb wurden die Kinder nicht überfordert.
Eines Tages rief Alice: „Klaudia, ich liebe das Leben, es ist so schön!“
In dieser Zeit übernachteten die Vorschulkinder im Kindergarten. Zusammen mit meiner Kollegin bemühte ich mich um eine schöne Atmosphäre: Wir haben den Gruppenraum geschmückt, die Stimmungslampen aufgestellt, usw. Da waren wieder intensive Gefühle im Spiel.
Und dann, am letzten Kindergartentag, setzte ich mich mit allen Vorschulkindern in unsere „Schule“. Es war ein besonderer Tag mit starken Gefühlen. Wir haben uns das Buch „Der Ernst des Lebens“ angeschaut, die Geschichte angehört.
Die Kinder erzählten viel. Danach habe ich sie gefragt, was sie fühlen.
Sie sprachen von Freude und Trauer, von Stolz und Angst. Ein Mädchen machte ein „Schweeps- Gesicht“.
Auch ich habe von meinen Gefühlen beim Abschied erzählt, dabei zitterte meine Stimme. Die Kinder haben es wahrgenommen. Sie haben mich sehr ernst angeschaut. Ich merkte, dass sie mitfühlen.
Dann sagte ich, dass ich mich gleichzeitig sehr freue, dass sie es geschafft haben und in die Schule gehen. Ich bin stolz auf sie, weil sie in den Kindergartenjahren so viel gelernt haben. Es war ein wunderschöner Augenblick.
Die beiden Projekte haben sich vereinigt.
Auswertung des Projekts: Schulecke
Alle Kinder aus unserer Gruppe konnten in der „Schule“ spielen. Manchmal mussten wir zusätzliche Stühle hinstellen. Es gab aber auch Kinder, die nie in der Schule spielten. Sie wussten genau, was man da machen konnte, es reizte sie aber nicht. Es waren diejenigen Kinder, die sich auch sonst ungern auf neue Angebote einlassen. Das war nicht weiter schlimm, es gab natürlich keinen Zwang. Diese Kinder haben andere Interessen gehabt und diese auch verfolgt.
Einige Kinder haben sich bei den Projekten auf eine besondere Weise beteiligt.
Selma (5;1)
Selma hat sich sehr intensiv bei der Vorbereitung der Schule beteiligt. Sie bereicherte die Planung mit ihrem breiten Wissen über die Schule und das Lernen. Mit ihrem freundlichen Wesen wurde sie als Lehrerin gut von den Kindern angenommen.
Sehr schnell hat sie aber diese Rolle aufgegeben, um selbst ein „Schulkind“ zu sein. Sie löste die Aufgaben genauso gut wie die Sechsjährigen. Ihre Bilder beeindruckten mit kreativen Ideen und sehr ästhetischen Ausführungen. Sie war zielstrebig, von ihren Überlegungen ließ sie sich nicht abbringen.
Tim (4;4)
Er wünscht sich, bald in die Schule gehen zu dürfen. Er besitzt sehr detailliertes Wissen in vielen Bereichen, kennt schon Buchstaben und versucht zu lesen und zu schreiben.
Bei den Arbeitsblättern konnte er schnell erkennen, worum es in den Aufgaben geht.
Als „Lehrer“ hat er die Aufgaben den anderen Kindern verständlich erklärt.
Als „Schüler“ füllte er die Arbeitsblätter sehr schnell aus, er hatte keine Lust ordentlich und zu Ende auszumalen. Er konzentrierte sich nur auf den intellektuellen Teil der Aufgabe, der für ihn wesentlich war, und sah nicht ein, dass die ordentliche Ausführung wichtig ist.
Kristin (4;11)
Kristin ist ein Jahr jünger als die anderen Vorschulkinder. Sehr spät, erst im Frühling vor der Einschulung, haben ihre Eltern sie in der Schule angemeldet. Bis dahin bemühten sie sich, ihre Tochter von „schulischen“ Themen fern zu halten. Kristin zeigte eine große Begeisterung für mathematische Aufgaben. Ähnlich wie Tim legte sie nicht so viel Wert auf das ordentliche Ausmalen. Sie löste die Aufgaben sehr schnell und verlangte sofort neue Arbeitsblätter.
Sie übernahm die Verantwortung für das Geschehen, beobachtete die Kinder, versuchte selber Konflikte zu lösen. Als erstes Kind setzte sie sich mit der Rolle des Lehrers auseinander. Sie hat Arbeitsblätter mit Rechenaufgaben vorbereitet. Es ging dabei um Addition (Plus-Aufgaben) und Subtraktion (Minus-Aufgaben). Kristin hatte die einstelligen Zahlen zufällig ausgewählt. Bei der Addition spielte es keine Rolle, welche Zahl als erste stand. Aber beim Subtrahieren machte Kristin dann die Entdeckung: Wenn die erste Zahl kleiner ist als die zweite, kann sie die Aufgabe nicht lösen. Sie änderte daraufhin die Arbeitsblätter, damit ihre „Schulkinder“ ein Ergebnis finden konnten.
Dann sagte sie: „Man muss genau wissen, was man schreibt. Als Lehrerin muss man selbst die Lösung wissen, bevor man die Kinder fragt.“
Beim Schule-Spielen glaubte Kristin, dass die anderen Kinder schon viel mehr über die Schule wüssten und viel mehr könnten als sie selbst. Deshalb arbeitete sie fleißig, um besser zu werden.
Dass sie sich öfter mit ungewöhnlichen Fragen beschäftigt, zeigt diese kleine Geschichte:
Eines Abends lag Kristin schon im Bett. Ihre Mutter wollte nach ihr schauen. Kristin schlief noch nicht, sie war sehr aufgeregt. Sie erzählte stolz, dass sie schon weiß, wie viel 4 mal 4 ist. „16“ sagte sie, und die Mutter fragte, woher sie das wüsste.
„Das Zimmer hat 4 Wände und jede Wand hat 4 Ecken. Wenn man sie zusammen zählt, ist das 16.“
Jan (4;4)
Er interessierte sich sehr für die „Schule“. Er ist immer wieder mal reingegangen, um zu gucken, was gerade los war. Er sah sich die Arbeitsblätter der Kinder an, stellte Fragen, hatte eigene Ideen. Er widmete sich dem Arbeitsmaterial, was den Kindern zur Verfügung stand.
Aber sein Interesse war nicht von Dauer. Er wollte keine eigene Schulmappe haben und keine Aufgaben selbst lösen. Als ich gefragt habe, wieso, sagte er mir, er wäre dafür noch zu klein.
Dann sagte ich ihm, dass die anderen Kinder, die genauso alt sind wie er, auch Schule spielen und die Arbeitsblätter machen. Er wollte trotzdem nicht.
„Du kennst doch schon die Buchstaben, das verstehe ich nicht“, versuchte ich es noch mal.
„Ich will es erst lernen, wenn ich in die Schule gehe.“
„Wer sagt das?“
„Meine Mama.“
Eines Tages sagte er zu mir, dass er die Schule doof findet. „Wieso?“, fragte ich.
„Weil man nicht mehr in der Puppenecke spielen kann.“
Nur er und die kleine Mandy vermissten in dieser Zeit die Puppenecke. Bei Mandy war dies für mich sehr verständlich, sie war gerade erst vier geworden. Für sie ist die Puppenecke der Kindergarten. Für andere Sachen interessiert sie sich noch gar nicht.
Aber nicht Jan. Er interessiert sich für alles. Sehr typisch für ihn ist es aber, dass er bei keiner Beschäftigung länger verweilt.
Er ist sehr drängend, wenn er eine Erklärung braucht. Kaum hat er verstanden, entfernt er sich ganz schnell von der Stelle. Bei neuen Spielen will er auch mitmachen, aber nach kurzer Zeit hört er auf, legt sich auf den Tisch, spielt mit den Spielfiguren selbst ausgedachte Spiele.
Umgang mit Fehlern
Manche Kinder machten beim Lösen der Aufgaben Fehler: die Fehler gehören zum Lernen.
Ich habe sie ermutigt, es noch mal zu versuchen und zum Beispiel mit einem Stift in einer anderen Farbe noch mal zu schreiben oder zu malen. Wichtig war dabei, richtig zu gucken, noch mal zu zählen oder es sich erklären zu lassen. Wir nannten es „Selbstkorrigieren“.
Fazit
Im Kindergartenalltag ist immer Platz für verschiedene Projekte, bei denen hoch begabte Kinder angesprochen werden.
Es sind Projekte, die auf den Interessen der Kinder basieren und ihren Bedürfnissen entsprechen. Man kann sie so gestalten, dass alle Kinder davon profitieren. Sie nehmen so viel mit, wie sie gerade für ihre Entwicklung brauchen.
Diese Projekte werden rechtzeitig geplant. Der Raum wird bewusst umgestaltet, das Material wird gesammelt.
Wenn man bei der Beobachtung der Kinder zu den richtigen Erkenntnissen gekommen ist, sind die Kinder wahrhaftig motiviert mitzumachen und die aktive Phase kann länger andauern.
Es gibt auch Projekte, die spontan entstehen. Durch die ständige Beobachtung der Kinder nimmt man wahr, was sie gerade beschäftigt. Gemeinsam werden Ideen entwickelt. Diese Projekte dauern so lange, wie die Kinder sie brauchen.
Man sagt: „Das habe ich nicht geplant, es hat sich spontan entwickelt.“ Solche Projekte sind genauso wichtig. Dabei ist es aber notwendig, das Geschehene zu reflektieren und nach ergänzenden Angeboten zu suchen.
Nach meinen bisherigen Erfahrungen sind es sehr oft die hoch oder besonders begabten Kinder, die neue Ideen in den Kindergartenalltag einbringen. Die übrigen Kinder sind dem gegenüber offen, weil diese Ideen von Kindern kommen und nicht von den Erwachsenen herangetragen werden.
Wir Erzieherinnen im Kindergarten sollten dies als Chance für die ganze Gruppe sehen und die pfiffigen Kinder nicht immer wieder auf später vertrösten!
Und das ist, meiner Meinung nach, sehr wichtig für die weitere Schullaufbahn dieser Kinder.
Datum der Veröffentlichung: Mai 2012
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