von Nazlι Baykuş

 

Durch meine Beobachtungen an dem 5-jährigen Peter habe ich festgestellt, dass er gerne Schach spielen würde, dies aber nicht offen äußerte. Im Hort hatten wir noch drei ältere Kinder mit demselben Interesse. Ich brachte also Peter mit den älteren Kindern zusammen und schlug den Kindern vor, einen Schachclub zu gründen. Christian aus dem Kindergarten ließ auch erkennen, dass er sich dafür interessieren könnte, er kam auch dazu.

9.2.04

Erstes Treffen mit den Kindergartenkindern Peter (5) und Christian (6) und den Hortkindern Lukas (9), Manuela (8) und Philip (7).

Ich habe die Kinder gefragt, ob sie Lust hätten, einen Schachclub zu gründen.

Christian (6): „Ein Schachclub? Wo wir immer Schach spielen?“

Alle Kinder waren damit einverstanden. Sie wollten wissen, ob sie morgen anfangen könnten. Wir verabredeten ein Planungstreffen, das am übernächsten Tag stattfinden konnte.

11. 2. 04

Lukas, Philip, Peter (5) und ich haben uns an diesem Tag in Ruhe zusammengesetzt, die beiden anderen Kinder waren nicht da. Alle drei Kinder haben Ideen gesammelt, was sie gerne im Schachclub machen möchten. Lukas schrieb die Ideen auf. Außer dem Punkt „Eröffnung des Schachclubs“ kamen alle Ideen von den Kindern. Sie haben dann auch selbstständig die Reihenfolge bestimmt, ich musste nur wenig Hilfestellung geben.

Mein Vorschlag war, den Schachclub auch für andere Kinder zu öffnen. Die Kinder waren einverstanden – unter der Bedingung, dass dies als Letztes geschehen soll.

Lukas schrieb einen Aushang für die Eltern mit folgendem, von den Kindern ausgedachtem Text, in dem sich auch die Planungsideen der Kinder wieder finden:

<Liebe Eltern!

Wir haben einen Schachclub gegründet und haben Einiges vor. Dafür sind folgende Termine wichtig:

19. 2. 04 Bücherei. Bitte Kindersitz mitbringen.
23.-27. 2. 04 Schachclubraum einrichten.
1. 3.-5. 3. 04 Schachbrett und Schachfiguren bauen.
8.-12. 3. 04 Spiele gegeneinander.
15.-19. 3. 04 An einem Tag einen Schachverein besuchen.
22. 3.-26.3. 04 An einem Tag selbst Schachfiguren sein.
2. 4. 04 Schachprofi einladen.
Termin wird noch bekannt gegeben: Schach gegen Eltern.
Termin wird noch bekannt gegeben: Eröffnung des Schachclubs.

Bitte holen Sie Ihr Kind an den o. g. Tagen ab 16 Uhr ab.

Der Schachclub: Lukas, Philip, Peter, Christian, Nazlı.>

 

Im Weiteren wird sich zeigen, dass es eine Weile brauchte, bis das Projekt richtig in Gang kam und die Kinder immer stärker mit Begeisterung erfüllte. Dieses Projekt führte ich in der Anfangsphase meiner Weiterbildung zur Fachkraft für Hochbegabtenförderung durch.

Heute weiß ich, dass ich anders hätte starten sollen: einfach mit dem Schachspielen beginnen und mich und die Kinder nicht erst mit zu vielen Vorarbeiten aufhalten; denn die Kinder wollten Schach spielen und nicht alles mögliche Andere machen, aber am Anfang dieses Projekts ging ich noch den umständlichen Weg…

Ich schreibe es so auf, wie es war.

19.2.04 Bücherei

Wir wollten ursprünglich in die Bücherei, um uns Bücher über Schachregeln auszuleihen. Dies klappte aber nicht, da 3 Kinder (Peter, Christian, Philip) nicht da waren. Wir haben den Besuch auf einen anderen Tag verschoben.

23.-27.2.04 Schach-Clubraum einrichten

Der Snoezelraum, der von den Kindern nicht mehr so häufig genutzt wurde, wurde zum Schachclubraum erklärt; er war recht klein, ruhig gelegen und abschließbar.

Die Kinder fotografierten sich gegenseitig und mich auch, um zu verdeutlichen, dass wir die Gründer und Hauptakteure im Schachclub sind. Die Fotos wurden an der Clubraumwand angebracht.

Die Kinder hatten außerdem die Idee gehabt, ein Schachbrett und Schachfiguren an die Wand zu bringen. Zwei Kinder malten 32 Bierdeckel mit Fingerfarben in Schwarz an. Zusammen mit einem schwarzen Rahmen an die Wand gebracht, ergab sich ein Schachbrett-Bild.

Ein tolles, großes Schachbrett brachte eine Kollegin von zuhause mit. Nun war auch klar, dass wir beim Spielen auf dem Boden sitzen wollten. Wir besorgten einen Teppich, Sitzkissen und zwei Tischchen für Getränke.

Die zunächst geplanten Schachfiguren für die Wand haben die Kinder nicht hergestellt. Ich hatte eine Frist von einer Woche gesetzt. Am Ende der Frist sagten die Kinder, sie möchten doch keine Schachfiguren an die Wand bringen. Insgesamt zeigten die Kinder beim Dekorieren des Raumes wenig Interesse, ich musste sie mehrmals darauf ansprechen. Sie hatten eine genaue Vorstellung, wie der Raum aussehen sollte, aber zeigten wenig Eigeninitiative.

Während dieser Zeit habe ich gedacht, dass ich das Thema verfehlt habe und den Kindern zu viel Druck mache.

Dies wendete sich mit dem Bauen der Schachfiguren zum Positiven.

1.3. – 5.3.04 Schachfiguren bauen

Ich habe die Idee einer Kollegin übernommen, die Schachfiguren aus Tonblumentöpfchen zu bauen. Ich habe die Materialien (Tonblumentöpfchen in verschiedenen Größen, Holzkugeln, Farben und Heißklebepistole) bereitgestellt, und Manuela und Lukas entwickelten, wie die Figuren aussehen sollten. Alle Kinder berieten darüber, in welchen Farben die Figuren angemalt werden sollten. Sie entschieden sich für Weiß und Blau, die Vereinsfarben von Schalke 04, da sie alle Fans sind.

Alle fünf Kinder hatten großen Spaß am Gestalten der Figuren. Sie waren sich sofort einig, wie welche Figur aussehen sollte. Da die Kinder sehr motiviert waren, mit ihren selbst gebastelten Figuren zu spielen, richteten sie noch am selben Tag die Sitzecke im Schachclubraum ein und spielten ihr erstes Spiel. Ich denke, dass die Kinder einfach spielen wollten, ohne die ganzen Vorbereitungen drum herum.

Ich habe noch eine für mich interessante Beobachtung gemacht: Meine Meinung war, dass die Spielfiguren noch nicht fertig waren; ich fand zum Beispiel, dass die Springer noch einen Pferdeschwanz aus Wolle bekommen sollten: Mir ging es dabei nicht nur ums schöne Aussehen, sondern auch um die bessere Unterscheidbarkeit der Figuren.

Die Kinder aber murrten und waren alle der Ansicht, dass sie die Figuren auch so sehr gut unterscheiden könnten, was sie dann auch bewiesen haben.

… und so sahen unsere Figuren aus.

8. – 12.3.04 Spiele gegeneinander

Ich hatte als zweite Aktion geplant, mit den Kindern in die Bücherei zu gehen, um Informationen über Schachregeln zu holen. Dies klappte aber aus organisatorischen Gründen nicht. Also haben wir unser (geringes) Wissen für den Anfang zusammen geworfen.

Lukas hatte schon mal mit seinem Vater, und Peter hatte mal mit seinem Opa gespielt. Manuela und ich hatten geringe Kenntnisse. Christian und Philip hatten noch nie Schach gespielt.

Als wir dann später zur Bücherei gingen, war das Interesse an den Büchern sehr groß.

Ich denke, dass die Kinder am Anfang um den Spaß am Spielen gespielt haben und dass sich das mit der Zeit zum Drang des „richtig“ Spielens gewendet hat.

Durch Zufall haben wir in dieser Zeit einen PC von einem Vater geschenkt bekommen. Der Opa von Manuela schenkte uns Schachspiele für den PC, so konnten wir den PC auch für das Schachspielen nutzen. Dies kam bei den Kindern sehr gut an. Sie nutzten den Raum zu mehreren, aber auch einzeln.

Die Kinder haben es genossen, einen Raum für sich zu haben. Auch an den nachfolgenden Tagen haben sie sich den Schlüssel geholt und sind Schach spielen gegangen. Sie konnten ihr Spiel jederzeit unterbrechen, da sie den Raum abschließen konnten.

Beim Spiel der Kinder war zu beobachten, dass Peter (5) sehr schnell Neues lernte; er konnte auch sehr bald Züge vorausplanen. Dies war für uns ein Zeichen, dass sich hier ein Talent zeigte und er weitere Anregungen brauchte.

Er kam morgens in die Kita gerannt, wollte dann immer gleich Schach spielen und brachte schließlich auch seine Mutter zum Schachspiel.

Und so sollte es weiter gehen:

Liebe Eltern der Schachclubkinder!

Folgende Termine geben wir bekannt:
Am Do, 25.3.04, besuchen wir die Bücherei, um uns Bücher über Schach auszuleihen.
Am Fr, 26.3.04, besuchen wir den Schachverein „Schwarz-Weiß“. Wir treffen uns um 18 Uhr an der Alleestr. 122. Sie können Ihr Kind um 19 Uhr abholen.
Am Fr, 2.4.04, kommt der Schachprofi, um uns Geheimnisse der Schachwelt zuzuflüstern.
Am Do, 8.4.05, ist es so weit! Jetzt dürfen auch Sie in unserem Schachclubraum mit Begleitung von Kaffee und Plätzchen gegen Ihr Kind Schach spielen. Es dürfen natürlich auch interessierte Opas und Omas mitmachen.

25.3.04 Bücherei

An diesem Tag sind wir endlich in die Bücherei gefahren. Die Kinder haben ausgeliehen: Schachlehrbuch für Kinder von Markus Spindler und Tessloffs Schachbuch von Daniel King.

Zufällig gab es in der Bücherei gerade ein Schachspiel zwischen zwei älteren Männern. Wir haben bis zum Schluss zugesehen.

26.3.04 Schachverein

Eine Mutter gab uns die Telefonnummer des Schachvereins Schwarz-Weiß. In diesem Verein spielen außer den Erwachsenen auch Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 15 Jahren. Wir wurden sofort eingeladen.

Um 18 Uhr haben wir uns vor dem Schachverein getroffen. Die Kinder haben sich dort an die Tische gesetzt und angefangen zu spielen. Einige benutzten auch die Schachuhr. Sie wurden auch von den Kindern des Schachvereins zu Spielen eingeladen. Unsere Kinder waren aufgeregt, neugierig und zeigten ein langes Durchhaltevermögen und eine große Konzentration. Sicherlich haben sie an diesem Abend einige Niederlagen eingesteckt, doch am nächsten Tag wurde im Kindergarten wieder gespielt und geübt.

In der nächsten Woche haben wir über dieses Erlebnis ausführlich gesprochen, es hatte den Kindern sehr gut gefallen. Der Besuch eines Schachvereines war für sie sehr interessant. Hier hatten sie die Möglichkeit, mit gleichaltrigen und älteren Kindern das gemeinsame Interesse auszuüben. Sie hatten schnell Kontakt zu den fremden Kindern. Die Begleiter des Vereines waren sehr offen und zugewandt zu unseren Kindern. Philip und Christian erklärten, dass sie unbedingt in den Verein eintreten möchten. Philip wurde auch tatsächlich angemeldet.

2.4.04 Der Schachprofi

Über eine Kollegin organisierte ich einen Termin mit einem Schachmeister, den die Kinder ab sofort den Schachprofi nannten. Er spielt seit seinem 6. Lebensjahr. Der Schachprofi spielte eine Partie mit den Kindern. Lukas und Manuela spielten gemeinsam gegen Peter und den Profi. Er erklärte den Kindern während des Spiels seine Überlegungen zu den einzelnen Zügen und gab ihnen Tipps. Es war eine ruhige Atmosphäre. Das Spiel dauerte eine Stunde, die Kinder waren die ganze Zeit über konzentriert bei der Sache.

Der Schachprofi sagte, dass er gerne noch einmal kommen würde, um die Fortschritte der Kinder zu sehen.

Durch den Besuch des Schachprofis haben die Kinder neue Spielzüge und Regeln kennen gelernt, zum Beispiel die Rochade. Dies wendeten sie dann auch immer wieder an.

Die Kinder hatten Respekt vor dem Schachprofi. Die Atmosphäre lockerte sich dadurch, dass der Schachprofi sehr offen und freundlich den Kindern gegenüber war. Ich hatte das Gefühl, dass er Spaß am Zusammensein mit den Kindern hatte. Die Kinder haben später noch viel von ihm erzählt. Auch auf beim Elterntreffen wendeten die Kinder die neu gelernten Methoden an und überzeugten ihre Eltern von der Richtigkeit.

8.4.04 Elternbesuch

Das Elterntreffen verlief in einer angenehmen Atmosphäre mit Kaffee, Kakao und Kuchen und ganz viel Schachspiel. Alle Eltern der Schachclubkinder waren nachmittags anwesend und pünktlich. Sie nutzten den Schachraum, den PC und drei Schachbretter im Gruppenraum.

Einige Eltern waren aufgeregt, und einige lernten von ihrem Kind Schach. Es gab auch Spiele zwischen Erwachsenen, bei denen die Kinder mit Rat an der Seite ihrer Eltern standen. Es gab viel Begeisterung. Einige Eltern surften im Internet, um uns neue Informationen zu holen.

13.4.04 Flyer und offizielle Eröffnung des Schachclubs

Den ersten Schritt zur Eröffnung des Clubs haben wir mit dem Erstellen eines Flyers an einem Laptop gemacht. Lukas und Peter (5) haben den Flyer erstellt. Ich gab ihnen Hilfestellung beim Umgang mit dem Laptop. Die Kinder hatten Spaß am Experimentieren am PC.

Den Flyer haben wir in den Gruppen ausgeteilt. Wir haben vor, jeder städtischen Kita einen Flyer zu senden, so dass sie die Möglichkeit haben, mit uns Kontakt aufzunehmen und unsere Räumlichkeiten und unser Wissen zu nutzten. Leider hat sich keine Kita gemeldet, und auch auf unsere Nachfragen hat sich nichts ergeben.

Es fand dann eine offizielle Eröffnung des Schachclubs statt, zu der wir mit dem Flyer eingeladen hatten. Kinder aus den anderen Gruppen, viele Eltern und Freunde nahmen teil. Auch ergab sich ein intensives Spiel zwischen dem Oberbürgermeister und den Kindern.

So hoch frequentiert wie am Anfang ist der Schachraum jetzt nicht mehr, aber Peter und seine vier Freunde bleiben dabei. Peter spielt noch fast täglich, und unser Schachmeister kommt weiterhin vorbei, um die interessierten Kinder anzuleiten und zu fördern.

Mittlerweile wird in drei von vier unserer Kita-Gruppen Schach gespielt.

Mit dem Projekt Schachclub hatte ich das Ziel, Peter mit älteren Kindern mit demselben Interesse zusammenzubringen. Dies ist gelungen. Er hatte die Möglichkeit, seinem Interesse nachzugehen, sich selbstständig Wissen anzueignen und sein Können mit dem der Anderen zu messen.

Auch für die gesamte Kita ist ein wichtiges Ziel erreicht. Mit den Kindern zusammen habe ich einen Raum erschaffen, wo sie die Möglichkeit haben, ungestört Schach zu spielen. Sie haben andere Möglichkeiten zum Ausleben ihres Interesses außerhalb der Einrichtung kennen gelernt.

Durch die vielfältigen Projektaktivitäten ist jetzt das Interesse einiger anderer Kinder aus meiner und auch aus anderen Gruppen geweckt.

Das Projekt hat mir großen Spaß gemacht und ich denke, den Kindern auch. Ich werde den Schachclub weiterlaufen lassen, da ich denke, dass noch Kinder nachkommen werden, die Interesse daran haben.