von Hanna Vock

 

„Integrativ“?
Warum heißt es hier nicht „inklusiv“?

Viel ist seit einiger Zeit von Inklusion die Rede; Inklusion (wie auch Integration) geht davon aus, dass Vielfalt das Normale ist. Es ist normal, dass Menschen in eigentlich allen Aspekten verschieden voneinander sind. Inklusion fordert darüber hinaus, dass es keine gesonderte Bildung von Menschen, die „anders“ sind, geben soll.

Was bedeutet das für den Kindergarten? Alle Kinder rein – und dann sehen wir mal?

Schon in ihrem Kommentar vom Mai 2013 gab die Kita-Leiterin Alexa Kreitlow einiges zu bedenken. Und in dem Beitrag „Einige Informationen zu Inklusion“ werden ebenfalls kritische Gedanken geäußert – nicht gegen den Gedanken der Inklusion, sondern gegen unausgereifte Umsetzungen, die behinderten und / oder nicht behinderten Kindern nicht nutzen, sondern schaden könnten.

Für hoch begabte Kinder ist die unreflektierte Inklusion bereits Wirklichkeit, mit oft sehr negativen Folgen.

Hoch begabte Kinder haben besonderen Förderbedarf. Aber es fehlen, bezogen auf hoch begabte Kinder in Kitas, von bildungspolitischer Seite ein Konzept und ein Programm zur Inklusion. Die hoch begabten Kinder sind zwar drin in den Kitas, sind aber dort doch meistens von einer ihnen angemessenen Bildung abgeschnitten und nicht selten in der Kindergruppe isoliert.

 

…kurz gefasst…

Was ist gute integrative Arbeit und was braucht sie? Der Beitrag ist ein Plädoyer für integrative Kitas sowohl für behinderte als auch für hoch begabte Kinder, für alle Kinder mit besonderem Förderbedarf. Dort können Kinder nicht nur passgenau und von besonders dafür qualifizierten Pädagoginnen gefördert werden; sie können dort auch besonders gut gegenseitige Toleranz und Akzeptanz lernen und sich an das gemeinsame, vorurteilsfreie Leben gewöhnen.

Wir erleben, dass viele hoch begabte Kinder in den Regeleinrichtungen, wie sie heute bestehen, nicht glücklich werden. Denn die besonderen Bedürfnisse der Kinder werden oft nicht gesehen und verstanden. Kitas sehen sich oft außerstande, den Bedürfnissen dieser Kinder gerecht zu werden.

In Anlehnung an eine Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Hörgeschädigte (siehe: Einige Informationen zu Inklusion) möchte ich formulieren:

„Eine inklusive Gesellschaft akzeptiert, dass hoch begabte Kinder auch ihre eigene Peergroup benötigen und ihre eigene Kultur pflegen.“
Es ist also darauf hinzuweisen, dass die Peergroup, also das Zusammensein des Kindes mit anderen hoch begabten Kindern einen hohen Wert hat. Vereinzelung (die ja kontraproduktiv zu Inklusion ist) muss vermieden werden.

Das IHVO trägt in dem Umfang, der einem kleinen Institut möglich ist, zur Verbesserung der Lage hoch begabter Kinder in Kitas bei: durch spezielle Weiterbildung von Erzieherinnen und Erziehern. Bestandteil dieser Weiterbildung ist, solche Peergroups in den Kitas zu fördern, in denen sich hoch begabte Kinder begegnen und miteinander spielen und lernen können.

Diesen Ansatz verfolgen wir im IHVO seit über 12 Jahren, insbesondere auch mit dem Konzept „Integrative Schwerpunktkindergärten für Hochbegabung“. Aber landesweit sind wir weit entfernt von befriedigenden Verhältnissen für die hoch begabten Kinder.

Inklusion ist nicht allein durch eine Änderung von Haltungen der Erzieherinnen zu erreichen!

Aus all diesen Gründen ziehe ich bis auf Weiteres den bewährten Begriff der Integration vor – und zwar bis praktikable und überzeugende Inklusionskonzepte vorliegen, die flächendeckend über gute Integration tatsächlich hinaus gehen, ohne das Wohl und die Entwicklung der behinderten (oder der hoch begabten) Kinder durch Unterfinanzierung und fehlende Qualifikation zu gefährden.

Was ist nötig für gute Integration?

Das soll am Beispiel blinder Kinder, geistig behinderter Kinder und hoch begabter Kinder diskutiert werden.

Das Ziel der Integration ist, dass alle Kinder sich in ihrem (Bildungs-) Umfeld zuhause fühlen können. Wenn integrativ gefördert werden soll, dann müssen in der Kita oder der Schule Bedingungen geschaffen werden, die dieses gewährleisten.
Dabei geht es nicht um permanentes Wohlfühlen, sondern um das Gefühl des Kindes: Hier bin ich richtig, hier geht man respektvoll mit mir um, hier interessiert man sich für mich (für meine Gefühle und Gedanken), hier finde ich Freunde, und nicht zuletzt: hier lerne ich viel.

Blinde Kinder
Für blinde Kinder kann eine Blindenschule das beste Bildungszuhause sein, wenn die Schule die Kinder gleichzeitig sorgfältig in die gesamte Gesellschaft und ihre Kultur einführt.

In der Blindenschule sind sie keine Außenseiter. Sie sind hier umgeben von Pädagogen, die in ihrer Ausbildung und durch ihre Erfahrung gelernt haben, die Möglichkeiten und Lernbedürfnisse blinder Kinder genau zu erfassen und stetig zu beantworten. Sie kennen und finden die Zugänge blinder Kinder zur Welt der Sehenden. Und sie lehren sie gründlich die Hilfsmittel zu gebrauchen, die für sie entwickelt wurden, zum Beispiel die Blindenschrift.

Die Pädagogen einer Blindenschule haben Doppeltes zu leisten:
Sie führen die Kinder in die Kultur ihrer Peergroup (der blinden Menschen) ein und machen sie gleichzeitig stark und geben ihnen die nötigen Hilfestellungen, um sich „draußen“ in der Welt der Sehenden zu behaupten und zugehörig zu fühlen.

Damit ihnen dies gelingen kann, müssen die sehenden Kinder (und die sehenden Erwachsenen) auch die Chance haben, Vieles zu lernen: Kenntnis und Akzeptanz der Blindheit und der damit verbundenen handicaps, praktische Möglichkeiten der Unterstützung, Sensibilität für die Leistung, die das blinde Kind erbringt, Balance zwischen Rücksichtnahme und unbefangenem Umgang, Einbeziehung, wo immer es geht.

Der Ort, an dem beide Gruppen von Kindern, die sehenden und die blinden, das tägliche Miteinander am besten lernen können, sind integrative Kitas und Schulen. Voraussetzung ist, dass genügend blinde Kinder in der Einrichtung sind, damit ihnen alle Errungenschaften der Blindenpädagogik stetig zuteil werden können.

Geistig behinderte Kinder

Ganz Ähnliches gilt für geistig behinderte Kinder.
Das Kind wird sich im richtigen Umfeld fühlen, wenn es andere geistig behinderte Kinder kennenlernen kann, mit denen es nicht-schwierige Spiele spielen und einfache Spielideen verfolgen kann und dabei Erfolge erlebt.

Es wird sich vermutlich nicht so zuhause fühlen, wenn zwar alle meistens nett zu ihm sind, es aber die Spiele und Gespräche der anderen nicht versteht und immer wieder „geistig abgehängt“ wird.

Das Kind profitiert vom speziellen Know-how der Pädagogen, die für die Arbeit mit geistig behinderten Kindern ausgebildet sind. Es braucht die Gelegenheit, in seinem Tempo zu lernen, seine Anzahl der Wiederholungen zu praktizieren – und es braucht die stetige Bestätigung seiner (von außen betrachtet kleinen) großen Lern- und Entwicklungsfortschritte.

Die Pädagogen haben die Aufgabe, die Lebenszufriedenheit des Kindes zu sichern, indem sie ihm diese Fortschritte durch ihre sorgfältige Arbeit ermöglichen und ihm Perspektiven für sein Leben „in der Welt der Schlaueren“ aufzeigen.

Damit es sich selbstbewusst in der „Welt der Schlaueren“ bewegen kann, braucht es das Verstehen und die Akzeptanz durch die „Schlaueren“.
Auch hier gelingen die beiderseitigen Lernprozesse am ehesten in einer integrativen Einrichtung.

Intellektuell hoch begabte Kinder

Auch hoch begabte Kinder weichen weit von der Norm ab. Sie haben nicht nur ihre individuellen, sondern auch ihre spezifischen Eigenarten, die mit ihrer Hochbegabung zusammenhängen.

Besonders frühes, klares, umfangreiches Denken und besonders effektives Speichern von Informationen führen früh zu umfangreichem Wissen und (aufgrund der klugen Auseinandersetzung mit ihren vielen Beobachtungen) häufig zu großer psychischer Reife sowie zu sehr schnellem Lerntempo.

Ein hoch begabtes fünfjähriges Kind ist daher umfassend anders und hat andere geistige Bedürfnisse als ein durchschnittlich begabtes fünfjähriges Kind.
Siehe: Besondere Spiel- und Lernbedürfnisse oder das frühe Gefühl, anders zu sein.

Auch das hoch begabte Kind braucht andere Kinder mit seiner Besonderheit, um sich nicht zunehmend als „Alien“ zu fühlen.

Auch die hoch begabten Kinder brauchen Pädagogen, die ihren Blickwinkel einnehmen können und die gelernt haben, ihre Besonderheiten zu verstehen und sie angemessen zu fördern.

Das hoch begabte Kind braucht früh das Wissen, dass nicht alle Kinder so sind wie es selbst, dass es aber welche gibt, die ähnliche Interessen und geistige Fähigkeiten haben und dass es sich mit ihnen effektiv geistig austauschen kann.

Auch hier müssen beide Seiten, die hoch begabten und die nicht hoch begabten Kinder, lernen, sich gegenseitig zu akzeptieren, zu tolerieren und alltäglich gelassen miteinander umzugehen.

Also brauchen auch sie integrative Kitas und Grundschulen, in denen hoch begabte Kinder nicht hoffnungslos vereinzelt sind.

 

Siehe: Passgenaue kognitive Förderung.
Siehe: IHVO-Zertifikatskurse.
Siehe: Integrative Schwerpunktkindergärten für Hochbegabtenförderung.
Siehe: Der Weg der Städtischen Kindertagesstätte Remscheid zur Integrativen Schwerpunktkita für Hochbegabtenförderung.

Integrative Erziehung und Förderung in der Praxis

Integration bedeutet, dass kein Kind aufgrund irgendwelcher Besonderheiten seiner Person ausgegrenzt werden darf. Stattdessen sind sie alle in die Gesellschaft zu integrieren.

Für die Kindertagesstätten heißt das: Alle Kinder sollen sich gegenseitig akzeptieren und respektieren – natürlich schließt das nicht ein, dass jedes kindliche Verhalten von den anderen Kindern und von den Erzieherinnen akzeptiert und toleriert werden muss.

Die Gemeinschaft der Kindergruppe hat Regeln, zum Beispiel „Man darf anderen nichts absichtlich kaputtmachen.“ Wenn ein Kind dagegen verstößt, wird es den Unmut, die Kritik und die (hoffentlich angemessene) Reaktion der anderen Kinder erfahren.
Hier geht es aber immer um konkretes Verhalten und nicht um Abwertung der Persönlichkeit.

Toleranz wird gelernt – oder auch nicht

Entgegen der Meinung vieler Erwachsener muss Toleranz gelernt werden. Die Kita ist dafür ein hervorragender Ort.

Kinder zur Akzeptanz von Andersartigkeit zu erziehen und gemeinsames freundschaftliches Tun zu fördern, setzt natürlich voraus, dass die Erzieherinnen selber vom Toleranzgedanken durchdrungen sind und sich entsprechend verhalten. Ich kann mir nur schwer eine Erzieherin vorstellen, die fremdenfeindliche Gedanken hegt oder von irgendeinem religösen Fanatismus durchdrungen ist und gleichzeitig Integration oder Inklusion verwirklicht.

Kleine Kinder haben beste Voraussetzungen, um Toleranz zu lernen:

Sie gehen zunächst, wenn sie sehr jung sind, unvoreingenommen mit Andersartigkeit um, oft bemerken sie nicht einmal, dass ein anderes Kind eine Behinderung hat. Vielen von ihnen fällt auch im Alter von drei Jahren noch nicht auf, dass ein Kind eine andere Hautfarbe hat. Sie denken sich nichts dabei, wenn ein Kind sehr dick oder sehr dünn ist oder besonders schlaue Fragen stellt.

Vielleicht sind sie verwundert, aber sie nehmen das alles als Varianten der Normalität wahr (was es ja auch ist).

Aber so unkompliziert
bleibt es nicht.

Es kommt der Moment, in dem das Kind erkennt, dass im menschlichen Leben auch Ausgrenzung und Herabsetzung Anderer möglich sind.
Plötzlich wird ein Kind ausgelacht, weil es stottert, oder ein Kind  wird von einer Gruppe herabgesetzt und ausgegrenzt: „Der ist ja blöd!“

Warum?
– Weil er nicht so ist wie wir oder
– weil er nicht so aussieht wie wir oder
– weil er nicht so will wie wir oder
– weil er nicht so kann wie wir oder
– weil er mehr kann als wir.

Das Kind spürt auch, dass es sich zusammen mit den anderen stark und überlegen fühlen kann, dass ein besonderer Zusammenhalt entsteht, wenn es dabei mitmacht, ein oder mehrere Kinder auszugrenzen. Möglicherweise fühlt es sich gut dabei. Dies ist ein Lernprozess, der in Gruppen spontan in Gang kommt.

Allerdings gibt es auch im Kindergarten Kinder, die schon über eine große soziale Reife und bereits verinnerlichte Normen verfügen, die diesem Ausgrenzungs-Verhalten entgegenstehen. Sie betrachten das Geschehen mit gemischten oder unguten Gefühlen oder lehnen es sogar (vielleicht zunächst nur innerlich) schon klar ab.

Wenn in der Kita-Gruppe erste Ausgrenzungen zu beobachten sind, dann beginnt spätestens die praktische Erziehung zu Toleranz und Zivilcourage – zumindest sollte sie jetzt beginnen.

Mit Ausgrenzung ist nicht gemeint, wenn Kinder sich ihre Spielpartner gezielt aussuchen oder ein Kind aktuell nicht in eine bereits spielende Gruppe herein lassen. Das sind Situationen, die jedes Kind zu akzeptieren lernen muss. Ebenso muss ein Kind lernen, dass andere es nicht akzeptieren, wenn es sich destruktiv verhält.
Ausgrenzung ist aber gegeben, wenn bestimmte Kinder „aus der Gruppe heraus fallen“, weil sie von anderen Kindern nicht respektiert werden.

Die Unterscheidung zwischen aktueller Abweisung in einer bestimmten Situation auf der einen Seite und einer dauerhaften Ausgrenzung auf der anderen Seite ist oft schwierig. Hier klar zu unterscheiden, erfordert viel Beobachtung und viele Gespräche mit den Kindern (zum Beispiel, um ihre Begründungen und Motive zu erfahren).

So wuchs in einer Kindergruppe großer Unmut heran, der sich gegen ein blindes Kind in der Gruppe richtete. Schließlich fand die Erzieherin heraus, dass einige fußballbegeisterte Kinder sehr frustriert waren, weil ihnen das Fußballspielen, das früher weitgehend erlaubt war, nun häufig untersagt wurde, weil das blinde Kind dem Ball nicht ausweichen konnte und also gefährdet war. Dies begriffen die Kinder sehr wohl, aber sie fühlten sich mit vier bis sechs Jahren nicht in der Lage, ständig eine so weitreichende Rücksicht zu üben, ohne unzufrieden zu werden.

Hier ist nur eins der vielen Praxis-Probleme angedeutet, das Integration und Inklusion hervorrufen können und wofür Lösungen gefunden werden müssen.

Toleranz beibringen

Die Erziehung zur Toleranz wird nicht befriedigend gelingen, wenn Toleranz nur „gepredigt“ und auf das gute Vorbild vertraut wird.

Es sind auch hier die möglichst prompte klare emotionale Stellungnahme und Handeln gefragt. Das heißt, als Mutter, Vater, Erzieherin muss ich aufmerksam sein und intolerante „Ausrutscher“ (?) der Kinder nicht übergehen. Ich muss hingehen und meine ganze Autorität in die Waagschale werfen, denn die kleinen „Aufhetzer“ versprechen ja den „Mitläufern“ Stärkegefühl und „Spaß“.

Hoch begabte Kinder erfahren oft Ausgrenzung statt Integration.

Die IHVO-Kurs-Teilnehmerin Marita Brügge schrieb in einer Seminararbeit:

„Es ist Aufgabe der Pädagogen, Minderheiten, in diesem Fall im andersartigen Denken, in einen Gruppenprozess zu integrieren – und nicht durch falsches Verhalten auszugrenzen.“

Und die Kurs-Teilnehmerin Petra Cohnen schrieb:

„Sie (Schlichte-Hiersemenzel, siehe Literaturverzeichnis) schildert anschaulich, welche innerpsychischen Prozesse bei Kindern ablaufen, die mit ihrer Begabung nicht erkannt werden und sich im Spannungsfeld zwischen Anpassung und Ausleben eigener Interessen befinden.

Damit ein hoch begabtes Kind seine Fähigkeiten entfalten, seinen Wissendrang ausleben und sich als Teil der Kita-Gruppe oder Klassengemeinschaft erleben kann, ist eben nicht nur eine selektive Förderung außerhalb der Gruppe nötig, sondern das Anerkennen und Wertschätzen des hoch begabten Kindes als Person und Teil einer Gemeinschaft.

Erst dann erfährt das Kind sich als gleichwertiges Gruppenmitglied und kann sich mit seiner Begabung zeigen. Ich denke hier als Umsetzungsmöglichkeit beispielsweise daran, Spiel- und Lernangebote in einer Kita-Gruppe so zu gestalten, dass unterschiedliche Schwierigkeitsgrade vorhanden sind. So kann beim Thema „Luft – Fliegen“ für einige Kinder das Interesse darin bestehen, einfache Unterscheidungen zu treffen zwischen Dingen, die fliegen und solchen, die es nicht tun.

Andere Kinder wollen vielleicht herausfinden, warum dies so ist und beschäftigen sich intensiver mit dem Thema. Hier ist es Aufgabe der Erzieherin oder später der Lehrerin, ein eigenständiges, im Schwierigkeitsgrad flexibles Lernen zu ermöglichen.

Wesentlich ist, dass die Kinder ihre Ergebnisse den anderen mitteilen und sie teilhaben lassen an dem, was sie entdeckt haben. In der Ermöglichung dieses Austausches liegt eine wesentliche Aufgabe der Erzieherin / Lehrerin. So entsteht eine Verbindung zwischen den Kindern, ein soziales Gefüge, welches zeigt, dass jeder mit seinem Wissen und seinen Fähigkeiten zu einem guten Ergebnis kommt oder zu einem guten Ergebnis beigetragen hat.“

 

Erziehung und Förderung brauchen Beziehung

Integrative Förderung ist in hohem Grade individuelle Förderung. Sie setzt voraus, dass die Erzieherin jedes Kind in der Gruppe sehr gut kennt. Sie braucht diese Kenntnis, dieses Wissen, sowohl für die passgenaue kognitive Förderung als auch (in noch größerem Maße) für ihren erzieherischen Einfluss, wie er oben angedeutet wurde.

Dieses Wissen ist zu einem Teil durch Beobachtung des kindlichen Handelns zu erreichen: Was kann das Kind schon, was kann es noch nicht / Welches positive soziale Verhalten zeigt es schon, welches noch nicht?

Das Wissen der erziehenden Person bleibt aber zu oberflächlich für passgenaue Förderung und Erziehungserfolg, wenn sie nicht in ausreichendem Maße in die Aktion mit dem Kind geht, also mit ihm ausgiebig spielt und mit ihm hinreichend viele und intensive  Gespräche führt.

Aus diesem Grunde werden sehr früh im IHVO-Zertifikatskurs die unterschiedlichen Arten der Beobachtung behandelt und praktisch geübt. Das soll dahin führen, die teilnehmende und provozierende Beobachtung stärker einzusetzen.
(Siehe auch: Beispiele für provozierende Beobachtungen.)

In ein Gespräch zu gehen, in dem ich etwas Wesentliches vom Kind erfahre, funktioniert in aller Regel nur, wenn zwischen Erzieherin und Kind eine enge und vertrauensvolle Beziehung besteht. Dann erst wird das Kind etwas von seinem Inneren (seinen Motiven, seinen Befürchtungen, seinen Interessen) offenbaren.

Gerade Kinder, die irgendeiner Minderheit angehören, sind auf einen besonders sorgfältigen Beziehungsaufbau angewiesen. Dabei ist es zweitrangig, welcher Minderheit das Kind angehört:
– Es hat eine körperliche Behinderung.
– Es hat eine geistige Behinderung.
– Es beherrscht die deutsche Sprache deutlich schlechter als die anderen Kinder (das kann auch ein Kind mit deutscher Muttersprache betreffen).
– Es kann das geforderte Sozialverhalten nicht verlässlich zeigen.
– Es sieht anders aus als die anderen Kinder.
– Es hat einen anderen kulturellen Hintergrund.
– Es kommt aus einer deutlich ärmeren Familie als die anderen.
– Es ist hoch begabt.
– Es lebt in einer Familie mit zwei Müttern oder zwei Vätern oder mit vielen Geschwistern.

Manche Kinder gehören mehreren dieser Minderheiten an.

Ich denke, es wird klar, dass eine Erzieherin, die alle diese Minderheiten in ihre Gruppe integrieren will, eine hochqualifizierte Pädagogin sein muss:

1.
Sie braucht erstens viel Wissen. Das kann sie sich aneignen.
2.
Sie braucht zweitens vernünftige Rahmenbedingungen für ihre Arbeit, denn niemand kann mir weismachen, dass sie oder er zu 25 oder mehr Kindern gleichzeitig eine intensive pädagogische Beziehung aufbauen kann. Dies behaupte ich nach 10 Jahren eigener Arbeit als Erzieherin und 20 Jahren Fortbildungsarbeit mit Erzieherinnen und Erziehern.
Siehe auch: Rahmenbedingungen verbessern!

3.
Sie braucht drittens und vor allem aber spezielle Fähigkeiten, die für Vertrauensbildung und Beziehungsaufbau wichtig sind. Zum Teil kann man diese Fähigkeiten erlernen, zum Teil auch nicht. In meiner langjährigen Weiterbildungsarbeit wurde mir mit den Jahren immer deutlicher, dass gerade dies eine Frage der pädagogischen Begabung ist, die eine Erzieherin schon in die Ausbildung mitbringen sollte.

Auch hier, bei der pädagogischen Begabung, geht es um drei Dinge:

    • Lernleichtigkeit im pädagogischen Umfeld,
    • hohe Motivation für die intensive und vertrauensvolle Arbeit mit Kindern,
    • Kreativität beim Umsetzen der daraus gezogenen Erkenntnisse in angemessenes Gesprächsverhalten und Ideenreichtum für spannende Spiel- und Lernangebote.

Siehe auch: Begriffsbestimmung Hochbegabung
Siehe auch den Kommentar: Potenzialentfaltung und Persönlichkeitsentwicklung.

Wenn diese Voraussetzungen bei einer Erzieherin gegeben sind, kann sie, hinreichende Rahmenbedingungen vorausgesetzt, integrativ arbeiten. Und sie kann auch noch das leisten, was zu meiner Zeit der Ausbildung noch „Gruppenführung“ hieß. Allerdings gehen die Anforderungen, die heute an das gruppenbezogene Arbeiten einer Erzieherin gestellt werden, auch inhaltlich weit über diesen alten Begriff hinaus.

Über allem individuellen Eingehen und passgenauen Fördern ist Kita-Förderung ja immer auch Erziehung und Förderung in einer Gruppe und bietet auch ganz besondere Möglichkeiten, die die Familien nicht im gleichen Maße haben.

Die Kita-Gruppe ersetzt weitgehend die spontanen Spielgemeinschaften der Nachbarschaft, kann ihnen auch weit überlegen sein (wenn sie genügend Freiheiten bietet und gleichzeitig genügend Steuerung hin zu gutem Sozialverhalten).

Sie ersetzt auch die heute wie früher oft spärliche „Unterweisung“ durch die Eltern und andere ältere Menschen im Umfeld des Kindes. Früher wie heute war und ist vielen Menschen nicht klar, dass sie auch die Aufgabe haben, ihren Kindern die Welt zu erklären und sie zu befähigen, in ihr zu wirken. Oft wird dies auch versucht, aber es ist niemand in der Nähe, der über entsprechendes Talent verfügt, dies wirksam und für beide Seiten erquicklich zu tun.

In beiden Feldern (der Erziehung zu fairem Sozialverhalten und der guten Lernförderung) hat die Kita ungeahnte Möglichkeiten, die längst noch nicht ausgeschöpft sind.

Mehr integrative Gruppen schaffen

Ein Ansatzpunkt zur besseren Ausschöpfung der Möglichkeiten ist die verstärkte Schaffung integrativer Gruppen.

Stattdessen findet derzeit in unserem Land unter dem Deckmantel der Inklusionsdebatte ein schwerwiegender Abbau integrativer Einrichtungen statt. Eine der vielen Dummheiten und Fahrlässigkeiten der Bildungspolitik. Mich würde interessieren, welche finanziellen „Einspareffekte“ dadurch erreicht werden.

Ein Beispiel:
Eine Kita will Inklusionskita werden. Drei Kinder mit sehr unterschiedlichem Förderbedarf werden aufgenommen. Die Anträge auf Betreuung durch eine Inklusionskraft wurden alle drei angenommen. Danach hat jedes Kind Anspruch auf 15 Personal-Stunden von einer zusätzlich eingestellten Sonderpädagogin oder Inklusionsfachkraft. Hallo? Die Erzieherin arbeitet in diesem Fall nicht 45 Stunden, sondern die normalen Stunden einer Vollzeitkraft: 38,5 Stunden. Wer kann hier nicht rechnen?

Die Erzieherin wurde in einer Weiterbildungsmaßnahme zur „Inklusionsfachkraft“. Die Maßnahme umfasste 4 mal 2 Weiterbildungstage. Dabei reichten die Anwesenheit und die mündliche Beteiligung aus, es wurde keine schriftliche oder praktische Anforderung gestellt.
(Ich sehe solche Maßnahmen naturgemäß kritisch vor dem Hintergrund unserer IHVO-Zertikatskurse.
Siehe: Lernstufen, Qualitätsstandards und Kriterien zur Beurteilung der Hausaufgaben.)
In diesem Beispiel gibt es in der Kita keine weitere Sonder- oder Förderpädagogin und auch keine Therapeutin, zum Beispiel für das spastische Kind.

Man sollte sich zurücklehnen und sich überlegen, ob es dem Kind in dieser Inklusionskita oder in einer integrativen Kita besser gehen würde.

Für hoch begabte Kinder existieren in Deutschland erst einige wenige Kindergärten, die offiziell Hochbegabtenförderung in ihr Konzept aufgenommen haben.

Einige davon – nämlich die, die vom IHVO zertifiziert wurden – finden Sie hier:
Kindertagesstätten, in denen Fachkräfte für Hochbegabtenförderung im Vorschulbereich arbeiten.
(Die Zertifizierung der gesamten Kita ist in der Liste jeweils ausdrücklich ausgewiesen.)

Gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft und der Kultur

Das ist das Ziel jeder Integration (oder Inklusion). Sie wird nicht allein durch tolerante Einstellungen und tolerantes Verhalten der Umwelt möglich.
Sie wird nur dann möglich, wenn zusätzlich für jeden Menschen die Chance besteht, sich seinen Besonderheiten entsprechend aktiv in die Gesellschaft einzubringen.

Für das hoch begabte Kind in der Kita bedeutet es, dass es dort Tätigkeitsfelder findet, in denen es seine Begabungen ausleben und entwickeln kann. Das wiederum setzt voraus, dass es Spielgefährten findet, die komplexe Spielideen verfolgen können.

Auch was die Spielinhalte, das Spielniveau und die kognitive Förderung der hoch begabten Kinder betrifft, kann es nicht angehen, dass von ihnen erwartet wird, sich durchgängig an die üblichen Normen anzupassen.

Die Schere geht auf

Für die Altersgruppe der 3- bis 6-Jährigen ist eine integrative Förderung sinnvoll, bei der höchstens die Hälfte der Gruppe aus hoch und besonders begabten Kindern besteht. (Zum Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen siehe: Normalverteilung der Intelligenz).

Eine Kita-Gruppe, die nur aus hoch begabten Kindern zusammengesetzt ist, hätte den Nachteil, dass die Kinder nur begrenzte soziale Erfahrungen machen könnten: In einer Entwicklungsphase, in der sie noch sehr grundlegende soziale und insbesondere kommunikative Erfahrungen sammeln, brauchen sie auch nicht hoch begabte Spielpartner, um zu einer realistischen Weltsicht zu gelangen.

Gegenseitige Toleranz können die Kinder nur lernen, wenn in dieser Altersspanne langfristige, intensive Kontakte zwischen ganz unterschiedlich begabten Kindern möglich sind.

Gegenüber der sogenannten Regelgruppe, in der das hoch begabte Kind meist das einzige mit einer intellektuellen Hochbegabung ist, ergeben sich in der integrativen Gruppe folgende Vorteile:

  • 1.
    Die Erzieherin kann (eventuell nach entsprechender Qualifizierung) Projekte und Kleingruppenarbeit mit komplexeren Anforderungen entwickeln, ohne die Gesamtgruppe zu vernachlässigen.
  • Erfahrungen aus unseren integrativen Kindergärten besagen, dass auch die nicht hoch begabten Kinder davon profitieren.
  • 2.
    Die hoch begabten Kinder erhalten die Möglichkeit, sich auch zwischen “Ähnlichen” zu bewegen, also ihre Besonderheiten auch an anderen Kindern wiederzuentdecken. Dies bietet ihnen die Chance, ihre Bedürfnisse nach komplexen Spielideen, nach komplexer Kommunikation und Kooperation auszuleben und sich entsprechend zu entwickeln. Die Außenseiterproblematik wird gemildert.

Wünschenswert ist, dass zusätzlich zur Hochbegabtenförderung im Kindergarten verstärkt auch Kurse außerhalb des Kindergartens angeboten werden, in denen die Kinder unabhängig vom Geldbeutel der Eltern “ihre kleinen grauen Zellen trainieren” können.

Im Sport oder in der Musik werden außergewöhnliche Talente bereits in jungen Jahren gefördert und das findet eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz. Die Schnell- und Viel-Lerner und die Tief- und Quer-Denker haben kaum Chancen auf eine mehr als sporadische Förderung ihrer Begabung.

Meine eigenen Erfahrungen aus Projekten zur kognitiven Förderung außerhalb der Kita (zum Beispiel Theaterprojekte, Warum-Klubs und Experimentier-Gruppen) sind sehr positiv, was die Zufriedenheit der Kinder und ihre Lernfortschritte betrifft.

Allerdings halte ich die Förderung innerhalb der Kita für die demokratischste, ganzheitlichste und selbstverständlichste Förderung auch hoch begabter Kinder.

Wenn hoch begabte Kinder eine ihren Möglichkeiten angepasste Förderung erhalten, dann „geht die Schere auf“. Das heißt, die kognitiven Fähigkeiten und das Wissen des Kindes weichen immer stärker vom Durchschnitt ab, sofern keine massiven Störfaktoren wirken.

In der Sport- und Musikförderung ist diese Tatsache nicht nur bekannt, sondern erwünscht. Hier macht das den Eltern und Pädagogen auch keine Angst, sondern erfreut sie und macht sie vielleicht auch stolz.

Kaum Jemand stört sich daran, wenn ein spielstarker 10-jähriger Fußballer in eine bessere und erfolgreichere Mannschaft wechselt oder wenn ein kleiner Violinspieler Einzelunterricht erhält, weil er so individueller gefördert werden kann.

Bei kognitiver Begabung sind solche Möglichkeiten nicht vorgesehen oder finden nur sporadisch und ohne Beziehungsaufabau zwischen Kind und Pädagogen statt.

Da nach allgemeiner Meinung die Schule für den kognitiven Bereich zuständig ist, wird der zusätzliche Bedarf oft nicht gesehen.

Meiner Erfahrung nach brauchen hoch begabte Kinder im Kita- und Grundschulalter integrative Förderung, spätestens nach der Grundschule aber, wenn die „Schere noch weiter aufgegangen“ ist, sind sie in Klassen für Hochbegabte besser aufgehoben.

Ideal ist, wenn es gelingt, in Einzelfällen die besonderen Interessen der hoch begabten Kinder in die Kita hereinzuholen. Das folgende Beispiel kann dies illustrieren.

Politiker und Schachspiel

Eine integrative Kita aus NRW berichtet:

„Ein Kommunalpolitiker kommt in unsere Kita, um sich bei uns über integrative Hochbegabtenförderung zu informieren.

Nach einer Führung durchs Haus geht er mit einem vierjährigen Jungen ins Gespräch, der gerade mit einer Erzieherin Schach spielt.

Er fragt das Kind:

„Was spielst du denn da?“

Junge: „Schach“.

Politiker: „Wie heißt denn diese Figur?“

Der Junge schaut verwundert, antwortet aber: „Das ist ein Turm“.

Politiker: „Weißt du denn auch, wie man den Turm setzt?“

Junge, verwundert: „Kannst du denn kein Schach spielen?“

Er zeigt dem Politiker, wie der Turm zieht.

Nachdem der Junge ihm Vieles erklärt hat, äußert der Politiker sein Erstaunen, dass ein Vierjähriger die Schachregeln tatsächlich verstanden hat.

Er zeigt sich angenehm überrascht, zu welchen Leistungen Vierjährige in der Lage sein können.“

Der Vorteil:
Das Kind kann in seinem Kindergarten Schach spielen – und muss nicht erst zu einem bestimmten Termin von den Eltern quer durch die Stadt zu einem Schachclub kutschiert werden, sofern ein solcher überhaupt in erreichbarer Nähe existiert. Er kann, sobald das Spiel beendet ist, sofort wieder mit seinen Freundinnen und Freunden im Kindergarten toben oder etwas anderes spielen.

Aber, liebe Politiker, damit das nicht nur ganz selten möglich ist, brauchen die Integrativen Kitas dringend zusätzliches Personal .

 

Siehe auch: Expertise anerkennen.

und: Rahmenbedingungen verbessern!

 

Integrative Förderung in der Regelgruppe hat ihre Grenzen

Ich blicke gerne auf meine 10-jährige Arbeit in einer Kindertagesstätte zurück. In dieser Zeit sind mir mehrere Kinder als sehr begabt aufgefallen. Ohne zusätzliche Mittel und mit zeitlich sehr begrenzten Möglichkeiten habe ich versucht, diesen Kindern gerecht zu werden. Vieles ist dabei gut gelungen.

Mir sind aber auch die Grenzen sehr deutlich geworden, auf die ich gestoßen bin, als ich mich bemüht habe, vereinzelte hoch begabte Kinder in der Gruppe „nebenbei“ angemessen zu fördern.

Wenn Sie noch Geduld haben, würde ich das gern an einem gedanklichen Experiment deutlich machen:

Es ist Frühling, etliche Kinder der Gruppe basteln Blümchen und Häschen. Das hoch begabte Kind erlebt dies in ähnlicher Form zum dritten Mal und ist sichtlich gestresst.

Variante A der weiteren Geschichte spielt im „normalen“ Kindergarten, Variante B im Integrativen Kindergarten.

Zunächst Variante A:

Ich erfahre von dem Kind, dass es gehört hat: Wenn man jeden Tag mit dem Auto 1000 Kilometer fährt, ist man in 40 Tagen einmal um die ganze Welt herum. Jetzt weiß ich, was das Kind beschäftigt. (Es hatte das Vertrauen, es mir mitzuteilen.)
Was kann ich als Erzieherin in einer Gruppe mit einem hoch begabten und 22 nicht hoch begabten Kindern tun?

Ich kann kurz mit dem Kind reden und mich freuen, dass es sich dafür interessiert. Ich kann versuchen einen Globus aufzutreiben und dem Kind den Vorschlag machen, mit Papierstreifen verschiedene mögliche Routen aufzukleben.

Nun ist das Kind aber immer noch ein kleines Kind. Ein Interesse, das nicht bald in Aktivität umgesetzt werden kann, erlahmt. Außerdem möchte das Kind sich vielleicht nicht von der Gruppe isolieren. Und es hat keine anderen Kinder, die sich ebenfalls dafür interessieren lassen. Seine einzige Chance, Anregungen zu erhalten, bin ich als Erzieherin. Und ich habe gerade immer etwas anderes zu tun. Ich kann die Tätigkeit des Kindes nicht kontinuierlich beobachten und seine Schritte verfolgen. Die Wahrscheinlichkeit, dass aus dem Interesse des Kindes nichts weiteres folgt, ist sehr hoch.

Variante B:

Ein Globus ist vorhanden. Ich mache den Vorschlag, Routen aufzukleben, nicht einem vereinzelten Kind, sondern vielleicht 3 Kindern. Dazu kommt ein älteres nicht hoch begabtes Kind, das aus Erfahrung weiß, dass da gleich etwas Interessantes passieren wird. Und vielleicht gesellt sich noch ein jüngeres hoch begabtes Kind hinzu, um einfach zuzugucken.

Die Kinder beginnen eine Gruppenaktivität, und ich habe das gute Gewissen, dass ich mir die Zeit nehmen kann, die Sache zu beobachten.

Jedes Kind kann seine besonderen Fähigkeiten einsetzen. Das nicht hoch begabte Kind ist vielleicht feinmotorisch am geschicktesten und übernimmt das Aufkleben.

Ein langer Papierstreifen wird ausgeschnitten.

Erstes Problem: Wie lang muss er sein, damit er einmal um den Globus passt? Das problemlösende Verhalten der Kinder ist von sprachlicher Auseinandersetzung begleitet. Durchsetzungsstrategien, gegenseitiges Zuhören werden geübt.

Ich lenke die Aktivität, indem ich den Vorschlag mache, den abgemessenen Papierstreifen in 20 gleiche Etappen, immer für 2 Tage, aufzuteilen. Ein mathematisches Problem. Die Kinder knobeln. Entweder finden sie selbst eine Lösung, oder ich greife helfend ein (immer wieder in der Mitte falten und durchschneiden)

Die Lösung der Kinder könnte aber auch so aussehen, dass es ihnen nicht wichtig ist, dass die Etappen-Streifen gleich lang sind.

Die nächste Klippe: Sie kommen ans Meer. Diskussion. Realisten contra Fantasten. Den Realisten schwebt eine eher technische Lösung vor: das Auto unten dicht machen, damit es wie ein Boot schwimmen kann, die Fantasten bevorzugen die Hilfe von Riesenvögeln. Einwand: die müssen aber genauso schnell fliegen wie das Auto fährt und müssen 1000 Kilometer am Tag fliegen können. Kenntnisreiche Entgegnung: Kondore und Albatrosse schaffen das lässig. Und so weiter und so fort…

Fazit

Meine Befassung mit dem Thema Hochbegabung reicht – bei wechselnder Intensität und wechselnden Schwerpunkten – jetzt insgesamt über 30 Jahre zurück, und ich erlaube mir deshalb, Vorschläge zu machen.

Ich plädiere für die Einrichtung von integrativen Gruppen in bestehenden Kindergärten. Es ist zu prüfen, ob diese Einrichtungen über Sonderförderungsmittel unterstützt werden können.

Diese Gruppen sollten dort angeboten werden, wo ein Team vorhanden ist, das sich für die Frage der Hochbegabtenförderung aufgeschlossen zeigt und am Thema interessiert ist. Denn bevor mehrere hoch begabte Kinder in integrativen Gruppen zusammengefasst werden, sollte gezielte Fortbildung in der Einrichtung stattfinden. Auch eine weitere fachliche Begleitung halte ich für notwendig.

Zusätzlich sollten alle Erzieherinnen in ihrer Ausbildung bzw. über Fortbildungsmaßnahmen Zugang zum Thema Hochbegabung im Kindergarten erhalten.

 

Bitte lesen Sie auch den Leserbrief zu diesem Artikel.
Die Verfasserin des Briefes ist eine erfahrene Sonderpädagogin mit langjähriger Arbeitserfahrung mit behinderten Kindern.

Datum der Veröffentlichung: März 2016
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.

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