von Kathrin Brändlin

 

Ein hoch begabter Junge aus meiner Gruppe geriet – schon bei kleinsten Verletzungen – in heftige Panik, aus der er sich nur schwer lösen konnte. Ich suchte das Gespräch mit seiner Mutter, bei dem sich heraus stellte, dass er Angst hat zu verbluten. Er hatte die Vorstellung, dass wie bei einer geöffneten und gekippten Flasche schon bei einem Riss in der Haut die Möglichkeit besteht, dass sein gesamtes Blut herausläuft.

Ich thematisierte mit diesem Kind die Blutgerinnung. Wir besprachen, wie sie funktioniert und welche Verletzungen welchen Ernstgrad haben. Dabei wurde auch die Frage behandelt, in welchen Situationen die Blutgerinnung nicht greift (Bluterkrankheit / nicht ansteckend, Blutverdünnungsmittel / Medikament). Dies half ihm sehr, da er nun seine Verletzungen realistischer einschätzen konnte.

Ich möchte damit verdeutlichen, dass manchmal hinter einem Verhalten oder einer Äußerung mehr verborgen ist, als auf den ersten Blick zu vermuten wäre. Ich hätte diesen Jungen auch als schreckhaft einschätzen können. Ich hätte auch denken können, dass ihm womöglich einfach nur übel wird beim Anblick von Blut.

In Wahrheit beschäftigte ihn eine sehr beängstigende und schwierige Fragestellung, die er alleine nicht erschließen oder lösen konnte.