von Anke Cadoni
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In einem vorangegangenen Kunstprojekt hatte sich eine Freundschaft zwischen Jonas und David gebildet. Die beiden treffen sich auch privat immer noch sehr häufig. So hat die Familie von Jonas auch den Nikolausabend gemeinsam mit Davids Familie verbracht.
… kurz gefasst …
Als klar wird, dass Jonas sich über Wochen mit Gruselgestalten befasst, Ängste entwickelt und sich für andere Themen kaum noch interessiert, beschließt seine Erzieherin, das Thema mit ihm zu bearbeiten – in einer Form, die er schon aus einem anderen Projekt kennt: Erstellung eines Bilderbuchs.
Über diesen Weg kann Jonas mit dem Thema Perchten (Gruselgestalten) auch seine Mutter erreichen, die nicht wollte, dass er sich damit beschäftigt.
Mehr zu Jonas:
Jonas faltet doch Papierflieger.
Jonas (5;3) macht noch ein Bilderbuch und schöpft Papier.
Am späteren Abend hat Davids Mutter Jonas und David eine Geschichte von den „Perchten“ erzählt. Was sind Perchten? Das habe ich mich auch gefragt, als Jonas‘ Mutter mir diesen Hergang am Elternsprechtag erzählte. Es sind Gruselgestalten, die den Wintern vertreiben sollen, in manchen Gegenden haben sie auch so eine Rolle wie bei uns Knecht Rupprecht an Nikolaus. Um Genaueres über sie zu erfahren, habe ich auch erst mal im Internet gesurft. (Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Perchten.)
Auf jeden Fall hatte Jonas in den ersten Nächten nach diesem Abend große Ängste in der Dunkelheit, er wollte nicht alleine in seinem Zimmer bleiben und dort auch nicht schlafen. Die Mutter sagte: „Er gibt das zwar nicht richtig zu, aber man merkt es an seinem Verhalten.“ Nun hat die Mutter Sorge, dass Jonas sich da hineinsteigert! Sie weiß auch nicht so Recht, wie sie mit diesem Thema umgehen soll.
Im Kindergarten hatte ich beobachtet, dass Jonas und David in letzter Zeit häufig Gespenster und Teufel spielen.
Kommentar Hanna Vock:
Das heißt, sie setzen sich – vielleicht auch zum allerersten Mal in ihrem Leben – mit dem Schrecklichen und vielleicht auch Bösen in der Welt auseinander. Und dazu haben Märchen und Sagen den Kindern ja immer gedient. Das ist dann auch gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit der eigenen Angst vor dem Unheimlichen und Schrecklichen. Je fantasiebegabter, denkfreudiger und sensibler ein Kind ist, desto intensiver wird diese Auseinandersetzung auch schon beim ersten Mal im Leben sein.
Jonas hat Probleme
Jonas ist nun schon 5;0 Jahre alt. Er steckt momentan in einer schwierigen Phase. In letzter Zeit fällt er häufiger durch negatives Verhalten auf: Er stört im Stuhlkreis, hält sich öfter nicht an Regeln, und dies macht er meines Erachtens auch ganz bewusst.
Letzte Woche, zum Beispiel, gab es im Stuhlkreis für alle Kinder Gummibärchen, jedoch blieben zwei übrig, diese stellte ich dann auf den Küchenschrank. Nachdem die meisten Kinder abgeholt waren und ich aus dem Flur wieder in die Gruppe kam, beobachtete ich, wie Jonas die Gummibärchen klaute. Dies ist ein Verhalten, was ich so gar nicht von ihm kenne. Er ist eigentlich immer sehr sozial gewesen und hat sich auch ganz oft für gerechtes Verhalten eingesetzt.
Ich vermute, er testet momentan ganz extrem seine Grenzen und versucht somit vielleicht auch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Manchmal denke ich auch, er zeigt dieses Verhalten, um genau so zu sein wie seine Freunde, die oft auch sehr viel Schabernack im Kopf haben (Anpassungsverhalten). Dann verstehe ich auch, dass er jetzt häufiger mit mir alleine arbeiten möchte, so kann er seine besonderen Fähigkeiten und seine manchmal außergewöhnlichen Ideen und Phantasien eher vor den anderen Kindern verstecken.
Siehe auch: Verbergen von Fähigkeiten.
Diese Aussetzer von Jonas machen mich nachdenklich. Für mich stellt sich die Frage, warum er auf einmal so ein für ihn untypisches Verhalten zeigt. In unserem letzten Projekt (Kunst) war er sehr sauer auf seinen Vater, weil der bei der Vernissage, die für Jonas doch so wichtig war, kein Bild gekauft hat. Und zusätzlich war er, glaube ich, verärgert, dass seine Mutter zu der Vernissage nicht kommen konnte. Möglicherweise fühlte er sich von seinen wichtigsten Menschen unverstanden.
Es sollte jetzt etwas passieren, das ihn ernsthaft herausfordert, das rundum gelingt und von mir gut begleitet und von den Eltern angemessen gewürdigt wird.
Und nun interessiert er sich auch noch für ein Thema (Perchten), dem seine Mutter sehr skeptisch und eher ablehnend entgegen tritt. Sein Problem ist jetzt, dass seine Mutter ihm verbietet, Perchten zu spielen. Sie erhofft sich so vielleicht das Thema auszulöschen.
Kommentar Hanna Vock:
Das funktioniert bei sehr begabten Kindern nicht, es besteht eher die Gefahr, dass sie sich innerlich von ihren Eltern entfernen.
Ich habe den Eindruck, dass dieses Verbot das Thema im Kindergarten noch viel interessanter macht. Jonas erzählt mir sehr viel von den Perchten, erklärt mir, wer sie sind, wie sie aussehen und was sie machen. Er ist davon überzeugt, dass es diese Perchten gibt, seine Mutter hingegen sagt immer, dass es die nicht in Wirklichkeit gibt.
Jonas hat auch schon differenzierte Vorstellungen von diesen Gestalten. Einiges weiß er, vermute ich, durch Davids Mutter und anderes hat er dazu fantasiert, und ich vermute, dass da auch manchmal seine Fantasie mit ihm durchgeht.
Jonas spielt nach wie vor gerne mit David. Dies wird natürlich momentan verstärkt, weil nur die beiden über die Perchten Bescheid wissen. Sie bauen im Rollenspiel häufig Fallen für die Perchten, beziehen hierbei aber auch andere Kinder mit ein, wie zum Beispiel Felix oder Sven.
Ansonsten lässt Jonas momentan nicht so viele andere Themen an sich ran.
Zur Zeit befassen wir uns in unserer Gruppe verstärkt mit dem Thema „Luft“. Jonas hat auch an einigen Experimenten teilgenommen und dort oft gute Beiträge gegeben, doch er stellt keine zusätzlichen Fragen, was eigentlich ungewöhnlich für ihn ist.
Anscheinend ist für Jonas das Thema Perchten noch nicht bewältigt, und deshalb beherrscht es ihn noch stark.
Vorüberlegungen und Ziele
Ich möchte gemeinsam mit Jonas ein Bilderbuch über die Perchten erstellen. Nun möchte ich mit ihm etwas professioneller an die Sache heran gehen, das Buch soll am Ende so aufgebaut sein wie ein echtes Bilderbuch.
Ich habe Jonas auch versprochen, mir mehr Zeit für ihn zu nehmen und deshalb bevorzuge ich diesmal auch eine eins zu eins Zuwendung, damit ich auch wirklich seinen Vorstellungen und Wünschen gerecht werden kann und dies ohne Kompromisse.
Siehe: Einzelförderung, Mentoring
Ebenso erhoffe ich mir von dieser Aktion, mehr über die Perchten zu erfahren. Ich möchte herausfinden, was Jonas so fasziniert. Und vielleicht gelingt es auch durch sachliche Aufklärung, zum Beispiel durch Informationen aus dem Internet, Ängste abzubauen.
Beschäftigt man sich erst mal näher mit diesem Thema, wird es auf einmal richtig interessant, denn man entdeckt ein Stück weit deutsches Brauchtum. Für Jonas könnten dies wichtige Erkenntnisse sein, um dieses Thema dann irgendwann für sich positiv abzuschließen.
Ich möchte erreichen,
- dass Jonas seinen guten Wortschatz und seine schöne Ausdrucksweise dazu nutzt, eine gute Geschichte über seine Perchten zu erzählen, die ich dann für ihn verschriftlichen werde,
- dass er später sein fertiges Bilderbuch ohne Hemmungen den anderen Kindern zeigt,
- dass Jonas stolz auf seine guten Ideen und Fähigkeiten ist und lernt, diese nicht zu verstecken,
- dass Jonas mehr über die Perchten erfährt und somit Ängste abbauen und seine ausschweifenden Fantasien über die Perchten stoppen kann,
- dass Jonas sich ernst genommen fühlt, sowohl von mir als auch von seinen Eltern.
Ich versuche mich ab sofort täglich (je nach Alltagsituation vielleicht nicht immer möglich) für etwa eine viertel bis halbe Stunde mit Jonas in den Trauminsel- oder Nebenraum der Gruppe zurück zu ziehen, sodass wir immer ungestört arbeiten können.
Zu Beginn steht natürlich ein Gespräch an, in dem ich mit Jonas klären muss, ob meine Idee ihm überhaupt zusagt und er sich vorstellen könnte, dies zu machen. Vielleicht hat er auch noch ganz andere Ideen und Wünsche, die ich dann auf jeden Fall versuche aufzugreifen. Dem entsprechend muss ich mich dann umorientieren. Erst dann plane ich die weiteren Schritte.
Durchführung
Ich habe mich mit Jonas in unseren Trauminselraum zurück gezogen, weil dieser etwas abseits von der Gruppe liegt und wir somit dort ungestörter arbeiten können. Motiviert habe ich Jonas, indem ich ihm im Vorhinein erzählt habe, dass ich heute mein Bilderbuch mitgebracht habe, das ich während meiner Erzieherausbildung einmal gemalt und geschrieben habe. Jonas war ganz erstaunt, das zu hören, und war gleich sehr neugierig.
Er schaute sich alles sehr genau an; so erkannte er zum Beispiel, dass am Anfang des Bilderbuches auch leere Seiten sind. Hierzu forderte er den Vergleich mit einem echten Bilderbuch ein. Diese Idee fand ich auch echt gut und sehr hilfreich. Er fand auch heraus, dass nicht sofort mit der Geschichte begonnen wird, sondern zuerst noch mal der Titel und der Verfasser genannt werden.
Der eigentliche Inhalt meiner Geschichte war ihm eher unwichtig, die äußeren Gegebenheiten und die Art und Weise der Gestaltung waren für ihn viel interessanter.
Am Ende meines Buches steht noch eine Widmung. Ich sollte Jonas vorlesen, was darauf steht, und dann musste ich ihm erklären, wozu das gut ist.
Dann sagte er nur noch:
„Wann geht es denn jetzt los?“
Ich sagte nur: „Was meinst du denn jetzt genau?“
Jonas:
„Du sollst doch meine Geschichte aufschreiben!“
Ich hatte im Vorhinein schon mal angetestet, ob meine Idee auch bei Jonas landen könnte, und ihm meinen Vorschlag so nebenbei schon mal unterbreitet, habe aber nicht damit gerechnet, dass er das gleich so akzeptiert, weil er ja bekanntlich seinen eigenen Willen hat.
Jonas:
„Weißt du überhaupt, wer die Perchten sind? Ich erzähl dir das jetzt mal, und du schreibst auf!“
Ich hatte bereits Stift und Papier zurecht liegen und startete sofort. Es sprudelte nur so aus ihm heraus, aber plötzlich stockte er und sagte:
„Aber Mama will eigentlich nicht mehr, dass ich von den Perchten rede!“
Kommentar Hanna Vock:
Hier zeigt sich der innere Konflikt, der durch die Abwehr des Themas durch die geliebte Mutter in ihm entstanden ist: Ich darf mich mit dem, was mich schon seit langem am meisten interessiert, nicht befassen.
Darauf antwortete ich: „Sie möchte nur, dass du keine Angst mehr vor diesen Gestalten hast, aber vielleicht hilft das Erzählen dir ja, diese Angst zu verlieren!“
Jonas erwiderte:
„Ich habe keine Angst vor ihnen, ich lache die immer aus, wenn ich sie sehe!“
Schließlich berichtete er mir über Abenteuer, die er mit ihnen erlebt hat, wie sie aussehen, wo sie leben und was sie machen, usw. Plötzlich wird seine Stimme wieder etwas leiser:
„Je mehr ich über die Perchten nachdenke, da bekomme ich schon ein bisschen Angst!“
Ich habe Jonas gebeten, er möchte versuchen zu erklären, warum er Angst hat, und er sagte mir, dass die Perchten ihn fangen wollen und dass sie nur bei Dunkelheit kommen.
Für dieses mutmaßliche Verhalten der Perchten versuchte ich ihm eine möglichst positive Erklärung anzubieten:
„Vielleicht möchten sie so nur Kontakt zu dir aufnehmen und suchen einen Freund, der mit ihnen spielt!“ Wirklich überzeugt war er nicht von meiner Antwort, aber er hielt es schon für möglich, dass sie nicht unbedingt böse sind.
Jonas erzählte mir daraufhin eine Geschichte der Perchten mit einem guten Ende, worüber ich sehr froh war. Gleichzeitig habe ich Jonas versprochen, mich mal zu informieren, wer oder was die Perchten wirklich sind, denn Jonas ist der festen Überzeugung, dass es sie wirklich gibt – und damit hatte er, im Nachhinein betrachtet, ja auch irgendwie Recht.
Schlimm, glaube ich, ist für Jonas, dass seine Mutter nicht an die Perchten glaubt. Er äußerte ein anderes Mal, als ich mit ihm am Bilderbuch arbeitete:
„Mama sagt, es gibt keine Perchten!“
Kommentar Hanna Vock:
Die Ansicht der Mutter wiegt natürlich sehr viel, aber Jonas ist geistig schon so weit entwickelt, dass er nicht mehr bedingungslos „muttergläubig“ ist, wie das junge Kinder oft lange sind. In seiner geistigen Entwicklung hat die tatsächliche Wahrheit, unabhängig von wichtigen Erwachsenen schon einen eignenen Stellenwert gewonnen.
Siehe auch: Hinweise auf eine mögliche intellektuelle Hochbegabung und
Beispiele zu: Kritische Gedanken.
Daraufhin habe ich ihm erzählt, dass es sie schon gibt und dass es Menschen seien, die sich verkleiden und abends im Dunkeln um ein Feuer tanzen, um den Winter zu vertreiben. Diese Menschen verkleiden sich, wie wir an Karneval, so ist dies in anderen Regionen ein alter Brauch, den manche heute noch fortführen.
Die Wikipedia-Internetseite wollte ich ihm nicht zeigen, da die Fotos dort schon ziemlich gruselig und furchteinflößend sind und ich unsicher war, ob diese Bilder ihn noch mehr ängstigen würden. Ich vermute aber, dass er schon mal ein Bild von ihnen gesehen hat, weil er einige Details der Masken bereits gemalt und sehr genau über ihr Aussehen berichtet hat.
Jonas war auf jeden Fall, wie es scheint, sehr begeistert und angetan von meiner Idee. Er genoss auch die Zeit, die er jetzt immer mit mir alleine war: Wenn schon mal andere Kinder zufällig in den Raum kamen, wurden sie von Jonas sofort wieder raus geschickt.
„Ich brauche Ruhe und muss hier arbeiten.“
Einigen Kindern erklärte ich dann, was ich mit Jonas mache, darauf reagierte er nicht ablehnend, was ich sehr wichtig fand.
Morgens habe ich Jonas immer erst eine Weile mit seinen Freunden spielen lassen oder ihm Zeit gegeben, etwas anderes zu tun. Dies finde ich ganz wichtig, denn er soll durch die spezielle Förderung nicht von anderen wichtigen Aktionen im Kindergartenalltag ausgeschlossen werden. An manchen Tagen kam er dann schon irgendwann zu mir und fragte ganz motiviert:
„Frau Cadoni, wann treffen wir uns denn heute?“
oder
„Können wir jetzt das nächste Bild malen?“
In der Woche, als wir unsere Vernissage (zum Kunstprojekt) hatten, wollte er ganz besonders viel arbeiten. Da sagte ich zu ihm: „So ein Bilderbuch herzustellen, ist schon ganz schön viel Arbeit, wie du siehst, das braucht seine Zeit!“
Jonas:
„Ja, aber morgen ist doch die Vernissage, da will ich doch mein Buch den Leuten zeigen!“
Mit dieser Aussage hatte ich echt nicht gerechnet, doch leider musste ich ihn vertrösten, dass wir dies wohl nicht schaffen würden. Ich machte ihm aber verständlich, dass er trotzdem eine gute Gelegenheit haben wird, um sein Buch den Kindern und Eltern zeigen zu können.
Jonas malte jetzt fast täglich ein bis zwei Bilder für das Bilderbuch. Hierbei zeigte er immer viel Ausdauer und Konzentration. Er achtete besonders darauf, dass die Figuren immer ähnlich aussahen und die wiederkehrenden Orte und Häuser aufeinander abgestimmt waren. Immer wieder holte er sich bereits gemalte Bilder hinzu, um zu schauen, ob dies auch möglichst überein stimmte.
Er wusste immer ganz genau, welchen Teil der Geschichte er gerade im Bild darstellen wollte. Ich musste ihm zwischendurch nur die aufgeschriebene Geschichte noch mal vorlesen, denn er hatte sehr viele verschiedene Geschichten im Kopf und wusste manchmal nicht mehr ganz genau, was wir jetzt notiert hatten. Manchmal brachte er auch noch neue Erkenntnisse mit in die Geschichte ein, die ich dann sofort notierte und mit in die Geschichte aufnahm.
Schwierig war für mich noch, dass Jonas nicht wollte, dass seine Mutter etwas von diesem Buch erfuhr. Da ich auf keinen Fall das Vertrauen von Jonas verlieren wollte, behielt ich es auch erst mal für mich.
Die Mutter wusste durch ein Gespräch, dass ich zur Zeit intensiver mit Jonas arbeite und ich auch über die Problematik der Perchten Bescheid weiß, und ich hoffte jetzt einfach darauf, dass sie mir vertraut und sich später darüber im Klaren sein würde, wenn sie von diesem Buch etwas erfährt, dass dies eine positiv beabsichtigte, pädagogische Maßnahme von mir ist.
Nach ungefähr zwei Wochen Arbeit an diesem Buch war es dann auch so weit. Ich bekam ein Gespräch zwischen Jonas und seiner Mutter mit. Er erzählte ihr, dass wir morgen das letzte Bild für das Bilderbuch malen werden. Daraufhin fragte die Mutter, um was für ein Bilderbuch es denn gehen würde. Jonas sagt nur:
„Ich mache mit der Frau Cadoni ein Bilderbuch über die Perchten“.
Jonas‘ Mutter sagte darauf nur: „Aha!“
In dieser Situation wollte ich nicht sofort eingreifen, ich wusste nicht, ob dies vielleicht unangenehm für Jonas werden könnte. Somit sprach ich Jonas‘ Mutter am nächsten Tag an und erzählte ihr alles über mein Vorhaben und meine Absichten. Meine pädagogischen Ansätze konnte sie gut nachvollziehen, und sie war auch eigentlich froh, dass ich so reagiert habe; denn sie merkte zu Hause auch, dass es nichts brachte Jonas zu sagen, dass es die Perchten nicht gibt. Im Gegenteil, sie hatte das Gefühl gehabt, dass er sich seit dem noch mehr in die Sache vertieft hat.
Sie möchte jetzt noch mal mit Jonas intensiv über dieses Thema sprechen und von ihrer Seite Interesse für dieses Thema zeigen, sodass er sich auch ihr gegenüber noch mal mehr zu diesem Thema öffnen kann, um so vielleicht noch bestehende Ängste und Unsicherheiten abzubauen.
Es ist ganz wichtig für Jonas, dass seine Gedanken und Ideen erst genommen werden und dies natürlich auch im Elternhaus. Gerade die Eltern können ihm den nötigen Rückhalt geben und ihn in seinen Vorhaben unterstützen. Verdrängen oder Vertuschen ist in diesem Falle der falsche Ansatz.
Diese Mitteilung an die Mutter war ein ganz wichtiger Schritt für ihn und auch für meine Arbeit, denn so konnte ich die Eltern endlich mit ins Boot nehmen, und genau dies war im Nachhinein der richtige Weg. Jonas ging nun viel lockerer und unbefangener mit dem Thema um und er konnte sich so richtig auf die Fertigstellung des Bilderbuches freuen.
Jonas sagte dann irgendwann zu mir:
„Weißt du was, Mama glaubt jetzt auch, dass es die Perchten gibt, wir haben sie im Internet gefunden und vieles, was ich Mama erzählt habe, steht auch so im Internet geschrieben. Ich hatte also Recht!“
Dass die Mutter ihn jetzt versteht, ist glaube ich, die wichtigste Erkenntnis für Jonas gewesen.
Nachdem Jonas dann alle Bilder gemalt hatte, bin ich mit ihm ins Büro an den Computer gegangen und habe gemeinsam mit ihm den Text geschrieben und ihn anschließend drucken lassen.
Am nächsten Tag habe ich dann ein Laminiergerät mit in den Kindergarten gebracht. Zunächst habe ich gemeinsam mit Jonas die einzelnen Bilderbuchseiten laminiert. Das war gar nicht so einfach, da musste zuerst einmal gut überlegt werden, welche Blätter jetzt zusammen laminiert werden müssen, damit später die Reihenfolge auch stimmt.
Doch Jonas hat diese Situation mit Bravour gemeistert. Er fand es total spannend, die Technik des Gerätes zu beobachten und untersuchte alles sehr genau. Er hätte echt nicht gedacht, dass dies so einfach geht.
Jetzt musste das Bilderbuch nur noch gebunden werden. Leider konnte ich ein Bindegerät nicht organisieren, aber ich hatte eine Kindergartenmutter angesprochen, die auf ihrer Arbeit ein solches Gerät besitzt. Sie bot mir dann auch an, das Bilderbuch mitzunehmen und es auf der Arbeit zu binden. Darüber war ich sehr froh, doch Jonas fand diese Idee nicht ganz so toll, weil er jetzt noch einen Tag warten musste, bis das Buch endlich fertig war. Er wurde schon richtig zickig und stur:
„Ich will aber Mama heute das Buch zeigen!“
Ich sagte dann: „Das könntest du auch machen, aber dann kann es nicht gebunden werden, denn die Frau Soundso hat nicht jeden Tag Zeit, dies auf der Arbeit zu machen!“
Jonas:
„Na gut, aber morgen ist es dann fertig, oder?“
Ich versicherte ihm noch mal, dass er es morgen Mittag dann auf jeden Fall seiner Mutter zeigen kann, das war für ihn dann so auch in Ordnung.
Es wurde überdeutlich, dass er jetzt richtig stolz auf sein Werk war und er es gar nicht mehr erwarten konnte, bis er es seinen Eltern zeigen kann.
Als Jonas am nächsten Tag nach dem Mittagessen von seiner Mutter abgeholt wurde, war es dann endlich soweit, er konnte ihr das Buch überreichen. Jonas bestand darauf, dass seine Mutter jetzt sofort das Buch mit ihm gemeinsam in der Gruppe las. Dies tat sie dann auch sofort. Sie nahm sich richtig viel Zeit und setzte sich mit Jonas an den Tisch.
Jonas sagte:
„Ich blättere um und du liest die Geschichte!“
Es dauerte nicht lange, da stand auch schon eine Traube anderer Kinder um den Tisch herum und hörte der Geschichte aufmerksam zu. Es war total schön, in dieser Runde dabei zu sein und zu spüren, wie glücklich Mutter und Sohn in diesem Moment waren. Jonas strahlte über beide Wangen und war froh darüber, dass seine Mutter ihn so lobte. Seine Mutter hingegen war, glaube ich, sehr stolz auf die Leistung ihres Sohnes und auch sehr froh darüber, dass ich dieses Thema so intensiv mit Jonas behandelt habe. Hierfür hat sie sich auch noch mehrmals bedankt!
Anschließend sagte Jonas:
„So, jetzt muss ich das Buch unbedingt noch Papa und den anderen zeigen!“
Reflexion
Im Großen und Ganzen bin ich schon der Meinung, dass ich meine Ziele erreicht habe. Zwischendurch habe ich auch schon mal gedacht: Hoffentlich nimmt das alles ein gutes Ende! Denn ich fand es für mich schon schwierig so zwischen Mutter und Kind zu agieren. Deshalb bin ich umso glücklicher, dass die Mutter im Nachhinein meiner Vorgehensweise sehr zugestimmt hat und froh darüber war, dass ich diesen Weg eingeschlagen habe.
Ich glaube, dass Jonas die Zeit gemeinsam mit mir genossen hat. Er hat unheimlich viel mit mir gesprochen und erzählt und mir letztlich Dinge anvertraut, die er sonst oft nur seinen Eltern erzählt. Ich glaube, dass er sehr froh war jemanden gefunden zu haben, der ihn in Sachen „Perchten“ ernst nimmt, seinen Geschichten zuhört und sich Gedanken darüber macht.
Jonas ist in seiner Art nicht immer einfach, da er einen sehr starken eigenen Willen hat und oft auch sehr stur ist. Doch ich glaube schon, dass er verstanden hat, dass ich es sehr ernst mit ihm meine, dass mir seine Wünsche, Vorstellungen und Bedürfnisse immer sehr wichtig sind und ich mein Möglichstes gebe, diese auch im Alltag aufzugreifen.
Es gelingt mir leider nicht immer, aber ich denke Jonas merkt auch, wenn ich im Stress bin und mir die Arbeit bis zum Hals steht. Er hat auch schon mal Verständnis dafür, wenn es dann an einem Tag mal nicht so ganz funktioniert, wie wir uns das vorgestellt haben. Aber Jonas weiß auch, dass ich mein Wort halte und das bedeutet, wenn ich ihm etwas verspreche, dass ich dies dann auch einhalte. Ich denke, dass das gegenseitige Vertrauen schon da ist und damit auch eine wichtige Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit.
Jonas hat bewiesen, dass er durch seine gute Ausdrucksweise und Phantasie echt schöne Geschichten erzählen kann. Seine Bilder hat er auch immer sehr gut auf sein Erzähltes abgestimmt und wichtige Details aufgegriffen. Er war die gesamte Zeit mit einer großen Ausdauer und Konzentration dabei.
Dadurch, dass ich diesmal ja nur alleine mit ihm gearbeitet habe, konnte er das Arbeitstempo auch immer selbst bestimmen, und das war häufig sehr zügig. Ich habe festgestellt, dass Jonas sich gerne selber Ziele setzt, so wie er zum Beispiel gerne zum Zeitpunkt der Vernissage sein Bilderbuch fertig gehabt hätte. Während der Arbeit möchte Jonas in der Regel auch nicht von anderen gestört werden oder ihnen etwas von seinem Vorhaben mitteilen, aber am Ende ist es ihm wichtig, dass er sein Werk vorstellen kann.
Dieses Mal hat er sein Bilderbuch zunächst seiner Familie gezeigt, was hierbei ja auch sehr wichtig war. Doch in einem nächsten Schritt fände ich es noch toll, wenn er der Gruppe auch noch sein Buch vorstellen würde, weil mittlerweile viele Kinder die Perchten im Rollenspiel nachspielen, aber gar nicht so richtig wissen, wer oder was das eigentlich ist.
Außerdem haben einige Kinder ja auch mitbekommen, dass ich in letzter Zeit häufig mit Jonas zusammengesessen und gearbeitet habe, und einige Kinder waren auch schon ganz neugierig geworden, was wir da wohl die ganze Zeit machen.
Ich denke, dass Jonas auch noch vieles über die Perchten gelernt hat, was er vorher noch nicht wusste, und dass er jetzt auch erkennen kann, was Realität und was erfunden ist. Denn er hat von Beginn an immer viel Fantasie mit ins Spiel gebracht – und ich glaube, er wusste nachher gar nicht mehr, was jetzt wirklich echt und was erfunden ist. Und genau dies, vermute ich, hat bei ihm auch diese Ängste ausgelöst.
Jetzt hat er von mir und letztlich auch noch mal von seiner Mutter bestätigt bekommen, das die Perchten echte Menschen sind, die sich nur verkleiden (so wie wir an Karneval) und damit den Winter vertreiben wollen. Es sind im Grunde keine bösen Gestalten, die den Menschen etwas antun wollen. Das, denke ich, hat er jetzt verstanden, die Mutter sagte auch, dass er zu Hause jetzt keine Ängste mehr zeigt. Er schläft wieder in seinem eigenen Bett und hat auch keine Angst mehr, in sein Zimmer zu gehen, wenn es dort noch dunkel ist.
Dadurch, dass die Mutter ihre Meinung über die Perchten geändert hat und Jonas nun mit ihr darüber reden kann, fühlt er sich von ihr auch in diesem Bereich Ernst genommen Hinzu kommt, dass die Mutter richtig stolz auf sein Bilderbuch ist und ihn sehr gelobt hat. Ich glaube, jetzt ist er noch mal ein Stück gewachsen und hat noch etwas mehr an Selbstvertrauen dazu gewonnen.
Schön war, glaube ich, für ihn auch zu erfahren, dass die anderen Kinder sich für sein Buch interessieren und aufmerksam zugehört haben. Einige Kinder haben auch schon geäußert, dass sie auch so ein Buch machen möchten. Dies bedeutet ja, dass sie das Buch von Jonas richtig schön finden und für eine gute Idee halten. Hieran kann Jonas auch erfahren, dass seine Einfälle und Ideen auch von den Kindern geschätzt werden.
Schwierig finde ich es nach wie vor, mit Jonas‘ Sturheit umzugehen. Damit steht er sich selbst manchmal im Weg und macht sich vieles kaputt. Leider habe ich noch immer nicht genau herausgefunden, warum er dieses Verhalten manchmal so extrem zeigt. Ebenso sind die Ursachen für die zwei Aussetzer nicht wirklich greifbar, dies gilt sowohl für mich, als auch für die Eltern. Hier gilt es wohl weiter Jonas zu beobachten und nach möglichen Ursachen zu suchen.
Ideen
Momentan weiß ich noch nicht genau, wohin mich die Reise mit Jonas weiter führt.
Auf jeden Fall möchte ich spontane Einzeltreffen mit Jonas weiterführen, bei denen er Gelegenheit hat, mir von Dingen zu berichten oder aber auch mögliche Ideen und Wünsche umzusetzen. In der Einzelsituation öffnet sich Jonas einfach mehr und ist meistens auch engagierter und konzentrierter bei der Sache.
Jetzt werden wir erst mal Karneval feiern, dies ist etwas, was Jonas sehr gerne macht und womit er sich auch beginnt zu beschäftigen. Wir werden mit unserem Kindergarten gemeinsam als Clowns im Kinderkarnevalszug mitgehen. Wer weiß, vielleicht ergibt sich aus der einen oder anderen Situation wieder etwas Neues, was Jonas sehr fasziniert oder worüber er mehr wissen möchte. Ich lasse mich überraschen! Im Blick habe ich Jonas auf jeden Fall!
Das Bilderbuch:
Datum der Veröffentlichung: Januar 2012
Copyright© Hanna Vock 2012
Die Übersetzung dieses Beitrags ins Englische wurde geponsert von
Konny Eppmann und Maike Saidler, Köln.