von Hanna Vock

 

Das kommunikative Klima

In jedem Kindergarten herrscht ein besonderes kommunikatives Klima. Es ist bestimmt durch die Art und Weise, in der mit den Kindern und den Eltern umgegangen wird, aber auch wie die Leitung mit dem Team und die Kolleginnen miteinander umgehen. Ganz wichtig ist auch, wie die Kinder untereinander kommunizieren.

Hoch begabte Kinder erleben hier häufig Irritationen. Sie sind immer dann irritiert, wenn das kommunikative Niveau nicht ihren Erwartungen entspricht. Besonders in den ersten Wochen nach Eintritt in den Kindergarten wundern sie sich und versuchen, die Art der Kommunikation zu verstehen, falls diese von ihren Erwartungen abweicht.

Gerade hoch begabte Kinder, die auch besonders sprachbegabt sind, laufen manchmal gegen eine kommunikative Wand, was noch zu erläutern sein wird.

 

…kurz gefasst…

Hoch begabte Kinder haben oft Kommunikationsprobleme in der Kita. Sie kommen oft mit ihrer schon ausgeprägten Sprache bei den anderen Kindern nicht gut an, sie finden unter ihnen keine adäquaten Kommunikationspartner. Manche von ihnen reagieren verwirrt, sie „nerven“ oder sie ziehen sich (sprachlich und überhaupt) zurück.
Um dies zu vermeiden und ihnen zu einer angemessenen Kommunikation zu verhelfen, lohnt es, sich mit dieser Problematik näher zu befassen.

Siehe auch:
Spezifische Probleme hoch begabter Kinder im Kindergarten.

Allgemein gilt, dass die Qualität der Kommunikation und die Qualität der Beziehungen eng miteinander zusammenhängen und sich, unabhängig von Hochbegabung, gegenseitig bedingen:
Gute Kommunikation ermöglicht gute Beziehungen, und gute Beziehungen ermöglichen gute Kommunikation.

Gute Kommunikation ist wichtig

    • für das aktuelle Wohlbefinden der Kommunikationspartner,
    • für das Ausmaß an gefühltem Respekt zwischen ihnen,
    • für das Ausmaß an Vertrauen in der Beziehung,
    • für das Ausmaß an empfundener/ anerkannter Autorität,
    • für die Effektivität des Zusammenwirkens.

Wichtig für die Hochbegabtenförderung ist:

Aus einer Kommunikation, die als unbefriedigend oder belastend empfunden wird, kann sich der unzufriedene Partner weitgehend zurückziehen.

Genau dies tun hoch begabte Kinder häufig.

Wie kann sich das äußern?

– Manche Kinder verstummen in der Kita regelrecht. Sie sprechen ganz wenig, auch wenn sie zu Hause „wie ein Buch“ reden.

– Manche Kinder verweigern die Kommunikation mit bestimmten Menschen, zum Beispiel sprechen sie immer nur dieselbe Erzieherin an, nämlich diejenige, die aus Sicht des Kindes als einzige angemessen mit ihm kommuniziert, von der sie sich am besten verstanden und Ernst genommen fühlen und von der sie die interessantesten Antworten auf ihre Fragen erwarten.

– Manche Kinder sind verunsichert, weil sie die Sprechweise in der Familie nicht mit dem Sprachcode in der Kita in Einklang bringen können. Folge der Verunsicherung kann dann eine Reduzierung der sprachlichen Äußerungen sein.

– Manche Kinder passen sich nach kurzer Zeit dem (oft einfacheren) Sprachgebrauch in der Kita so genau an, dass Niemand mehr auf die Idee kommt, das Kind könnte vielleicht auch viel differenzierter sprechen.

Um einen Eindruck davon zu bekommen, wie präzise und differenziert hoch begabte Kinder schon im frühen Alter sprechen können, lesen Sie bitte:

Kleiner Exkurs: Was ist Kommunikation?

1. Sie ist ein Prozess, der sich (fast gleichzeitig) in mehreren Vorgängen verwirklicht:

    • Über die Sinnesorgane werden körpersprachliche, lautsprachliche, schriftliche oder sächliche Informationen aufgefangen und an das Gehirn weiter gegeben.
    • Die aufgefangenen Signale werden im Gehirn verarbeitet (gefiltert, eingeordnet, bewertet). Die Zeitspanne, die dafür gebraucht wird, kann Bruchteile von Sekunden oder aber Minuten, Stunden und in Ausnahmefällen auch viele Jahre umfassen.
      Denn die Bewertung mancher Signale fordert die gesamte Persönlichkeit heraus; und mit gewachsener Lebenserfahrung kann sie neu und mit anderen Ergebnissen vorgenommen werden.
    • Es findet ein Reagieren auf die angekommenen Reize statt. Die Basis dafür können Instinkte sein oder Gefühle oder Gewohnheiten oder bewusste Entscheidungen, oft ein Gemisch aus alldem.
    • Es wird geantwortet. Das heißt, kommunikative Signale werden gesendet, und zwar nach außen (an den aktuellen Kommunikationspartner, an die weitere Umgebung) und auch nach innen (in Form von Gefühlen, Schlussfolgerungen, physiologischen oder psychosomatischen Reaktionen).
      Die Antwort kann auch heißen, keine nach außen sichtbare Antwort zu geben.

2. Inhalte der Kommunikation können sein (nach Watzlawick und Von Thun):

    • Informationen über die eigene Befindlichkeit (Selbstoffenbarungsebene),
    • Informationen über Wünsche, Forderungen, Ansprüche (Appellebene),
    • Informationen über Tatsachen, Wissen, Beobachtungen, Einschätzungen (Sachebene),
    • Informationen über den Kommunikationsprozess selbst und über seine Bewertung (Beziehungsebene).

Gute Kommunikation funktioniert auf allen diesen Ebenen gut.

Was bedeutet unzulängliche Kommunikation für die Gefühle der Kinder?

Ich möchte hierzu ein Beispiel berichten, das ich erlebt habe, als ich mit über 40 Jahren zum ersten Mal als Erzieherin in einer Kita arbeitete.

Mit viel Elan begann ich die erste Arbeitswoche, aber nach drei Tagen war ich „am Boden zerstört“.
Ich vertraute mich zunächst meinem Mann an. Ich gab meine Sorge preis, dass ich mich geirrt hätte, dass ich für die Arbeit nicht geeignet wäre und – am schlimmsten – dass die Kinder mich nicht mochten. Sie redeten kaum mit mir, sondern drehten sich oft um und gingen einfach weg.

Es war ein scheußliches Gefühl,
das starke Selbstzweifel auslöste…

… obwohl ich doch eine gestandene Frau mit zwei halbwüchsigen Kindern, zwei Uni-Abschlüssen und vielerlei beruflicher pädagogischer Erfahrung war.

Wie mochte es einem drei- oder vierjährigen Kind ergehen, das in den Kindergarten kommt und vor so eine kommunikative Wand läuft?

Nachdem das Unbehagen einmal ausgesprochen war, konnte ich mich auch meiner jungen Kollegin anvertrauen: „Irgendwas mache ich ganz falsch, sag mir doch, was ich falsch mache.“

Die Kollegin beobachtete mich eine Weile und fing plötzlich an, laut zu lachen: „Hanna, die Kinder verstehen dich nicht. Du machst genau drei Fehler: Du redest zu schnell, Du sprichst in zu langen, komplizierten Sätzen und du setzt viel zu viel Wissen voraus.“

Aha. Von meinen eigenen Kindern war ich im Kleinkindalter eine rasante Sprachentwicklung und schnelles Lernen gewohnt; und so hatte ich es fertig gebracht, in der Kita zu einer Dreijährigen zu sagen:

„Julia, kannst Du mal eben gucken, ob in der Gießkanne noch Wasser ist – wir müssen die Blumen da auf der Fensterbank gießen, die sind ja schon fast am Verdorren.“

Erwartet hatte ich, dass Julia sich der Sache annimmt und weiß, was zu tun ist, oder aber dass sie klar macht, dass sie keine Lust dazu verspürt oder gerade was anderes vorhat. Julia aber sah mich mit großen Augen an und ging einfach weg.

Durch die Hilfe meiner Kollegin begriff ich, dass ich umlernen musste:

„Julia! … Komm doch mal zur Fensterbank. … Guck mal, da steht eine Gießkanne. Nimm die mal runter und sieh mal rein. … Ist da Wasser drin? … Nein? Dann müssen wir Wasser holen. … Kannst du das machen?“

Zu meiner Verblüffung stellte sich heraus, dass Julia dafür keinen Plan hatte; die Wasserhähne in der Kita hatte sie wohl bisher nur mit dem ihr geläufigen Händewaschen und Zähneputzen in Zusammenhang gebracht, aber nicht verallgemeinert, dass man dort Wasser für alle möglichen Zwecke besorgen könnte.

… „So und jetzt gucken wir uns mal diese Blume an. Die Erde ist ganz trocken. Das ist nicht gut für die Blume, die braucht Wasser. Kannst du ihr ein bisschen Wasser geben?“


Und siehe da, es klappte;
die Kinder akzeptierten mich als Kommunikationspartnerin und zeigten mir nun auch ihre Sympathien.

Für die meisten dreijährigen hoch begabten Kinder aber dürfte, wenn sie damit allein gelassen sind, weil Niemand ihr Problem sieht, ein solches Umlernen eine hoffnungslose Überforderung sein.

Strategien hoch begabter Kinder

In einer solchen Situation versuchen hoch begabte Kinder natürlich auch, sich die Situation erträglich zu machen.

Manche Kinder versuchen – zunehmend verzweifelt – auf ihre Kommunikationsbedürfnisse aufmerksam zu machen.

– Zum Beispiel halten sie den anderen Kindern immer wieder Vorträge, die bei diesen oft gar nicht auf Verständnis oder Interesse stoßen; also gibt es auch keine positive Resonanz, sondern vielleicht sogar genervte Kommentare.

– Oder sie versuchen, ihre Fragen und Nachfragen oder ihre Erkenntnisse zu einem Thema im Stuhl- oder Morgenkreis unterzubringen, was (aus Sicht der Erzieherin und auch der Kinder, vor allem der jüngeren) unverhältnismäßig viel Zeit beansprucht.

– Oder sie versuchen immer wieder, die Erzieherin ins längere Gespräch zu ziehen, sich „an sie zu hängen“, sie für schwierige Spiele zu gewinnen – auch wenn die Situation in der Gruppe dies tatsächlich oder vermeintlich nicht erlaubt. Dabei ernten sie viel, wenn auch freundliche, Abweisung und den daraus entstehenden Frust. Denn sie drängeln und drängen ja nicht, weil sie sich Vorteile (zum Beispiel durch mehr Zuwendung) verschaffen wollen, sondern weil sie ein Grundbedürfnis stillen wollen, das die meisten anderen Kinder zum großen Teil untereinander befriedigen können.

– Manche versuchen, sich anzupassen, indem sie sich zurücknehmen. Sie haben zwar viele Fragen, viel Wissen, viele Ideen (was ja ihre Hochbegabung ausmacht), äußern sie aber nicht, weil sie erkennen, dass sie damit auf Dauer nicht erfolgreich sind, sondern sich eher unbeliebt machen. Diese Selbstbeschränkung ist schädlich für ihre Persönlichkeitsentwicklung und für ihr Wohlbefinden.
Es müssen Möglichkeiten gefunden werden, dies zu vermeiden; nur so bleiben sie aktive, gut gestimmte Kinder, die sich integrieren können.

Siehe auch: Dauerfrustration wegen Unterforderung und Unverständnis.

Was kann man tun?

In meiner eigenen praktischen Arbeit im Kindergarten brauchte ich längere Zeit, um zu erkennen, dass ich die besonders begabten Kinder benachteilige, wenn ich – ungewollt – ihre Fragen und Gedanken unterdrücke. Ich wollte allen Kindern gleich viel Aufmerksamkeit schenken und von allen Kindern gleich viele Ideen aufgreifen.

Irgendwann wurde mir klar, dass das viele Wissen, die Ideen und Gedanken der besonders begabten Kinder eine wertvolle Ressource für die gesamte Gruppe waren. Es musste ihnen nur geholfen werden (von mir und meinen Kolleginnen!), sie interessant und für einige andere Kinder verständlich vorzubringen.

Als das immer besser gelang, zeigte sich, dass die anderen Kinder keineswegs eifersüchtig waren oder sich zurückgesetzt fühlten, wenn ich das / die hoch begabten Kinder auf andere Weise ansprach, ihnen andere Herausforderungen stellte und ihnen half, Einiges an die Gruppe weiter zu geben.

Beispiele:

– Ein mit drei Kindern erarbeitetes Theaterspiel wurde der Gruppe präsentiert und dann von anderen Kindern im Freispiel nachgeahmt.

– Ein Bilderbuch, das ein Junge allein mit meiner Hilfe gestaltet und beschriftet hatte, ging als besonders interessantes Exemplar in die Kita-Bücherei ein und diente anderen Kindern als Beispiel für eigene Kreationen.

– Dasselbe passierte mit einem von zwei Kindern ausgedachten und hergestellten Brettspiel.

– Ein Mädchen hielt einen kleinen Vortrag über das Leben und die Pflege von Schildkröten, als wir Schildkröten für die Kita kauften. Bei dem Vortrag hatte ich dem Mädchen geholfen, denn sie hatte damit keine Erfahrung; aber die Gruppe nahm die wichtigen Informationen dankbar an und fragte im Alltag (der Schildkrötenpflege) immer mal wieder bei dem Mädchen nach; ihr tat es gut, sich als Expertin fühlen zu können.

– Einen naturwissenschaftlich besonders interessierten Jungen bat ich, mir beim Ausprobieren und Vorbereiten von Experimenten zu helfen; er wurde so über längere Zeit zu meinem Experimente-Assistenten.

Wichtig ist, nicht nur die besondern Interessen und Fähigkeiten der hoch begabten Kinder zu „bedienen“, sondern bei allen Kindern Talente aufzuspüren, die es möglich machen, dass sie für eine Weile eine besondere Position in der Gruppe, eine Expertenrolle, einnehmen können.

Das kann das Wissen über Fußball, über handwerkliche Kniffe, die Beherrschung von Tänzen sein…

„Professoren, zeigt euch“ ist ein gutes Praxisbeispiel, das zeigt, wie man in eine solche Arbeitsweise einsteigen kann.

Sehr hilfreich ist auch, Arbeit mit kleinen Gruppen zum festen und alltäglichen Bestandteil der Kita-Arbeit zu machen.

Siehe auch: Beispiele für ein gutes Kommunikationsklima.

Zur Kommunikation zwischen Erzieherin und hoch begabtem Kind

Sobald es sich andeutet, dass das Kind komplexer denkt und spricht als die Gleichaltrigen, sollte eine besondere Begabung, evtl. eine Hochbegabung in Betracht gezogen werden.
Siehe auch: Hinweise auf eine mögliche intellektuelle Hochbegabung.

Um die Kommunikation zwischen Ihnen und dem Kind zu überprüfen, können Sie folgende Fragen nutzen:

    • Welche körpersprachlichen, sächlichen und lautsprachlichen Signale empfange ich von dem besonders begabten Kind?
    • Welche körpersprachlichen, sächlichen und lautsprachlichen Signale empfängt das Kind von mir?
    • Wie schätze ich seine Signale ein?
    • Ist die Kommunikation zwischen mir und dem Kind jetzt grade gut oder schwierig / gestört / zu gering? (Wenn sie schwierig ist: Handelt es sich um eine kurze Phase oder um einen Dauerzustand?)
    • Wie gut bin ich darüber im Bilde, womit sich das Kind zur Zeit in seinem Innern geistig beschäftigt?
    • Habe ich das Kind in letzter Zeit gefragt, was es in der Kita lernen möchte?

Bei Vertrauens- oder Autoritätsverlust wird das Kind die Kommunikation einschränken!
Kinder regulieren ihre Kommunikation sehr genau.

Wie schätzen Sie die Aussage von Eltern ein: „Mein Kind erzählt zu Hause nichts / fast nichts / wenig vom Kindergarten“ ?

Zur Kommunikation zwischen dem hoch begabten Kind und den anderen Kindern der Gruppe

    • Beobachten Sie genau:
      Welche körpersprachlichen, sächlichen und lautsprachlichen Signale empfängt und sendet das Kind in der Gruppe?
      Ganz besonders wichtig sind dabei die ersten Tage (!) und Wochen im Kindergarten.
    • Bitte nehmen sie bei etwas älteren Kindern auch den Kinder-Fragebogen Kommunikation zu Hilfe.

Mögliche Folgen unbefriedigender Kommunikation zwischen dem hoch begabten Kind und den anderen Kindern:

– Rückzug, Verstummen, Vermeiden von Kommunikation, Erstarren.

– Schlussfolgerung des Kindes: „Ich bin hier irgendwie falsch, ich komme hier nicht gut klar.“

– Schlussfolgerung: „Ich bin doof.“ oder „Die Anderen sind doof.“

– Bevorzugung des Einzelspiels (oder evtl. das Spiel mit einem einzigen guten Freund / einer guten Freundin), Einzelgängertum.

– Sehr deutliche Bevorzugung der Kommunikation mit Erwachsenen.

Welche dieser Punkte treffen auf das hoch begabte Kind zu?

Zu guter Letzt ein Zitat aus einem Roman, der in einem Indianerreservat in den USA im 20. Jahrhundert spielt.

Ein Junge, der schon 12 Jahre alt war, kam nach langen, schmerzlichen Erfahrungen unter Menschen, die ihn nicht verstanden, also keine angemessene Kommunikation mit ihm hatten, in eine neue Familie.

“In der ersten Zeit war Wakiya-knaskiya wie ein neugeborenes Kind, das nicht nachdenkt oder träumt, sondern schaut, horcht und aufnimmt. Er sprach kaum ein Wort, aber er hörte alles.”

Aus: Licht über weißen Felsen von Liselotte Weißkopf-Henrich, siehe Literaturverzeichnis und Hochbegabung, dargestellt in Literatur und Film.

Wakiya war zu Menschen gekommen, die ihn verstanden. Und er begann nach der Zeit des Wunderns eine glückliche und rasante geistige Entwicklung.

 

Datum der Veröffentlichung: Oktober 2016
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.

 

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