Entwicklungsstand und Potenzial erkennen
von Hanna Vock
Man kann zu Hause oder in der Kita so viel kognitive Förderung machen, wie man will – sie wird das hoch begabte Kind nicht erreichen,
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- wenn sie nicht zu dem geistigen Entwicklungsstand des Kindes passt und
- wenn sie nicht das Potenzial des Kindes berücksichtigt, blitzschnell Neues zu begreifen und dazu zu lernen.
In der Kindergartengruppe müssen wenigstens einige „Häppchen“ dabei sein, an denen das Kind herum kauen kann – und es muss wenigstens ein Impuls dabei sein, an dem das Kind sein Denken entzünden kann.
Ansonsten wird es sich langweilen, herumzappeln, Unsinn machen oder abschalten oder alles zusammen.
Besser wäre natürlich eine kontinuierliche passgenaue Förderung in anspruchsvollen Gesprächen, Kleingruppen und Projekten – nur lassen das die Arbeitsbedingungen in den Kitas oft nicht zu.
An zwei Beispielen will ich deutlich machen, was ich unter passgenauer kognitiver Förderung hoch begabter Kinder verstehe.
Im ersten Beispiel hat sich ein kleines Mädchen eine eigene Aufgabe gesucht und wird dabei von ihren Eltern klug begleitet.
Im zweiten Beispiel langweilte sich ein kleiner Junge in meiner Kindergartengruppe; die Personalsituation war zu dem Zeitpunkt desolat und ich musste eine Möglichkeit finden, Daniel mit minimalem Aufwand so gut es eben ging, gerecht zu werden.
… kurz gefasst …
Kognitive Förderung muss zum Entwicklungsstand und zum Lerntempo des Kindes passen – man muss also das Kind „da abholen, wo es steht“.
Die Autorin berichtet an zwei ganz unterschiedlichen Beispielen mit einem vierjährigen Mädchen und einem fünfjährigen Jungen, wie eine solche Förderung aussehen kann.
Beispiel 1: Carolin (4) zählt Autos
Es ist spät am Nachmittag. Carolin, vier Jahre alt, sitzt am Fenster und guckt vom 1. Stock hinunter auf die Straße.
Vor kurzem hat sie gelernt, Zahlen zu schreiben, und zwar dadurch, dass sie ihrer großen Schwester bei den Hausaufgaben zugesehen und die Zahlen abgemalt hat.
Jetzt holt Carolin sich Papier und Buntstift und notiert, wie viele Autos auf der Straße vorbeifahren.
Und zwar schreibt sie für jedes Auto, das vorbeifährt, eine nächstgrößere Zahl aufs Papier: 1, 2, 3, 4, usw.
Nach einer Weile kommt die Mutter ins Zimmer und sieht, was das Kind macht.
Allmählich gerät Carolin in Schwierigkeiten. Als die Zahlen zweistellig und immer größer werden, kann sie die Zahlen nicht so schnell aufschreiben wie die Autos durchfahren.
An dieser Stelle könnte Carolins Projekt schon zu Ende sein.
Die Mutter gibt ihr aber einen entscheidenden Tipp, der Carolin weiter führt. Sie sagt: „Du brauchst gar nicht die Zahlen zu schreiben, du kannst einfach für jedes Auto einen Strich machen und hinterher die Striche zählen.“
Carolin stutzt und geht sofort zur Methode der Strichliste über.
Bis hierhin hat die Vierjährige schon eine außergewöhnliche Leistung erbracht.
Die Geschichte ist aber noch nicht zu Ende.
Carolin zeigt keinerlei Ermüdungserscheinungen, sondern stellt sich selbst eine neue geistige Aufgabe: Sie will die Autos nun offenbar nach Farbe sortieren.
Auf einem neuen Blatt macht sie oben links Striche für rote Autos, oben rechts für weiße Autos und darunter in der Mitte macht sie Striche für alle übrigen Autos.
Danach zählt sie, wie viele rote, wie viele weiße und wie viele Autos anderer Farbe sie notiert hat und zählt dann noch mal alle Striche, um die Gesamtmenge festzustellen.
Lesen Sie hierzu auch: Grundideen der Mathematik.
Carolin zeigt ihrer Mutter das Blatt und erklärt ihr alles.
Die Mutter sieht, wie ernsthaft Carolin mit ihrem selbst-erdachten Projekt befasst ist und gibt ihrem Kind einen weiteren Denkanstoß. Sie bringt den Zeitfaktor ins Spiel. Sie sagt: „Ja, jetzt weißt du, wie viele Autos durchgefahren sind, aber du weißt nicht, wie lange das gedauert hat.“
Carolin läuft nach kurzem Nachdenken in die Küche und holt sich den Küchenwecker. Sie stellt die Zeit auf 10 Minuten ein.
Und dann beginnt sie die ganze Arbeit mit großer Konzentration noch einmal und führt sie auch zu Ende.
Was haben wir gesehen?
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- Carolin hat aus eigenem Antrieb sehr ausdauernd geistig gearbeitet.
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- Sie hat eigenständig eine großartige Entdeckung gemacht: die wissenschaftliche Methode der Notierung von Beobachtungen. Dieses versucht man in der Schule Kindern später oft mühsam beizubringen.
Jetzt könnte man sagen: Toll, wenn Kinder von sich aus so was machen. Was hat das mit gezielter Förderung zu tun? Und wo liegt das Problem?
- Sie hat eigenständig eine großartige Entdeckung gemacht: die wissenschaftliche Methode der Notierung von Beobachtungen. Dieses versucht man in der Schule Kindern später oft mühsam beizubringen.
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- In der Geschichte sind mehrere Förderschritte enthalten, die alle auf bestimmten Haltungen und Überlegungen der Erwachsenen beruhen. Manche dieser Förderschritte passieren aktuell, während das Kind am Fenster sitzt und Autos zählt, und manche liegen schon in der Vergangenheit, sind aber, wie wir sehen können, genauso wichtig für das Gelingen des Projekts.
Welches sind die Förderschritte?
Da ist zunächst und 1. die Tatsache, dass die Eltern und die große Schwester offensichtlich zugelassen haben, dass das kleine Geschwister bei den Hausaufgaben dabei saß und das Zahlen-Schreiben mit vier Jahren gelernt hat.
2. kann man es durchaus als Förderung werten, dass in diesem Haushalt ständig Papier und Stifte für das Kind zugänglich sind. Auch wenn manche es vielleicht nicht glauben mögen, ist dies längst nicht für alle Kinder in unserem Land selbstverständlich.
3. steckt eine Menge intellektuelle Förderung darin, wenn ein Kind im Alltag immer wieder erlebt, wie seine Familienmitglieder sich in allen möglichen Situationen Notizen machen, wenn sie etwas nicht vergessen wollen.
Dann kommt 4. eine ganz wesentliche und unverzichtbare Sache:
Die Mutter versucht zu keiner Zeit, das Kind in seiner Tätigkeit zu stören oder es davon abzulenken. Sie misst der Tätigkeit des Kindes einen hohen Stellenwert zu.
Stattdessen könnte sie auch irgendwann so etwas sagen wie: „Komm vom Fenster weg, geh lieber nach draußen bei dem schönen Wetter, musst du nicht noch dein Zimmer aufräumen, wasch dir erst mal die Hände, mal doch lieber ein schönes Bild…“ Was alles heißen kann: mal doch nicht schon wieder Zahlen, sondern tu, was Deinem Alter entspricht. Offenbar empfindet sie kein Unbehagen und lässt das Kind gewähren.
5. Als Carolin in Schwierigkeiten kommt, weil sie die zweistelligen Zahlen nicht schnell genug schreiben kann, greift die Mutter klug ein. Sie gibt dem Kind genau die Hilfestellung, die es in diesem Moment braucht, um mit seinem Vorhaben weiter zu kommen. Sie gibt ihm den Tipp mit der Strichliste. Damit gibt sie ihm gleichzeitig ein neues geistiges Werkzeug in die Hand.
Das Kind eignet sich dieses Werkzeug im Handumdrehen an und kann, wie man so sagt, zu neuen Ufern aufbrechen. Als Carolin die Autos fertig nach Farben sortiert hat, geht sie mit ihrem Blatt zur Mutter. Hier zeigt sich
6., dass das Kind daran glaubt, dass die Mutter sich dafür interessieren wird, dass sie versteht, was das Kind tun wollte, und dass sie seine Leistung angstfrei und positiv annehmen kann und sie nicht als verfrüht und unangemessen abweisen oder bagatellisieren muss.
Hinter diesem Zutrauen des Kindes steckt viel kluge Zuwendung durch die Mutter. Das ist Förderung, die in der Vergangenheit stattgefunden hat.
7. Carolin wählt die Farben Rot und Weiß, als sie die Autos nach Farben sortiert. Die Bildung der Kategorie „alle übrigen“ ist eine weitere ganz erstaunliche geistige Leistung für ein vierjähriges Kind. Die Mutter versteht auch dies und zeigt das Blatt abends dem Vater, der ebenfalls diesen großen geistigen Schritt des Kindes erkennt und würdigt, indem er sich darüber freut. Er bestätigt das Kind genauso selbstverständlich für diese Leistung, so wie er es auch bestätigen würde, wenn es im Schwimmbad zum ersten Mal vom Rand ins Wasser springt.
8. Carolin beschäftigt sich lange und ausdauernd mit ihrem Projekt. Die Mutter erkennt, dass sie noch voll bei der Sache ist und entschließt sich, ihr einen weiteren Denkanstoß zu geben, den das Kind begierig aufnimmt, als es den Küchenwecker holt.
Schließlich deutet 9. auch das selbstverständliche Hantieren mit dem Küchenwecker auf vorausgegangene Förderung hin.
Es war also nicht nur das aktuelle Verhalten der Mutter, das dem Kind geholfen hat, sein Vorhaben glücklich zu Ende zu bringen. Wir haben gesehen, dass es auch auf früheren Förderschritten durch die Eltern aufbauen konnte.
Es ist bei der Geschichte nicht so wichtig, ob Carolin auf diese Weise später vielleicht einmal eine kreative Wissenschaftlerin wird oder nicht. Es ist aber wichtig, dass das Mädchen an diesem Nachmittag eine intensive, geistig kreative Zeit verbringen konnte. Wenn man es fragen würde, würde es das vielleicht als besonders glückliche Zeit bezeichnen.
Dieses Beispiel ist ein Beleg dafür, dass einfühlsame und intelligente Förderung schon im Vorschulalter beginnen sollte. Malen Sie sich bitte die Frustration aus, die dieses kleine Mädchen ertragen müsste, wenn es nicht auf so viel Verständnis für seine Interessen treffen würde.
Beispiel 2 a: Malte langweilt sich
Ohne spezifisches Wissen zum Thema Hochbegabung geben Erzieherinnen gewollt oder ungewollt viele negative Signale an die Kinder. Kinder erfahren zum Beispiel immer wieder durch Reaktionen von Erzieherinnen, dass ihr Wissen und auch ihr Wissensdrang fehl am Platze sind.
Eine Situation, wie ich sie so oder so ähnlich des Öfteren beobachten konnte und in die ich zu Beginn meiner Arbeit als Erzieherin auch immer wieder mal verstrickt war:
Im Stuhlkreis wird über Tiere auf dem Bauernhof gesprochen. Die drei- bis sechsjährigen Kinder wollen alle mal dran kommen und etwas dazu sagen. Die jüngeren Kinder lernen zum Teil erst die Namen der Hoftiere und die zugehörigen Tierlaute. Einige Kinder wollen erzählen, was sie auf einem Bauernhof oder im Fernsehen gesehen haben. Ihre Erzählungen erschöpfen sich nach zwei bis drei einfachen Sätzen.
Der sechsjährige Malte war noch nie auf einem Bauernhof, aber er kennt ein detailreiches Bilderbuch, das er sich genau angesehen hat, und seine Eltern haben mit ihm über die „Eierproduktion“ gesprochen.
Er möchte darüber diskutieren, dass die Tiere in seinem Bilderbuch draußen auf der Wiese herumlaufen, dass aber die meisten Eier, die man kaufen kann, aus Legebatterien kommen. Er verwickelt die Erzieherin in ein Zwiegespräch darüber und erklärt ihr, was das für das „Glück“ der Hühner bedeutet und was „artgerecht“ heißt, nämlich dass Tiere so leben können, wie es ihren Instinkten entspricht. Er will wissen, wie das bei den anderen Hoftieren ist… Er ist noch lange nicht am Ende angekommen, sein Wissen darzulegen und seine Fragen zu stellen, aber die anderen Kinder werden unruhig, hören nicht mehr zu und machen Unsinn. Die Erzieherin ist beeindruckt, aber auch verstimmt, weil ihr der Stuhlkreis „aus dem Ruder läuft“ und weil sie auch Malte nicht gerecht werden kann. Sie stoppt ihn: „Ja, Malte, ist gut, wir wollen jetzt noch das Lied vom Hühnerhof singen.“
Maltes Bedürfnis nach längeren Gesprächen, die er mit der Erzieherin sucht, weil die anderen Kinder ihm erst recht nicht zuhören, ist riesig. Aber höchst selten ist Zeit dafür übrig. Er wird ganz oft „abgewimmelt“ oder vertröstet.
Er empfängt die Botschaft, lästig zu sein und sich unbotmäßig zu benehmen.
Oft besteht eine solche Situation der negativen Signale über Jahre, ohne dass das Kind eine ausgesprochen positive Reaktion der Erzieherin erhält.
Beispiel 2 b: Daniel langweilt sich auch
Der fünfjährige Daniel in meiner Gruppe reagierte zum Glück rebellisch. Zunächst gab er es auf, im Stuhlkreis lange Reden zu halten; stattdessen störte er immer mehr, machte Faxen, und irgendwann verweigerte er die Teilnahme und kam einfach nicht mehr in den Kreis, störte aber von außen.
In unserem Ganztagskindergarten war fast alles wirklich freiwillig, nur zum Stuhlkreis (und zum Mittagessen) sollten alle Kinder regelmäßig für eine halbe Stunde zusammen kommen. Ich wollte nicht zulassen, dass Daniel sich ganz und gar aus dem Stuhlkreis raus zieht, ich wollte ihn natürlich noch weniger in den Stuhlkreis zwingen.
Zu dieser Zeit war ich wochenlang alleine in der Gruppe, konnte also auch außerhalb des Stuhlkreises keine ausführlichen, ungestörten Gespräche mit Daniel führen oder ihn in spannende Kleingruppenarbeit einbinden.
In dieser Situation erwies sich folgendes Vorgehen als hilfreich:
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- Verständnis für Daniels Frustration zeigen,
- ein positives Signal senden,
- einen Vertrag schließen und einhalten,
- ein zusätzliches Angebot, eine zusätzliche geistige
Herausforderung in den Stuhlkreis einbauen.
Der Lösungsversuch entwickelte sich folgendermaßen:
Ich konnte einsehen, dass Daniel durch seine Erlebnisse im Stuhlkreis allmählich dauerfrustriert wurde. Alles, was dort gespielt oder gesungen wurde, war für ihn zu einfach und zum Teil lange bekannt. Weil gerade einige dreijährige Kinder neu in die Gruppe gekommen waren, wurden auch die aktuellen Ereignisse für ihn zu schlicht, zu einfach und zu langsam besprochen. Deshalb langweilte er sich oft.
Siehe auch: Dauerfrustration wegen Unterforderung und Unverständnis
Auch die kurzen Momente, in denen er schwierige Dinge erklären konnte, trösteten ihn nicht darüber hinweg, dass er den Stuhlkreis „ätzend“ fand.
Das Verständnis der Erzieherin nützt nichts, so lange es das Kind nicht erreicht. Also sprach ich mit Daniel und sagte ihm: „Ich verstehe, dass du dich im Stuhlkreis langweilst und nicht mehr mitmachen willst.“
Da ich seine Gefühle und seine Schlussfolgerung (nicht mehr mitmachen wollen) akzeptieren konnte, wirkte ich wohl glaubwürdig, und er unterstellte mir offenbar keinen pädagogischen Trick.
Als nächstes hatte ich das Bedürfnis, ihm ein positives Signal zu senden. Also sagte ich ihm: „Ich weiß, dass du vieles schon kennst und es dir oft alles zu langsam geht.“ Damit wurden seine eigene Wahrnehmung und sein Urteilsvermögen bestätigt.
Auf meine Frage, was wir machen könnten, damit es besser wird, antwortete er: „Ich kann ja, wenn Morgenkreis ist, nach draußen gehen.“ (Er meinte: ins Außengelände.)
Da konnte ich ihm nur sagen: „Ja, das könntest du und ich weiß auch, dass du alleine draußen keinen Unsinn machen würdest.“ Daniel nickte und sah mich ernst und mit großen Augen an.
Mir wurde inzwischen klar, dass es mir nicht gefallen würde, wenn er überhaupt nicht mehr beim Morgenkreis mitmachen würde. Aber wie sollte ich ihm das erklären?
Ich sagte ihm schließlich offen: „Ich möchte nicht, dass du überhaupt nicht mehr beim Morgenkreis mitmachst; denn dann würdest du doch manches nicht mitkriegen, was wir besprechen. Und es ist doch auch die einzige Gelegenheit am Tag, bei der mal alle zusammen im Kreis sitzen und sich als ganze Gruppe erleben.“
Diesen Argumenten verschloss sich Daniel nicht. Er sah mich weiter erwartungsvoll an.
Der Vertrag
Ich musste also einen Kompromiss finden. Nun schlug ich ihm vor, einen Vertrag auszuhandeln.
Ich fragte ihn: „Wie wäre denn das: Montag, Mittwoch und Freitag kommst du in den Morgenkreis, Dienstag und Donnerstag kannst du nach draußen gehen. Daniel überlegte und stellte sachlich fest, dass ich dann aber im Vorteil wäre, „weil das eine wären drei und das andere nur zwei Tage“.
Er hatte Recht, der Vertragsvorschlag war unausgewogen. Also sagte ich es ihm auch: „Da hast du Recht; da muss ich wohl noch was drauf legen.“
Nach kurzem Nachdenken versprach ich ihm, mir montags, mittwochs und freitags für den Morgenkreis eine ganz spezielle Frage nur für ihn auszudenken – egal welches Thema wir gerade haben. Wenn ich es vergessen sollte, müsste er mich daran erinnern.
Daniel stimmte zu.
Dieser Vertrag funktionierte. Daniel kam zuverlässig dreimal in der Woche in den Stuhlkreis, er wusste immer genau, welchen Wochentag wir hatten, und verhielt sich entsprechend. Zu meinem Erstaunen und meiner Erleichterung war es ihm sofort ab Vertragsabschluss plötzlich wieder möglich, sich konstruktiv zu verhalten. Er störte nicht mehr, sondern übernahm willig kleine Aufgaben, wozu er ohne den Vertrag nicht bereit gewesen war, zum Beispiel eine Kindergarten-Regel noch mal für die Kleinen erklären.
Er merkte sofort auf, wenn „seine Spezialfrage“ kam. Dann blickte er kurz zu mir, schmunzelte und antwortete.
Ich hatte von nun an das Problem, montags, mittwochs und freitags etwas für ihn parat zu haben. Es war nicht immer eine Frage, manchmal auch nur eine kleine zusätzliche Bemerkung, die mir spontan einfiel. Ich muss sagen, es machte mir großen Spaß.
Ein Beispiel:
Vor Ostern verzierten einige Kinder Eier und wir kamen im Morgenkreis auf das Leben der Hühner zu sprechen, ähnlich wie im oben stehenden Beispiel von Malte. Nur dass Daniel mit seinen knapp 5 Jahren noch kein Wissen zu den verschiedenen Arten der Hühnerhaltung hatte.
Jedenfalls „schickte“ ich ihm die Bemerkung: „Ja, und manche Legehennen sitzen in Käfigen mit einer Grundfläche eines DIN A4-Blattes.“ Die anderen Kinder überhörten diese schnelle Bemerkung, aber Daniel sandte einen fragenden Blick.
Nach dem Morgenkreis kam er zu mir, ein Blatt Papier in der Hand und fragte: „Das ist doch DIN A 4, oder?“ – „Ja.“ – „Aber da passt doch gar kein Huhn drauf, oder?“ – Doch, es ist wirklich so, und es ist eine üble Tierquälerei, die dringend verboten werden muss.“
Dann war die Ruhe zum Gespräch wieder vorbei – aber Daniel hatte etwas zum Nachdenken und ging mit seinen Gedanken und Fragen auch zu seinen Eltern.
Bemerkenswert fand ich, dass Daniel mit so wenig zusätzlicher Förderung zufrieden war.
Er war sogar so entspannt, dass er großzügig reagieren konnte, wenn ich die „Spezialbemerkung“ mal vergessen hatte.
Er nahm es nicht übel und stellte deswegen seine Vertragserfüllung nicht in Frage.
Offenbar war es ihm wichtig, sich verstanden und ernst genommen zu fühlen. Und ich gab ihm zu jedem Thema einen besonderen kleinen Impuls zum Denken – für mich eine Minutensache, für ihn wohl mehr.
Dann kamen – was die Personalsituation angeht – wieder bessere Zeiten und eine intensivere Förderung wurde wieder möglich.
Datum der Veröffentlichung: Oktober 2013
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