von Claudia Flaig
Mein „Beobachtungskind“ Alena ist nun 5;2 Jahre alt. Sie hat sich dafür entschieden, noch nicht in die Schule zu gehen, und so bin ich weiter auf der Suche nach passenden Herausforderungen für sie.
Mehr zu Alena (in chronologischer Reihenfolge):
Alena (4;6) leitet eine kleine Turngruppe
Die tote Mutter von Pompeji und Buntstifte für Südafrika
Alena (5) lernt Buchstaben – wann soll sie in die Schule?
Und nach dem „Schattenspiel“ kommt dann noch:
Alena und eine Kerngruppe werden Experten der Lernwerkstatt
Nachdem sich Alena in diesem Frühjahr entschlossen hat, im Sommer noch nicht in die Schule zu gehen, lade ich sie in den „Blauen Club“ der Fünfjährigen ein, die erst im kommenden Kitajahr zur Vorschulgruppe („Schlaufüchse“) werden.
In unserer Kita gehen die Kinder in altersgemischte Stammgruppen. Daneben existieren altershomogene Gruppen – wie der „Blaue Club“ oder die Vorschulgruppe, die sich regelmäßig – einmal in der Woche – zu ihren speziellen Projekten treffen.
Alena hat eine Zeitlang in der diesjährigen Vorschulgruppe „Schlaufüchse“ mitgemacht. In dieser Gruppe könnte sie natürlich auch weiter bleiben – die Entscheidung liegt bei ihr. Doch nach dem ersten Besuch beim „Blauen Club“ holt sie demonstrativ ihr Federmäppchen aus dem Raum der „Schlaufüchse“ und verkündet dort, sie mache nun beim Schattenspiel des „Blauen Clubs“ mit.
Dieser hatte zu Weihnachten ein kleines Theaterstück und Gedichte vor allen Eltern und Kindern vorgetragen. Einer Hauptrolle verschlug es ob dieser Menschenmenge die Sprache. So kamen wir auf die Idee des Schattenspiels: Erproben der Selbstdarstellung und selber im „Schatten“ bleiben.
Zum Auftakt bauen wir mit einem Seil, einem Bettlaken und einer Lampe im verdunkelten Raum eine erste provisorische Schattenbühne.
(Anmerkung der Kursleitung: Guter Anfang – so wird schnell das Wesentliche deutlich.)
Ein Junge erkennt es, denn seine Eltern haben schon mal ein Schattenspiel aufgeführt. Die Kinder experimentieren mit Licht und Schatten: Je näher ich komme, um so kleiner werde ich. Wir spielen: Wer ist der Schatten? Die Kinder setzen ihre Hände als Figuren ein, führen kleine Dialoge. Meine Kollegin und ich sind sehr erstaunt, wie offen die Kinder spielen.
Was wollen wir aufführen?
Beim nächsten Treffen bringen wir unser Jahresthema „Der Wald“ mit ins Spiel. Was fällt uns zum Wald als Schattenspiel ein? Welche Waldfiguren sollen mitspielen? Es sollen vor allem die Tiere des Waldes sein. Alena schlägt vor, ihre selbst gebastelte Hexe mitzubringen – ein Hexenwald also, gut! Auch beim Entwickeln der Geschichte macht sie aktiv mit.
Wir planen unsere nächsten Schritte:
-
- Herstellen der Figuren aus Pappe
- Bau der Bühne (Alena bringt am nächsten Tag eine große weiße Gardine mit – ohne die Eltern zu fragen!)
- Texten
- Rollenverteilung
- Proben
- Aufführung zum Sommerfest (in sieben Wochen)
Technische Vorbereitungen
Im Freispiel malen wir die Waldtiere auf, schneiden sie aus, schälen die Schilfstängel aus meinem Garten und befestigen die Figuren mit Krepp, Uhu und schließlich Heißkleber.
Alena nimmt unser Waldbuch zu Hilfe – so entstehen allerhand Tiere, Bäume und Sträucher.
Der Bühnenbau wird in die Turnhalle verlegt. Es wird gedübelt, eine Leine gespannt, ein Betttuch mit Wäscheklammern befestigt.
Aber man sieht beim Spiel unsere Körper hinter der Bühne – was machen wir nur? Wir besorgen dunklen Stoff, noch eine Leine… Schritt für Schritt entwickeln die Kinder eigene Ideen zur Problemlösung.
Die Figuren des Waldes können wir nicht halten – so viele Hände haben wir nicht. Der Wald bewegt sich nicht; diese Kulisse können können wir also aufkleben.
Der Verlauf und der Text des Theaterspiels entstehen
Während einer Kleingruppenbeschäftigung (daran nehmen neben Alena auch Finn, Mariana und Beatrice teil) überlegen die Kinder den Verlauf der Geschichte und den Text. Zunächst werden die Tiere in Tag- und Nachttiere eingeteilt und dann ihrer Größe nach zum Auftritt gebracht.
Beatrice und Alena gestalten den Text maßgeblich, den ich mir notiere.
Den Ablauf der Geschichte als Erinnerung auf Karten zu malen, erweist sich als zu schwierig. Also legen wir die einzelnen Szenen auf eine große blaue Turnmatte und fotografieren sie, auch dabei machen die Kinder mit – eine einfache, aber lehrreiche Aktion.
Kurz darauf bringe ich die ausgedruckten Fotos mit. Den von mir ebenfalls ausgedruckten Text schneide ich in einer Einzelbeschäftigung mit Alena in Streifen, jeweils passend zu den Szenen.
Ich frage Alena: „Möchtest Du mit Beatrice den Text vor der Bühne sitzend sprechen?“ – „Megatoll!“ antwortet sie. Ich lese ihr die Textzeilen vor, und Alena ordnet sie den entsprechenden Fotos zu und klebt die Streifen unter die Fotos.
Bis zur Aufführung wird geprobt
Bühne, Kulisse und Figuren sind hergestellt, die Geschichte ist fertig – nun können die Proben beginnen.
Beatrice begrüßt das Publikum – Alena möchte das nicht. Beide sitzen vor der Bühne, haben ihre nummerierten Karten und erkennen an den Bildern den Text. Sie sprechen immer abwechselnd.
Jedes Kind hinter der Bühne spielt ein Tag- und ein Nachttier. Die Kinder sitzen mit dem Tagtier startbereit auf der Hand, während ihr Nachttier auf dem Boden liegt.
Und so sieht es vor Spielbeginn hinter der Bühne aus.
Meine Kollegin steht vor der Bühne und hilft den Sprecherinnen. Sie gibt uns Anweisungen und ich agiere hinter der Bühne. Alena und Beatrice sagen uns, ob unsere Figuren gut zu sehen sind und ob man auch unsere Köpfe nicht sieht.
Und so sehen die Zuschauer die Bühne.
Wir malen uns eine Linie auf das Betttuch, weil wir hinten nicht sehen können, wo das weiße Tuch endet. Wir sind nicht leise genug. Amar, der den Schlusssatz sprechen möchte, spricht zu undeutlich – „Der ist ja auch indisch,“ meint Alena.
Auch die Kinder hinter der Bühne sparen nicht mit Kritik: „Ihr müsst gucken, was wir machen! So schnell ist eine Maus nicht! Warte mit dem Text, bis der Igel weg ist!“
Manchmal sprechen die Beiden einen falschen Text; deswegen wurden die Fotokarten auch nummeriert – großer Protest erfolgt sofort! Meine Kollegin verzweifelt fast, wenn die beiden Mädels die Karten „mischen“.
Wir nehmen unser Stück zur Selbstkontrolle auf – jetzt sehen unsere Figurenspieler, was sie spielen.
Der große Tag kommt, die Vorstellung wird zweimal mit großem Erfolg aufgeführt. In der folgenden Woche zeigen wir das Stück noch einmal allen Kindern des Kindergartens, diese dürfen dann auch spielen.
Der gemeinsame Abbau der Bühne bildet den vorläufigen Abschluss dieses Projektes.
Was hat uns das Projekt gebracht?
Alle Kinder waren sehr engagiert und ernsthaft an der Entwicklung des Schattenspiels beteiligt. Alena hat auf jeden Fall an Selbstbewusstsein und Mut sich selbst darzustellen gewonnen – sogar so viel, dass sie aus dem „Schatten“ herausgekommen ist und vor der Bühne im Licht agiert hat.
Beatrice ist ein ausgesprochen aufgeschlossenes, intelligentes Mädchen, an dem sich Alena orientiert. Die gemeinsame Schulvorbereitung wird für Alena bestimmt nicht langweilig.
Wie geht’s weiter?
In Budapest sah ich indessen ein von Studenten aufgeführtes Schattenspiel. Die Konstruktion ihrer Bühne ist preiswert und zudem schnell zu errichten und auch abzubauen. Sie besteht aus zwei Sonnenschirmständern, Sanitärrohren, Bettlaken mit Klettverschlüssen und schwarzem Stoff als unterster Bahn. Diese Konstruktion wollen wir nachbauen. Sie kann schnell aufgebaut werden und von den Kindern auch im Freispiel genutzt werden. Spielideen habe ich schon im Kopf.
Die Lesekarten des Waldstückes können wir zur Herstellung eines Bilderbuchs nehmen. Der Buchstabenclub kann den Text drucken – ein Buchstabenset zum Drucken habe ich schon bestellt.
Und hier die „Lesekarten“, die den Ablauf des Spiels anzeigen und den Kindern bei der Orientierung helfen:
Jeden Morgen geht überall auf der Welt die Sonne auf.
Auch im Wald.
Der Specht sitzt am Baum und tackert sehr laut.
Die Maus ist ein kleines Waldtier.
Das Eichhörnchen hüpft von Baum zu Baum.
Der Vogel fliegt und sucht Futter für seine Vogelkinder.
Der Hase hoppelt durch den Wald.
Am Abend geht die Sonne unter.
Der Mond kommt.
Der Uhu setzt sich in den Mond.
Der Igel ist ein Nachttier.
Auch der Fuchs ist ein Nachttier.
Der Dachs trifft die Eule jede Nacht.
Die Wildschweinmutter nennt man Bache und die Kinder Frischlinge.
Der Hirsch ist ein sehr großes Tier im deutschen Wald.
Doch plötzlich kommt die Hexe angeflogen und ruft:
„Ruhe hier in meinem Hexenwald und macht das Licht aus!“
Datum der Veröffentlichung: Mai 2018
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum