von Anke Cadoni

 

Mir ist es sehr schwer gefallen, für die erste Praxisaufgabe (im Zertifikatskurs) ein Kind in meiner Gruppe zu finden, da ich eigentlich bei keinem meiner Kindergartenkinder Hochbegabung vermute.

Ich habe mich schließlich für Jonas entschieden, da er mir seit seinem Eintritt in den Kindergarten oft als „besonders“ aufgefallen war. Er ist seit gut einem Jahr in meiner Gruppe und ist jetzt 4 Jahre, 2 Monate alt. Von Beginn an hat er einen sehr starken eigenen Willen gezeigt, er weiß genau, was er will. Seinen gleichaltrigen Freunden hat er öfter was voraus.

Seine Entwicklung verläuft in allen Bereichen sehr gut, es fällt ihm auch relativ leicht zu lernen und die Dinge um sich herum wahrzunehmen. Ich denke, dass er in manchen Bereichen auch sehr begabt ist, vielleicht auch überdurchschnittlich begabt.

Er ist auf jeden Fall ein Kind, das ich gut im Auge behalten sollte, um Unterforderungen zu verhindern.

… kurz gefasst …

Die Erzieherin muss für eine Weiterbildungsaufgabe ein möglichst hoch begabtes Kind auswählen. Sie ist unsicher und es bleibt auch ungewiss, ob Jonas hohe Begabungen hat. Durch ihre Beobachtungen versucht sie, den Begabungen des Kindes auf die Spur zu kommen, um eine Unterforderung zu vermeiden.

Folgende Hinweise auf eine mögliche Hochbegabung treffen auf Jonas am ehesten zu:

(Entsprechend den Hinweisen auf eine mögliche intellektuelle Hochbegabung.)

  • Jonas spielt gerne mit älteren Kindern und kann sich auch sehr gut alleine beschäftigen.
  • Er zeigt große Ausdauer, Begeisterung und Belastbarkeit bei Aufgaben, die er sich selbst gestellt hat, zum Beispiel bei schwierigen Puzzles.
  • Er hat ein gutes Beobachtungsvermögen und einen ausgeprägter Gerechtigkeitssinn.
  • Ich sehe auch einen frühen Drang zur Selbststeuerung und Selbstbestimmung. Er hat einen starken eigenen Willen.
  • Auch komplexe Gedankengänge und eine differenzierte Sprache fallen mir bei Jonas auf.
  • Eigenwillige Lernstrategien zeigen sich für mich darin, dass er bestimmte Vorstellungen hat, wie er etwas handhabt – und da lässt er sich auch von niemandem beirren.

Spontane Beobachtungen (aus der Erinnerung)

Bereits bei Kindergarteneintritt hat Jonas sich selbstständig an- und ausgezogen. Er ließ sich auf keinen Fall helfen, auch wenn er schon mal ein wenig länger brauchte – er hat es aber immer geschafft, bis auf das Schließen der Jacke. Das Schließen der Jacke alleine zu schaffen, war fortan sein großes Ziel. Nach etwa einem Monat funktionierte auch dies.

Er ist sehr eigenwillig bis hin zur Dickköpfigkeit, im positiven Sinn.

Er hat eine starke eigene Ansichten. Zu Fragen oder Aufforderungen hat er stets klare Meinungen und Antworten.

Er ist ein Kind, was sich eher über- als unterfordert.
Von Beginn an hat er immer Spiele und Puzzles ausgesucht, die nicht „altersentsprechend“ waren. Häufig waren es Puzzles oder Zahlenspiele, mit denen Vorschulkinder manchmal noch Schwierigkeiten hatten.

Es gelang ihm auch nicht immer alles sofort, aber dann holte er sich selbstständig Hilfe oder versuchte es so lange, bis es endlich funktionierte. Einige Spiele wurden täglich gespielt, bis sie ihm fließend von der Hand gingen.

Er ist also ein „autonomer Lerner“, der seine Lernprozesse gern und gut selber organisiert. Oft ist dieses Lernen besonders effektiv, sofern einfühlsame Hilfestellungen und Impulse von Erwachsenen dazukommen.

 

Jonas hat einen sehr ausgeprägten Wortschatz. Er erzählt gerne von Erlebnissen, häufig sehr spontan und mit viel Freude. Es macht Spaß ihm zuzuhören!

Aktuelle Beobachtungen, um ein klareres Bild von seinen Fähigkeiten und Begabungen zu bekommen

27.03.09
Zur Zeit ist Jonas mit Buchstaben beschäftigt. Er kann jetzt seinen Namen fast ganz selbstständig schreiben und möchte jetzt noch „Mama“ und „Papa“ und weitere Wörter lernen. Er ergreift die Initiative und holt sich hierbei nur selten Hilfe.

Er schneidet ohne Probleme schon schwierige Vorlagen mit der Schere aus, ohne von der Linie abzuweichen. Hierbei, glaube ich, merkt er auch gut, dass er den anderen in seinem Alter etwas voraus hat, diese prickeln häufig noch.

Jonas hat komplexe Gedankengänge! Als ich zum Beispiel gerade dabei war, mit ihm ein Bilderbuch zu erstellen, in das er auch Faltarbeiten eingeklebt hatte, war er dabei ein Bild dafür zu malen. Das Bild stellte eine Insel dar, auf der eine Lampe mit leuchtendem Leuchtmittel stand. Jonas sagte spontan zu mir:

„Frau Cadoni, jetzt falte ich ein Windrad, das den Strom für Licht und Heizung erzeugt, und klebe es noch auf die Insel.“

Siehe: Jonas (5;3) macht noch ein Bilderbuch und schöpft Papier

Mit ihm wurde ein gleichaltriger Junge gleichzeitig aufgenommen. Alle dachten (besonders die Eltern), die beiden können dann schön zusammen spielen. Doch schon schnell stellte sich heraus, dass dies kein Spielpartner für Jonas ist. Jonas hat zunächst viel alleine gespielt und mittlerweile orientiert er sich an älteren Kindern.

30.03.09
Jonas malt gerade ein Bild vom Wetter. Ein weiterer Junge sitzt neben ihm und schaut auf sein Bild. Jonas beginnt sein Bild zu erläutern: „Hier ist die Sonne, und dort ist Donner und Blitz.“

Anschließend fragt der Junge neben Jonas: „Warum ist die Sonne so dunkel?“
Jonas: „Ich weiß, warum sich die Sonne färbt: weil sie weit weg ist. Ich hab davon ein Buch, auch von Donner und Blitz und wie Strom entsteht.“

Hier zeigt sich in Ansätzen sein Interesse an logischen Zusammenhängen und naturwissenschaftlichen Vorgängen. Er ist sehr wissbegierig und zeigt große Freude am Speichern und Verarbeiten von Informationen. Jonas bekommt von zu Hause auch eine gute Wissensvermittlung und es wird auf gute kindgerechte Literatur geachtet.

In einer anderen Situation habe ich Felix erklärt, wie das Osterkörbchen geklebt wird. Jonas saß bereits am Tisch und malte noch ein Bild. Als Jonas dann an der Reihe ist, um sein Osternest zu basteln, wollte ich ihm auch erklären, wie es funktioniert, doch er sagte:

„Das hab ich doch eben gehört, weiß ich jetzt schon alles, Frau Cadoni!“

In dieser Beobachtung spiegeln sich die schnelle Auffassungsgabe und seine Neugier wieder. Obwohl er noch mit anderen Dingen beschäftigt war, hat er gut zugehört und die neue Vorgehensweise auf Anhieb begriffen und konnte sie sofort anwenden. Seine Augen und Ohren stehen immer für Neues offen.

Fordert man Jonas auf, eine bestimmte Sache zu machen, was man eigentlich auch selten bei ihm muss, da er meistens gut und engagiert beschäftigt ist, widerspricht oder verweigert er häufig. Er arbeitet dann oft unkonzentriert, widerwillig oder lustlos.

Vielleicht braucht er diese übrig bleibenden Zeiten, in denen er nicht sichtbar aktiv ist, um nachzudenken, nachzufühlen oder einfach, um Muße zu genießen. Oder er ist mal nicht so gut drauf und will seine Ruhe haben.

31.03.09
Eric ist mit dem Prickeln überfordert oder hat keine Lust mehr, weiter zu machen. Jonas kommt hinzu und erkennt sofort Erics Problem. Er sagt: „Ich kann das für dich ausschneiden, wenn du möchtest!?“

Jonas hat ein feines Sensorium für die Befindlichkeit anderer. Er bietet dann gerne seine Hilfe an. Häufig merkt er, wenn es Kindern nicht so gut geht oder sie Hilfe benötigen.

Er zeigt eine Faszination für alle Arten von Experimenten.

Jonas verfügt über eine besonders gute Beobachtungs- und Wahrnehmungsfähigkeit.

Er kann durchgeführte Experimente im Morgenkreis gut sprachlich wiedergeben und so klar darstellen, dass Kinder, die gefehlt haben, den Vorgang gut nachvollziehen können. Ein Experiment hat Jonas erklärt, obwohl er bei der Durchführung gar nicht anwesend war. Er traut sich viel zu!

Jonas hat einen großen Wortschatz. Er drückt sich sprachlich treffend aus und spricht grammatisch häufig schon korrekt und sicher.

Jonas sucht gerne den Kontakt zu älteren Kindern und Erwachsenen. Es stört ihn sehr, wenn jüngere oder gleichaltrige Kinder sein Vorhaben stören. Jonas diskutiert oder zankt sich dann aber nicht mit den Kindern, sondern sucht sich einen anderen Spielort.

Jonas zeigt mir eine Feder, die er gefunden hat. Ich frage ihn, von welchem Vogel sie denn sein könnte. Er sagt: „Von einer Taube vielleicht? Die nehme ich mit nach Hause!“
Die Antwort von Jonas stimmte tatsächlich.

01.04.09
Ich fordere drei Kinder auf, die Puppenecke aufzuräumen, weil ich weiß, dass diese zuvor dort gespielt hatten. Jonas erwähne ich jedoch nicht. Er kommt kurze Zeit später zu mir und sagt:

„Ich hab hier oben auch gespielt und muss mit aufräumen!“

Er zeigt hier seinen stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Ich glaube, er könnte es für sich nicht gut aushalten, wenn er in dieser Situation jetzt nicht helfen würde.

Jonas ist häufig sehr sensibel, besonders wenn es um Kritik an seinem Tun oder Verhalten geht.

03.04.09
„Male noch die Hände, sonst kann der Osterhase nicht die Eier aufheben!“ sagt Jonas zu Sven, der vergessen hat, die Pfoten zu malen.
Hier erkennt man die gedanklichen Verknüpfungen von Jonas: ohne Hände/Pfoten kann man nichts aufheben.

Jonas erzählt mir heute morgen, dass er jetzt ohne Stützräder mit dem großen Fahrrad fahren kann, er wirkt sehr stolz.
Er sah die großen Jungs immer draußen Fahrrad fahren, und es hat ihn geärgert, dass er noch nicht ohne Stützräder fahren konnte. Jonas stellt häufig sehr hohe Ansprüche an sich selbst. Jetzt ist er so froh, dass es endlich klappt.

Jonas kommt häufig auf mich zu und möchte dann ganz gezielte Dinge von mir. In letzter Zeit soll ich ihm oft ein Flugzeug falten. Er stellt sich selbst auch gezielte und gut überlegte Aufgaben: Heute wollte er ein Osterei malen. Oder er fragt nach bestimmten Materialien / Dingen, die er für die Umsetzung seiner Pläne benötigt.

Jonas ist sehr kreativ. Er möchte seine geplanten Tätigkeiten auch möglichst eigenständig durchführen. Er zeigt eine außergewöhnliche Erfindungsgabe bei der Verwendung von alltäglichen Materialien.

Allerdings weigert er sich, Papierflieger selbst zu falten. Ich glaube, er schaut so lange zu, wie ich es mache, bis er sich irgendwann sicher ist, wie es geht – und dann faltet er ihn alleine.

06.04.09
Eine unserer Toilettenspülungen ist defekt. Jonas bekommt dies mit und meint, dass sein Vater dies reparieren könnte. Als seine Mutter ihn mittags abholt, zeigt er ihr sofort die defekte Sache und bittet sie um Rat: „Kann Papa das machen?“
Jonas kann Gelerntes gut auf andere Situationen übertragen. Sein Vater ist Installateur, und er hat bestimmt schon mal mitbekommen, wie er eine Spülung repariert hat. Jonas merkt sich viele Dinge und kann sich vieles gut überlegen und vorstellen.

08.04.09
Jonas und Felix spielen in der Bauecke. Jonas baut ein Fußballstadion. Er sagt: „Noch zweimal schwimmen, dann spiele ich bei den Bambinis!“
Jonas weiß genau, wie lange es noch dauert. Er geht gerne mit Zahlen um und nutzt diese auch entsprechend.

06.05.09
Jonas legt mit Hölzern ein Lagerfeuer, Eric und Sven helfen.

Jonas holt einen roten Magnetbuchstaben und zündet spielerisch mit diesem „Feuerzeug“ das Feuer an. Anschließend spielen sie Indianer und sitzen um das Lagerfeuer. Jonas bittet Sven um ein Stück Pappe, um das Feuer richtig zum Brennen zu bringen. (Er macht Wind mit der Pappe.)

Hier lässt sich auch wieder ein gutes Wissen über naturwissenschaftliche Zusammenhänge und Techniken erkennen.

Jonas errichtet aus Papprollen und unterschiedlichen Pappresten ein tolles Kunstwerk, das er später seiner Mutter schenkt. Dies weist auf eine ausgeprägte Kreativität und Orginalität hin.

Jonas liebt es zu puzzeln oder Tangrams zu legen.
Hierbei zeigt er eine starke Eigenmotivation. Bei schweren Puzzles ist er häufig so vertieft, dass er nichts mehr um sich herum wahrnimmt und die Zeit völlig vergisst. Er zeigt hohe Fähigkeiten bei der Beschäftigung mit geometrischen Figuren und bei Aufgaben, die räumliches Denkvermögen verlangen.

Eine provozierende Beobachtung, die weiteren Aufschluss geben soll, können sie hier lesen:

Jonas faltet doch Papierflieger.

Und Projekte, in denen Jonas maßgeblich beteiligt war, finden Sie hier:

Bilderbuch zu den Perchten.

Jonas (5;3) macht noch ein Bilderbuch und schöpft Papier.

Fußball und Zeitung.

 

Datum der Veröffentlichung: Januar 2012
Copyright © Hanna Vock 2012, siehe Impressum.