von Renate Ashraf
Formulierung der Aufgabe
Isabelle (5;2) wird sich mit dem Medium Zeitung, und zwar mit einer lokalen Tageszeitung, beschäftigen und sie als reichhaltige Informationsquelle erfahren.
Ich orientiere mich hierbei an dem Beitrag Journalismus in der Kita, den ich sehr inspirierend finde. Zum einen möchte ich dieses spannende Projekt einfach mal ausprobieren, zum anderen bin ich überzeugt, dass es perfekt für Isabelle ist. Sie ist vielseitig interessiert und die Zeitung wird viele Themen bieten.
Gut. Bin gespannt, wie es mit Isabelle läuft…
In meiner Kita ist es nicht ganz so einfach, die Leitung von einem solchen Projekt zu überzeugen. Ich habe meiner Leiterin den Handbuch-Beitrag gezeigt, sie findet es ganz gut, aber ungeeignet für das offene Konzept. (?) Es sei auch nicht so ganz ihr Ding, weil einige Kinder die einfachsten Dinge noch nicht könnten, aber sich mit Zeitungsthemen auseinandersetzen sollten. Die Kluft dazwischen sei ihr einfach zu groß. In gewisser Weise hat sie recht. Ich war auch geschockt, dass einigen Kindern mit sechs Jahren immer noch nicht zugetraut wird, ohne Windeln und Schnuller zu schlafen, bin aber der Meinung, dass dies ein Problem der Eltern ist. Daraus möchte ich nicht die Konsequenz für meine Arbeit ziehen, das Niveau zu senken. Für die besonders begabten Kinder ist das Projekt bestimmt geeignet.
Nun ja, ich habe ihr meine Ansicht erläutert und werde dieses Angebot an meinen freien Tagen durchführen. Es wird sich dann nur ein Bruchteil von dem entwickeln können, was eigentlich damit bezweckt werden soll. Trotzdem bin ich sehr gespannt, wie es laufen wird.
Ich habe ein dickes weißes Heft besorgt, in das die Kinder die Bilder, die ihnen aus irgendeinem Grund besonders wichtig erscheinen, einkleben können. Die wichtigen Kommentare werde ich daneben notieren. Ich denke, dass wir es wahrscheinlich nur schaffen können, die Bilder des Tages zu besprechen. Wir werden unser Zeitungstagebuch nicht im Kreis präsentieren können…
Anmerkung der Kursleitung:
…was natürlich schade ist, da den Kindern diese Form der Rückmeldung und Wertschätzung entgeht.
Zunächst werde ich mit zusammen den Kindern die Zeitung anschauen und abwarten, was passiert.
Ich möchte wieder in einer Kleingruppe arbeiten, mit diesen Kindern:
Isabelle 5,2:
Sie war in den letzten Wochen etwas einsam, weil ihr einziger Freund Jannes weggezogen ist. Seit einigen Tagen hat sie aber eine zaghafte Beziehung zu Matti geknüpft (der auch beim Geschichten-Projekt dabei war). Sie spielen viele Gesellschaftsspiele zusammen, vor allem die verschiedensten Memories oder Elferraus. Dabei sind sie in etwa gleichstarke Partner, die anderen Kinder haben keine Chance gegen sie.
Bisher kommunizieren sie nur, wenn sie ein Spiel als Grundlage haben. Um diese Freundschaft zu vertiefen, habe ich Matti auch ausgewählt.
Matti (5;2)
ist genauso alt wie Isabelle. Er ist mathematisch auffallend begabt. Wenn er etwas zählt, tut er dies manchmal schon in Zweierreihe (2, 4, 8, 10…) oder sogar Viererreihe (4, 8, 12, 16… Er liebt es, Bilderbücher mit einem Erwachsenen zu betrachten und Gesellschaftsspiele mit Erwachsenen zu spielen.
Letzten Sommer ist seine Schwester in die Schule gekommen, in deren Schlepptau er in der Kita immer hing. Seitdem ist es ihm und uns noch nicht gelungen eine Freundschaft mit anderen Kindern zu begründen. Außer jetzt mit Isabelle…Ich kann noch nicht sagen, wie er mit dem Zeitungsangebot umgehen wird.
Frederik 5,6: Ihn hatte ich schon bei den Experimenten, bei dem Geschichten-Projekt und einem Planeten-Projekt dabei. Er hat sich immer sehr interessiert gezeigt und auch konstruktiv beteiligt. Im Vergleich mit Isabelle ist er längst nicht so ausdauernd und hartnäckig im „Wissen wollen“. Seine Interessen liegen im naturwissenschaftlichen Bereich. Da könnte er vielleicht auch in der Zeitung etwas entdecken…
Ich habe die Kinder über mein Vorhaben informiert. Isabelle war erst einmal etwas skeptisch. Sie fragte, warum ich das machen möchte. Ich erklärte ihr, dass ich selber gerne Zeitung lese und dadurch viele interessante Dinge erfahre. Jetzt würde ich das mal mit ihnen ausprobieren wollen. Isabelle hakte nochmal nach: “Was für interessante Dinge?“ Ich habe ihr dann ziemlich platt geantwortet: „Interessante Dinge, die in der Welt passieren.“ Sie erzählte dann, dass ihre Mutter und sie eigentlich lieber Bücher lesen. Aber sie könnte ja mal mitmachen…
Matti war ganz angetan von der Idee. Frederik liest häufiger mit seinem Vater Zeitung.
Von den Eltern habe ich mir das Einverständnis zu dieser Arbeit geholt. Aus Erfahrung weiß ich, dass es zu diesem Thema unterschiedliche Meinungen gibt. So kannte ich eine Mutter, die immer früh aufstand und die Zeitung las. Bevor ihre Kinder aufwachten, entsorgte sie die Zeitung im Müll, damit diese die „schlimmen“ Bilder nicht zu sehen bekamen.
Dazu möchte ich sagen, dass die lokalen Tageszeitungen eher harmlosere Bilder zeigen. Von Kindesmisshandlung o.ä. gibt es keine Bilder. Was man häufiger sieht, sind Krieg und Menschen in Not (Hunger, Erdbeben…). Nun wollen wir die Kinder ja zu aufgeschlossenen Weltbürgern erziehen und dazu gehört auch das Wissen um die Missstände in der Welt.
Von den Eltern hat keiner Bedenken. Im Gegenteil, sie waren sehr angetan von dieser Arbeit.
Anmerkung der Kursleitung:
Schön. Kriegen die Eltern mit, dass Du dieses Projekt in Deiner Freizeit und gegen die Skepsis Deiner Leitung machst? Eine kleine Diskussion darüber wäre doch vielleicht nicht schlecht.
Erstes Treffen
Frederik ist leider krank. Spontan entschließe ich mich Ada (5;7) mit in unsere Gruppe zu nehmen. Sie ist absolut schulreif und langweilt sich schon sehr im Kindergarten. Aus diesem Grund tut sie mir etwas leid. Eigentlich ist sie sehr phantasievoll und interessiert.
Wir setzen uns im Teamraum auf den Boden, um die „Rhein-Zeitung“ herum. Ada meint: “Das ist ja „Die Zeit“.“ Ich frage, ob jemand diese Zeitung zu Hause liest. Matti sagt: “Ja, die habe ich heute Morgen schon beim Frühstück gesehen.“ Ich frage, ob er darin auch manchmal herumblättert oder sich etwas Bestimmtes anschaut. Er sieht sich mit seiner Schwester immer den Comic an, wir könnten den doch auch gleich mal suchen. Ich finde die Idee gut. So fängt Matti an zu blättern.
Isabelle knibbelt an ihren Fingernägeln und widmet ihnen die ganze Aufmerksamkeit. Ich weise sie daraufhin, sich doch mal die Bilder anzuschauen. Es könnte doch sein, dass sie etwas Interessantes entdeckt. Sie meint, dass sie da nichts interessant findet.
In dem Moment entdeckt Matti das Horoskop. Voller Begeisterung zeigt er auf das Zeichen des Wassermanns: “Das bin ich!“ Isabelle bricht aus ihrem Desinteresse: “Ich bin auch Wassermann!“ Sie bittet mich, den entsprechenden Text vorzulesen.
„Kaum zu bremsen, fegen sie durch die Welt und vergessen dabei, dass nicht jeder bei einer solchen Geschwindigkeit mithalten kann. Halten sie auch mal inne!“
Matti kicherte und Isabelle sagt ernst: “Schade, dass man das nicht darf.“ Ich frage, was man nicht dürfe. Sie antwortet: “Na, durch die Welt fegen.“ Ich frage sie: “Wieso darfst du nicht durch die Welt fegen?“ Sie antwortet: “Das steht doch da, man soll anhalten wegen der Anderen.“ Ich habe diesen Spruch so passend gefunden (für einen Teil der Problematik der Hochbegabten). Auch Isabelle hat ihn anscheinend verstanden.
Anmerkung der Kursleitung:
Na, dann, sind wir uns ja alle Drei einig. Erstaunlich reif, dass sie diese Assoziation dazu hat.
Isabelle und Matti entscheiden: Das Horoskop muss in unser Heft. Dazu soll ich schreiben:
„Wir sind beide Wassermänner. Manchmal stimmt nicht, was im Horoskop steht (sagt Mattis Oma).“
Ada hat in der Zeit zwei Bilder gefunden, die sie gerne in unser Heft kleben will. Auf dem einen sieht man eine Pyramide aus kostümierten Menschen und auf dem anderen eine Tanzvorstellung. Sie erzählt von ihrer großen Schwester, die einen Akrobatik-Kurs gemacht hat. Ada steht auch auf der Warteliste für diesen Kurs. Die beiden anderen Kinder sind einverstanden. Ich soll dazu schreiben, dass Ada Akrobatik liebt und später im Zirkus auftreten möchte.
Isabelle findet noch ein Bild, auf dem ein Weinberg mit bunter Lichtinstallation angestrahlt wurde. Hier ist ihr ästhetisches Empfinden angesprochen. Sie ist immer sehr fasziniert, wenn etwas schön oder gigantisch aussieht (Sie war ja auch so begeistert von der Schönheit des Weltalls). Ich soll ihr erzählen, wo dieser Weinberg liegt und ob er immer angestrahlt wird. Als ich ihr erzähle, dass die Installation nur für ein Wochenende war, sagt sie: “Dann muss ich dieses Bild zur Erinnerung aufkleben. Du kannst dazu schreiben: Das ist wunderschön. Schade, dass ich das nicht in echt sehen konnte.“
Anmerkung der Kursleitung:
Nun zeigt sich Isabelle also doch schon angetan und interessiert und macht die Erfahrung, dass Zeitung interessant sein kann.
Matti hat noch ein Bild von einem Schlagzeuger ausgeschnitten. Er wünscht sich ein echtes Schlagzeug, kein Kinderschlagzeug! „Es ist so herrlich, weil es so richtig schön kracht. Ich mag das so gerne.“ Er klebt das Bild ein und ich soll dazu schreiben: „Matti mag Schlagzeugmusik, weil dann das Herz so doll klopft.“
Anmerkung der Kursleitung:
Und was Du dabei alles über die Kinder erfährst – und sie von einander!
Ada entdeckt noch mehr Fotos von Tanzveranstaltungen, u.a. von „Cats“. Sie erzählt dann, dass sie das schon in echt gesehen habe. Sie sprudelt los und will uns gerne die gesamte Handlung erzählen.
Ich merkte, dass Isabelle abschaltet. Sie knibbelt dann immer an ihren Fingernägeln (das macht sie auch immer während dem Stuhlkreis). Ich fordere sie auf, noch weiter die Zeitung durchzublättern. Sie sagt: “Das ist langweilig!“ Daraufhin zeigt Matti ihr einen Comic.
Anmerkung der Kursleitung:
Da hat Matti gut reagiert.
In dem Comic hält eine große Schwester die kleine Schwester an der Hand, um ihr beim Laufenlernen zu helfen. In der Sprechblase steht: “Schaut nur her, wie sie läuft, unsere kleine Anna. Wow! Ganz prima kannst du laufen!“ Später übergibt sie dem Vater die kleine Schwester und sagt zu ihm: “Okay, Papa, jetzt bist du dran ihr was vorzulügen.“
Matti fragt, was denn daran witzig sei. Isabelle: “Man soll darüber lachen, dass die große Schwester schon so lügt wie die Erwachsenen das machen.“ Alle drei sind sich einig, dass das ein sehr schlechter Witz ist. Trotzdem wollen sie ihn einkleben. Isabelle diktiert wie eine Erwachsene: “Es ist wichtig, dass man Kinder lobt. Aber nur, wenn es stimmt!“ Mich beeindruckt immer wieder, wie scharfsinnig sie ist.
Wir räumen noch gemeinsam auf und ich versuche ein Feedback von Isabelle zu bekommen. Sie albert aber nur herum und ich biete ihr an, dass sie mir später sagen könne, wie es ihr gefallen habe.
Sie kommt tatsächlich und sagt: “Das war nicht so interessant für mich, was da in der Zeitung steht. Außerdem redet die Ada die ganze Zeit, da kann ich mich nicht konzentrieren.“ Da muss ich ihr insgeheim recht geben, die Rhein-Zeitung ist extrem langweilig. Dass sie sich von Ada gestört fühlte, habe ich gemerkt. Ada kann zu allem etwas sagen und das dauert meist sehr lang. Isabelle fehlt dann einfach die Geduld.
Anmerkung der Kursleitung:
Verständlich, da sie selbst so präzise ist.
Ich biete ihr an, dass wir uns das nächste Mal einmal alleine treffen könnten. Dieses Angebot nimmt sie gerne an.
Zweites Treffen
Isabelle ist äußerst zufrieden, dass wir uns alleine treffen. Sie fängt direkt an die Zeitung durchzublättern. Ihre erste Wahl fällt auf ein Bild von einer Schar Zugvögel, die in einer Dreiecks-Formation fliegen. Sie bewundert die Symmetrie, in der die Vögel fliegen. „Ich würde gern wissen, wie das funktioniert, dass der Abstand immer gleich ist. Die fliegen dann ja alle gleich schnell. Steht was darüber in der Zeitung?“
Ich lese ihr dann vor, dass die Zugvögel wieder zurück fliegen, weil es bei uns noch zu kalt ist für die Jahreszeit. Sie wirkt erst etwas enttäuscht von dem Artikel, will aber dann wissen, warum es am Bodensee wärmer ist als bei uns. Ich erkläre ihr, dass die Gegend weiter im Süden liegt. Isabelle fragt: “Wie warm ist es da?“ Ich schlage ihr vor, die Wetterkarte in der Zeitung anzuschauen. Das freut sie, dass hier so schnell eine Antwort auf ihre Frage parat ist. Ich zeigte ihr die ungefähre Gegend, wir lesen die Gradzahl ab und vergleichen sie mit der Temperatur bei uns in Koblenz. Leider ist es in Koblenz zufälligerweise drei Grad wärmer. Ich kann ihr das auch nicht erklären und verspreche aber mich zu informieren.
Isabelle fragt mich daraufhin, woher die bei der Zeitung wissen, wie das Wetter in den nächsten Tagen wird. Ich erkläre ihr dann, dass es Meteorologen gibt, die das beobachten und messen.
Sie wählt noch ein Bild vom Theaterstück “Der Froschkönig“ aus. Sie möchte gerne einmal ins Theater gehen.
Ein Großteil von Isabelles Interessen liegen (wie wir wissen) ganz klar im naturwissenschaftlichen Bereich. In der Rheinzeitung werden diese Dinge nur kurz berührt. Isabelle möchte gerne tiefer gehen. Deswegen ist wohl dieses Angebot nicht wirklich befriedigend für sie. Vielleicht liegt es wirklich an dieser Zeitung oder wir haben zwei extrem langweilige Ausgaben erwischt. Ada und auch Matti haben mich gefragt, wann ich endlich wieder mit ihnen Zeitung lese. Ihnen scheint das Angebot also Freude zu bereiten. Sollte Isabelle von der Zeitung unterfordert sein?
Anmerkung der Kursleitung:
Nein, aber vermutlich hat sie so einen großen Wissenshunger, dass sie schnell viel Wissen haben möchte. Dies ist ein sehr legitimes Interesse, und deshalb ist ein gründliches „Nach-Recherchieren“ in anderen Informationsquellen wichtig.
Ich will trotzdem noch einen Versuch starten.
Drittes Treffen
Diesmal setzen wir uns wieder mit Matti zusammen. Ada ist nicht da, was Isabelle erleichtert bemerkt.
Matti entdeckt sofort vorne auf der Zeitung ein Bild von einem Autorennfahrer, den er erkennt. Isabelle kennt ihn nicht. Sie bemerkt auch: “Ich dachte vorn auf der Seite stehen immer die allerwichtigsten Sachen. Autorennen ist doch nicht wichtig.“ Ich bin da ganz ihrer Meinung, erkläre aber, dass Autorennen für viele Menschen sehr wichtig sei. Matti klebt das Bild ein.
Isabelle blättert weiter und wählt ein Bild von einer Zeltstadt in Haiti. Sie will wissen, warum die Menschen dort in Zelten wohnen. Ich erklärte ihr, dass dort ein starkes Erdbeben viele Häuser zerstört hat. Daraufhin fragt sie: “Ach, ist das in Haiti?“ Ihre Mutter hatte ihr vor längerer Zeit davon erzählt und sie hatte sich das gemerkt. Isabelle und Matti finden es beide „sehr schade“, dass die Menschen in diesen Zelten wohnen müssen. Matti meint, dass die Zelte bestimmt nicht vor Regen schützen. Da muss ich ihm recht geben. Isabelle klebt das Bild ein und ich soll daneben schreiben: “Arme Menschen von Haiti!“
Matti entdeckt noch die Kontonummer unter dem Artikel und fragt, wofür die Zahlen seien. Ich erkläre, dass man auf dieses Konto Geld spenden könne, um den Menschen zu helfen, die Häuser wieder aufzubauen. Isabelle sagt: “Die Nummer müssen wir auch aufkleben, damit jeder, der unser Buch anschaut, Geld spendet.“ Also kleben sie die Kontonummer auf und ich soll schreiben: „Bitte spendet viel Geld!“
Dann schauen sich die Beiden die Wetterkarte an. Matti meint: “Die haben sich vertan, denn es regnet nicht!“ Isabelle erwidert: “Nein. Das ist doch das Wetter für den ganzen Tag. Wolken haben wir jetzt. Der Regen kann ja später noch kommen.“ Sie hat den Weitblick. Es regnet am Mittag tatsächlich noch.
Ansonsten finden beide Kinder, dass es keine wichtigen Nachrichten mehr gebe. Sie fangen an sich die Seiten der Zeitung über den Kopf zuziehen. Isabelle kommt auf die Idee, mit der Zeitung eine Zeltstadt wie auf Haiti zu bauen. Ich finde die Verbindung gut und lasse sie mit der Zeitung allein. Als ich nach zwanzig Minuten nach ihnen schaue, haben sie mehrere Stühle zusammen gestellt und die Zeitungsseiten als Dach oben darüber gelegt. Mittlerweile sind sie zu Drachen auf Haiti geworden. Sie spielen noch bis zum Stuhlkreis weiter. (Tja, so ist das mit dem Journalismus in der Kita!)
Heute kann ich sagen, dass Isabelle mit Freude aktiv dabei war. Es gab Interessantes für sie und sie war ungestört mit Matti.
Beide wollen sich wieder zum Zeitungslesen treffen!
Viertes Treffen
Diesmal treffe ich mich wieder mit allen Dreien. Ada hatte mich des Öfteren gefragt, wann wir wieder Zeitung lesen. Ich muss ihr das nochmal ermöglichen. Außerdem möchte ich Isabelle nochmal mit ihr in Zusammenarbeit erleben.
Isabelle beginnt die Zeitung von hinten an durchzublättern. Sie entdeckt ein Bild von einem Mann, der am Rhein sitzt. Die Sonne scheint. Vorne im Bild blühen ganz groß lila Krokusse. Isabelle erzählt: “Das sind Krokusse. Die wachsen immer nur sofort nach dem Winter. Die kommen nach den Schneeglöckchen aus der Erde. Es gibt auch noch gelborange. Innen drinnen sieht man wunderbar den Stempel.“ Wir staunen über ihr Fachwissen. Ich frage sie, woher sie das alles weiß. Sie erklärt uns, dass doch so viele Krokusse vorne im Kindergartenbeet stehen und ihre Mutter habe ihr letztes Jahr schon davon erzählt. Jetzt habe sie schon so lange auf die Krokusse gewartet. Das sei der Grund, warum sie dieses Bild in unser Buch kleben wolle. „Der Frühling ist da!“ Matti und Ada sind einverstanden.
Ada stößt dann auf ein Bild von zwei Eisbären. Sie erzählte, dass sie mit Oma und Opa mal in Berlin war und Knut gesehen hat. „Ist das Knut?“ fragt sie mich. Isabelle sagt sofort: “Nein, siehst du nicht, dass die auf echtem Eis gehen. Die sind nicht im Zoo.“ Sehr gut beobachtet, finde ich. Sie bittet mich den Text vorzulesen. Es geht um die Klimaveränderung und die daraus resultierende Verwirrung der Eisbären wegen der Veränderung ihres Lebensraums. Die Kinder beraten, was man dagegen tun könnte.
Sie bringen alle gute Vorschläge. Matti meint, man solle nicht so viel Auto fahren, um die Luft nicht zu verschmutzen. Isabelle spricht von Windrädern und Solarenergie, um Strom zu erzeugen! Ada erinnert daran, dass man beim Malen nicht nur einen Strich auf das Blatt malen soll und es dann weg schmeißt. Diese Kindergruppe weiß schon viel über Umweltschutz!
Anmerkung der Kursleitung:
Und das spüren die Kinder sicherlich auch gegenseitig, und das ist eine wertvolle Erfahrung.
Isabelle bringt hier das fachlich qualifizierteste Beispiel. Ihr Wissen ist wirklich schon enorm.
Anmerkung der Kursleitung:
Isabelle merkt wohl auch, dass sie am meisten weiß, vermutlich wusste sie das auch schon vorher – aber hier findet sie doch ein gutes Forum, ihr Wissen auch anzubringen. Und auch das bringt ihr vielleicht eine gewisse Zufriedenheit.
Zurück zum Bild der Eisbären! Jetzt ist klar, dass es eingeklebt wird. Isabelle formuliert den Titel: “Wir müssen die Welt schützen, sonst haben die Eisbären bald keine Heimat mehr.“ Sprachlich kann sie sich einfach perfekt ausdrücken.
Matti findet ein Bild vom Fußball. Er spielt selber bei Rot-Weiss-Koblenz. Isabelle findet Fußball langweilig. Sie will nicht, dass dieses Bild eingeklebt wird. Ada meint, dass sie dieses Bild auch gut findet. Sie darf mit ihrem Vater manchmal Fußball im Fernsehen schauen. Isabelle wird trotzig. Sie erklärt, dass wir doch nur wichtige Dinge einkleben wollten. Wieder argumentiert sie mit der „Wichtigkeit“. Für sie ist Fußball eine Nebensächlichkeit. Ich versuche ihr zu erklären, dass für sehr viele Menschen Fußball enorm wichtig ist (Hobby, Fans, Millionengagen für Fußballer etc.). Außerdem sage ich ihr, dass jeder Mensch andere Dinge wichtig oder unwichtig findet. Isabelle meint: “Trotzdem! Ich möchte dieses Bild nicht drinnen haben.“ Matti meint dann: “Wenn ich das Bild mit nach Hause nehmen darf, brauchen wir es nicht einzukleben.“ Das finde ich sehr großzügig von ihm.
Die Kinder blättern noch weiter, aber irgendwie ist die Luft heraus.
Isabelle hatte dieses Mal keine Probleme mit Ada. Ada war heute auch nicht so dominant.
Ich bin der Meinung, dass dieses Angebot für Isabelle als Motivation dienen kann, was bestimmte Themen betrifft. Dann aber würde sie gerne weiter ins Detail gehen. In der Zeitung werden Bereiche angeschnitten, Isabelle möchte weiter in die Tiefe gehen. Deswegen finde ich, dass dieses Angebot nicht völlig geeignet für sie ist. Nur in der Hinsicht, dass man hier ein Thema entdeckt. Informieren muss man sich woanders und kann es dann mit ihr vertiefen.
Später wandte sich Isabelle nochmal an mich. Sie hatte sich noch Gedanken gemacht zu unserem Gespräch über die Wichtigkeit von bestimmten Themen. Ich hätte doch gesagt, dass jeder Mensch andere Dinge wichtig findet. Das stimme nicht. Sie fände, dass ihre Mutter oft die gleichen Dinge wichtig findet wie sie. Außerdem seien Dinge wie Leben und Tod für alle wichtig. Fußball habe nichts mit Leben und Tod zu tun. Da musste ich ihr wohl recht geben. Unser philosophisches Gespräch hat mir ihren moralischen Anspruch an ihre „wichtigen“ Themen nochmal klar gemacht. Trotzdem habe ich ihr erklärt, dass wir ruhig auch unwichtigere Dinge in unser Zeitungsbuch kleben können. So richtig einverstanden war sie damit nicht.
Um darüber klarer zu werden, werden wir uns noch ein weiteres und letztes Mal treffen.
Fünftes Treffen
Heute entdecken Isabelle und Matti das Bild einer Kobra. Isabelle kennt den Namen der Schlangenart. Sie gerät in Aufregung: “Ich finde Schlangen so spannend. Die sind so gefährlich.“ Die Beiden wollen wissen, was in dem Artikel steht. Es geht darin um eine Schlange, die aus einem Privathaushalt entflohen war. Man suchte im ganzen Haus, auch unter den Fußbodenbelägen, aber nirgendwo eine Spur von der Kobra.
Isabelle findet die Geschichte spannend, aber sie bemängelt auch, dass weiter nichts über Kobras darin steht. Sie will zum Beispiel wissen, ob der Biss der Kobra für den Menschen tödlich ist.
(Weil ich mein Angebot für Isabelle insgesamt etwas unbefriedigend fand, will ich jetzt noch beschreiben, wie ich es in Zukunft etwas anders machen würde und hier schon mal ausprobiere:)
Ich biete ihr an, dass wir im Internet schauen können, was da so über Kobras steht. Isabelle und Matti sind begeistert.
Wir lassen die Zeitung Zeitung sein und schauen uns als erstes viele Bilder an. Dabei stellt Isabelle fest, dass es viele verschiedene Arten von Kobras gibt.
Wir entschließen uns über die „echten“ Kobras (Najas) Informationen einzuholen. Dabei erfahren wir zum Beispiel die durchschnittliche Körperlänge (1,50 m); ihre Nahrung sind kleine Säugetiere, Vögel und andere Schlangen. Wir sehen uns auch an, wo in der Welt sie vorkommt. Isabelle war glückselig über den Ausdruck „Nackenschild“. „Jetzt weiß ich das Wort!“
Außerdem bekommt sie noch Informationen zu ihrer Frage, ob der Biss tödlich sei. Das Gift der Kobra wirkt direkt auf das zentrale Nervensystem, wo es die Atmung lähmt und Herzstillstand hervorrufen kann. Durch den Biss kann das Opfer also gelähmt und getötet werden. Diese Tatsache will sie noch ein paar Mal erklärt haben. Ich denke, dass das ein Nervenkitzel ist. Matti meint, dass er nie einer Kobra begegnen möchte. Isabelle fällt dann wieder die Kobra aus der Zeitung ein. Mit der nötigen Hintergrundinformation findet sie nun: “Die Schlange muss unbedingt gefunden werden! Gut, dass die das in der Zeitung schreiben. Jetzt weiß jeder, dass man aufpassen muss.“
Wir kleben dann heute nur das Bild der Kobra ein und schreiben daneben: „Achtung Kobra!“
Höchst zufrieden und um einiges Wissen bereichert verabschieden wir uns heute.
Abschließend muss ich zu meiner Aufgabenstellung sagen, dass Isabelle sich mit dem Medium Zeitung beschäftigt hat, aber es nicht wirklich als reichhaltige Informationsquelle erfahren hat.
Anmerkung der Kursleitung:
Zeitung hat ja auch noch die Funktion (außer der aktuellen Information und der Erläuterung von Hintergründen) Verläufe nachzuverfolgen. Nach dem Motto: Da ist das passiert – und wie ist es weiter gegangen und wie ist es ausgegangen? Das erschließt sich den Kindern natürlich erst nach längerer Zeitungslektüre.
Wie schon gesagt, dient die Zeitung (die Rhein-Zeitung) in ihrem Falle eher dazu, Fragen aufzuwerfen. Die Antworten muss man sich woanders suchen. Das hat bestimmt viel mit dem Niveau der Zeitung zu tun. Andere Zeitungen wären aber wahrscheinlich nicht harmlos genug, um sie im Kindergarten zu lesen.
Isabelle sehnt sich nach detailliertem Fachwissen. Dem wird diese Zeitung nicht gerecht.
Anmerkung der Kursleitung:
Das ist doch interessant, was? Eine Zeitung, die für eine Fünfjährige zu simpel ist. Trotzdem hat Isabelle ja eine wichtige Erfahrung gemacht: Es ist zwar gut und super, wenn man über Kobras genau Bescheid weiß – aber es ist auch wichtig, dass man weiß, dass eine in der Nähe ausgebrochen ist. Und diese Information liefert eben die Lokalzeitung.
Allerdings hätte eine andere Zeitung vielleicht mehr Hintergrundinformation gebracht, zum Beispiel über die Gefährlichkeit der Schlange; wenn das nicht drin stand, haben die Journalisten nicht sehr gut gearbeitet. Das darf man auch einer Fünfjährigen so sagen. Und man könnte sogar in der Redaktion nachfragen, warum diese wichtige Information gefehlt hat (Medienkritik).
Aufgrund der Tatsache, dass ich meine Praxisaufgabe in meiner Freizeit mache, kann ich jetzt nicht noch mehr machen. Ich denke, dass unser letztes Treffen ideal war. In der Art und Weise würde ich es weiterführen.
Siehe auch: Isabelle (4;5) und die Geschichten-Erzähl-Werkstatt
Datum der Veröffentlichung: Januar 2022
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum