von Gudrun Pütz
Die fünfjährige Pia (5;3) möchte ich auf dem Weg zum Lesen weiter begleiten, kann hier leider nur den Einstieg in einen längeren Prozess darstellen.
Pia hat selber schon kleine Sätze geschrieben.
Zunächst habe ich das Gespräch mit Pias Eltern gesucht. Nach dem ausführlichen Gespräch waren sie damit einverstanden, dass ich mit Pia mit Hilfe des Buchs „Lesestart“ (Cornelsen Verlag) lesen übe.
Ich zeige Pia das Lesebuch und frage sie, ob sie mit mir das Lesen lernen möchte. Daraufhin meint sie nach kurzem Überlegen: „Nööö“.
Innerlich etwas verwundert, biete ich ihr an, sie könnte mir ja Bescheid sagen, wenn sich ihre Meinung ändern würde.
Es dauerte 14 Tage, in denen sie das Thema nicht mehr ansprach. Pias erste Reaktion auf das Angebot hat mich sehr erstaunt, da sie ja selbst mehrmals, mir und ihrer Mutter gegenüber, ganz klar gesagt hat: „Ich will lesen lernen.“ Auch ich habe das Thema Lesen nicht mehr erwähnt.
Pia war zu der Zeit schwer damit beschäftigt, einen neuen Kontakt zu einem Mädchen aus einer anderen Gruppe aufzubauen.
Dann, es war in der Vorweihnachtszeit, kam Pia eines Tages in die Gruppe und meinte: „Frau Pütz, ich will lesen lernen.“
Auch zu Hause hatte sie bis dahin nicht mehr mit ihren Eltern über das Thema gesprochen und die Eltern hatten es auch dabei belassen. Allerdings haben sie Pia zwischenzeitlich in der Schule angemeldet, da Pia hartnäckig darauf drängte.
Bei der schulärztlichen Untersuchung löste sie alle Aufgaben sehr sicher und schnell. Die Schulärztin meinte jedoch zu den Eltern: „Wollen Sie das der Kleinen wirklich antun? Sie hat zwar alles super gemacht, aber sie ist noch so klein und zart.“
Anmerkung der Kursleitung:
Ein einfach nur dummes Argument, das wir aber immer wieder hören und lesen! Schade für die klugen Kinder, wenn sie nicht zufällig auch groß und breit sind.
Daraufhin haben die Eltern die Anmeldung zur Schule zurückgezogen.
Pia war zunächst ziemlich sauer darüber, hat das Thema Schule aber nicht mehr erwähnt.
Ich habe dann mit Pia ausgemacht, dass wir zusammen 10 Minuten lesen, immer wenn die Kinder nach dem Freispiel raus gehen.
Sie war begeistert bei der Sache.
Anmerkung der Kursleitung:
Nach der Enttäuschung und Kränkung in der Schulfrage kommt nun zum Glück eine Phase der Bestätigung beim Lesenlernen.
Es gelang ihr sehr gut, die Buchstaben zu Wörtern zusammenzusetzen. Ich hatte selbst auch viel Spaß daran, als ich sah, wie leicht ihr das fiel und wie engagiert sie dabei war.
Anmerkung der Kursleitung:
Hier war sie (endlich mal?) auf der „Rennstrecke“, die offenbar ihrem Lerntempo entsprach. Es wird auch deutlich, dass ihr nicht mehr viel zum Lesenkönnen fehlt.
Der weitere Verlauf gestaltete sich etwas schwierig, da Pia immer öfter auch während des Freispiels kam und lesen wollte. Dies war leider selten umzusetzen, da in der Vorweihnachtszeit in der Gruppe zu viele andere Dinge Vorrang hatten.
Auch war es öfter mal so, dass Pia, wenn die anderen Kinder nach dem Freispiel raus gingen, schon Pläne mit ihrer Freundin aus der anderen Gruppe gemacht hatte und dann auch nicht lesen wollte. Dadurch gestaltete sich das Lesenlernen schwieriger, als ich mir das vorgestellt hatte.
Anmerkung der Kursleitung:
An diesem Punkt der Entwicklung hat sie ihr eigenes Leselern-Bedürfnis selber für wichtig gehalten, wurde aber aus Zeitgründen frustriert und nimmt sich – als braves Mädchen – zurück. Zeigte sie dieselbe Haltung auch bei der Nicht-Einschulung?
Und die neu gewonnene Freundin lässt ein braves Mädchen auch nicht stehen, zumal wenn sie vor der Verabredung nicht wusste, ob das Lesen überhaut stattfinden kann. Es kommt leider immer wieder vor, dass Interessen vor allem bei Mädchen versanden, wenn man nicht dran bleibt.
Sie kommt aber zwischendurch schon mal zu mir und zeigt ganz stolz Wörter aus Bilderbüchern, die sie schon lesen kann.
Anmerkung der Kursleitung:
Du bist ihre erwählte Leselern-Lehrerin.
Zusätzlich zum Lesen-Üben habe ich ihr auch die CD „Die Schlaumäuse“ angeboten. Pia reagierte sehr positiv und kannte einzelne Lektionen auch schon, wollte aber von sich aus nicht an den Computer.
Leider fehlte es mir auch immer wieder an Zeit, mich intensiver mit Pia und dem Lesen zu beschäftigen. Sie fordert es auch nicht ein, so dass es 14 Tage vor Weihnachten ganz wegfiel.
Anmerkung der Kursleitung:
Sicher hat sie als kluges Kind auch wahrgenommen, wie viel Du zu tun hattest. Ein sensibles Kind drängelt dann nicht.
Im neuen Jahr kam Pia nach der ersten Kindergarten-Woche zu mir und wollte lesen. Wir haben dann wieder angefangen und ich war angenehm überrascht, dass wir da weiter machen konnten, wo wir vor Wochen aufgehört hatten. Sie konnte noch alles.
Anmerkung der Kursleitung:
Hier zeigt sie ihr Potenzial.
Ich habe ihr dann angeboten, das Lesebuch mit nachhause zu nehmen, weil ich den Eindruck hatte, ihr sind die 10 bis 15 Minuten in der Kindergartenzeit zu wenig. Das wollte Pia nicht, sie sagte: „Nein, ich lese nur mit dir.“
Sie erzählt auch zuhause nicht, was sie gelesen hat, und liest auch den Eltern nicht vor.
Anmerkung der Kursleitung:
Darf hier vermutet werden, dass die Eltern dem Lesenlernen vielleicht nicht so positiv und sicher gegenüber stehen wie Du? Dann wäre Pias Verhalten erklärlich.
Ende Januar beginnen wir wieder mit den angehenden Schulkindern, das Aachener Programm zur vorschulischen Sprachförderung und LRS-Prävention durchzuführen. Es fußt auf dem Würzburger Trainingsprogramm, das für Aachen von Susanne Gasse überarbeitet und erweitert wurde. Es umfasst u.a. Spiele zu Reimen, Anlauten, Silben, Lautverknüpfungen und Buchstaben. 21 Wochen lang findet es täglich über etwa 20 Minuten statt.
Ich will Pia dazu nehmen und bin schon gespannt auf ihre Reaktion. Als sie vor ein paar Tagen ein Gespräch zwischen meiner Kollegin und mir mitbekam, in dem ich erwähnte, dass in vier Wochen die LRS beginnen würde, meldete sie sich sofort zu Wort und sagte: „Na endlich, diesmal mache ich aber mit!“
Anmerkung der Kursleitung:
Bitte schnell reagieren, wenn es für Pia zu einfach (=langweilig) wird. Anfangs ist es vielleicht interessant, weil sie bei den Großen mitmacht und das System verstehen möchte.
Aber dann könnte sie vom Lerntempo und eventuellen Wiederholungen bald unterfordert (=frustriert) sein.
Unser „privates“ Lesen-Lern-Programm werde ich nach Möglichkeit auch fortführen.
Siehe auch: Pia macht eigene Bücher.
Siehe auch: Früh Lesen lernen.
Datum der Veröffentlichung: Januar 2022
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.