von Anke Cadoni
Nachdem ich mir schon viele Gedanken zu Jonas (4;2) gemacht hatte, wollte ich noch mehr über ihn herausfinden und ihm dazu eine provozierende Aufgabe stellen.
Siehe auch: Arten der Beobachtung.
Mehr über Jonas lesen Sie hier:
Jonas (5;3) macht noch ein Bilderbuch und schöpft Papier.
Jonas ist immer sehr interessiert an neuen Herausforderungen und steht diesen immer offen gegenüber. Da er sich momentan täglich mit den von mir gefalteten Papierfliegern sehr intensiv beschäftigt und er diese inzwischen auch gerne selber falten möchte, was er früher immer verweigert hat, habe ich morgens als Impuls die einzelnen Faltschritte gefaltet und für die Kinder sichtbar in die Gruppe gehängt.
… kurz gefasst …
Jonas zeigt, was in ihm steckt, als er ganz schnell und selbstständig lernt, einen Papierflieger zu basteln. Es reicht ihm die Demonstration der Arbeitsschritte auf einer Tafel an der Wand, um zum Erfolg zu kommen. Nur an einer Stelle kommt er trotz ausdauernder Versuche nicht weiter und holt sich Hilfe.
Bereits morgens haben die ersten Kinder die Anleitung entdeckt, so zum Beispiel Sven (5 Jahre) und Jan (6 Jahre). Die beiden haben schon mit Begeisterung gefaltet und sind hier und da auch an ihre Grenzen gestoßen. Sie haben jedoch nicht aufgegeben und mit ein wenig Unterstützung zum ersten Mal ihren eigenen Flieger gefaltet. Darauf waren sie sehr stolz!
Von alledem hat Jonas noch nichts mitbekommen, weil er immer recht spät kommt. Als er dann im Kindergarten ankam, war das Thema „Papierflieger“ zunächst nicht mehr so aktuell. So gegen 10.30 Uhr kam Jonas dann zu mir und wollte, dass ich ihm einen Flieger falte. Dies nahm ich zum Anlass, ihm die Anleitung zu zeigen. Daraufhin holte er sich sofort ein Blatt und legte mit Schritt 1 los, ohne auch nur noch eine einzige Frage zu stellen. Er war von jetzt auf gleich hoch motiviert und konzentriert. Nach einiger Zeit gesellten sich noch andere Kinder zu ihm, er ließ sich aber nicht ablenken.
Er faltete die ersten Schritte ohne Probleme, doch später kam auch er mal an seine Grenze. Er probierte und probierte – doch bei einem Schritt kam er nicht mehr weiter. Er bat mich um Hilfe. Ich erklärte ihm den Schritt noch mal genau, und dann probierte er es wieder ganz selbstständig und schaffte es dann auch, den Papierflieger fertig zu falten. Ein riesiges Strahlen war in seinem Gesicht zu sehen.
Sofort machte er die ersten Testflüge, und der Flieger flog tatsächlich gut. Nun wollten noch viele andere Kinder ihren eigenen Flieger falten und Jonas wurde oft um Hilfe gefragt, die er den Kindern offensichtlich gerne gab.
Reflektion:
Ich habe es geschafft Jonas noch mal herauszufordern und gleichzeitig habe ich ihm unaufdringlich geholfen, eins seiner Ziele zu erreichen. Er wollte nämlich schon länger selbstständig „diesen“ Flieger falten können. Verbunden mit dieser Aktion haben auch andere Kinder noch mal eine neue Herausforderung angenommen und sind ein Stück weit gewachsen.
Interpretation meiner Beobachtungen mit gebotener Vorsicht:
Ich habe Jonas als mein Beobachtungskind gewählt, weil er seit seinem Kindergarteneintritt aus der Masse der Kinder hervorsticht. Er hatte von Beginn an etwas Besonderes, Faszinierendes an sich, was nicht nur ich als Erzieherin, sondern auch einige Kinder bemerkten.
Jonas wurde in der Gruppe gut aufgenommen und schnell war für einige Kinder klar, Jonas kann man gut gebrauchen, denn er ist sehr hilfsbereit.
Sein ausgeprägtes Sozialverhalten fiel auch mir von Anfang an sehr stark auf. Er ist immer für Gerechtigkeit und kann es nicht gut aushalten, wenn sich jemand nicht daran hält. Auf der anderen Seite ist Jonas auch sehr sensibel und fängt schnell an zu weinen, wenn ihm jemand Unrecht getan hat oder er sich ungerecht behandelt fühlt.
Auffallend war ebenfalls von Beginn an sein starker Drang nach Unabhängigkeit und Selbstständigkeit. Er mochte es nie, wenn man ihm helfen wollte. Alles wollte er am liebsten alleine machen. Vieles schaffte er auch tatsächlich schon.
Trotzdem ging ich davon aus, dass dieses Kind durchschnittlich begabt sei. Nachdem ich Jonas nun über längere Zeit noch intensiver beobachtet habe, bin ich mir da nicht mehr so sicher. Erstaunlicherweise treffen viele Hinweise auf mögliche Hochbegabung auf ihn zu. Dies hätte ich auf den ersten Blick gar nicht so vermutet.
Heute bin ich der Meinung, dass Jonas in bestimmten Bereichen zumindest besonders begabt ist.
Siehe: Normalverteilung der Intelligenz.
Er ist auf jeden Fall ein Kind, das Herausforderungen benötigt und in seiner Entwicklung schon sehr weit fortgeschritten ist.
Im Bereich des Sozialverhaltens, der Selbststeuerung, der Sprache und des mathematisch-logischen Denkens hat er zumindest vielen Kindern etwas voraus.
Was bei ihm jedoch nicht so sehr zum Zuge kommt, sind eventuelle Merkmale von Unterforderung. Er ist weder depressiv noch aggressiv oder häufig krank.
Im Gegenteil, er besucht immer sehr regelmäßig den Kindergarten und ist meistens gut gelaunt. Das Einzige, was mir in letzter Zeit verstärkt aufgefallen ist, sind Störungen im Stuhl- oder Morgenkreis.
Dies hat er vorher nie gezeigt.
Kommentar Hanna Vock:
Wenn ein hoch oder besonders begabtes Kind eine fördernde Familie und eine gute Kita hat, treten Verhaltensauffälligkeiten oder Störungen der Grundstimmung erfahrungsgemäß bei den meisten hoch begabten Kindern erst im 5. Lebensjahr auf. Im jüngeren Alter gibt es für sie meistens noch ausreichend viele und gute Entwicklungsanreize. Aber im 5. Lebensjahr „kippt“ die Stimmung häufig, weil eine dauerhafte Unterforderung beginnt.
Jonas zum Beispiel beginnt zu stören und zu kaspern. Das kann man auch so verstehen, dass er das Geschehen oft nicht wirklich Ernst nehmen kann.
Siehe: Dauerfrustration.
Datum der Veröffentlichung: Januar 2012
Copyright © Hanna Vock 2012, siehe Impressum.