von Kornelia Thul

 

In einem Gespräch mit Felix (5;1) möchte ich heraus finden, ob er schon rechnen kann und wenn ja, ob er mir erklären kann, was das ist. Er überlegt kurz und sagt, dass er schon rechnen kann, was er mir sofort beweist, indem er erklärt, dass 2+2=4 und 3+3=6 ist. Er erklärt mir, dass man zum Rechnen Zahlen braucht und dass es davon ganz viele gibt, bis unendlich.

Ich bitte ihn nun, die Aufgabe 2+2=4 aufzuschreiben. Die Zahlen kennt er, die Symbole der Rechenaufgabe sind ihm noch unbekannt.
Nun bitte ich ihn, die Zahlen von 1 bis 10 auf dem Blatt zu notieren, und auch ich schreibe diese Zahlen auf ein Blatt. Felix soll nun die Zahlen miteinander vergleichen. Schnell fällt ihm auf, dass manche seiner Zahlen anders aussehen, was stimmt, da er sie spiegelverkehrt notiert hat. Außerdem findet er, dass meine Zahlen viel ordentlicher aussehen.
Felix möchte mehr über die Zahlen erfahren, er möchte lernen, sie richtig und schön zu schreiben. Ich schlage vor, ihm die Zahlen ins Heft zu schreiben und durch Pfeile die Schreibrichtung anzugeben. Felix schreibt nun alle Zahlen von 1 bis 10 nach.

Danach betrachten wir unsere aufgeschriebenen Zahlen noch mal und ich frage ihn, ob er auch noch die nächsten Zahlen nach der 10 aufschreiben kann. Er kennt noch die 11 und die 12 und schreibt sie auf sein Blatt.
Ich bitte ihn nun noch mal, sich die Zahlen gut anzusehen und mir seine Beobachtungen mitzuteilen. Felix kann nichts Neues entdecken und ich weise ihn darauf hin, sich die 11 und die 12 mal genauer anzuschauen, aus welchen Zahlen sie zusammengesetzt sind. Jetzt kann Felix mir sofort sagen, dass diese Zahlen aus 1 und noch mal 1 oder aus 1 und 2 zusammengesetzt sind.

Nun schreibe ich noch die folgenden Zahlen bis 20 auf meinen Zettel, damit Felix auch diese nach ihrer Zusammensetzung bestimmen kann. Anschließend darf Felix mir irgendwelche Zahlen diktieren, die ich aufschreibe. Das macht ihm sehr viel Spaß und seine Zahlen werden immer länger und länger. Doch jede der Zahlen besteht aus den Zahlen, die wir zu Beginn auf unsere Zettel geschrieben haben.

Felix ist fasziniert, plötzlich sagt er, dass bei der 10 die 1 schon auf dem Zettel stand, die 0 aber noch gar nicht. Die Frage nach dem Wert der 0 beantwortet Felix mit „gar nichts“. Nun soll er die 0 einordnen in unsere aufgeschriebene Zahlenfolge, er setzt sie sofort an den Anfang vor die 1.

Nun erkläre ich ihm, dass aus diesen Zahlen von 0 bis 9 alle anderen Zahlen gemacht werden können, egal wie lang sie sind. Wir schauen uns noch mal die Zahlen an, die er diktiert hat, und Felix ist beeindruckt.

Als nächstes soll Felix im Gruppenraum auf die Suche nach Zahlen gehen. Es sammeln sich schnell viele Dinge an: Uhr, Spiele, Zahlenwürfel, Maßband, Thermometer, Lineal…
Nun möchte ich von ihm wissen, ob man Zahlen auch noch anders darstellen kann, und wenn ja wie. Wieder geht die Suche im Gruppenraum los, Felix findet einen Punktewürfel. Felix: „Die Punkte zeigen die Zahlen an.“ Mehr kann er in der Gruppe nicht finden.

Felix soll überlegen, ob es noch andere Darstellungsarten gibt, die aber deutlich zeigen, welche Zahl gemeint ist. Ein kleiner „Fingerzeig“ von mir hilft ihm weiter, er zeigt mir die Zahlen mit seinen Fingern an. Jetzt haben wir schon drei verschiedene Möglichkeiten zur Darstellung von Zahlen zusammengetragen, ich bitte ihn, überall nach weiteren Möglichkeiten zu suchen (im Außengelände des Kindergartens; auf dem Heimweg; zu Hause).

Am nächsten Morgen bringt mir Felix ein Blatt mit, auf dem Striche sind. Er erklärt mir, dass sein Freund Carlo ein Buch von der Steinzeit hat, in dem es Höhlenmalereien gibt. Darauf haben Steinzeitmenschen Tiere, zum Beispiel Gazellen oder Hirsche, gemalt und dahinter Striche gezeichnet. Carlo hat ihm erklärt, dass das zeigt, wie viele Tiere ein Steinzeitjäger getötet hat; der mit den meisten Strichen war der beste Jäger und hatte eine hohe Stellung in seinem Stamm.

So werden die Striche also
zur 4. Darstellungsart.

Doch Felix hat auf dem Weg in den Kindergarten noch etwas ganz Komisches gesehen: „An einem Haus, da wo die Hausnummern sind, da hatten die ein Zeichen.“

Ich bitte ihn, mir das Zeichen aufzumalen. Auf dem Blatt erscheint ein IX, Felix hat keine Idee, was das bedeuten könnte; von den Römern hat er aber schon gehört. Er weiß, dass es die Stadt Rom gibt, die in Italien ist, wo die Eltern seines Vaters leben. Die Römer kamen vor etwa 2000 Jahren von da und waren auch in Köln, wo es noch ein Römermuseum gibt.

Ich erkläre ihm, dass es bei seiner Beobachtung um eine römische Zahl, und zwar die 9, handelt. Die Alten Römer hatten gar keine extra Zeichen für Zahlen, sie benutzten einfach Buchstaben, um Zahlen zu bilden.

Ich habe Felix die anderen römischen Zahlen bis X (10) aufgeschrieben.

Insgesamt hat er also fünf Formen der Zahlendarstellung gefunden.

Felix will wissen, ob unsere Zahlen deutsche Zahlen heißen, weil wir in Deutschland damit rechnen. Ich erkläre ihm, dass man diese Zahlen arabische Zahlen nennt, sie aber eigentlich in Indien entstanden sind und dann vor etwa 1000 Jahren über Arabien in unsere Gegend kamen. Heute benutzen wir also hautsächlich die arabischen Zahlen, aber die römischen Zahlen sind auch noch gebräuchlich, wie du an der Hausnummer IX siehst.

Man kann Felix mit wenig Aufwand so für eine Sache begeistern, dass er immer weiter daran arbeitet und die Menschen in seinem sozialen Umfeld mit einbezieht, um zu neuen Erkenntnissen zu kommen.

Er gibt sich nicht gleich mit dem Erreichten zufrieden, sondern bleibt aufmerksam und offen für die gestellte Aufgabe.

Was sollte aber nun mit den gesammelten Beobachtungen geschehen?

Ich schlug Felix vor, etwas für die Gruppe zu gestalten, vielleicht eine Zahlenwand mit den unterschiedlichen Darstellungsmöglichkeiten von Zahlen. Felix war einverstanden, wollte aber alleine mit mir arbeiten, um es dann allen Kindern und Erwachsenen der Gruppe zu schenken.

Die Zahlenwand entsteht

Für die Zahlenwand brauchten wir Pappe im Format DinA6. Felix möchte arabische und römische Zahlen schreiben, die Würfelzahlen aufmalen, die Strichzahlen aus Papier machen – und die Fingerzahlen soll ich fotografieren. Wir besorgen Stifte, Papier, Bastelschere, Bleistift und Lineal sowie ein schönes Tuch als Hintergrund für die Fingerzahlenfotos.

Felix beginnt mit den römischen Zahlen. Beim Vorzeichnen bittet er mich um Hilfe, da die Zahlen groß und deutlich werden sollen, damit die anderen Kinder sie gut sehen können. Mit viel Hingabe malt er nun die Zahlen aus.

Nun folgen die arabischen Zahlen, die kann Felix alleine vorzeichnen, um sie dann auszumalen. Während er malt, stelle ich ihm kleine Additionsaufgaben, zunächst im Zehnerraum, dann bis zur 20. Es macht ihm Spaß und er lernt schnell, die 10er-Hürde beim Rechnen zu meistern. Ich erkläre ihm, wie man subtrahiert, und bis zur 10 kann er die gestellten Aufgaben schnell lösen.

Das Kopfrechnen macht ihm so viel Spaß,
dass er auch im Außengelände immer wieder zu mir kommt, um zu rechnen.

Die Würfelzahlen sind ein Problem für Felix: Malt er nur ein Quadrat, so kann man nicht erkennen, dass das ein Würfel sein soll.
Wir schauen uns gemeinsam einen großen Würfel an, sprechen über Flächen, Kanten und Ecken. Felix stellt fest, dass man immer mehr als eine Fläche vom Würfel sieht; wie er das abzeichnen kann, weiß er nicht. Ich zeichne mit Bleistift und Lineal einen Würfel, der Felix gefällt. Er möchte, dass die Würfel für die Zahlenwand genauso aussehen.

Ich besorge Millimeterpapier, so kann Felix die Eckpunkte der Würfel genau markieren, bevor wir sie dann zusammen mit Hilfe des Lineals verbinden. Dabei lernt er, dass man sehr genau arbeiten muss, damit die Kantenlinien wirklich gerade werden. Bei abschließender Betrachtung des Ergebnisses fällt Felix auf, dass die Bleistiftlinien nicht sehr gut zu sehen sind, und er malt sie mit Filzstift und Lineal alleine nach. Dabei wird ihm klar, wie schwer es ist, die Linien exakt nachzuzeichnen. Immer wieder verrutscht das Lineal, und er ist ein bisschen enttäuscht, da die Würfel keine geraden Kanten haben. Ich kann ihn ein wenig trösten mit der Erklärung, dass für unsere Zahlenwand die Punkte auf den Würfeln wichtiger sind.

Das Fotografieren der Fingerzahlen geht ganz schnell. Wir schauen uns die einzelnen Fotos an und dann lasse ich sie schnell durchlaufen. Felix kann nicht aufhören zu lachen, so witzig findet er den Schnelldurchlauf, bei dem seine einzelnen Finger fix erscheinen oder beim Rücklauf verschwinden.

Nun sind die „Strichzahlen“ an der Reihe. Aus Tonpapier schneidet Felix Streifen aus und klebt sie, dem jeweiligen Zahlenwert entsprechend, auf die Pappkarten. Er sucht für jede Zahl eine andere Farbe aus, weil das schöner aussieht, so Felix.

Die Streifenbreite soll 1cm betragen und der Streifen soll 9 cm lang sein, damit auf der 10 cm breiten Pappkarte oben und unten noch ein Rand ist. Mit Lineal und Bleistift messen wir gemeinsam die Streifen ab und zeichnen sie auf. Felix schneidet sie dann aus und klebt sie auf. Er achtet dabei sehr darauf, dass die Streifen gerade und in einer Linie nebeneinander liegen. Als er so die Streifen für die Zahl Vier aufklebt, grübelt er kurz und sagt schließlich: „Bei den großen Zahlen müssen wir die Streifen dünner schneiden, weil sie sonst nicht auf die Pappe passen, die wäre dann zu klein.“ Zur Erklärung nimmt er einen schon ausgeschnittenen Streifen für die Fünf und legt sie zu der Vier dazu. Die ganze Pappe ist nun voll, es gibt links und rechts keinen Rand mehr. Ich bin erstaunt, dass er das so früh erkannt hat und gleich die Lösung, nämlich „dünnere“ Streifen, anbietet.
Wir malen schmalere Streifen auf – und es klappt, auch die Zahl Zehn hat dank Felix` Aufmerksamkeit genügend Platz auf der Pappe.

Nachdem nun alle Zahlenreihen fertig gestellt sind, überlegen wir gemeinsam, wo die Zahlenwand ihren endgültigen Platz finden soll. Das ist gar nicht so einfach, da wir unseren Gruppenraum gerade umgestalten. Felix hat die Idee: „Wir können sie ja über der Uhr befestigen, auf der Uhr sind ja auch Zahlen.“ Er erkennt aber, dass da, wo die Uhr jetzt hängt, nicht genug Platz wäre.

Alternative schlägt er vor: „Wir könnten sie doch im Malatelier (Nebenraum) aufhängen, dann könnten die Kinder immer nachschauen, wie die Zahlen richtig geschrieben werden.“
Im Malatelier haben wir eine Bilderleine befestigt, an der die Kinder ihre Bilder mit Wäscheklammern aufhängen können. Das findet Felix lustig, weil das wie Wäsche aussieht und er möchte auch die Zahlenreihen an die Leine hängen.
Da die Wand noch angestrichen werden soll, müssen wir mit der endgültigen Platzierung der Zahlenwand noch etwas warten.

Aber da ich Felix´ Idee mit der Uhr auch nicht schlecht finde, mache ich ihm den Vorschlag unseren Kindergartenleiter Herrn M. zu fragen, ob er uns eine Uhr für die Zahlenwand besorgen kann. Felix geht gleich los, um die Sache zu klären, und Herr M. kommt zusammen mit Felix in die Gruppe, um sich ein Bild zu machen. Felix zeigt und erklärt ihm alles ganz genau und sagt auch, dass die Zahlenwand mit Uhr noch viel schöner wäre, und wartet gespannt auf die Antwort. Herr M. verspricht, dass er nach den Ferien eine Uhr für Felix´ Wand einkauft. Felix freut sich sichtlich, dass er die anderen Kinder bald mit seinem Geschenk an die Gruppe überraschen kann.
Es ist erstaunlich, wie selbstsicher Felix geworden ist. Vor ein paar Monaten wäre er sicher nicht alleine zu Herrn M. gegangen, um die Sache mit der Uhr abzuklären.

 

Datum der Veröffentlichung: November 21
Copyright © Hanna Vock