von Yvonne Pinter
In meiner Gruppe hinterlassen die Kinder viele Spuren. Die Kinder sind 1 bis 4 Jahre alt. Gerade die jüngeren Kinder räumen oftmals ihre Spielsachen nicht auf, schütten etwas aus, laufen herum und verlieren Spielsachen unterwegs.
Besonders gerne hinterlassen sie Wachsmalstift-Spuren auf Böden, Tischen, Stühlen oder auf den Bildern anderer Kinder.
Wenn Wasser verschüttet wurde, wird darin rumgemalt und rumgeschmiert.
Spuren zu hinterlassen liegt in der Natur des Menschen.
Ich kam auf die Idee, dies aufzugreifen und daraus das Projekt „Spuren hinterlassen“ zu starten. Hierbei möchte ich dieser natürlichen Leidenschaft nachgehen und ihr einen
Rahmen geben. An dem Projekt können alle Kinder teilnehmen, die dazu Interesse und Lust haben. Aus Erfahrung weiß ich, dass gerade jüngere Kinder lieber erst mal zuschauen und sich erst später trauen mitzumachen. Auch diese Kinder sollen ihre Chance bekommen, jederzeit einzusteigen.
Schon bei meinen Vorbereitungen, als ich zum Beispiel Bücher gewälzt oder eine Technik ausprobiert habe, standen meine beiden ältesten Mädchen mit neugierigen Augen bei mir. Anna 4;2 und Maria 4;1 (Namen geändert) sind zwei sehr hilfsbereite und stets interessierte Kinder. Sie haben gerade im künstlerischen Bereich ihr größtes Interesse.
Bei Anna sehe ich eine auffallende künstlerische Begabung. Insgesamt sind ihre Interessen sehr breit gefächert. Sie ist überall dort zu finden, wo etwas los ist. Für ihr Alter ist sie auch im sprachlichen Bereich erstaunlich. Sie hat einen sehr ausgeprägten Wortschatz.
Mit ihren Eltern stehe ich im Gespräch, auch im Hinblick auf die Hochbegabung des Bruders. Annas Bruder war auch schon in meiner Gruppe gewesen. Bei ihm wurde eine Hochbegabung durch einen Test festgestellt und seine Interessen liegen ebenfalls im künstlerischen Bereich. Er malte, bastelte, gestaltete und erfand mit einer unglaublichen Ausdauer und Leidenschaft. Anna schaut sich viel von ihm ab, entwickelt aber auch eigene Ideen und setzt diese um. Sie malt und bastelt sehr gerne und zeigt dabei viel Phantasie.
Marias ältere Schwester war auch in meiner Gruppe. Sie fiel auch schon früh durch ihre künstlerische Ader auf. Bei Maria erkenne ich, dass sie viele Interessen hat, dass sie aber künstlerisch eher den Stil ihrer Schwester übernimmt und noch nicht ihren eigenen gefunden hat.
Bei meinem geplanten Projekt ist es durch die angewandten Methoden nicht möglich, jemanden zu imitieren. Oft gibt es hier Zufallsergebnisse wie zum Beispiel bei
der Klatschtechnik, bei der Murmeltechnik oder bei der Bindfadentechnik.
Mein Ziel ist es, allen Kindern Alternativen zum täglichen Basteln und Malen zu schaffen, ihre Phantasie und Kreativität anzuregen und zu fordern. Erfolgserlebnisse und Spaß müssen dabei sein. Wichtig finde ich auch, dass die Kinder ihre Erfahrungen mit den verschiedenen Materialien machen und den Umgang damit erlernen.
Ich selber möchte mir die nötige Zeit für das gesamte Projekt und die einzelnen Kinder nehmen, die Kinder begeistern und beobachten.
Ich stecke den groben Rahmen des Projektes ab, lasse aber den Raum für Experimente und möchte Hilfestellung geben.
Anna und Maria bezog ich von Anfang an in das Projekt mit ein, da sie mich ständig fragten: „Was machst du? Können wir mitmachen? Können wir dir helfen?“ So wurden sie zu meinen Assistentinnen.
Durch unsere regelmäßigen Morgenkreise sind die Kinder immer über Angebote und Ereignisse in der Gruppe und der Kita informiert. Ich schaue dann immer schon mal in die Runde, um zu sehen, wer Interesse hat.
Murmelbilder
Angefangen haben wir mit Murmelbildern. Hierzu wird ein Blatt Papier in eine passende Kiste gelegt. Auf das Blatt wird Farbe getropft oder geschüttet, dann werden 2 bis 3 Murmeln hinein gelegt. Durch Hin- und Herbewegen der Kiste werden die Murmeln durch die Farbe gerollt und es entstehen wunderschöne Ergebnisse.
Als Farben wählte ich normale Fingerfarben in rot, blau und gelb. Durch die Murmelbewegungen werden die Farben gemischt und es entstehen andere Farben. Das beobachteten die Kinder mit viel Interesse.
Bei den älteren Kindern, also den drei- bis vierjährigen, ging ich näher auf die neu entstandenen Farben ein. Welche gemischten Farben sie erkennen und durch welche Mischungen diese entstanden sind. Sogar Maria lernte dabei noch eine neue Farbe kennen: Türkis.
Bei den jüngeren Kindern standen das Kennenlernen und Benennen der Farben im
Vordergrund.
Maria und Anna experimentierten sehr viel mehr als die anderen Kinder. Sie kamen auf die Idee, nur mal zwei Farben zu verwenden, sie variierten aus eigenem Antrieb mit den Murmeln, wobei sie bis zu 5 Stück verwendeten, und mit der Menge der Farbe. Ich hielt mich zurück und beobachtete ihr Treiben. Sie unterhielten sich darüber sehr intensiv und waren völlig bei der Sache.
Jedes Bild wurde einzigartig.
Als kleine Galerie nutzten wir die Garderobe. Die Kinder präsentierten ihre Bilder den Eltern.
Angeregt durch das große Interesse am Farbenmischen, kramte ich
spontan das Buch: „Die wahre Geschichte von allen Farben“ von Eva
Heller heraus. (Siehe: Bilderbücher, Sachbücher…)
In diesem Buch hat jede Farbe ihren eigenen Charakter. Sie setzen sich auseinander, streiten und versöhnen sich wieder.
Spannend sind die Farbenschlacht und die Erkenntnis, dass jede Farbe
ihre eigene Schönheit besitzt. Obwohl das Buch sehr lang ist, hörten viele Kinder gespannt zu, lachten über die Streitereien der Farben und waren begeistert über die
Farbmischungen. Besonders Anna und Maria waren sehr ausdauernd dabei. Sie erkannten:
„Aha, wenn alle Farben sich zusammen mischen, dann wird alles braun.“ Das fanden sie überhaupt nicht schön. Sie probierten es sofort aus und fanden, dass sich dieses Mischen nicht lohnt.
Kreide herstellen
Beim nächsten Angebot stellten wir Kreide selber her, um damit natürlich auch zu malen. Als Förmchen benötigten wir das Plastik-Innenleben von Verpackungen, zum Beispiel von Pralinenschachteln. Ich schrieb einen Aushang an die Eltern, daraufhin bekamen wir: Herzen sowie verschiedene runde und eckige Formen.
Zum Anrühren der Kreide benötigten wir Gips, Wasser, Ostereierfarben, einen Stock zum Rühren und kleine Becher. Zusammen mit Maria und Anna suchte ich alle Materialien zusammen. Anna sagte:
„Der Gips sieht ja aus wie graues Mehl und fühlt sich auch an wie Mehl.“
Nachdem wir Kittel angezogen hatten, nahm sich jede einen kleinen
Becher, tat etwas Wasser hinein, suchte sich eine Farbe aus und löste sie auf. Das war schon spannend für die Beiden. Nach und nach wurde mit einem Löffel Gips zugefüllt und gerührt. Gips muss ständig umgerührt werden, bis er sich bindet und anfängt hart zu werden.
Zu diesem Zeitpunkt gossen wir den farbigen Gips in die Formen. Eigentlich wollte
ich noch mit anderen Kindern den Gips anrühren, aber Maria und Anna hatten so viel Spaß und Geduld bewiesen. Deshalb entschied ich mich dagegen. Die Beiden hatten so viel Ausdauer und Elan, dass wir alle Farben aufbrauchten und keine Form mehr übrig blieb.
Erstaunt fühlten beide, wie der Gips nach dem Gießen richtig warm wurde. Anna sagte: „Fühlt sich an wie ein warmer Stein.“
Nun dauerte es zwei Tage, bis die Kreide getrocknet war. Anna und Maria kamen immer wieder auf mich zu: „Wie lange dauert es noch, wann können wir endlich malen?“
Als es so weit war, drückten sie die Kreide vorsichtig aus den Formen und wendeten alle Stückchen mit großer Hingabe, damit sie auch von allen Seiten trocknen konnten. Ich freute mich sehr über ihre Begeisterung.
Am zweiten Tag brachten wir Drei alle Materialien mit in den Morgenkreis. Zusammen berichteten wir genau, wie und was wir gemacht hatten und dass wir heute mit der
selbst hergestellten Kreide malen wollten.
Wir stellten zwei Staffeleien auf und klebten mit Krepp große weiße Blätter an das
Brett. Eigentlich wollte ich farbiges Papier nehmen, aber die Kreide leuchtete auf dem weißen besser.
Maria und Anna wollten natürlich beginnen. Schon als die Kreide noch trocknete, versicherten sie sich bei mir immer wieder, dass sie als Erste mit der Kreide malen dürften und danach erst die anderen Kinder. Natürlich versprach ich ihnen das, weil sie ja auch viel Arbeit und Sorgfalt darauf verwendet hatten, die Kreide herzustellen.
Zunächst schauten wir uns aber einmal an, welche Farben nach dem Trocknen entstanden waren: Gelb, Blau, Grün, Rot, Rosa, Türkis und Lila. Jede Farbe gab es
mal blasser, mal intensiver. Anfangs probierten die Beiden eher zaghaft
die Kreide aus. Dann aber wurde sie auf dem Papier gedreht, geschabt,
mal mit der flachen Seite und mal mit den Kanten über das
Blatt gemalt. Sie malten sehr intensiv und ausdauernd.
Es entstanden schöne Spuren und Muster und durch Verreiben der Farbe auch Flächen. Es waren nicht wie so häufig die Prinzessinnen- oder Blumenwiesen-Bilder.
Nach und nach malten auch die anderen Kinder (auch aus anderen Gruppen). Auch die ganz Kleinen mit noch nicht zwei Jahren erprobten die Kreide. Sie schoben, drückten, malten und hackten auf dem Papier. Allerdings musste ich auch sehr aufpassen, dass kein Kind die Kreide in den Mund steckte.
Obwohl viel mit der Kreide gemalt wurde, ist noch viel übrig geblieben. Die selbst gemachte erwies sich als ergiebiger als die gekaufte Straßenkreide. Jetzt können wir bei Lust und Laune darauf zurückgreifen.
Weitere Spuren
Im Alltag bedruckten wir mit den Kindern die Fensterscheiben mit den Händen. So entstand zum Beispiel ein Igel. Die Stacheln sind die Finger der Kinder. Wir druckten Sonnenblumen ebenfalls mit den Händen.
In unserem Waschraum stellte ich eine lange flache Kiste aus Holz auf. Sie hat einen
Glasboden. Hier füllte ich feinen Sand hinein. Zunächst mit kurzer Anleitung und inzwischen selbstständig, malen die Kinder ihre Bilder in den Sand. Sie malen mit sehr viel Ruhe, schon fast meditativ. Meine Befürchtung, den Sand ständig auffegen zu müssen, bestätigte sich so gut wie gar nicht.
Das Projekt „Spuren hinterlassen“ hat einige Monate gedauert. Unter anderem haben wir noch die Klapptechnik angeboten. Dabei wird Finger- oder Wasserfarbe sehr feucht
oder schon nass auf ein Blatt gemalt oder getropft. Dann wird das Blatt in der Mitte zusammengeklappt und es entstehen Abdrücke. Hier gibt es noch einige Varianten.
Wir haben mit einem Gemisch aus Fingerfarbe und Kleister gemalt. Das ist eine schöne Sinneserfahrung, vor allem für die Kleineren. Dies kann auch variiert werden, indem noch Sand dazu gegeben wird.
Dann kam die Bindfadentechnik. Dabei wird ein Stück Faden oder auch Wolle in
Farbe getaucht. Dann wird der Faden auf ein Blatt gelegt und es entsteht ein
Muster. Der Faden kann auch zwischen zwei Blätter gelegt werden und dann an einer Seite raus gezogen werden.
Anna und Maria waren die ganze Zeit über meine engagierten und verlässlichen Assistentinnen. Sie haben aber auch selber ganz viel experimentiert und gelernt.
Beide waren sie ungeheuer bei der Sache, sie begleiteten ihr Tun mit Reden, sie sprachen intensiv über ihr Tun, ihre Beobachtungen, ihre Ideen und Meinungen – und über nichts anderes.
So zu arbeiten, macht Lust auf mehr.
Datum der Veröffentlichung: Januar 2013
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