von Hanna Vock

 

Manche Leute glauben, hohe Begabungen würden sich erst im Schulalter zeigen. Nun spricht dieses ganze Handbuch davon, dass auch Kindergartenkinder deutliche Anzeichen für hohe Begabungen erkennen lassen und auf passgenaue Förderung sehr positiv reagieren.

Aber gilt das auch schon für Kinder, die noch nicht drei Jahre alt sind?

Einige Kursteilnehmerinnen arbeiten schon seit längerer Zeit mit Kindern unter drei Jahren, konnten also mit dieser Altersgruppe Erfahrungen sammeln. Ihre Berichte und die sorgfältigen Beobachtungen aus Familien können helfen, die Aufmerksamkeit in geeigneter Weise auch auf die ganz jungen Kinder zu richten.

Es ist ein deutlicher Hinweis auf eine weit überdurchschnittliche Intelligenz, wenn wir etwas beobachten können, was Lydia Kretschmar aus Köln in einer ihrer IHVO-Kurs-Hausarbeiten beschreibt:

>Ein eineinhalbjähriger Junge in unserer Kita antwortete auf die Frage: „Wie macht die Katze?“ normalerweise richtig. Aber eines Tages antwortete er „Wau! Wau!“ und konnte sich vor Lachen nicht mehr halten, als er das erstaunte Gesicht seiner Erzieherin sah.<

Hier sei auch noch mal ein Beispiel wiederholt, das schon an anderer Stelle des Handbuchs für frühen ausgeprägten Humor stand:

Ein Mädchen (1;8) findet es lustig, wenn die Mutter auf einen Stuhl zeigt und fragt: „Ist das ein Buch?“ Das Kind lacht und sagt: „Nee, Tuhl“ (Stuhl). Nach einigen weiteren Fragen der Mutter übernimmt das Kind spontan die aktive Rolle und fragt, auf den Teddy zeigend: „Is das Ball?“ und als die Mutter antwortet: „Nein, das ist eine Puppe“ kreischt das Kind vor Vergnügen und ruft laut: „Nee, Tety! (Teddy).“

Es bedeutet für ein Kind in diesem Alter eine besonders große geistige Leistung, dieses Spiel nicht nur antwortend mitzuspielen, sondern selber eine „Falschfrage“ zu stellen.

 

Im Folgenden sind einige auffällige Merkmale junger Kinder aufgelistet, die auf eine besondere Begabung hindeuten.

Auch hier ist wieder zu beachten, dass es nur um erste Hinweise auf eine besondere oder hohe Begabung gehen kann. Diese Hinweise sollten allerdings sorgfältig beachtet werden, um den Spiel- und Lernbedürfnissen der Kinder früh auf die Spur zu kommen.

Im 1. Lebensjahr:

  • Das Baby wirkt von Anbeginn an sehr „wach“. Wenn es nicht schläft, ist es beständig auf der Suche nach neuen sinnlichen Eindrücken (und trainiert damit sehr intensiv seine Sinnesorgane und sein Gehirn, Informationen aufzunehmen und zu vernetzen).
    Sehr bald ist es visuell sehr interessiert und aktiv. Es betrachtet Neues (zum Beispiel Farben, Linien, zusammenstoßende Linien, bewegte Blätter und Ähnliches sehr konzentriert und ausdauernd.
  • Das Baby hat evtl. Schwierigkeiten, aus dem sehr wachen, angeregten Zustand in den Schlaf zu finden.
  • Es will oft nicht liegen, da es sich dann schnell langweilt. Es ist zufrieden, wenn es eine gute Position zum Sehen hat, die sich auch immer wieder mal ändert; manche Kinder wollen am liebsten viel herumgetragen werden, nicht etwa nur weil es beruhigend und gemütlich ist, sondern weil sie dann ausgiebig und aus unterschiedlichsten Blickwinkeln sehen und hören können.
  • Zu Beginn der Entwicklung der Auge-Hand-Koordination sind lange Phasen konzentrierten Spiels zu beobachten, zum Beispiel wenn das Kind immer wieder versucht, ein sich in seiner Reichweite bewegendes Objekt zu berühren. Dies kann ununterbrochen eine halbe Stunde oder länger dauern und wird schnell (in wenigen Tagen) gelernt.
  • Das Baby erkennt sehr früh auch Personen wieder, die nur selten auftauchen.

Im Alter von 12 – 17 Monaten:

  • Das Kind zeigt sehr früh einen eigenen Willen, wird als sehr fordernd empfunden.
  • Es spricht früh Worte (mehr oder weniger deutlich) und meint damit auch tatsächlich die Dinge oder Tätigkeiten, für die die Worte stehen. Es geht vergleichsweise schnell zu Zwei-Wort-Sätzen über.
  • Es spielt früh und intensiv Einräumen und Ausräumen (etwa mit 11 bis 15 Monaten).
  • Es weiß (fast) immer genau, was es will; es hat fast immerzu etwas vor; es lenkt die Erwachsenen effektiv mit Gesten und Wörtern.

Im Alter von 18 – 24 Monaten:

  • Das Kind benennt sich früh (18 bis 20 Monate) mit dem eigenen Namen, geht bald darauf (vor oder um den 2. Geburtstag) zum „Ich“ über.
  • Es spielt sinnvoll mit Puppen oder Kuscheltieren: Füttern, Schlafen legen, den Puppen Spielzeug geben, die Puppe trösten, „Hoppe-hoppe-Reiter“ mit ihr spielen, usw.
  • Es geht dazu über, aktuell erlebte Situationen mit Puppen nachzuspielen.
  • Das Kind erkennt Möbel im Puppenhaus, platziert sie und tut so, als ob die Puppen die Möbel benutzen.
  • Es baut nicht mehr nur einfache Türme, sondern kompliziertere Gebilde (Brücken, Häuser, Reihen, Kreise).
  • Das Kind kann mehrere Farben sicher erkennen und benennen.
  • Das Kind kennt sich schnell und viel früher als andere Kinder in der Wohnung, in der Küche, im Haus, in der Kita aus. Es versteht und behält die immer wiederkehrenden Abläufe. Es übernimmt schnell und aktiv neue Strukturen und Gewohnheiten.
  • Das Kind hilft im Haushalt sinnvoll mit: Tisch decken, Dinge anreichen, in den Kühlschrank bringen, Abfall in den richtigen Abfallbehälter werfen, usw.
  • Es ordnet (schon mit 20 bis 22 Monaten) Dinge sicher zu: Mamas Platz am Tisch, Papas Schuhe. In der Kita weiß es, welche Erwachsenen in welche Gruppe gehören und welche Hausschuhe welchem Kind gehören.
  • Das Kind sieht sich gerne (nach Möglichkeit mehrmals täglich) mit Erwachsenen zusammen Bilderbücher an und merkt sich viele Details.
  • Es lacht über seltsame, unerwartete Zusammenhänge, zum Beispiel über Babyschuhe, die an einer Wandlampe hängen.

Im 3. Lebensjahr:

  • Das Kind beginnt am Anfang des 3. Lebensjahres nicht nur „Was ist“-Fragen zu stellen, sondern auch „Was macht“-Fragen.
  • Es ist sehr wissbegierig, beginnt im ersten Halbjahr des 3. Lebensjahres Warum-Fragen zu stellen.
  • Es fragt bei Erklärungen nach, wenn es etwas nicht verstanden hat.
  • Falls sprachbegabt, spricht es schon lange vor dem 3. Geburtstag grammatikalisch richtig in komplexen Satzgebilden und mit großem Wortschatz.
  • Es interessiert sich für Fremdsprachen und Dialekte, wenn es mit ihnen in Berührung kommt.
  • Es zeigt bereits Ehrgeiz, die Dinge richtig und allein zu bewältigen.
  • Es wendet Denk- und Handlungsstrategien flexibel an.
  • Es entwickelt die Idee der Vorausschau. Es möchte wissen, was in neuen Situationen auf es zukommt, möchte sich darauf einstellen, möchte Situationen überblicken und durchschauen.

Wir gehen davon aus, dass die Disposition zu einer hohen Begabung angeboren ist.

Welche der aufgeführten Verhaltensweisen sich beim einzelnen Kind zeigen, ist auch von der Art der Hochbegabung abhängig. Zum Beispiel zeigen mathematisch sehr begabte Kinder oft keine besonders frühe oder beschleunigte Sprachentwicklung.

Selbstverständlich müssen Voraussetzungen erfüllt sein; zum Beispiel kann ein Einjähriges seine Fähigkeiten zum Tischdecken nicht entwickeln, wenn Niemand auf die Idee kommt, es dabei einzubeziehen – oder schlimmer noch, wenn erste Versuche des Kindes aus diversen Sorgen unterbunden werden. Und auch hier geht es nicht nur ums Tischdecken: Es ist immer auch ein Signal an das Kind, ja nicht so explorativ zu sein, nicht so viel auszuprobieren, sich nicht so viel zuzutrauen.

Für Eltern ist es oft schwierig, Hinweise auf eine hohe Begabung früh zu erkennen, weil sie wenige Vergleichsmöglichkeiten zu anderen Kindern haben. Und wie oft habe ich den Satz gehört: „Ich hab lange gedacht, dass alle Kinder so sind.“

Siehe auch:

 

Datum der Veröffentlichung: 20.4.10
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