von Hanna Vock
Anfänge planvollen Handelns
Der 9 Monate alte David war erst seit drei Wochen in der Kita, als sich Folgendes zutrug:
Nachdem seine Mutter schon gegangen war, machte sich David krabbelnd und in sichtlich guter Laune auf den Weg zur offen stehenden Gruppenraumtür. Die Erzieherin sah, dass er die Gruppe verließ und ging ihm mit Abstand nach, so dass David davon nichts bemerkte. Später sagte die Erzieherin: „Ich dachte, er wollte hinter seiner Mutter her, da er um die Ecke bog, Richtung Haustür.“ Aber David krabbelte an der Eingangstür vorbei, den ganzen langen Flur entlang, zwischen allen Eltern und Kindern hindurch, auch an der Treppe vorbei und zielstrebig zur anderen U3-Gruppe (Gruppe mit Kindern im Alter bis zu 3 Jahren). Hier stand die Tür auch offen, weil das Kommen und Gehen der Eltern noch in vollem Gange war. Dort krabbelte David direkt zum Bällchenbad und warf sich freudig juchzend hinein.
… kurz gefasst …
Die Fähigkeiten, Pläne machen zu können, Zeichnungen und Mind-Maps anfertigen zu können, werden hier als Werkzeuge geistiger Arbeit verstanden. Hoch begabte Kinder sind häufig schon im Vorschulalter sehr interessiert daran, sich diese Werkzeuge anzueignen.
Der Hintergrund dieser erstaunlichen Geschichte:
David, der auch später immer wieder durch ein sehr gutes Gedächtnis, eine hervorragende räumliche Orientierung und Anzeichen für eine hohe logisch-mathematische Begabung auffiel, hatte seine ersten drei Kita-Wochen zu einem beträchtlichen Teil vergnügt im Bällchenbad verbracht, das in seinem Gruppenraum stand. Da es aber für die gesamte Kita nur ein einziges Bällchenbad gab, wechselte es von Gruppe zu Gruppe.
Einen Tag vor seinem Krabbelausflug war David erstmals in den Spätdienst geraten und damit in den Gruppenraum der anderen U3-Gruppe, in der der Spätdienst stattfand. Dort hatte er sein geliebtes Bällchenbad wiederentdeckt und darin gespielt.
Am nächsten Morgen nun hat er, als die Gelegenheit günstig war (offene Tür), einen Plan gefasst und mutig umgesetzt.
Wie gut, dass die Erzieherin ihn sich nicht gleich geschnappt, in die Gruppe zurück gesetzt und die Tür zu gemacht hat. Sie hat ihn ziehen lassen, weil sie wissen wollte, was er wohl vorhat, und ist ihm nachgegangen.
Was muss Alles in seinem Babykopf passiert sein?
- Er hat eine starke Begeisterung für das Bällchenbad entwickelt.
- Er hat es vermisst, als es nicht mehr da war.
- Er hat es wieder entdeckt und geistig in dem anderen Gruppenraum verortet.
- Er hat sich am nächsten Tag daran erinnert, dass und wo er das Bällchenbad gefunden hat.
- Er hat die Chance der offenen Tür begriffen und ergriffen.
- Er wusste den Weg zum anderen Gruppenraum!!!
- Er war explorationsfreudig, erkundungsfreudig genug, um sich allein und selbstständig auf den Weg zu machen und seine Ressourcen (zum Beispiel endlich Krabbeln können) zu nutzen.
- Er fühlte genug Mut in sich, um auf seinem Weg nicht umzukehren oder aufzugeben.
- Er führte seine Expedition zum gewünschten Erfolg und fühlte die entsprechende Befriedigung.
- Da man ihn gewähren ließ, fühlte er Freiheit und ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit.
Alle die oben aufgeführten Punkte sind wichtig für erfolgreiches Lernen.
Davids Plan war ein Handlungsplan: „Ich will zum Bällchenbad krabbeln“. Dieser Plan gliederte sich folgendermaßen:
- „Meinen Gruppenraum durch die Tür verlassen,
- den Flur entlang krabbeln,
- um die Ecke biegen,
- den langen Flur an Treppe und Eingangstür vorbei durchkrabbeln,
- in das Zimmer mit dem Bällchenbad rein,
- Bällchenbad finden,
- rein und Spaß“.
Siehe auch den Absatz „Algorithmus“ in Grundideen der Mathematik .
Natürlich war er sprachlich noch lange nicht in der Lage, seinen Plan mitzuteilen. Einzelne Schritte (zum Beispiel: um die Ecke biegen) konkretisierten sich vielleicht auch erst während der Expedition, aber den Anfangs- und den gewünschten Endpunkt sowie den Prozesscharakter seines Vorhabens muss er schon am Anfang gewusst haben.
Ich sage Euch, was ich vorhabe
Mit zunehmendem Alter und an irgendeinem Punkt ihrer Entwicklung können Kinder ihre Pläne dann sprachlich mitteilen (wenn sich denn Jemand empathisch und mitdenkend dafür interessiert), später können sie die Pläne, die sie im Kopf haben, auch aufschreiben oder aufzeichnen.
Die IHVO-Absolventin Birgit Wester erlebte, dass ein 2 Jahre 10 Monate alter Junge ihrer Gruppe sich auf erstaunliche Weise orientierte. Sie schreibt: „Er möchte in den ersten Tagen seiner Kindergartenzeit von unserer Regenbogengruppe in die Sonnenscheingruppe. Unsere Gruppen sind folgendermaßen angelegt:
Er sagt: <Ich gehe in die Gruppe, wo ich um die Ecke biege.> Eine solche Äußerung habe ich von einem noch nicht Dreijährigen noch nicht gehört. Es zeigt, dass er schon nach kurzer Zeit im Kindergarten eine genaue Vorstellung von der Anordnung unserer Räume hat.“
Genauer gesagt, heißt es, dass er seinen Plan, den er im Kopf hat, auch schon sprachlich mitteilen kann. Ab wann er einen solchen Plan schon (vorsprachlich) geistig entwickeln konnte, wissen wir in diesem Falle nicht.
Das nächste Beispiel zeigt einen Wohnungsgrundriss, den ein Mädchen (5;11) gezeichnet hat. Die Zuordnung der Zimmer, die Wege und Richtungen sind richtig getroffen, wenn auch das Zimmer der Eltern vergessen wurde und wenn auch natürlich alle Zimmer in Wirklichkeit direkt aneinander grenzen.
Hier zeigt sich die Fähigkeit zur räumlichen Orientierung wieder auf einer neuen Stufe:
Es gab immer einen guten Plan im Kopf – beim 9 Monate alten David konnte er „nur“ handelnd umgesetzt werden; der noch nicht 3-jährige Junge konnte über seinen Plan bereits auch sprechen; und das 5-jährige Mädchen kann seinen Plan auch schon aufzeichnen und beschriften.
Das Wort PLAN hat im Deutschen eine dreifache Bedeutung. Erstens bezeichnet es räumliche Zuordnungen (zum Beispiel: den Stadtplan oder auch den Grundriss der Kita). Zweitens steht es für Zeitpläne (zum Beispiel den Fahrplan), und drittens kann man damit auch geplante Handlungsabläufe meinen.
In den beiden obigen Beispielen handelt es sich um geistige Kombinationen aus Raumplan und Handlungsplan. Im zweiten Beispiel stand dem Kind schon die Lautsprache zur Verfügung.
Im folgenden Beispiel hat das Kind begonnen zu schreiben und schreibt seinen selbst erdachten Handlungsplan auf.
Ein 6-jähriges Mädchen macht einen Tagesplan:
Hier ist ein Bedürfnis nach Planung und Strukturierung zu erkennen; die Umsetzung in einen Notizzettel wurde sicher durch (elterliche) Vorbilder angeregt.
Raumpläne erstellen
Pläne sind abstrakte Reduktionen der konkreten Welt. Ein Strich ist die abstrakte Darstellung einer Straße, ein grüner Fleck repräsentiert einen Park. Ziel eines guten Stadtplans ist es, übersichtlich und klar gerade so viel Information zu bieten, dass sich auch ein Fremder in der wirklichen Stadt zurechtfinden kann.
Alle für diesen Zweck unwesentlichen Einzelheiten (ob die Häuser zwei oder vier Stockwerke hoch sind, ob Blumenkästen an den Fenstern sind, ob die Straße 1920 oder 1975 gebaut wurde, ob es in der Straße fünf oder zehn Geschäfte gibt) werden weggelassen. Alles Wesentliche (wo die Straße eine Kurve macht, wo eine Eisenbahnlinie den Weg versperrt, wo Häuser an den Straßen stehen und wo die Straße durchs Grüne führt) muss jedoch vollständig abgebildet sein.
Diese Möglichkeit zur Abstraktion und zur Unterscheidung in Wichtig und Unwichtig ist reizvoll für viele junge hoch begabte Kinder.
Interessant kann sein, mit Kindern einen Umgebungsplan der Kita zu zeichnen, der alle wichtigen Informationen enthält – und dabei festzustellen, dass man erst mal klären muss, was für wen wichtig ist: Für Kinder sollte der Spielplatz eingezeichnet sein, für Autofahrer die Tankstelle, für alte Leute die Apotheke und der Lebensmittelladen, und für alle Fußgänger der Zebrastreifen.
Ein solches Projekt erfordert es natürlich, mit den Kindern die Umgebung zu erlaufen und den Plan, entsprechend den Beobachtungen, immer wieder zu berichtigen.
Passt das Alles aufs Papier? Wie muss der Maßstab sein – und was ist überhaupt ein Maßstab? Das können Fragen sein, die im Verlaufe des Projekts auftauchen.
Skizzen und Zeichnungen, Zeichnen lernen
Mal eben schnell eine Skizze oder eine Zeichnung anzufertigen, kann die Erinnerung oder auch die Kommunikation mit Anderen unterstützen. Viele Menschen sind aber davon überzeugt, nicht zeichnen zu können. Auch hier gilt aber: Dieses Werkzeug der geistigen Arbeit kann von früh an gelernt werden. Das genaue Sehen und das genaue Aufs-Papier-Bringen lassen sich üben. Wer gut zeichnen kann, ist immer mal wieder im Vorteil. Auch angehende Kunstmaler müssen in ihrem Studium anfangs viel zeichnen und skizzieren. Im Kindergarten hat es Vorteile, das künstlerische Zeichnen und Malen einerseits und das möglichst naturgetreue, präzise Zeichnen andererseits sowohl zusammen als auch getrennt voneinander zu behandeln.
Siehe: Zeichenkurs mit Linda .
Siehe: Zeichnen üben mit 4.
Zum Zeichnen lernen im Kindergarten empfehle ich die unten stehenden Bücher. Nach einer Anfangsanleitung durch die Erzieherin können die Kinder dann auch selbstständig dazulernen und Erfolge sehen.
Kinder lernen zeichnen und malen.
Von Alex Bernfels und Rosanna Pradella.
Verlag christophorus.
Für kleine Zeichner.
Von Iris Prey.
Verlag Bassermann.
Für kleine Maler.
Von Norbert Pautner.
Verlag Bassermann.
Tiere zeichnen Schritt für Schritt.
Von Norbert Pautner.
Tessloff Verlag.
Mind-Maps
Mind-Maps sind nicht nur was für “Große”. Wichtige Menschen und Teams wichtiger Menschen erstellen Mind-Maps. Kinder sind wichtige Menschen.
Mind-Maps wurden erst im Jahr 1971 von dem britischen Psychologen Tony Buzan „erfunden”. Als Werkzeug für geistige Arbeit traten sie einen Siegeszug um die ganze Welt an. Der Begriff Mind-Map wird ins Deutsche übersetzt als Gedanken(land)karte oder auch als Gedächtnis(land)karte.
Das unten abgebildete Mind-Map enthält in der Mitte ein A. für Apfelsine. Zunächst stand nur dieses A. in der Mitte eines großen, ansonsten leeren Blattes. In der Kita-Gruppe wurde nun das Wissen der Kinder zum Begriff Apfelsine zusammen getragen. Jede neue Ergänzung, die ein Kind nannte, wurde in das Mind-Map eingefügt. Dabei stellt jeder Zweig, der von der Mitte ausgeht, einen anderen Aspekt des Begriffs Apfelsine dar, zum Beispiel die Herkunft oder die Essbarkeit.
Natürlich können solche Mind-Maps zu allen möglichen Begriffen erstellt werden.
Sie können der Ausgangspunkt oder auch der Endpunkt eines Projektes sein:
Ausgangspunkt, um auf Ideen zu kommen, was interessant sein könnte und was man machen kann – und Endpunkt, um bewusst zu machen und herauszustellen (auch: zu dokumentieren), was im Projekt alles geschehen ist und kennen gelernt wurde.
Siehe auch: Förderung in Projekten.
Wenn hoch begabte Kinder erst einmal gelernt haben, mit dem “Werkzeug Mind-Map” zu arbeiten, werden sie ihre eigenen Anwendungen finden.
Datum der Veröffentlichung: Mai 2011
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.