(Vortrag beim 5. IHVO-FachTag, September 2012)
von Alexa Kreitlow
Seit 2009 ist unsere Kita als „Integrativer Schwerpunktkindergarten für Hochbegabtenförderung“ zertifiziert. Alle 3 Gruppenleiterinnen und ich als Leiterin haben an der Weiterbildung erfolgreich teilgenommen.
Früher waren unsere drei Gruppen (einschließlich Schulkinderbetreuung bis 10 Jahre) altersgemischt, was auch viele Jahre lang gut funktionierte. Dann wurden in Nordrhein-Westfalen die Horte aufgelöst und wir verloren unsere Schulkinder.
Stattdessen nahmen wir mehr Kinder unter drei Jahren auf, was die Struktur der Gruppen stark veränderte. Wir sahen, dass die älteren Kinder und insbesondere auch die hoch begabten Kinder in dieser Gruppenform unterfordert waren und die Erzieherinnen ihnen nicht mehr gerecht werden konnten.
Also strukturierten wir um.
Jetzt sind unsere Gruppen eher altershomogen, wobei wir darauf achten, dass jedes Kind nur einmal die Gruppe wechselt. In der „Räubergruppe“ versammeln sich alle Vorschulkinder. Im letzten Jahr ihrer Kindergartenzeit erhalten sie hier eine besondere Förderung, um sie auf die Schule vorzubereiten. In der Praxis hat sich erwiesen, dass es für Projekte und situationsorientierte Angebote von Vorteil ist, alle Vorschulkinder in einer Gruppe zu fördern.
Hier haben wir auch die Möglichkeit, hoch begabte Kinder rechtzeitig in das Vorschulprogramm einzubeziehen.
Die Entwicklung des Fachfrauenprinzips brachte es mit sich, dass wir unsere Nebenräume „opferten“, um dort die Funktionsräume unterzubringen. Die Holzwerkstatt, zum Beispiel ist neben dem Gruppenraum der ältesten Kinder, wo auch die Fachfrau für die Werkstatt arbeitet. Als Opfer hatten aber nur wir Erzieherinnen das im Vorhinein gesehen, bald stellten wir fest, dass die Kinder sich im ganzen Haus verteilen und somit die Gruppenräume nie überfüllt sind.
Seit neuestem schätzen wir uns glücklich, auch einen Fachmann in der Kita zu haben, er möge mir verzeihen, dass ich ihn hier zu den „Fachfrauen“ und „Erzieherinnen“ zähle. Die Fachfrauen also haben die Freiheit, sich in ihrem Fachbereich mit ihren eigenen konzeptionellen Vorstellungen und Ideen einzubringen und die Struktur selbst zu gestalten.
Alle Neuerungen werden im Großteam vorgestellt und besprochen, denn alle Erwachsenen müssen sich genau auskennen und entsprechend verhalten. So haben beispielsweise alle Erzieherinnen bei der Fachfrau ein Werkstattdiplom gemacht.
Die AGs finden ständig statt, in wöchentlichem oder monatlichem Abstand. Nur die Kinder können sich für eine AG anmelden, die Eltern können nicht darüber entscheiden.
Bei unseren Projekten achten wir darauf, dass sie täglich fortlaufend stattfinden, solange die Projektidee trägt und solange die Kinder weiter machen wollen. Selbst bei vorübergehendem Personalmangel halten wir es durch, die Projekte täglich laufen zu lassen und den Erzieherinnen, die am Projekt arbeiten, den Rücken frei zu halten. Das geht nur, weil wir der Projektarbeit sehr große Priorität zuerkennen.
Es ist eine große Herausforderung an die Koordinationsfähigkeit aller Teammitglieder. Inzwischen ist es so, dass bei unserer 15-minütigen Frühbesprechung, bei der aus jeder Gruppe eine Erzieherin anwesend ist, sehr engagierte und kreative Vorschläge kommen, wie auch an diesem Tag wieder alles unter einen Hut zu bringen ist.
Die Bereitschaft, den Kolleginnen „den Rücken frei zu halten“, ist deshalb im Team so groß, weil jede in den Genuss kommt, ein Projekt federführend zu machen und dann dieselben guten Bedingungen vorfindet, die das Arbeiten so befriedigend machen.
In unserer Kita ist es auch ein Prinzip unserer Arbeitsteilung, dass jede Erzieherin nur die Bereiche betreut, die sie wirklich gern macht und für die sie auch Talent hat.
Zu den einzelnen Funktionsbereichen:
Unser Kindergarten ist so gebaut, dass von einer Mittelhalle alle Gruppenräume und sonstigen Räume abgehen. Diese Halle ist lichtdurchflutet, da sie von einer Glaskuppel überspannt ist. Sie ist gemütlich eingerichtet und lädt zum Verweilen ein.
Hier ist auch unsere Bücherei untergebracht, jederzeit für alle Kinder, Eltern und Großeltern zugänglich.
Die Büchereifachfrau ist nicht nur für den Bücherbestand und die Ordnung zuständig, sondern auch für die Ausleihe. Sie macht auch eigene Projekte.
So machte sie vor Jahren ein Projekt, in dem die Regeln für den Umgang mit den Büchern erarbeitet wurden. Ein anderes Projekt war: „Wir schreiben ein eigenes Buch“; dazu lud sie eine Kinderbuchautorin ein, die den Kindern vermittelte, wie man ein Buch schreiben kann. Nun haben wir zwei Bücher im Kindergarten, die die Kinder selbst geschrieben haben.
Jedes Kind hat einen Büchereiausweis und damit die Möglichkeit, Bücher mit nach Hause zu nehmen. Auch Eltern können sich über den Ausweis ihres Kindes Fachbücher ausleihen. Für alle gilt, dass erst ein neues Buch ausgeliehen werden darf, wenn das alte zurück ist.
Auch für den Kreativraum hat die Fachfrau Regeln erarbeitet, vor allem aber werden die Kinder sorgfältig über AGs in die Möglichkeiten des Materials eingewiesen.
Zum Beispiel, wer eine AG Malen mit Acrylfarben belegt und gelernt hat, mit Acrylfarben umzugehen, darf von da an allein an die Acralfarben ran und damit kreativ werden.
Es passiert selten, dass die Kinder nicht von selbst gut aufräumen. Wenn ein Kind die Freiheit aber nicht verantwortungsvoll nutzt, kann diese Freiheit auch wieder entzogen werden. Aber das passiert, über die Jahre gesehen, äußerst selten.
Wir glauben, dass das daran liegt, dass die Kinder spüren: Es wird von mir erwartet und es wird mir auch zugetraut.
Manchmal gibt es auch Situationen, wo wir erst nachdenken müssen: Was ist hier eigentlich passiert? So hat zum Beispiel mal ein Junge, der gerne forschte und Versuche machte, in alle 10 Kleberflaschen Wasser eingefüllt. Die Kleberflaschen wurden dadurch unbrauchbar, aber uns war klar, welche Absicht er hatte: etwas herauszufinden.
Das System Lehrlinge – Gesellen – Meister besagt Folgendes:
Die Lehrlinge dürfen nicht allein in die Werkstatt. Sie müssen mit der Fachfrau ein Projekt machen, um dann Geselle zu werden. Dabei fertigen sie ein Werkstück an und beweisen, dass sie mit dem Werkzeug gut umgehen können, die Werkstattregeln kennen und einhalten. Einige dieser Regeln sind: Das Werkzeug bleibt in der Werkstatt, die Werkstatt ist keine Turnhalle, alles hat seinen bestimmten Platz, Werkzeuge werden nur sachgerecht verwendet, die Werkstatt darf nicht auf Strümpfen oder barfuß betreten werden.
Gesellen, die sich schon über einen längeren Zeitraum verantwortungsvoll in der Werkstatt verhalten haben, dürfen die Meisterprüfung machen. Dafür müssen sie zeigen, dass sie Lehrlinge gewissenhaft anleiten können.
Die Meister dürfen nach ihrer Prüfung einen Lehrling mit in die Werkstatt nehmen und tragen für ihn die Verantwortung. Sie müssen dafür sorgen, dass der Lehrling sich an die Regeln und an das Ordnungssystem hält.
Die Meister achten auch darauf, dass die Werkzeuge in Ordnung sind und dass genügend Material vorhanden ist. Sie erstellen mit Hilfe der Fachfrau eine Einkaufsliste, kommen damit allein zu mir ins Büro und erfragen sich Geld für den Einkauf. Dann kaufen sie zusammen mit der Fachfrau im Baumarkt ein. Es kommt auch vor, dass ein besonders begabtes oder interessiertes Kind mit vier Jahren Meister wird und alle Aufgaben erfüllt. Ein anderes Kind hat bereits mit drei Jahren als Geselle viel allein in der Werkstatt gearbeitet.
Der Forscherraum enthält viele Geräte und Materialien zu den Themen Energie und Wetter, zum Messen, Wiegen und für naturwissenschaftliche Versuche.
Das Highlight ist sicherlich unser echtes hochwertiges Mikroskop aus der Forschung. Die anfänglichen Bedenken einiger Eltern, ob Kinder mit so teuren Geräten arbeiten können, wurden zerstreut. Nach über drei Jahren funktioniert es genauso gut wie am Anfang, obwohl viele Kinder, zum Teil auch allein, daran gearbeitet haben. Natürlich müssen sie vorher ein „Forscherzeugnis“ machen.
Dieses Mikroskop arbeitet mit dem angeschlossenen Computer zusammen, sodass die Kinder kleine Dinge, zum Beispiel ein Haar einer Raupe, nicht nur durch das Okular des Mikroskops betrachten können, sondern auch auf dem Bildschirm. Das hat den Vorteil, dass sie nicht ein Auge zukneifen müssen, was kleinen Kindern oft schwer fällt. Mit Hilfe des Computers können auch Fotos von den betrachteten Objekten gemacht und bearbeitet werden.
Zur Zeit läuft wieder mit neuen Kindern die AG „Wir lernen im Forscherraum arbeiten“.
Das Ziel für die Kinder ist das Forscherzeugnis, das sie berechtigt, allein im Raum zu arbeiten.
Anschließend läuft dann ein einwöchiges Experimente-Projekt für alle Kinder, die das Forscherzeugnis schon haben.
Eine unserer Erzieherinnen hat als Hobby Nähen. Deshalb gibt es auch immer mal wieder ein Näh-Projekt mit Nähmaschinen. Auch wenn auf den Fotos zufällig nur Mädchen zu sehen sind, gab es auch Jungen im Projekt. In diesem Projekt wurden Beutel für den Osterhasen genäht – einige Mädchen hatten sich verabredet und kamen am ersten Termin mit Kopftüchern. Das begründeten sie damit, dass sie jetzt „Hausfrauen“ seien und fanden das lustig.
Wir sind schon seit langem mit Computern ganz gut bestückt, allerdings außer im Büro immer mit ältlichen Exemplaren, die immer mal kaputt gehen und in Elternarbeit repariert oder durch andere gebrauchte Schätzchen ersetzt werden.
Es gibt für die Erzieherinnen pro Gruppe ein Laptop und für die Kinder die beiden Computer in der Computerecke.
Einer der Kindercomputer erhält jetzt auch Internet-Zugang, dann werden wir den Internet-Führerschein entwickeln.
Kinder, die den Computerführerschein gemacht haben, können täglich bis zu einer halben Stunde am Computer spielen. Die interessierten Kinder können sich morgens in eine Liste eintragen. Dies und die Begrenzung auf eine halbe Stunde ist nötig, damit alle Kinder, die wollen, auch drankommen. Wenn der Küchenwecker klingelt, ist die Zeit vorbei und das Kind sagt dem nächsten Kind Bescheid, wenn das nicht schon daneben sitzt und wartet.
Alle sagen „Hasengehege“, wissen aber genau, dass dort Kaninchen wohnen. Der Stall wurde in früheren Jahren in einem Werkstattprojekt hergestellt, als wir noch Schulkinder betreuten. Sie hatten sich auch die Kaninchen gewünscht – aber wer immer bei den Tieren ist, sind die Kleinen. „Biscuit“ und „Flocke“ geht es gut, sie haben ein geräumiges Gehege, das von Kindern gepflegt wird. Die Kinder sind auch für das Füttern und Stallsäubern verantwortlich. Die AG Hasen läuft ja natürlich das ganze Jahr über. Zusätzlich gibt es auch immer mal wieder eine Hasen-AG speziell für die Kleinen.
Die größeren Kinder können sich für den „Hasenorden“ bewerben. Den erreichen aber nicht alle Kinder, die sich dafür anmelden; denn dafür muss man drei Wochen lang verlässlich für die Tiere sorgen, was von der Fachfrau genau nachgehalten wird. Hier geht es nicht nach dem täglichen Lustprinzip, sondern es muss einfach gemacht werden, was den Kindern natürlich gut zu vermitteln ist. Aber trotzdem ist es die schwerste Prüfung für die Kinder, das durchzuhalten.
Wenn ein Kaninchen stirbt, was natürlich in den vielen Jahren schon mehrfach vorgekommen ist, nehmen wie das zum Anlass, um mit den Kindern das Thema Tod zu erarbeiten.
Wir haben immer mal wieder Waldwochen mit Themen, zum Beispiel „Pilze“ oder „Tiere in unserem Wald“. Da sieht man auch schon mal, wie eine Schlange einen Frosch verspeist (siehe Foto rechts oben, der braune Frosch ist rechts unten im Bild).
Im Garten wird im Frühjahr gesät und gepflanzt – und wenn wir Glück haben, auch geerntet. Unsere Äpfel- und Birnbäume liefern ihre Früchte mit Hilfe der Kinder in der Küche ab.
Die Waldtage und Waldwochen finden in jeder Jahreszeit statt.
Musik und Tanz gehören zum Alltag für alle Kinder. Zum 5. Mal haben wir die Auszeichnung „Felix“ erhalten. Sie wird vom Deutschen Chorverband Kindergärten verliehen, die sich in besonderem Maß im musikalischen Bereich betätigen und beispielhaft musikalisch wirken. Vor allem kommt es dabei auch auf das tägliche Singen in der richtigen, für die Kinderstimmen passenden Tonlage an.
Wie bei allen unseren AGs gibt es auch bei der Musik immer ein Thema, das über Wochen mit den Kindern erarbeitet wird, die sich für diese AG gemeldet haben. Das nächste ist jetzt die Einübung des diesjährigen Sankt-Martin-Spiels.
Jede Musik AG arbeitet auf eine Vorführung hin, zum Beispiel bei unserem Sommerfest oder bei unseren Besuchen im Wohn- und Pflegeheim. Schon seit über 10 Jahren fährt die Musik AG viermal im Jahr in das Heim und tritt dort auf. Die Kinder haben die Scheu vor pflegebedürftigen Menschen verloren, sie genießen ihren Auftritt, und die Bewohner freuen sich immer schon Tage vorher auf den Besuch der Kinder.
Tanzen ist ein großes Bedürfnis, vor allem bei den kleinen Kindern, die sich noch ganz lustvoll und unbefangen nach der Musik bewegen. Dies wollen wir ihnen erhalten und ihnen Tanzerfahrung und Tanzgrundkenntnisse anbieten.
Das ursprünglich nur vierwöchige Projekt läuft jetzt unbegrenzt mit den vierjährigen Kindern weiter, weil die Kinder so begeistert sind. Es geht dabei nicht nur ums Reiten, sondern auch darum, die Tiere kennen zu lernen und sie zu pflegen.
Unruhige und entwicklungsverzögerte Kinder profitieren davon ganz besonders, aber auch für die besonders begabten Kinder ergeben sich oft ganz neue motorische und sinnliche Erfahrungen.
Die Bereitschaft, andere Kolleginnen in ihrer Gruppe zu vertreten, während diese in einer AG oder einem Projekt weiter arbeiten, ist nicht selbstverständlich. In unserem Team ist die Bereitschaft dazu gewachsen, weil alle Kolleginnen immer wieder die Erfahrung machen konnten, dass diese Flexibilität bei nächster Gelegenheit auch ihre Projekt- und AG-Arbeit unterstützt.
Wir schneiden die AGs und Projekte schon auf bestimmte Altersgruppen zu, haben aber immer im Blick, welche jüngeren Kinder auch schon teilnehmen können, was rege genutzt wird.
Die Kinder haben in unserer Kita viele Möglichkeiten und Freiheiten, die von ihnen aber auch hart erarbeitet werden müssen. Aber dann können sie auch überall und jederzeit dran. Das ist gerade für hoch begabte Kinder ein riesiger Vorteil. Sie müssen nie warten, wann mal etwas angeboten wird, zum Beispiel Experimente oder neue Bücher.
Die Kinder kriegen sehr schnell mit, welche Erzieherin für welchen Bereich zuständig ist, und da sie sich im ganzen Haus frei bewegen können, finden sie auch immer eine Ansprechpartnerin, die auch so weit interessiert und kompetent ist, dass sie sich mit dem Kind auf den Weg macht, seine Fragen zu beantworten und auftauchende Probleme zu lösen.
Ein Resultat unserer Arbeitsweise nach dem Fachfrauenprinzip ist auch, dass die Kinder keine Langeweile haben. Gerade auch unsere älteren Jungen finden viele Möglichkeiten. Besucher sind immer wieder erstaunt darüber, dass kaum aggressives Verhalten zu sehen ist.
Datum der Veröffentlichung: Oktober 2012
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