von Diana Verch

 

Näheres über Änne können Sie hier lesen:

Änne, 5;1 Jahre

Da Änne sehr fantasiereich ist und über einen großen Wortschatz verfügt, habe ich mir überlegt, mit ihr zusammen ein Buch zu schreiben.

Bei diesem Projekt will ich herausfinden:

  • Welche Buchstaben kann sie schon gut schreiben?
  • Kann sie den Laut mit dem richtigen Buchstaben in Verbindung setzen?
  • Wie lange arbeitet sie konzentriert an einer Aufgabe?
  • Möchte sie ihr Buch Anderen zeigen?
  • Wie fühlt sie sich dabei? Genießt sie es, oder ist es für sie nervig?

Als Änne gerade mal wieder am Maltisch sitzt und Geschichten erzählt, frage ich sie, ob sie Lust hätte, ein Buch zu schreiben. Sie könnte es mit meiner Hilfe schreiben und, wenn sie möchte, auch mit Bildern versehen. Sie ist begeistert und fragt sofort, wann wir wohl damit beginnen können.

…kurz gefasst…

Ein fünfjähriges Mädchen setzt den Vorschlag der Erzieherin, ein Bilderbuch selber zu machen, zügig und freudig um. Sie arbeitet selbstständig und verlangt nach Hilfe, wenn sie es nötig findet. Sie präsentiert ihr Buch selbstsicher den anderen Kindern und empfängt Anerkennung.

1. Tag

Änne fragt mich, ob es heut los geht und meint, dass sie ja noch ein Buch braucht, in das sie hinein schreiben kann. Also basteln wir gemeinsam ein Buch aus Din A4-Blättern und mit einem bunten Blatt als Umschlag. Damit die Blätter nicht einfach so lose im Umschlag liegen, überlegen wir, sie mit Nadel und Faden fest einzunähen. Während ich den Faden vernähe, ist Änne ganz aufgeregt und klatscht aus Vorfreude in die Hände.

Nun ziehen wir uns in die Turnhalle zurück, damit wir ganz ungestört anfangen können. Ich frage Änne: „Womit möchtest du denn beginnen?“

Sie überlegt kurz und sagt dann:

„Ich male mich zuerst, damit jeder weiß, wem das Buch gehört.“

Beim Malen spricht und kommentiert sie:

„So, den Kopf male ich und ich lache, weil ich gute Laune habe. Noch blonde Haare, ich nehm gelb, aber es gibt keine gelben Haare. Das heißt blond, so wie du, Diana.

So, auf diesem Bild bin ich 5. Das schreib ich mal hin.“

Ich frage weiter: „Was soll denn noch auf deine erste Seite?“

Änne schaut sich um und da wir in der Turnhalle sind, sieht sie die Messlatte zum Ermitteln der Größe und unsere alte Personenwaage. Diese Dinge stehen hier noch von unserem Fest „Reise ins Zahlenland“.

Änne:

„Können wir das benutzen? Dann weiß ich, wie groß ich bin und wie schwer, und schreibe das einfach mit auf.“

Diana: „ Ja, na klar, finde ich eine tolle Idee. Komm wir schauen mal, wie groß du bist.“

Änne:

„Ja, ich muß aber meine Schuhe ausziehen, sonst bin ich noch größer.“

Ich lege die Messlatte an und zeige ihr, bis wo ihr Kopf reicht. Sie schaut sich die Zahlen an und sagt:

„So, das schreib ich mir auf mein Bild.“

Da es eine dreistellige Zahl ist, die 113, frage ich, ob sie diese Zahl kennt und sie erkennt die 13. Ich erkläre ihr kurz, dass sich die Zahl aus der 100 und der ihr bekannten Zahl 13 zusammensetzt.

Änne:

„Ja ja, das hast du mir jetzt gesagt. Komm, wir wiegen jetzt.“

Nach dem Wiegen schreibt sie die Zahlen gleich auf und ist noch immer ganz aufgeregt.

Änne:

„So, jetzt ist meine erste Seite fertig. Diana, können wir die zweite schon machen? Ich will unten ein Bild malen und oben die Geschichte schreiben.“

Diana: „Soll ich dann die Geschichte schreiben und du erzählst, oder wie möchtest du es gern?“

Änne:

„Ich versuch es erst allein. Es soll ja mein Buch werden.“

Änne malt ganz konzentriert zwei Menschen.

Änne:

„Du wunderst dich jetzt und fragst mich bestimmt, warum der Eine eine Hose, und der Andere einen Rock hat. Stimmts, das wolltest du mich fragen?“

Diana: „Stimmt genau, wer soll das sein?“

 

 

 

 

 

Änne:

„Das sind meine Mama und mein Papa, als ich ein Jahr alt war. So, jetzt mal ich noch mich.“

Nach dem Malen beginnt sie zu sagen, was sie schreiben möchte:

„Einmal am Tag war eine schöne Familie im Land.“

Ich lautiere dann ihren Satz, und sie beginnt in Großbuchstaben zu schreiben. Den Laut G kann sie schwer erkennen. Ich helfe ihr und zeige ihr, wie der Buchstabe G geschrieben wird. Beim W bittet sie erneut um Hilfe. Nachdem ich den Buchstaben auf einen Zettel geschrieben habe, sagt sie:

„Ah, das ist das M, nur andersrum.“

Beim „Sch“ kommt sie ins Stocken. Ich frage sie: „Was hörst du?“

Änne:

„Das hört sich an wie bei Charlaine. “

(Sie ist ihre Freundin.)

Ich bestätige die Aussage und erkläre ihr, dass Charlaine aus Marokko kommt und daher sicherlich die Schreibweise anders ist, oder auch die Art es auszusprechen und schreibe ihr das „sch“ auf.

Änne:

„Ah, da kommt noch ein s vorne hin. Hört sich doch aber gleich an, komisch.“

Wir beenden die Seite im gleichen Stil. Auf der nächsten Seite malt sie wieder zuerst und schreibt: DIE WAREN GLÜCKLICH.

Änne:

„Oh schau, wie viel ich geschrieben hab. In meinem Interessantenklub lese ich das vor. Die kriegen ein Zeichen und dann dürfen sie hören“

Ich frage sie, wer in ihrem Klub ist und sie meint, dass sie sich das gerade ausgedacht hat und sie wüßte es noch nicht. Beim Aufräumen schaue ich mir noch einmal ihr Buch an und sage ihr auch, dass ich es sehr gelungen finde und ich überrascht bin, dass sie wirklich alles allein schreibt.

Änne lächelt und sagt:

„Ach Diana, das tut mir richtig am Herzen gut.“

2. Tag

Nach dem Frühstück kommt Änne zu mir:

„Diana, machen wir gleich mein Buch weiter? Ich hab mir schon was Schönes überlegt.“

Wir gehen etwas später in die Turnhalle und sie beginnt eifrig zu malen.

Änne:

„Ich male ein Haus und eine Katze. Meine Schwester hat auch schon mal eine Katze gemalt. …Meine Katze find ich richtig schön, besser als die von Emmy.“

Diana: „Was gefällt dir denn besser?“

Änne:

„Meine Schwester malt nur eine Katze, die sitzt, aber meine kann sogar schon laufen. Ich mal jetzt noch ein schönes Haus. Es ist silber. Den Himmel mal ich überall, denn wenn du so guckst

(Änne zeigt mit dem Finger aus dem Fenster)

siehst du überall den Himmel da draussen.“

Als sie mit ihrem Bild fertig ist, sagt sie ohne Aufforderung, wie der Text lauten soll:

„Und sie hatten ein schönes Haus.“

Beim „sie“ sage ich: „Oh, das ist wieder ein langes i. Weißt du noch, was ich dir dazu gesagt habe?“

Änne:

„Ja, ich muss ein „i“ und „e“ schreiben. Das hast du mir schon gestern gesagt.“

Wenn Änne Buchstaben nicht genau erkennt, fragt sie, Beispiele hierfür sind:

„Ist das ein T wie Tisch oder wie Diana?“

oder

„Ich höre das nicht, ist das wie bei Himmel?“

Auf der nächsten Seite malt sie einen Spielplatz. Während des Malens sagt Änne:

„Ich liebe Büchermachen. Ich hab das noch nie gemacht, aber jetzt weiß ich, wie sich das anfühlt!“

Danach sagt sie wieder, was sie schreiben möchte:

„Hier ist mein Spielplatz.“

Auf der nächsten Seite möchte sie nur malen. Sie malt dicke Gewitterwolken und ein Boot mit einem Mädchen.

Sie kommentiert:

„Weißt du, jetzt male ich ein Boot. Es hat nämlich schon mal so geregnet, da konnte ich mit dem Boot in den Kindergarten kommen. Das hab ich mal geschenkt bekommen. Ich male auch Arme, da paddele ich.“

Ich frage Änne, ob sie schon mal gepaddelt ist, denn paddeln ist ein schwieriges Wort und ich bin erstaunt, dass sie es kennt. Sie meint:

„Na klar weiß ich das, hörst du mir nicht zu? Ich bin in den Kindergarten gepaddelt.“

Sie beendet ihre Zeichnung. Wir schauen uns gemeinsam das bisher Geschriebene an und wir stellen fest, dass sie sehr stolz sein kann.

3. Tag

Änne kommt im Laufe des Tages zu mir und sagt:

„Heute lese ich mein Buch mal vor. Es ist noch nicht fertig, aber die Kinder sind immer so neugierig.“

Ich schlage ihr vor, dass wir uns später auf dem Teppich treffen, und dann kann sie loslegen.

Gesagt, getan. Wir sitzen auf dem Teppich.

Änne grinst, sitzt in der Mitte, hält ihr Buch hoch und fragt ganz selbstbewusst und stolz:

„Soll ich ganz von Anfang lesen? Aber ihr müsst ganz still sein, sonst klapp ich mein Buch zu und lese nicht für euch.“

Lukas: „ Gut,ich schließe meinen Mund zu.“ Er bewegt die Hand, als würde er einen Schlüssel vor seinem Mund bewegen.

Änne:

„Ja, am besten alle, ich gucke zu. Den Schlüssel könnt ihr zum Gott hoch werfen.“

Änne beginnt ihr Buch vorzulesen und blättert bedächtig die Seiten um. Die Kinder beobachtet sie dabei genau.

 

 

 

 

 

Bei der letzten Seite hatte sie ja noch nichts geschrieben. Sie erklärt:

„Das Bild ist dafür, dass ich euch zeigen kann, wenn es mal doll regnet, dass ihr dann mit dem Boot kommt und rudert.“

Die Kinder kichern.

Änne:

„Wer hat denn alles ein Boot?“

Es melden sich 4 Kinder.

Änne:

„Aber bitte, ihr lügt mich jetzt nicht an!“

Charlaine: „Oh Änne, das ist ein tolles Buch!“

Jill: „Änne, kannst du das Buch nochmal vorzeigen?“

Sie zeigt allen Kindern das Buch.

Zum Schluss gibt sie das Buch aus der Hand, und jedes Kind darf es mal anfassen.

Sie sagt zu den Kindern:

„Aber macht es mir nicht kaputt. Dann bin ich stinksauer.“

Als Charlaine das Buch hält, kommt von Änne:

„Charlaine, nicht blättern, nur das 1. Blatt.“

Alex, ein Junge, der noch recht klein und relativ neu bei uns ist, möchte auch blättern.

Änne:

„Gut Alex, du darfst mal blättern, weil du noch klein bist.“

Die Kinder sind beeindruckt und loben Änne sehr dafür.

Jona fragt: „Änne, bastelst du mir auch so eins?“

Änne:

„Ich bereite es dir vor, lege dir alles zurecht, aber schreiben musst du.“

Am Ende, nachdem alle Kinder das Buch gesehen haben, sage ich ihnen, dass ich die Arbeit sehr gut finde und mich freue, dass es den Kindern ebenso ergangen ist. Abschließend werfe ich den Gedanken ein, dass es sehr gut möglich ist, dass Änne mal eine Schriftstellerin wird und wir ihre Bücher dann in einem Laden kaufen können.

Änne, ungeheuer gestärkt in ihrem Selbstbewusstsein, steht auf und wir gehen danach raus auf den Spielplatz.

Datum der Veröffentlichung: Januar 2012
Copyright © Hanna Vock 2012, siehe Impressum.