von Martina Werner

 

Dieser Beitrag ist eine Auskopplung aus:
Fünf Kinder bilden eine Gruppe und folgen ihren Interessen. Als die Kleingruppe sich bildete und die fünf Kinder Themenvorschläge machen konnten, hat Malte (5;5) das Thema Müll genannt. Zunächst kamen die Themen von zwei anderen Kindern dran, aber als Dritter war Malte dann an der Reihe. Er war auch bei den anderen Themen sehr engagiert, fragte aber immer wieder nach, wann wir endlich zur Müllabfuhr fahren.

Zur Vorbereitung habe ich mich noch mal mit meinem Schwager verständigt, und der hat mir eine Firma ganz in der Nähe genannt. Anfang September habe ich mich dann mit Malte getroffen, um bei der Firma Neuenhaus in Kürten anzurufen und einen Termin zu vereinbaren, bzw. erst mal zu fragen, ob eine Besichtigung überhaupt möglich ist.
Nachmittags, als alle neu aufgenommenen Kinder abgeholt waren, sind wir ins Büro gegangen und haben uns die Telefonnummer aus einem Telefonbuch rausgesucht. Malte hat das Buch anhand eines kleinen Hörers, der auf dem Buchrücken gemalt war, erkannt. Dann hat er das K für unseren Ort Kürten gesucht und schließlich das N für die Firma Neuenhaus.
Er hat den Namen auf einen Zettel geschrieben, ich sollte ihm die Buchstaben nennen. Die meisten kannte er bereits, andere habe ich ihm auf Wunsch vorgeschrieben. Die Telefonnummer habe ich ihm vorgelesen und er hat mitgeschrieben, die Zahlen konnte er schon. Ich habe dann automatisch zwischen die Vorwahl und die eigentliche Nummer noch einen Schrägstrich gesetzt. Da hat er mich gefragt, wofür der ist. Ich habe ihm erklärt, dass es die gleiche Nummer in verschiedenen Städten geben kann und man deshalb eine Vorwahl braucht, damit der Anruf auch in der richtigen Stadt landet. Er hat nach Beispielen gefragt und ich habe ihm einige genannt:  02268 für Kürten, 0221 für Köln oder 040 für Hamburg.

Da Malte den Wunsch mit der Müllabfuhr hatte, durfte er auch dort anrufen und selber Fragen stellen. Ich wollte ihn so viel wie möglich in sein Projekt mit einbinden, damit auch wirklich seine Interessen getroffen werden.
Wir haben uns dann am nächsten Nachmittag einen ruhigen Raum gesucht und das Telefon mitgenommen. Rico (5;4) wollte auch mitmachen. Ich habe Malte gefragt, ob er selber mit den Leuten sprechen möchte und welche Fragen er denn hat. Er hatte dann die Idee, dass ich seine Fragen aufschreiben sollte, damit wir nichts vergessen.
Das waren seine Fragen:

    • Wann können wir da hinkommen?
    • Haben Sie da Mülltrennung?
    • Haben Sie ein ganz großes Band zum Sortieren?
    • Wo ist eine Müllverbrennungsanlage?
    • Kann man ein echtes Müllauto anschauen, auch von innen?
    • Können wir Müll mitbringen, den wir da sortieren dürfen?
    • Gibt es eine Müllauto-Waschanlage? (Auf diese Frage wäre ich nie gekommen, aber ist doch logisch, oder? Schließlich werden Müllautos ja dreckig und müssen irgendwann auch mal wieder sauber gemacht werden. So lernt man nie aus, sondern mit den Kindern mit!)

Beim ersten Anruf hatte niemand Zeit für uns. Am nächsten Tag haben wir den zweiten Versuch gestartet, Malte war die ganze Woche sehr aufgeregt und kam immer wieder zu mir und hat nachgefragt, wann wir weitermachen. Diesmal waren sie bei der Firma Neuenhaus vorbereitet und wir haben alle Fragen stellen können und einen Termin vereinbart. Dafür haben wir am Telefon den Lautsprecher angemacht, damit Rico und ich mithören konnten. Malte hat mich dann immer wieder leise gefragt, was er noch mal fragen wollte. Der Mann am anderen Ende hat sich viel Zeit genommen und ausführlich geantwortet. Dabei ergaben sich für Malte auch wieder neue Fragen, die er sofort geäußert hat. Ganz schön mutig, mit einem Fremden selber zu telefonieren! Er war während des Gesprächs hoch konzentriert, sehr ernst, sicher und selbstbewusst. Rico war nur kurz bei der Sache und hat vom eigentlichen Gespräch wenig mitbekommen, er hat gespielt.

Hinterher war Malte ganz aufgeregt und hat mir jeden Tag vorgerechnet, wie viele Tage es noch bis zur Besichtigung sind.

Wir haben dann die Kinder der „Müllabfuhr-Truppe“ gefragt, wer mitkommen möchte. Sie sollten ihre Entscheidung selber fällen. Pascal wollte nicht mit. Er ist, seitdem er bei den ältesten Kindern in der Räubergruppe ist, gegen alles. Er traut sich wohl erst mal nicht so viel zu und muss erst mal bei den Räubern richtig ankommen. Die Anzahl der Kinder war wegen des Verkehrsaufkommens auf dem Gelände der Firma Neuenhaus auf 8 beschränkt. Wir haben dann noch die Vorschulkinder gefragt, so dass schließlich 7 Kinder mitkamen. So konnten wieder weitere Kinder von den Ideen und Wünschen der höher begabten Kinder profitieren. Wobei eigentlich auch jüngere Kinder gerne noch mit wollten, vielleicht können sie mit zur Müllverbrennungsanlage, mal sehen.

Am nächsten Tag kam Malte zu mir in die Gruppe und meinte, ihm wäre langweilig. Er könnte doch Müll suchen, um ihn zur Müllabfuhr mitzunehmen, meinte ich daraufhin. Sofort war er Feuer und Flamme und wir haben 4 Mülleimer im Kämmerchen (Abstellraum) aufgestellt und mit Schildern versehen, die Malte selber gemalt und beschriftet hat:
– Papier,
– Grüner Punkt (damit kannte er sich schon aus),
– Restmüll,
– Plastikflaschen (das hatte er am Telefon erfahren).

Damit wurde für ihn die Wartezeit spannender. Er hat jeden Tag Müll gesammelt, alle Erzieherinnen um Mithilfe gebeten, bei der Köchin in der Küche nachgefragt und den Mülleimer aus dem Büro geleert. Jeden Tag kam er und fragte, ob ich noch was hätte. Er hat sogar meine Wasserflasche ausgekippt, damit er endlich eine Plastikflasche hatte. Darüber war ich dann weniger begeistert, was ich ihm auch deutlich gesagt habe. Er hat das auch eingesehen und war bestürzt über meine Reaktion, anschließend war er noch fleißiger bei der Sache. Schließlich muss man trotzdem klare Grenzen setzen.
Er hat jedenfalls alle angesteckt und jeder hatte dann besonderen Müll, wie z.B. einen kaputten Globus oder große Kartons. Viele haben an ihn gedacht und waren offen für seine Wünsche.

Ich habe einen Elternbrief geschrieben und zwei Eltern gebeten, mich zur Müllabfuhr zu begleiten. Wegen der Eingewöhnungszeit sollte der Ausflug nachmittags stattfinden und es konnte nur eine Erzieherin mit.

Und dann waren wir bei der Müllabfuhr

Erst mal haben draußen alle gewartet und ich bin mit Malte ins Büro gegangen, um uns anzumelden. Nachdem wir Warnwesten angezogen hatten, ging es zum Sortierband. Einige Mädchen haben sich erst mal die Nase zugehalten und gesagt: “Hier stinkts!“ Die Jungen haben sich interessiert umgeschaut und die großen Maschinen bestaunt.

Den von Malte gesammelten Müll hatten wir natürlich auch dabei. Nach dem Sortierband haben wir uns eines der Fahrzeuge näher angeschaut. Wir durften den

Papiermüll hinten reinschmeißen und zusehen, wie er zerdrückt wird. Malte war der erste, der ins Führerhaus durfte, und konnte dann über einen Monitor die Kinder hinter dem Auto stehen sehen.

Er ist während der ganzen Zeit – die Führung dauerte eine Stunde – dem Mann, der uns alles gezeigt hat, nicht von der Seite gewichen. Der hat ihm viel Zeit gewidmet und alle seine Fragen beantwortet. Und das waren viele, für Malte ergaben sich ständig neue Fragen, die er sofort geklärt haben wollte. Man konnte ihm förmlich beim Denken zuschauen.
Leider habe ich kaum Fragen mitbekommen, weil es sehr laut war, ich auch auf die anderen Kinder achten musste und Fotos gemacht habe.

Er hat zum Beispiel gefragt, warum das Auto beim Rückwärtsfahren piepst. Er hat auf alle Fragen eine Antwort bekommen. Das muss toll für ihn gewesen sein, so ernst genommen zu werden! Am nächsten Tag habe ich den Mitarbeitern noch ein kleines Dankeschön vorbeigebracht und sie meinten, ob sie schon mal einen Arbeitsvertrag aufsetzen sollten. So ein interessiertes Kind, das auch schon so viel weiß, hätten sie noch nie erlebt. Das habe ich Malte und seinem Vater erzählt, sie haben sich beide gefreut und ganz stolz geschaut.
Von oben haben wir einen großen Container-Platz beobachtet und bekamen eine Reifenschreddermaschine erklärt, die Granulat für Sportplätze vorbereitet. Interessant!

Weiter ging es in die große Halle. Dort waren verschiedene große Stapel Müll sortiert. Malte durfte dann unseren gesammelten Müll auf die entsprechenden Stapel werfen. Er wusste sofort, was wohin gehört. Die Plastikflaschen waren zu Ballen gepresst und Malte wollte dann wissen, was damit weiter passiert.
Am besten aber hat allen der große Bagger gefallen, also der Müllgreifer, wie Malte mich sofort verbessert hat. Das hatte er unseren Führer schon gefragt. Der Müllgreifer hat den Papiermüll in eine Presse geworfen, so dass auch dort gepresste Ballen entstanden. Malte durfte dann mal eine einzelne Pappe in die Hand nehmen, die war ganz leicht. Dann sollte er einen gepressten Ballen versuchen anzuheben, das ging nicht. Der hatte 350 kg.

Und Malte durfte tatsächlich in die Kabine des Müllgreifers einsteigen und hochfahren, so dass er von oben alles erkennen konnte. Er bekam die Hebel erklärt und konnte sie sogar bedienen. Ich war so gerührt bei seinem strahlenden Gesicht, dass mir fast die Tränen kamen. Für ihn ging ein Traum in Erfüllung! Ich habe ihn noch nie so zufrieden, hoch konzentriert, motiviert, wissbegierig,… mir fehlen weitere Worte, erlebt. Toll, das zu sehen!

 

Die LKW-Waschanlage konnten wir leider nicht sehen, weil dort gerade der TÜV war. Aber wir haben noch gesehen, wie ein LKW von Hand gewaschen wurde und wo sie betankt werden. Am Ende hat jeder eine kleine Mülltonne, mit einem Luftballon drin, geschenkt bekommen.
Als wir anschließend vor dem Gelände standen und auf die Eltern gewartet haben, hat Malte beklagt, dass es schon vorbei war. Es gäbe noch so viel zu sehen, er wollte noch die große LKW-Waage erklärt bekommen, er wollte noch auf das untere Gelände,…
Und am nächsten Tag hat er mich sofort gefragt, wann wir zur Müllverbrennungsanlage fahren. Das wird wohl unser nächster Termin. Seine große Wissbegierde ist noch nicht gestillt!
Ricos Mutter hat bei dem Ausflug geholfen und war ganz fasziniert, wie sich ihr Sohn verhalten hat: Er war die ganze Zeit hoch motiviert, er hat konzentriert zugehört und Fragen gestellt und hat sich nicht gelangweilt! Er ist auch sehr an Technik interessiert und braucht viel „Input“. Den hat er diesmal bekommen.
Naomi war bei diesem Ausflug die Jüngste, hatte aber ihren Vater dabei. Das war schon gut, weil sie Angst vor den vielen Wespen hatte, die durch den Müll angezogen wurden. Sie war einen Tag vorher dreimal gestochen worden. Auch solche Ängste muss man dann berücksichtigen. Aber auch sie erzählte hinterher, dass es ihr gefallen hätte.
Nora hat sich alles interessiert angeschaut aber sonst wenig dazu gesagt. Ich kann nicht einschätzen, was sie von diesem Ausflug für sich mitgenommen hat.
Schade, dass Pascal nicht dabei war. Aber unsere Angebote sind freiwillig und er wollte nicht mit. Er hat noch wenig Selbstvertrauen gegenüber Neuem. Es wären auch durchaus motorische Herausforderungen für ihn dabei gewesen, wie zum Beispiel die steile Treppe zur Sortieranlage.
Den restlichen Vorschulkindern hat es gut gefallen, auch da waren Kinder dabei, die sich besonders für Technik und Fahrzeuge interessieren. So spielt Sarah, als Maltes beste Freundin, schon lange mit ihm Rollenspiele zum Thema Müllabfuhr.

Mir persönlich hat der Ausflug sehr gut gefallen. Ich habe mich gefreut, dass die Mitarbeiter der Firma sich so ernsthaft, geduldig und intensiv, besonders mit Malte,  beschäftigt haben. Sein größter Wunsch ging in Erfüllung und er spielt seitdem seine Rollenspiele zu diesem Thema noch intensiver und detaillierter. Die anderen Kinder können nun vieles besser verstehen und spielen gerne mit.
Am nächsten Tag haben mir die Erzieher der Räubergruppe erzählt, dass die Kinder im Morgenkreis ganz viel von ihrem Ausflug erzählt haben, teilweise bis ins kleinste Detail.

Ich habe dann ganz schnell Fotos ausgedruckt und mit Malte ein Plakat gemacht, um unsere Arbeit auch für die anderen Eltern transparent zu machen. Die Fotos kommen außerdem später in die Portfolios der Kinder, nicht nur von diesem Ausflug, sondern von unserem gesamten Projekt. So können sie zeigen, was sie alles geleistet oder erlebt haben.
Malte durfte die Fotos für das Plakat aussuchen und aufkleben, danach hat er noch kleine Texte zu mehreren Bildern geschrieben, zum Beispiel „Das ist der Müllgreifer“. Er schreibt gerne selber und ich habe ihm die Buchstaben genannt oder, wenn er sie nicht kannte, vorgeschrieben und er hat sie abgeschrieben. Als es ihm zu anstrengend wurde, habe ich seine Kommentare geschrieben und er hat sie noch zum passenden Bild geklebt. Er war stolz, schon so gut schreiben zu können. Und er konnte sich an erstaunlich viele Einzelheiten erinnern, besonders Fachausdrücke, wie den Müllgreifer.

 

Datum der Veröffentlichung: August 21
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.