von Hanna Vock

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich vermute, dass Sie im Kindergarten arbeiten, also eine Kollegin oder ein Kollege von mir sind. Deshalb möchte ich gern gleich am Anfang zum kollegialen Du übergehen. Alle Männer und Frauen aus anderen Berufen mögen mir das verzeihen.

Mir macht das Theaterspielen mit Kindergartenkindern inzwischen großen Spaß. Früher war es eher mit gemischten Gefühlen besetzt. Und es klappte nie so ganz zu meiner und einiger Kinder Zufriedenheit.

 

…kurz gefasst…

Diesen Beitrag habe ich 1998 in meiner 10 Jahre währenden aktiven Zeit als Kita-Erzieherin geschrieben, daher erklärt sich der vom sonstigen Handbuch abweichende Stil.

Der Beitrag gliedert sich in folgende Abschnitte:

    • Der Entschluss, Theater zu spielen.
    • Die Geschichte auswählen.
    • Das Drehbuch entwerfen.
    • Theaterspielen ohne Sprechen – der Trick mit der  Erzähler-Rolle.
    • Und dann einfach anfangen!
    • Die Rollenverteilung.
    • Das Projekt entwickelt sich.
    • Und hinterher?

Da es hier nicht direkt um Hochbegabtenförderung geht,
lesen Sie bitte auch:
Theaterspiel mit hoch begabten Kindern

Inzwischen bin ich „im Beruf ergraut“, arbeite aber noch voller Lust in einer kleinen Kindertagesstätte.

Zu meiner Arbeitsweise im Kindergarten siehe auch:
Eine “ alte“ Konzeption in vollständiger Länge.

Vielleicht helfen Dir meine Erfahrungen, den Spaß am Theaterspielen früher zu entdecken. Vielleicht hast Du aber selber viel Erfahrung, an der ich sehr interessiert wäre…

Der Entschluss, Theater zu spielen

Wenn Du den Entschluss fassen willst, mit den Kindern (erstmalig?) ein Theaterprojekt zu beginnen, sind ein paar Vorüberlegungen hilfreich:

Spiele ich selbst gern Theater?

Wenn Du öfter mal sowas wie spontane Rollenspiel-Lust empfindest, ist schon eine wesentliche Voraussetzung erfüllt.
Fühlst Du aber eher Abwehr, Verlegenheit, Unlust, wenn zum Beispiel in einer netten Runde vorgeschlagen wird, Scharade zu spielen, oder wenn Du bei einer Fortbildung bei einem Rollenspiel mitmachen sollst, dann lass lieber die Finger davon. Die Kinder würden Deine Blockaden schnell spüren und sich auch selbst zurücknehmen.

Eigene (Theater-) Spiel-Lust ist auch deshalb eine notwendige Voraussetzung, weil es nach meiner Erfahrung wichtig ist, dass Du im Laufe des Projekts immer wieder selber mitspielst.

Welche Kollegin macht mit?

Günstig ist, wenn Du eine Kollegin hast, die das gesamte Projekt mit Dir zusammen durchführt und mit der Du Deine Beobachtungen und Gedanken austauschen kannst.

Ihr müsst nicht durchgängig zu zweit bei den Proben dabei sein, aber in manchen Phasen ist es hilfreich.

Toll, wenn Ihr beide spiellustig seid, das ist aber nicht unbedingt nötig, denn eine von Euch sollte die Rolle der Erzählerin (siehe unten) übernehmen. Die Erzählerin sollte natürlich gut vorlesen können.

Was soll das Theaterprojekt den Kindern bringen?

Ein Theaterprojekt über mehrere Wochen kann ein richtiges Abenteuer für Alle werden.

    • Die Kinder haben die (selten gewordene) Gelegenheit, sich mit einer Geschichte wirklich ganz gründlich auseinander zu setzen, immer neue Zusammenhänge und Einzelheiten zu entdecken. Die Eindrücke huschen nicht nur  eben so an der Oberfläche vorüber, sondern können „bis in die Tiefe des Gemüts sinken“.
    • Die Kinder erleben, wie aus einfachen, improvisierten Anfängen ein komplexes Geschehen (ein Kunstwerk) wird, weil Alle zusammenwirken und Jeder seine Rolle dabei verlässlich spielt. So erleben sie den Sinn disziplinierter, aufeinander abgestimmter Zusammenarbeit. Auch die kleinste Rolle ist wichtig, weil sie zum Ganzen dazugehört.
    • Sie erfahren genauer und tiefer, was Theater ist, als wenn sie nur als Zuschauer Theater konsumieren.
    • Vor allem die Kinder, die eine Hauptrolle spielen, erarbeiten sich ein Erfolgserlebnis, das ihr Selbstbewusstsein stärkt.
    • Die jüngeren Kinder und die Kinder, die kleine Nebenrollen spielen, kommen bei jeder Probe als Zuschauer in den Theatergenuss. Die Faszination und die Konzentration nehmen dabei nicht etwa von Mal zu Mal ab, sondern eher zu, wenn die Erzieherin es als Regisseurin versteht, Anforderungen und Fortschritte klar zu benennen.
      Es ist immer dieselbe Geschichte, aber das Projekt entwickelt sich von Probe zu Probe weiter, also gibt es für die jeweiligen Zuschauer auch immer Neues zu beobachten.
    • Wenn gut improvisiert wird, das heißt, wenn sich Niemand daran stört, dass die Kostüme oder die Kulissen noch längst nicht fertig sind, ist das eine wichtige Erfahrung für die Kinder. Ebenso wenn eben mal schnell ein Baustein ein Stück Brot ersetzen muss.
    • Und nicht zuletzt haben die Kinder die Chance, beim Theaterspiel ihre Ausdrucksfähigkeiten zu entdecken und zu entfalten.

Balance zwischen Spaß und Ernst

Beim Theaterspielen mit jungen Kindern gibt es einen Drahtseilakt: die Balance zwischen Spaß und Ernst.

Beides ist wichtig: Ohne Spaß, naja macht’s eben keinen Spaß – und wer will das schon? Die Kinder würden das Projekt irgendwann platzen lassen, wenn Du das Theaterspielen zu ernsthaft und trocken angehst.

Trotzdem ist ein befriedigendes Ergebnis wichtig, sonst ist es nicht Theater, sondern Karneval.
Das Ergebnis muss keine endgültige Aufführung vor Publikum sein. Die Entscheidung, ob es überhaupt eine „offizielle“ Schluss-Aufführung geben wird, sollte nicht am Anfang des Projekts getroffen werden. Diese Frage bleibt erst mal offen.
Mehr dazu weiter unten im Absatz: Aufführung Ja oder Nein?

Wie weit will ich störendes Verhalten dulden?

Wichtig erscheint mir, mit einer Kleingruppe von drei bis vier Kindern zu beginnen. Dies ist besonders wichtig, wenn Ihr das Theaterspielen neu in Eure Methodik aufnehmt und selbst erste Erfahrungen damit sammeln wollt.
Diese Kinder sollen besonders motiviert und vielleicht auch talentiert sein, denn sie „spuren“ für die nachfolgenden Kinder.

Störendes Verhalten einzelner Kinder ist kaum zu vermeiden, wenn die Gruppe schon am Anfang zu groß ist und für die Einzelnen Wartezeiten entstehen – oder wenn jetzt schon Kinder dabei sind, die nicht von vornherein motiviert sind.

Am Anfang geht es darum, störendes Verhalten von Kindern konsequent zu beantworten. Das könnte so aussehen, dass sie ermahnt werden, die anderen Kinder nicht zu stören, und dass sie im (ersten!) Wiederholungsfall den Platz des Geschehens verlassen müssen. Dies zu verwirklichen, ist in einer Kleingruppe wesentlich leichter.
Es ist erstaunlich, wie schnell die motivierten Kinder die Regel „Stören führt zum Ausschluss“ übernehmen und mittragen. Dabei ist das Motiv nicht, ein Kind auszugrenzen oder zu bestrafen, sondern selber in Ruhe arbeiten zu können.

Wenn die Entscheidung getroffen wird, dass störendes Verhalten nicht geduldet werden soll, ist es wichtig, dass das Team hinter dieser Entscheidung und überhaupt hinter dem Theaterprojekt steht. Dann werdet Ihr für aktuell störende Kinder eine Abnehmerin finden.

(Gefahr: Die Kolleginnen könnten eine solche Arbeitsweise als Dein Privileg empfinden; dies ist bei unzureichendem Personalschlüssel sogar recht wahrscheinlich, wenn in Eurer Kita die Kleingruppenarbeit als Methode nicht fest verankert ist.

In einer größeren Kita mit mehreren Gruppen und vielleicht sogar offener Arbeitsweise wird das ganz gut möglich sein. Ich arbeite in einer kleinen eingruppigen Tagesstätte, und unsere Ergänzungskraft hat die „Restgruppe“ während der ersten Proben übernommen.
Wie immer hat sich auch hier beim „Wegschicken“ bewährt, wenn es ganz selbstverständlich geschah, bevor unser Stressspiegel zu sehr gestiegen war – und wenn es mit einer knappen Erklärung versehen wurde, die ungefähr so aussah: „Was Du machst, stört hier zu sehr, geh bitte rüber zu Sandra.“

Unser erstes Theaterprojekt („Hänsel und Gretel“) gewann auf diese Weise Faszination für alle Kinder, so dass Störungen später so gut wie gar nicht mehr vorkamen. Auch eine tolle Erfahrung!

Die Geschichte auswählen

Es gibt viele Geschichten, die sich gut spielen lassen. Es lohnt sich, die vorhandenen Bilderbücher daraufhin durchzusehen.

Einfach umzusetzen – und daher für die ersten Versuche gut geeignet – sind Geschichten, die von Anfang bis Ende am selben Ort spielen, einen klaren Handlungsaufbau haben und ohne Verschachtelungen und Rückblenden auskommen.

So einfache Geschichten sind zum Beispiel „Die Raupe Nimmersatt“ oder „Der Regenbogenfisch“ oder auch „Die Vogelhochzeit“.

Die Raupe-Nimmersatt-Geschichte ist einfach aufgebaut und kann optisch wirkungsvoll in Szene gesetzt werden, wenn Erzieherinnen und Kinder einige Mühe auf ein fantasievolle Bühnenbild und die Gestaltung der Esswaren verwenden. Mit der Musik dazu kann ein rundum stimmungsvolles Theater mit den Kindern erschaffen werden.

Das eigentliche Theaterspielen besteht dann daraus, dass die Kinder zur rechten Zeit mit dem richtigen „Futter“ (Erdbeere, Törtchen usw. aus Pappe, jeweils mit einem Loch zum Durchschlüpfen) auftreten und von der Raupe durchkrabbeln lassen. Dies ist eine auch für Theateranfänger und kleinere Kinder zu bewältigende Aufgabe.

An die mimische Ausdruckskraft der Kindeer werden dabei keine Anforderungen gestellt. Nur die Raupe kann mimisch oder auch sprachlich ausdrücken, dass sie Hunger hat und „immer noch nicht satt“ ist.
Hier gibt es eine eindeutige Hauptrolle und einige Statisten-Nebenrollen.
Die Hauptrolle (Raupe) können sich zwei Kinder teilen: Ein Kind krabbelt aus dem Ei, frisst sich durch und verschwindet dann im Kokon. Das andere Kind sitzt von Anfang an (verborgen) im Kokon, erscheint dann zur rechten Zeit als schöner Schmetterling und spielt den Rest der Rolle.

Wenn Du und Deine Gruppe noch keine Erfahrung mit dem Theaterspiel habt, empfiehlt sich so eine vergleichsweise einfache Geschichte.

Wenn Du etwas Komplizierteres angehen willst – wie wär’s mit „Hänsel und Gretel“?
Was ich beim Theaterspielen im Kindergarten gelernt habe, will ich am Beispiel dieses Märchens zeigen. Die Erfahrungen lassen sich auf andere Geschichten übertragen.

Die Geschichte muss stimmen.

Zuerst überlegte ich: Warum gerade dieses Märchen? Es war schon lange eins meiner Lieblingsmärchen. Bevor ich es den Kindern zum Theaterspiel anbieten wollte, musste ich mir darüber klar werden, was ich an dem Märchen gut fand. Meine Kollegin fand es nicht so toll, vor allem zu grausam.

Es war aber wichtig, dass die Geschichte für uns beide richtig und stimmig war. Also beschäftigte ich mich näher mit den Inhalten und den Botschaften des Märchens.

Die starken Seiten der Geschichte:

    • Zwei Kinder halten zusammen, trösten und helfen sich gegenseitig.
      Sie erleben Angst und Bedrohung, aber sie sind stark und haben gute Ideen.
    • Sie werden konfrontiert mit dem Bösen in der Welt, zuerst in Gestalt der bösen Stiefmutter, die sie kalt und herzlos im Wald aussetzt.
      Sie erleben Feigheit und Schwäche in der Gestalt des Vaters, der seine Kinder nicht beschützt.
    • Und als Hänsel und Gretel schon Angst, Hunger und Verlassenheit erlitten haben, erscheint ihnen das Hexenhaus als Rettung aus aller Not. Die Hexe gibt sich freundlich – und jetzt erleben sie das Böse in seiner ganz gemeinen Form. Aber auch jetzt zeigen sie Stärke und Mut und besiegen das Böse.

Die schwachen Seiten der Geschichte:

    • Die Kinder kehren zum Vater zurück, obwohl der sie, als es um Leben und Tod ging, im Stich gelassen hat.
    • Die Vorstellung, dass Hänsel gebraten und von der Hexe gegessen werden sollte, zeigt das Böse zwar überdeutlich und ist eine dramatische Steigerung zur Aktion der bösen Stiefmutter, erschien uns aber für unsere heutigen Kinder und für unser eigenes Empfinden zu grauenvoll.
    • Als Gegnerinnen der Todesstrafe konnten wir uns auch nicht mit dem Ende der Hexe anfreunden. Gretel handelt zwar in höchster Notwehr, wenn sie die Hexe in den heißen Backofen sperrt – aber wir wollten das dann doch nicht so erzählen und spielen.
    • Die Rolle von Mädchen und Junge sind traditionell so gezeichnet, dass Hänsel beide Male nachts vors Haus schleicht und auf Rettung sinnt. Gretel ist beide Male die Ahnungslose und Passive. Das wollten wir so auch nicht stehen lassen.

Geschichten dürfen verändert werden.

Nirgends steht geschrieben, dass alles so bleiben muss, wie es ist. Auch die Märchen haben sich, bevor sie aufgeschrieben wurden und auch danach, immer wieder verändert. Sie wurden den sich wandelnden Lebensverhältnissen, dem Zeitgeist und der jeweils modernen Sprache angepasst.

Sicher gab es Erzählerinnen und Erzähler, die sich möglichst getreu an die Vorgaben gehalten haben, aber genauso sicher gab es immer wieder welche, die mit den Geschichten gespielt und neue Versionen erfunden haben. Und manchmal hat sich dann eine neue Version in einer Gegend durchgesetzt, weil sie den Leuten besser gefiel.

Wir haben in unserem Kindergarten schon eine längere Tradition im Umtexten von Liedern – warum also sollten wir nicht auch „Hänsel und Gretel“ in unserem Sinne umdichten? Und das haben wir dann gemacht.

Zunächst wurde Gretels Rolle aufgewertet: Als die Kinder mit Hilfe der leuchtenden Kieselsteine nach Hause zurück gefunden hatten, beschließen die Eltern zum zweiten Mal, die Kinder im Wald auszusetzen. Dieses Mal ist in unserer Version Gretel wach, hört alles und will mutig aus dem Haus schleichen.
Als sie die Tür verschlossen findet, verzweifelt sie nicht, sondern hat eine eigene Idee und nimmt den Brotrest an sich. Sie hatte bemerkt, wo die Stiefmutter das Brot versteckt hatte.

Dann beschlossen wir, dass Hänsel und Gretel nach überstandenen Gefahren und so viel bewiesener Selbstständigkeit nicht nach Hause zurückkehren, sondern vergnügt im Hexenhaus bleiben, wo es noch viele Lebkuchen zu knabbern gibt und die Hexe ihre Schätze aufgehäuft hat. Später entstand dann bei den Kindern noch die Idee, dass sie zum Schluss ihre Freunde einladen könnten zu einem großen Freudenfest.

Die Sache mit dem Fettfüttern und dem Gebratenwerden haben wir gestrichen. Hänsel wird von der Hexe in einen Käfig gesperrt, damit die Kinder nicht zusammen spielen können. Gretel muss den ganzen Tag arbeiten, und die Hexe ist unfreundlich und schimpft und schreit mit ihr. Hänsel muss das mitansehen und kann seiner Schwester nicht helfen. Das alles zusammen erschien uns schlimm genug und der Vorstellungswelt unserer heutigen Kinder näher.

Die Hexe wird am Ende nicht getötet, sondern sie verschwindet für immer mit Geheul und Blitz und Donner. Gretel führt dieses Verschwinden herbei, indem sie in einen verbotenen Topf guckt. Sie muss auch dabei all ihren Mut zusammennehmen, weil die böse Hexe ihr streng verboten hat, den Topf zu berühren. Um sich und ihren Bruder zu retten, muss Gretel also den verwundbaren Punkt der Hexe erahnen. Sie muss, obwohl die Hexe in der Nähe ist, ein Verbot übertreten und ein Tabu brechen, um das Böse zu besiegen. Uns erinnerte das an den Begriff der Zivilcourage…

Die Kinder mit der Geschichte bekannt machen.

Zunächst haben wir, vor allem mit den jüngeren Kindern, ausgiebig ein Hänsel-und-Gretel-Bilderbuch betrachtet und sie mit der Geschichte bekannt gemacht, wie sie im Bilderbuch erzählt wird. Die älteren Kinder kannten das Märchen, es reichte, es ihnen noch einmal zu erzählen. Dann konnten wir in die inhaltliche Diskussion über unsere Veränderungen einsteigen. Wir hatten dabei den Eindruck, dass einige Kinder den Sinn der Änderungen sofort erfassten und damit einverstanden waren.
Andere hielten sich mit Meinungsäußerungen zurück. Wir deuteten das so, dass diese Kinder sich die neue Version nicht wirklich vorstellen konnten. Sie hatten die Geschichte noch nicht so weit verinnerlicht, vielleicht hatten sie auch noch nicht die geistige Beweglichkeit und Reife, in einer Geschichte im Geiste Veränderungen vorzunehmen.
Wir hofften darauf, dass sich ihnen – wie auch den jüngeren Kindern – der Inhalt mit seinen Facetten im Verlaufe des Theaterspiels immer besser erschließen würde. Und so kam es auch: Am Ende des Projekts konnten die meisten der vier- bis sechsjährigen Kinder gedanklich in der Geschichte hin und her springen. Wir halten es aus dieser Erfahrung heraus auch für ein gutes geistiges Training. Unsere sechs Dreijährigen konnten das natürlich nicht in dem Maße, aber sie haben auf andere Weise profitiert.

Es gibt noch einen anderen, vielleicht besseren Weg, den wir aber in diesem Projekt nicht gegangen sind, weil wir schnell ans Spielen kommen wollten: Ihr könnt natürlich auch mit den Kindern zusammen nach inhaltlichen Veränderungen suchen. Dann stellt Ihr den älteren Kindern nur die Fragen, die Ihr selbst an den Inhalt habt, also zum Beispiel: „Ist der Vater eigentlich ein guter Vater? – Sollen Hänsel und Gretel zu ihm zurück gehen oder lieber im Hexenhaus bleiben?

Vielleicht kommt ein ganz anderes Ende als das von uns entworfene heraus, wenn die Kinder über die Frage nachdenken: „Wie können Hänsel und Gretel die Hexe besiegen, ohne dass sie sterben muss?“

Das Drehbuch

Nachdem die Geschichte nun klar war, ging ich daran, die Geschichte in den Computer zu tippen.
Die ganze Projektzeit über wurde am Drehbuch gebastelt. Es war erst fertig, als auch das Projekt fast beendet war. Beim Ausprobieren kamen neue Ideen hinzu, die eingefügt wurden. Manche erste Idee hat sich in der Praxis nicht bewährt und wurde verworfen.
Das Ergebnis könnt Ihr hier sehen: Theaterspiel „Hänsel und Gretel“.

Es enthält die Aufteilung in Bilder (Szenen), den Wortlaut der Geschichte und die Regieanweisungen.

Da unsere Kinder bereits über Basiserfahrungen mit Theaterspiel verfügten, konnten wir nach und nach die ganze Gruppe von 20 Kindern einbeziehen. Zu den aus dem Märchen bekannten Hauptrollen (Hänsel, Gretel, Vater, Stiefmutter und Hexe) wurden noch weitere Rollen erfunden: Sonne, Mond, schwarze Katze, Uhu, Eichhörnchen, mehrere Vögelchen, ein Angsthase und Schneeflocken.
Diese Rollen waren unterschiedlich umfangreich. Der Uhu, zum Beispiel, flatterte nur einmal durchs Bild und gab dabei Uhu-Laute von sich. Dem kleinen Jungen, für den wir die Rolle erfunden haben, war sie sehr wichtig und sie war sein persönlicher Zugang zum Theaterspiel.

Eine wichtige Rolle haben die Zuschauer. Alle Kinder der Gruppe, die in dem aktuellen Bild gerade nicht auftreten oder noch gar keine Rolle haben, sind Zuschauer, wenn sie es möchten. Für die agierenden Kinder ist es wichtig, dass sie ein Gegenüber haben und die Reaktionen des Publikums erfahren können.

Theaterspielen ohne Sprechen – der Trick mit der Erzählerrolle

Für kleine Kinder ist es schwierig, alle Ebenen des Spiels gleichzeitig zu beachten: Im richtigen Moment auftreten, sich auf der Bühne sinnvoll bewegen, die Mimik an das Geschehen anpassen, auf die Mitspieler achten – und dann auch noch Text behalten und sprechen?
Am einfachsten ist es, auf das Sprechen zu verzichten. Das kann sich, muss sich aber nicht im Verlaufe der Proben entwickeln. Kinder, die es sich zutrauen, können dann einzelne Sätze sprechen.

Ansonsten ist das Sprechen die Aufgabe der Erzählerin. Der Trick mit der Erzähler-Rolle ist: Sie erzählt die Geschichte, übernimmt das Sprechen und gibt den Kindern gleichzeitig Orientierung in der Geschichte: Die Kinder spielen, was sie hören.

Und dann einfach anfangen

Jetzt könnt Ihr mit der Probe der ersten Szene beginnen.
Hierfür braucht Ihr, wenn Ihr meinem Drehbuch folgen wollt, erstmal nur einen Tisch, 4 Stühle, 1 Kanne Wasser, 4 Gläser und die Bettstellen für Hänsel und Gretel.

Vier Kinder können mitspielen (Hänsel, Gretel, Stiefmutter, Vater). Lasst alle vier Kinder alle vier Rollen probieren, Nehmt Euch Zeit und beobachtet, wie die Kindeer agieren. Probiert hier schon aus, wie die Kinder sich zueinander und in Bezug auf das Publikum bewegen. Können die Zuschauer alles gut erkennen?

Kinder, die gerne zugucken möchten, übernehmen die wichtige Rolle des Publikums.
Am Ende dieser Proben der ersten Szene ist es sinnvoll, den Vorhang einzuführen. Er grenzt die Bühne klar vom Zuschauerraum ab und markiert den Beginn und das Ende der Szene. Erst wenn er geschlossen ist, gehen die Schauspieler von der Bühne, und es wird umgebaut.

Schön ist natürlich ein Vorhang aus Stoff, der auf- und zugezogen werden kann. Solange der nicht da ist, kann improvisiert werden.

Es könnten zum Beispiel vier Kinder die Verantwortung für das Öffnen und Schließen des Vorhangs übernehmen. Sie tragen von den beiden Bühnenseiten zwei Decken oder Laken auf die Vorhanglinie, die man schon vorher mit Kreide oder Klebeband markieren kann.
Auch sie brauchen ihre Probe, damit sie üben, den Vorhang schön gleichmäßig auf- und zuzuziehen.

Einmal waren keine geeigneten Decken zur Verfügung. (Ich befand mich mit einem Kinder-Theaterkurs in einem Raum der Volkshochschule.) Da fischten wir eine Tageszeitung aus dem Papierkorb und hielten die auseinandergefalteten Zeitungsseiten als Vorhang vor die Bühne. Das sah gar nicht schlecht aus!

Selber mitspielen

Am Anfang und auch später bei komplizierteren Stellen kann es hilfreich sein, wenn Du (die Regisseurin) immer mal wieder eine der Rollen übernimmst. Das hat zwei Vorteile: Erstens kannst Du ein Beispiel geben, wie die Rolle gestaltet werden kann (als Anregung, nicht als Schablone!). Dabei kannst Du gute Elemente, die die Kinder schon gezeigt haben, aufnehmen und damit bestärken.
Zweitens hilft es den Kindern bei ihrem Spiel, wenn schon mal Eine mitmacht, die im Ablauf der Szene sicher ist.

Die Rollenverteilung

Ziel sollte sein, dass alle interessierten und dazu fähigen Kinder am Ende alle Rollen, die sie spielen möchten, auch spielen können, also beherrschen.

Das setzt voraus, dass genügend Zeit dafür da ist, dass munter in allen möglichen Konstellationen geprobt wird.
Die Zuschauerrolle wird dadurch interessanter, wenn zu beobachten ist, wie verschiedene Kinder die Aufgaben lösen und die Rollen ausfüllen.

Je länger gespielt (im Sinne von geprobt) wird, desto mehr Kinder trauen sich, auch einmal etwas zu versuchen. Manche sind aber mit der Zuschauerrolle total zufrieden, und anderen ist der ganze Theaterkram suspekt und sie halten sich ganz raus. Sie werden ihre guten Gründe haben und dann ist das auch zu respektieren.

Auch der Austausch unter den Kindern, was wie am besten gemacht werden kann, wird durch den häufigen Wechsel der Rollenbesetzungen befördert. Nach meiner Erfahrung erkennt die Theatergruppe bei so einer Arbeitsweise auch mit der Zeit von selbst, wer welche Rolle besonders gut spielt.

Das heißt nicht, dass auch jedes einzelne Kind erkennt, dass ein anderes die Rolle besser spielt als es selbst, aber die Gruppe wirkt da doch regulierend.

Schwierig wird es, wenn am Ende eine Aufführung geplant ist. Denn dann muss ja eine Entscheidung getroffen werden. Die Rollen müssen verteilt werden, und das geht nicht ohne Frust ab – wie im richtigen Theaterleben auch.
Möglich sind eine Doppelbesetzung und zwei Aufführungen, aber das ist nicht immer eine alle befriedigende Lösung, wenn drei oder vier tolle Gretels gerne auch bei einer Aufführung dabeisein wollen.

Wenn also Theater in der Kita nicht so oft vorkommt und man die Enttäuschten nicht auf eine baldige neue Hauptrolle vertrösten kann, ist wirklich zu überlegen, ob man überhaupt eine Aufführung planen soll…

Das Problem der „bösen“ Rollen und der Verliererrollen

Bei einem Hänsel- und Gretel-Projekt wollte kein einziges Kind die Hexe spielen, auch überhaupt nicht nur mal ein bisschen. Alle wollten, dass es die Hexe gibt und dass sie böse sein musste – aber kein Kind wollte in diese Rolle schlüpfen.

Also konnte ich selber mich richtig austoben. Alle Kinder fanden es schaurig-schön, wenn die Hexe agierte, aber zwei Dreijährige hielten in der Stunde nach der ersten Probe mit Hexe vorsichtig Abstand zu mir, bis sie ganz sicher waren, dass ich mich nun wieder wie Hanna verhielt. Das passierte später nochmal, als wir mit Kostümen und Schminke probten.

Bei „Rotkäppchen“ wollten zwar drei sechsjährige Jungen der Wolf sein, sie konkurrierten um die Rolle – aber dass er am Ende in den Brunnen stürzen sollte, hielten sie zwar für den Wolf in seiner Rolle richtig und stimmig, aber für sie persönlich wurde die Rolle damit unbehaglich. Es ist eben letztlich eine Verliererrolle. Zwei der Drei überlegten dann, ob sie nicht doch lieber der Jäger sein wollten, überließen es dann aber doch Jüngeren. Sie fanden eine Lösung für sich: Sie gestalteten das In-den-Brunnen-Stürzen immer akrobatischer.

Das Hänsel-und-Gretel-Projekt entwickelt sich

Je mehr die Kinder in die Geschichte und die Rollen hineinwuchsen, desto mehr eigene Ideen brachten sie ein.
Nach und nach wurden die Nebenrollen ausführlicher geprobt, dadurch stiegen jüngere Kinder stärker ein und auch Kinder, die anfangs schüchtern wirkten, tauten auf. Die Nebenrollen waren: Sonne, Mond, schwarze Katze, Uhu, Eichhörnchen, mehrere Vögelchen, ein Angsthase und Schneeflocken.

Es entstanden Arbeitsgruppen für die Kulissen, die Kostüm- und Requisitenbeschaffung weitete sich aus, sodass ein Requisitenmeister gebraucht wurde, ebenso ein Beleuchter, der die Stehlampen entsprechend der Szene dimmte.
Alle Kinder waren vom Theaterfieber gepackt.

Es ergab sich glücklicherweise, dass die Kinder sich gegen Ende des Projekts friedlich auf eine feste Rollenverteilung einigten. So konnten wir die vielen Proben tatsächlich mit zwei Aufführunge krönen: die erste für die Eltern und Geschwister, und die zweite für Großeltern, die reichlich teilnahmen.

Und hinterher?

Es wäre schade gewesen, die Erfahrungen hier abzuschneiden. Beim nächsten Projekt konnten die Kinder darauf aufbauen. Die Arbeitweise war ihnen vertraut und es hatte ihnen so viel Spaß gemacht! Sie hatten auch viel Anerkennung erlebt.

Also war klar, es muss weitergehen. Die besonderen schauspielerischen Talente konnten sich bei weiteren „Produktionen“ entfalten. Aber auch technische Begabungen und Talente für die Regie-Arbeit zeigten sich.

 

Drei Drehbücher habe ich noch und stelle sie gerne zur Verfügung:

Theaterspiel „Hänsel und Gretel“

Theaterspiel „Rotkäppchen“

Das Märchen von der Prinzession, die allen zu schlau war (Theaterfassung)

Bitte beachte auch die Quizfragen zu Hänsel und Gretel
und die Quizfragen zu Rotkäppchen.

 

Es gibt selbstverständlich auch andere gute Zugänge zum Theaterspiel, siehe unter:

Beispiele für Theaterspiel im Kindergarten.

 

Datum der Veröffentlichung: April 2017
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.

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