von Verena Demirel

 

Der erste Schritt, um ein Thema für diese Praxisaufgabe zu finden, war für mich die Anwendung des Interessen-Fragebogens. So machte ich mich mit meinem „Beobachtungskind“ Murat (5;11 Jahre) kurz nach Beginn des neuen Kindergartenjahres an die Arbeit, den Bogen auszufüllen.

Mehr zu Murat:
Murat (5;6) fiel schon früh auf

In einem separaten Raum gingen wir alle Fragen gemeinsam durch. Auf seine Frage hin, warum ich so einen Bogen mit ihm mache, antwortete ich ihm: „Ich möchte wissen, wozu du als Schulkind Lust hast, und damit kann man herausfinden, welche Dinge du nun als nächstes erleben, lernen oder machen möchtest.“ Diese Antwort war für ihn akzeptabel.

Trotz seiner Schwierigkeiten, sich eine bestimmte Zeit auf etwas zu konzentrieren, lehnte er den Vorschlag ab, den 6-seitigen Bogen am nächsten Tag zu Ende auszufüllen. Sichtlich genoss Murat meine ca. 30-minütige uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Dass er währenddessen nicht lange still sitzen konnte und öfter um den Tisch herum ging, ließ ich zu.

Meiner Meinung nach wird im Interessen-Fragebogen deutlich, dass Murat seine Stärken und Schwächen inzwischen realistisch einschätzen kann. So kann er zum Beispiel benennen, was er besonders gut kann (Roller fahren, türkisch sprechen, plus rechnen) und was er gerne noch ein bisschen besser können möchte:

Frage 6: „Was möchtest du noch ein bisschen besser können?“
Murat: „Die schweren Sachen, zum Beispiel Minus kann ich nicht gut, und schwere Plus.“

Frage 9: „Was ist im Kindergarten schwierig für dich?“
Murat: „Schweres Spielzeug, so wie die Waage“ (Er deutet auf die im „Studierzimmer“ stehende Waage mit unterschiedlichen Gewichten. Sein Interesse daran war vor einiger Zeit nicht von langer Dauer. Ich vermute, das lag daran, dass ihm dafür die Geduld und Ausdauer fehlen.)

Frage 12: „Wie heißt dein Lieblingsbuch? Was gefällt dir daran?“
Murat: „Das hier.“ (Er zeigt mir das im Regal stehende „Dein buntes Wörterbuch / Deutsch-Türkisch“) „Weil ich dann besser Türkisch lernen kann. Im Urlaub konnte ich gut Türkisch, jetzt kann ich nicht so gut, nur ein bisschen.“

Frage 14: „Was möchtest du gerne lernen? Eine Sprache, den Handstand oder etwas ganz anderes?“
Murat: „Einen Handstand, aber dann im Stehen gehen, Beine oben und Kopf unten und dann laufen.“

Bei den Ankreuzfragen überlegte Murat sich jede Antwort genau und kreuzte die jeweiligen Felder an. Hier war er ehrlich mit sich selbst und schätzte sich gut ein. Wenn ich ihn hätte bewerten müssen, hätte ich die gleichen Felder angekreuzt. So schloss er Aktivitäten wie Basteln, Malen, Geschichten hören und Tanzen von vornherein aus. Die Dinge, auf die er Lust hatte, fassten wir hinterher noch einmal zusammen. Nun bat ich ihn, mir daraus das für ihn Wichtigste zu nennen. Ohne lange zu überlegen, umriss er das Ergebnis des Fragebogens und nannte mir die vier für ihn wichtigsten Punkte:

1. Englisch lernen
2. Lesen lernen
3. Mehr über den Körper erfahren
4. Minus verbessern

Da wir ohnehin eine Kleingruppe zum Thema „Mein Körper“ planen, verschoben wir das Thema auf später. So entschloss er sich zu Englisch und Minus lernen. Hierbei war es ihm wichtig, die Spiele zu spielen, die er im „Studierzimmer“ entdeckt hatte.

Das Spiel, das Murat sich ausgesucht hatte, war mir nicht bekannt. Hier zeigte sich mal wieder sein großes Interesse am Material für unsere Hochbegabtenförderung. Bewundernswert fand ich ebenfalls, dass er seine Wünsche klar äußern und formulieren konnte.
Selbstbewusst erklärte er mir, dass er mit Minus rechnen und dem Spiel „Ich lerne Rechnen“ beginnen und dann beim nächsten Mal das englische Spiel „Ich lerne Englisch“ kennen lernen möchte.

Ich bot ihm an, sich für diese Aktivitäten einen Freund dazu zu nehmen, von dem er glaubt, dass dieser Spaß dran hat. An dieser Stelle ist zu sagen, dass Murat einen festen Freundeskreis von vier Jungen und zwei Mädchen hat und auch sonst fest in die Gruppe integriert ist.

Er entschied sich für seinen momentan besten Freund David. Ein fünfjähriges, vermutlich hoch begabtes Mädchen aus einer anderen Gruppe schnappte später auf, wie Murat und ich uns über Englisch unterhielten und bat mitmachen zu können. Ich fragte Murat, ob das für ihn okay sei und er stimmte zu. Die beiden kennen sich bereits aus den Peer-Gruppen Musik- und Theater-AG. So wird unser „Projekt Englisch“ nun also immer mit einer Kleingruppe von drei Kindern im „Studierzimmer“ stattfinden.

Der Einstieg sollte also das Spiel „Ich lerne Rechnen“ sein. Froh über Murats Ideen entschied ich mich, das Projekt direkt am nächsten Tag zu starten und zu beobachten, wie es sich entwickeln und wie Murat es weitergestalten würde.

Gleich am nächsten Tag kam Murats Mutter interessiert auf mich zu, da Murat zu Hause voller Eifer vom Englisch erzählt hatte. Es folgte ein einstündiges Elterngespräch, in dem ich ihr von meiner Weiterbildung zur Förderung hoch begabter Vorschulkinder erzählte und ihr erklärte, dass ihr Sohn mein „Beobachtungskind“ sei.

Da wir schon sehr früh über Murats gut entwickelte sprachliche und mathematische Fähigkeiten gesprochen hatten, war dies für sie keine Überraschung. (Es findet ein sehr offener Austausch zwischen Elternhaus und Kindergarten statt.) Murats Mutter erzählte, dass er bei ihr überhaupt gar kein Interesse mehr am Schreiben und Rechnen zeige, nachdem er das bisher zu Hause sehr gerne gemacht habe.

Ich sagte, es sei schön zu beobachten, dass er freiwillig im Kindergarten an so etwas Interesse zeigt. Bis vor etwa einem halben Jahr sei das nicht vorstellbar gewesen. Seine Schwerpunkte lagen einfach woanders. Seine wahren Fähigkeiten, gerade im mathematischen Bereich, hat er am Anfang selten, aber jetzt viel häufiger gezeigt. Wahrscheinlich hat er im Kindergarten dazu keine Lust mehr gehabt, wenn er schon zu Hause so viel damit zu tun hatte.
(Es ist ja auch die Frage, in welchen Formen das häusliche Lernen ablief. Vielleicht gefiel es ihm einfach nicht mehr.)

Ich suchte mir einige Dinge zusammen, die mit Englisch oder Rechnen zu tun hatten und setzte mich damit auseinander. Meine Hauptziele dieses Kurzprojektes waren es, Murat zu zeigen,
– dass seine (außergewöhnlichen) Ideen wertgeschätzt und ernst genommen werden und dass sich daraus tolle Dinge entwickeln können, und
– dass es toll ist, über einen längeren Zeitraum konzentriert und ausdauernd auf ein Ziel hin zu arbeiten, weil es stolz macht, etwas geschafft zu haben.

Ebenfalls fand ich es wichtig, ihm einen „aufregenden“ Einblick in die englische Sprache zu gewähren, um sein wirkliches Interesse feststellen und vielleicht auch nach dem Kurzprojekt weiter unterstützen zu können. Das wäre dann noch einmal eine herausfordernde Aufgabe für sein letztes Kindergartenjahr. Bei dem englischen Spiel, das Murat sich gewünscht hatte, widerstrebte mir der Beigeschmack dieses „schulischen Lernens“ („Kuh heißt cow“, „das nennt man cat“).

Neben den einfachen Büchern und Spielen auf Englisch entdeckte ich das mich sehr ansprechende Bilderbuch und das dazugehörige Hörspiel „We´re Going on a Bear Hunt“. So etwas könnte auch sehr nach Murats Geschmack sein, da er Singen, Reimen, Fingerspiele u.ä. sehr mag. Ich entschloss mich, dies als erste Idee in die Kleingruppe einzubringen und zu prüfen, ob das etwas ist, was den Kindern gefallen würde. Wichtig war mir hier, die Ideen der Kinder aufzugreifen und das Projekt in die Richtung laufen zu lassen, in die die drei Kinder es lenken würden.

Gesellschaftsspiel „Ich lerne Rechnen“

Das erste Angebot bestand darin, Murats Vorschlag aufzugreifen und das von ihm entdeckte Spiel „Ich lerne Rechnen“ zu spielen. Am nächsten Tag (nach der Abarbeitung des Interessenfragebogens) fragte Murat mich nach dem Eintreffen im Kindergarten, wann wir denn mit alldem beginnen würden. Er war kaum zu bremsen, so dass wir uns schon kurz nach dem Morgenkreis mit Sandra (5;9 Jahre, dem vermutlich hoch begabten Kind aus einer anderen Gruppe) im „Studierzimmer“ trafen.
Vorab hatten Murat und ich besprochen, dass sein Freund David nur an den Aktionen teilnimmt, die mit Englisch zu tun haben. Ich erklärte ihm, dass David noch nicht so weit rechnen könne und dass sie sich dann Beide bei so einem Spiel langweilen würden.

Im „Studierzimmer“ zu sein, bedeutet für die Kinder immer etwas besonderes, da wir uns hierhin wirklich nur zur Kleingruppenarbeit zurückziehen. Es ist ein ziemlich kleiner Raum, und mehr als 3 bis 4 Kinder wären sowohl am Tisch als auch am Boden nicht möglich.

Das Gesellschaftsspiel hatte ich kurz vorher aufgebaut. Es besteht aus 24 kleinen Karten, die Subtraktions- und Additionsaufgaben im Zahlenraum bis 20 zeigen. Zur Selbstkontrolle befindet sich auf der Rückseite jeder Karte das jeweilige Ergebnis. Zwei weitere, größere Karten bilden den Start- und Zielbereich.

Jeder Spieler erhält 20 bunte Plättchen zur Rechenhilfe und würfelt sich den Weg über die einzelnen Karten bis zum Ziel. Die Rechenaufgabe, auf der man stehen bleibt, muss gelöst werden. Bei falscher Lösung muss man auf das vorherige Feld zurück. Um es den Kindern am Anfang nicht zu schwer zu machen, ließ ich diese Regel aber vorerst weg.

Die erste Runde bestand aus drei Mitspielern. Murat eröffnete das Spiel und löste die erste Minusaufgabe direkt ohne die Hilfe der Rechenplättchen. Während des Spiels wurde deutlich, dass er Aufgaben, die den Zehnerbereich nicht über- und unterschreiten im Kopf löst (zum Beispiel 16-3 oder 7-5). Wird der Zehner unterschritten (zum Beispiel 18-9) nimmt er seine Finger zur Hilfe. Dabei zählt er 9 Finger ab, versteckt seine Hände dabei allerdings unter dem Tisch. Ich sagte ihm, dass ihm das nicht unangenehm sein müsse. Selbst Erwachsene wie ich machten das noch manchmal bei schweren Aufgaben. Dafür seien Finger schließlich auch da. Im weiteren Verlauf des Spiels verlor er seine Hemmungen, uns seinen Lösungsweg zu zeigen und zählte zwischenzeitlich sogar laut ab.

Sandra, die gerne auch am Rechnen teilnehmen wollte, ist überdurchschnittlich begabt im musikalischen und sprachlichen Bereich. Da sie kein Kind meiner Gruppe ist, wusste ich nicht, dass sie Zahlen nicht erkennen und benennen kann. Folglich brauchte sie viel Hilfestellung, als sie an der Reihe war.

In der ersten Runde unterstützte Murat mich noch und half beim Abzählen der Plättchen mit. Bei Sandras zweitem Zug bemerkte er jedoch sofort, dass sie eine „8“ war noch nicht erkennen konnte. Murat machte deutlich, dass er sich zu langweilen begann. Ich bat ihn, zu akzeptieren, dass Sandra länger als er zum Rechnen brauche und machte ihm den Vorschlag, danach noch eine Runde ganz mit ihm alleine zu spielen. Dafür müsse er aber jetzt auch durchhalten und vor allem nicht vorsagen. Murat hielt sich an die Abmachung, aber seine Unterforderung war ihm deutlich anzumerken. Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum, spielte mit seinen Fingern und sagte bei jeder Aufgabe Sandras: „Ich weiß es“.

Anmerkung der Kursleitung:
Hier wird der Zusammenhang zwischen Unterforderung und motorischer Unruhe gut sichtbar.
Du hast ihn sowohl bei anspruchsvollen Aufgaben als auch bei Unterforderung beobachtet und hast sein Verhalten zutreffend interpretiert – oft wird dieser Zusammenhang aber überhaupt nicht gesehen, die Unruhe vervielfacht sich und irgendwann steht die falsche Diagnose ADHS im Raum. Und die Begabungen sind dahinter zunehmend schwerer zu entdecken.

War er wieder am Zug, konnte er sich aber durchaus wieder auf das Spiel konzentrieren und löste jede Aufgabe ohne Fehler.

Murat erreichte das Ziel als Erster. Sofort bat er mich, mit ihm jetzt eine weitere Runde alleine zu spielen. Ich sprach mit Sandra und fragte sie, ob es für sie in Ordnung sei, wenn ich sie erst zum Englisch wieder dazu holen würde. Sie solle nicht traurig sein, dafür sei sie in anderen Bereichen viel besser. Ich hatte das Gefühl, dass ihr das Rechnen nicht sehr viel Spaß bereitete. Sie stimmte mir zu und sagte, dass das eine gute Lösung für sie sei.

Sandra verließ den Raum und Murat holte sich den Spielteil dazu, in dem sich noch weitere Karten befanden, und zwar nun im Zahlenraum bis 100. Diese wollte er dann auf den Tisch zu den anderen Karten legen. Ich zeigte ihm die Karte 83-17 und fragte ihn, ob er wisse, dass das ganz schwierige Aufgaben seien. Er antwortete: „Oh ha, das kann ich echt noch nicht!“

Ich schlug vor, dass wir noch mal die alte Runde spielten, und wir ein anderes Mal die schwierigen Aufgaben versuchen könnten. Murat willigte ein und wir spielten eine zweite Runde im Zahlenraum bis 20, diesmal mit der Regel, dass man stehen bleiben muss, wenn man eine Aufgabe nicht richtig gelöst hatte. Soweit kam es aber nicht, da er die Felder ohne einen einzigen Fehler bis zum Ziel passierte.

Anmerkung der Kursleitung:
Jetzt muss für ihn eine Steigerung kommen.
Bis jetzt hat er im Wesentlichen gezeigt, was er schon kann. Ab jetzt müsste das Erlernen neuer Fähigkeiten folgen.

Beim Aufräumen der Karten schlug er vor, jetzt noch das englische Spiel zu spielen. Ich vertröstete ihn auf den nächsten Tag, da er jetzt schon 35 Minuten Konzentration geleistet hatte und ich auch zurück in die Gruppe musste. Außerdem war ich mir jetzt schon sicher, dass ich ihn am nächsten Tag nicht zu motivieren brauchte.

Anmerkung der Kursleitung:
Vergiss diese Begründung! Hoch begabte Kinder konzentrieren sich gerne auch länger…
Dass Du in die Gruppe zurück musstest, ist natürlich eine hinreichende Begründung. Aber sie liegt in der Struktur der Arbeitsbedingungen, nicht im Kind!

Reflexion
Dieses Angebot war passend gewählt.
Als Einstieg zu diesem Kurzprojekt war es mein Hauptziel, Murat zu motivieren und ihm etwas zu bieten, was ihn auf jeden Fall interessieren würde. Gut fand ich, dass er selbstbewusst entscheiden konnte, was genau er machen möchte. So konnte ich mit dem Aufgreifen seines ersten Vorschlages meine Wertschätzung zeigen und seine Ideen und Vorstellungen hervorheben.

Die Tatsache, dass Sandra an diesem Angebot teilnahm, ist aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln zu bewerten. Zum einen war es für Sandra eine klare Überforderung, da sie sich unter Rechnen lernen wahrscheinlich etwas ganz anderes vorgestellt hatte. Ich hätte mich vorab intensiver mit meiner Kollegin über Sandras Stärken und Schwächen austauschen müssen, um zu sehen, dass die beiden auf so unterschiedlichen Entwicklungsständen sind, dass diese Konstellation gar nicht funktionieren konnte. Murat war durch Sandras Teilnahme ganz klar unterfordert, da das Spiel nicht seinen Vorstellungen entsprechend ablaufen konnte.
Zum anderen sehe ich klare Vorteile und einen hohen Erfahrungswert für beide Kinder durch dieses Angebot. Sandra musste sich damit auseinandersetzen, dass auch andere Kinder in bestimmten Bereichen gut sein können, vielleicht sogar auch mal besser als sie (Zitat Sandra: „Ich bin ein sehr schlaues Mädchen.“)

Murat dagegen musste während dieser ersten 20 Minuten enorm viel Rücksicht nehmen. Er musste sich beherrschen, nichts vorzusagen oder dazwischen zu sprechen, und damit seine schwach ausgeprägte Geduld auf eine harte Probe stellen. Wie schwer ihm das fiel, war ihm deutlich anzumerken, dennoch hat er es geschafft. Meine Anerkennung dafür teilte ich ihm natürlich mit. Dass Sandra danach nur noch am Englisch teilnehmen würde, war für beide Kinder vollkommen in Ordnung.

Anmerkung der Kursleitung:
Deine Reflexion, Sandra betreffend, finden wir gut.
Was Murat angeht, musste er mal wieder viel Geduld zeigen. Wir geben zu bedenken, dass hoch begabte Kinder ihre meiste Zeit geduldig warten müssen, bis etwas für sie wirklich Interessantes passiert, bei dem sie endlich mal zeigen können, was in ihnen steckt, und bei dem sie Neues lernen können.

Interessant fand ich, Murats Rechenweise noch einmal klar und deutlich beobachten zu können. Mit Bewunderung stellte ich fest, dass er den Zahlenraum bis 10 mittlerweile im Kopf beherrscht und nur noch über die 10 hinaus seine Finger zur Hilfe nimmt. Dass dies völlig legitim und überhaupt nicht peinlich sein muss, konnte ich ihm an dieser Stelle noch mal klar verdeutlichen.

Ideen
Ich machte Murat das Angebot, sich das Spiel jederzeit aus dem „Studierzimmer“ ausleihen und in der Gruppe (mit mir oder anderen Kindern) spielen zu können. Ich denke, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis er die schwierigeren Aufgaben im Zahlenraum bis 100 ausprobieren möchte und dann auch eventuell nach Hilfe fragen wird.

Anmerkung der Kursleitung:
Das Rechnen lernen hatte sich also zur Einzelarbeit entwickelt.
Dies ist ja für sich genommen nicht schlecht! Du hast ihm ein neues Spiel- und Lernmaterial zugänglich gemacht und ihn angeleitet, es zu nutzen. Jetzt kann er sich selbst weiter helfen, wobei er ja weiß, dass er sich an Dich wenden kann, sobald er nicht alleine weiter kommt.
Viele sehr begabte Kinder sind Autodidakten, Das Alleinlernen ist für sie eine selbstverständliche Art zu lernen – nur sollte es nicht die einzige Art sein, in der sie lernen.
Deshalb brauchst Du es nicht zu vermeiden, wirst es aber im Folgenden ergänzen.

Um das zu vermeiden und um die vorhandene Zeit für diese Kurzprojekt sinnvoll zu nutzen, wollte ich mich lieber nur noch ausschließlich auf das Englischlernen konzentrieren. Mit dem Argument der Einzelarbeit wandte ich mich an Murat und schlug ihm vor, alles was mit Rechnen zu tun hat, jetzt nicht mehr im Studierzimmer, sondern im Gruppenraum zu machen. Da wir Englisch weiterhin außerhalb der Gruppe machen würden, willigte er ein. So hatte er noch einmal einige besondere Freispielangebote – und vielleicht würde er ein weiteres Kind dafür begeistern können.

Ich kopierte ihm einige Rechenblätter, deren Zweck es war, Plus- und Minus-Aufgaben im Bereich bis 20 zu lösen. Jede Lösungszahl hatte eine andere Farbe, die nachgeguckt werden musste, so dass dann ein Bild entsprechend ausgemalt werden konnte.

Murat zeigte über mehrere Tage großes Interesse an diesen Blättern und beschäftigte sich fast ausschließlich damit.
Dass er sich hier in Geduld, Ausdauer und Feinmotorik übte, war natürlich ein angenehmer Nebeneffekt. Einige Übungsblätter nahm er sogar mit nach Hause und brachte sie am nächsten Tag voller Stolz fertig ausgemalt wieder mit. Seine Motivation dafür dauerte etwa 6 bis 7 Kindergartentage an. Währenddessen versuchte er seinen Freund David dafür zu begeistern, und er rechnete mit ihm gemeinsam die unterschiedlichen Aufgaben. Dabei sparte er nicht mit Lob für David.

Ich unterstütze seine Begeisterung damit, dass ich ihm nicht alltägliche Stifte (Filzstifte, Gelstifte, Glitzerstifte) anbot, die nur er benutzen durfte. Nach diesen etwa 6 bis 7 Tagen brach das Interesse abrupt ab.

Anmerkung der Kursleitung:
Nun hat er es ja auch wirklich kapiert und genügend geübt. Merke: Hochbegabte können unnötige Wiederholungen nicht leiden.

Er malte nicht mehr und fragte nicht nach neuen Blättern. Als ich ihm anbot, noch andere Blätter zu kopieren, antwortete er mir, dass ihm das jetzt langweilig und außerdem zu schwer wäre. Er sagte:

„Das Malen dauert immer so lange.“

Ich gehe davon aus, dass er den Zahlenraum bis 20 so sicher beherrscht, dass ihn die Aufgaben zu langweilen begannen. Meinem Gefühl nach traut er sich darüber hinaus zu rechnen aber noch nicht zu.

Anmerkung der Kursleitung:
Wir vermuten eher, dass ihn die Kombination mit dem Malen gelangweilt hat, was er ja sogar ausgedrückt hat. Es gab zu wenig Input bei zu großer (sinnloser?) Mühe. Jetzt verknüpft er „Rechnen lernen“ mit langweiliger Mühsal, bei der es eigentlich nicht so recht voran geht.

Überprüfe doch nochmal mit anderen Mitteln, ob er sich nicht über den Zahlenraum von 20 hinaus traut. Hast Du ihm mal das Bilderbuch „Zahlenmärchen“ gezeigt?
Ein mathematisch begabtes Kind will ja nicht nur rechnen lernen, sondern sich die Mathematik auf vielen Wegen erobern.
(Siehe: Bilderbücher, Sachbücher und Geschichten.)

Da Murat bereits bis 29 auf Englisch zählen kann, bot ich ihm an, mit ihm im Freispiel Aufgaben auf Englisch zu rechnen. Auch das lehnte er mit der Begründung ab, dass ihm das noch zu schwer sei. Ich finde, dass ihm hier trotz seines gut ausgeprägten Selbstbewusstseins noch einige Unsicherheiten anzumerken sind. Ich ging bewusst nicht darauf ein, da ich denke, dass er bei wirklichem Interesse vielleicht nach einiger Zeit noch einmal darauf zurückkommen wird.

Deutlich selbstbewusster zeigte Murat sein Können nun in Situationen, in denen andere Kinder dabei waren. Sonst kam es häufig zu der Aussage: „Weiß ich nicht“, wenn man ihn im Freispiel, Morgen- oder Abschlusskreis etwas fragte, von dem man wusste, dass er die Antwort kannte.

Anmerkung der Kursleitung:
Viele sehr begabte Kinder, vor allem Jungen, „verweigern die Aussage“, wenn sie das Gefühl haben, nur abgefragt zu werden, und dazu vielleicht noch vermuten, dass die Fragestellerin weiß, dass sie es wissen – oder wenn die Fragen zu einfach sind.
Siehe auch: „Verbergen von Fähigkeiten und Interessen“ .

Nun baute ich häufiger kleine Aufgaben in den Alltag ein. Ich fragte Murat zum Beispiel fast täglich nach dem heutigen Tag und Datum („ich hab schon wieder vergessen, den wievielten wir heute haben…“) und erhielt immer eine korrekte Antwort.

Außerdem erschwerte ich die Aufgabenstellung. Ein Beispiel aus dem Morgenkreis: „Murat, wir haben gerade 19 Kinder gezählt. Insgesamt haben wir 22 Kinder in der Gruppe. Wie viele fehlen und wer fehlt?“ Die Gesamtgruppe mal auf englisch oder türkisch zu zählen traute er sich ebenfalls zu.

Jetzt aber Englisch!

Als Einstieg in das Thema „Englisch“ diente das Gesellschaftsspiel „Ich lerne Englisch“, das sich Murat gewünscht hatte. Schon am Morgen fragte er nach, wann wir denn endlich anfangen würden, und erzählte mehreren Kindern von seinem Vorhaben, jetzt Englisch zu lernen.
Sandra, David, Murat und ich begannen mit einer kurzen Vorstellungsrunde auf Englisch (My name is Verena, I´m 28 years old. I´m a girl. What´s your name? How old are you?) Die Kinder antworteten in Einwortsätzen („Murat, five“) und hatten sichtlich Spaß daran.

Danach begannen wir mit dem Spiel. Es gibt Karten, auf denen Gegenstände abgebildet sind. Alle Karten sind doppelt vorhanden. Der eine Satz Karten wird gleichmäßig unter den Mitspielern verteilt, jeder legt die Karten offen vor sich hin. Die anderen Karten liegen verdeckt in einem Stapel.  Die Aufgabe ist es, immer eine verdeckt liegende Karte zu ziehen, den Gegenstand zu nennen und sie demjenigen Mitspieler zu reichen, der die andere Karte mit diesem Gegenstand vor sich liegen hat.

Die Karten zeigen einfache Motive wie Tiere oder alltägliche Gegenstände, und die englische Übersetzung steht unter der deutschen Bezeichnung.

Wir fingen an. Jedes Kind, das an der Reihe war, nannte sein Motiv auf Deutsch, und hielt es mir hin, damit ich es auf Englisch übersetzte. Ohne die Kinder dazu aufgefordert zu haben, wiederholten alle drei Kinder das englische Wort. David hatte seine Karte zuerst voll und gewann damit das Spiel. Wir legten alle benutzen Karten vor uns auf den Tisch und ich fragte die Kinder, was davon sie sich merken konnten. Murat hatte sich erstaunlicherweise von etwa 20 Wörtern drei gemerkt (apple, cake, dog).

Ziemlich beeindruckt schienen Murat und David von den Wörtern „boy“ und „girl“ aus der Vorstellungsrunde. Immer wieder fragten sie Sandra und mich, ob wir ein girl oder ein boy seien. So ging ich einige Namen von Kindern unserer Gruppe durch. Die drei sagten mir, ob es sich um einen boy oder ein girl handelt.

Zum Abschluss fragte ich die Kleingruppe, was sie denn nun als nächstes machen möchten, ob sie einen besonderen Wunsch haben. David und Sandra stimmten Murats Antwort zu, der sagte: „Also ich will noch mehr englische Wörter lernen“. Ich versprach ihnen, mir für das nächste Treffen etwas einfallen zu lassen.

Reflexion:
Dass dieses Angebot nicht zu meiner vollsten Zufriedenheit ablaufen würde, war mir schon vorher bewusst. Aber auch hier war es wieder mein Ziel, Murats Idee aufzunehmen und umzusetzen. Das habe ich offenbar erreicht, denn die Kleingruppe hatte anscheinend Spaß an dem Spiel. Aus pädagogischer Sicht fand ich dieses Spiel weder sinnvoll noch lerneffektiv, da es sich nur um das Aufsagen englischer Wörter handelte.

Anmerkung der Kursleitung:
Als Einstieg ist dies aber doch o.k.! Es war ja beim Rechnen nicht wirklich anders.

Dass Murat sich bei dieser Form von (so langweiligem) spielerischem Lernen drei Wörter gemerkt hat, erstaunte mich. Sandra und David hatten sich keines merken können, was mich nicht überraschte.

Interessant war jedoch zu beobachten, wie viel Spaß die beiden Jungen an den Wörtern boy und girl hatten. Nach dem Angebot fragten sie die Kinder unserer Gruppe auf Englisch nach ihrem Geschlecht und hatten große Freude daran, ihnen zu erklären, ob sie nun ein girl oder ein boy seien.

Schön und wichtig fand ich, dass die Kleingruppe gleich miteinander harmonierte und eine sehr entspannte Atmosphäre herrschte. Zum Einstieg und zum Kennenlernen und zarten Heranwagen an die englische Sprache hatte das Spiel also doch seinen Zweck erfüllt.

Ideen:
Bis zu diesem Zeitpunkt war ich sehr verwöhnt worden, da Murat mir klar vorgegeben hatte, was genau er machen wollte. Mit seiner jetzigen Aussage, er möchte noch mehr englische Wörter lernen, fühlte ich mich gefordert, seinen Wissensdurst zu stillen. Jetzt musste ich also etwas finden, mit dem ich seinem Wunsch folgen könnte, was ich pädagogisch für gut heiße und mit dem ich Murats Motivation und Interesse aufrecht erhalten konnte (wie bereits erwähnt, kann es passieren, dass er das sehr schnell verliert).

Anmerkung der Kursleitung:
Hoch begabte Kinder beurteilen Tätigkeiten oft intuitiv nach ihrem Lernwert und nach dem geforderten Tempo (das nicht zu langsam sein darf). Bleibt die Spannung erhalten, bleibt meistens auch das Interesse erhalten – es sei denn, es wird eine Grenze der Auffassungsmöglichkeit erreicht. (Das Kind ist dann aber auch erst mal „satt“, bis es sich diesem Thema später auf höherer Ebene erneut zuwendet. Beim Rechnen war Murat wohl an so einem Punkt angekommen, es reichte ihm fürs Erste.)

Ich setzte mich nun mit mehreren Büchern, Spielen und Liedern auseinander. Sehr ansprechend fand ich das Bilderbuch der klassischen Bärenjagd „We´re Going on a Bear Hunt“ und das dazugehörige Hörspiel. Die Bilder sind ansprechend und kindgerecht gezeichnet und die darin vorkommenden Personen werden realistisch dargestellt. Ebenfalls spricht dafür, dass sich die einzelnen Passagen immer wieder wiederholen und nur der jeweilige Ort geändert wird. Zum besseren Verständnis wird eine Textpassage beispielhaft unten aufgeführt:

We´re going on a bear hunt
We´re going to catch a big one.
What a beatiful day
We´re not scared.
Diese ersten 4 Zeilen wiederholen sich in jeder Strophe, dann kommt jeweils ein veränderter Teil: aus grass wird river, a dark forest, usw.

Das Ende jeder Strophe ist wieder gleich:

We can´t go over it
We can´t go under it
Oh no ! We´ve got to go through it

Siehe auch: Bilderbücher, Sachbücher…

Den Kindern ist die Bärenjagd auf Deutsch bekannt, wenn auch in etwas abgewandelter Form, es handelt sich da um eine Löwenjagd.
Jede Passage ist mit einer Bewegung verknüpft, die sich ebenfalls bei jeder Strophe wiederholt. So ist das Erlernen einzelner englischer Wörter möglich, da nur wenige Worte stetig wiederholt und kindgemäß mit Bewegungen unterstützt werden.

Ich entschied mich also dafür, die Bärenjagd in die Kleingruppe zu bringen, um zu sehen, wie sie den Kindern gefallen würde. Da Murat viel Spaß an Reimen, Fingerspielen u.ä. hat, konnte ich mir gut vorstellen, ihn hierfür zu begeistern.

Bilderbuchbetrachtung: „We´re Going on a Bear Hunt“

Ich begann die Aktion damit, dass ich den Kindern die Vorderseite des Buches zeigte. Ich erzählte ihnen, dass diese Kinder nun auf Bärenjagd gehen würden. Danach fragte ich in die Runde, ob sie sich noch erinnern könnten, wie diese Personen genannt werden und zeigte dabei auf den kleinen Jungen und das Mädchen. Boy und Girl hatten sie sich alle gemerkt, so dass wir nun baby und dog hinzufügten. Zur Erinnerung führten wir die uns bekannte, immer wieder beliebte, Löwenjagd (auf Deutsch) mit allen Bewegungen aus.

Nun ließ ich die Kinder auf Sitzkissen Platz nehmen und setzte mich auf einen Stuhl vor sie. Langsam ging ich nun jede einzelne Seite durch, baute die uns bekannten Bewegungen ein und ließ die Kinder Fragen stellen und Zeichnungen erläutern.

Absolut erstaunlich für die Kinder war die Tatsache, dass die Kinder nach Entdecken des Bären den kompletten Weg wieder zurücklaufen und alle Hindernisse noch mal überwinden müssen. Danach verstecken sie sich zu Hause unter der Decke, weil sie vom Bären verfolgt wurden. Als der Bär niemanden findet, verlässt er beleidigt das Haus. Die den Kindern bekannte Version endet damit, dass der Löwe aus der Höhle springt und versucht ein weglaufendes Kind zu fangen.
Der Abschluss bestand darin, dass sich ein Gespräch daraus entwickelte, welche Unterschiede zu unserer Löwenjagd bestehen.

Reflexion:
Mein Ziel, die Kleingruppe (und besonders Murat) für dieses Buch zu begeistern, habe ich voll erreicht. Alle drei Kinder waren begeistert, interessiert und etwa 15 Minuten hochkonzentriert auf dieses Buch fixiert. Ich denke, dass die Tatsache, den Inhalt schon vorab gekannt und gewusst zu haben, die Sache noch viel interessanter machte. Die Bewegungen zu „over it“ , „under it“ und „through it“ machten die Kinder schon ab der dritten Seite mit.

Ideen:
Freudig überrascht von der großen Begeisterung der Kinder (Zitat David: „Können wir das morgen im Englisch noch mal machen?“) entschied ich mich, alle weiteren Angebote auf diesem Buch aufzubauen. Meine Idee war, die Kinder in die Richtung zu lenken, aus dieser Bärenjagd ein kleines Theaterstück zu machen und es dann der eigenen oder anderen Gruppen vorzuspielen.

Für das nächste Angebot überlegte ich mir, als zusätzlichen Reiz Musikinstrumente einzubringen, um das Interesse aufrecht zu erhalten.

Anmerkung der Kursleitung:
Überlegung: Was könnte das innere Ziel / der innere Anspruch eines hoch begabten Kindes zu diesem Zeitpunkt sein (ohne dass es ihn formulieren kann)?
Ist es denkbar, dass das Kind die innere Vorstellung hat, die gesamte Geschichte in Englisch beherrschen zu wollen? (Ich verstehe alles in Englisch, ich kann es aussprechen, ich kann es mir merken.)
Dient das Einführen von Musikinstrumenten diesem Ziel?

Bärenjagd mit Instrumenten

Wir setzten uns wieder in den Sitzkreis mit Kissen, nur mit dem Unterschied, dass jetzt vor jedem Platz ein Musikinstrument stand. Die Kinder wählten ihre Plätze spontan und probierten erst einmal die Funktionsweise der einzelnen Instrumente (kleine Trommel, Ratsche, Donnermacher). Nach einer Weile des Ausprobierens bat ich sie, sich für ein Instrument zu entscheiden, mit dem sie nun spielen möchten. Ohne weitere Besprechungen entschied sich jedes Kind für das Instrument, das vor ihm stand.

Ich holte das Buch hervor und zeigte nur die Vorderseite. Ohne Aufforderung zeigte Murat auf den Jungen und sagte: „Das ist der boy:“ er konnte alle Charaktere richtig benennen.

Jetzt fragte ich die Kinder, wie wir denn nun die Instrumente einbringen könnten, ob wir alle gleichzeitig oder lieber einzeln spielen sollten. Die Kinder warteten ab. Da schlug ich vor, ein Stück vorzulesen. Ich ließ zunächst Murat ausprobieren, zu welcher  Stelle der Strophe seine Trommel gut passen könnte. Er trommelte die ganze Passage mit und entschied dann: „Am Anfang, weil das hört sich an wie Laufen.“ So bekam er also die Stelle bis „We´re not scared“ zum Trommeln zugeschrieben.

Sandra entschied, dass das „Oh no!“ sich gefährlich anhört und deshalb zum Donner passen könnte. Für David und seine Ratsche blieb dann noch der letzte Teil.

Bei den Stellen, an denen beschrieben ist, dass die Kinder zum Beispiel durch den Matsch oder durch den Wald gehen, wollten alle gleichzeitig spielen.

Alle Kinder hielten sich an ihren Part, und wir gingen so das Buch mehrfach durch. Zum Abschluss fragte ich in die Runde, ob sie vielleicht Lust hätten, den anderen Kindern ihre erworbenen Fähigkeiten und die ganz andere Art der „Löwenjagd“ zu zeigen. Die Reaktion war positiv, aber eher zurückhaltend: „Ja okay, können wir machen…“

Zur Motivation für das nächste Treffen teilte ich den Kindern mit, dass es zur Bärenjagd sogar eine CD gibt, die ich ihnen vorspielen möchte.
Zu guter Letzt ernteten sie für ihre tolle Leistung am heutigen Tag sehr viel Lob.

Reflexion:
In den vorangegangen drei Tagen war es leider nicht möglich gewesen, sich aus der Gruppe zu ziehen. Positiv war jedoch zu beobachten, dass Murat seine enorm große Motivation trotzdem aufrecht erhielt und mich jeden Tag mehrfach fragte, ob wir nun Englisch machen würden. Leider musste ich ihn oft vertrösten und befürchtete schon, dass sein Interesse kippen und sich ins Gegenteil verwandeln könnte. Dem war zum Glück nicht so, im Gegenteil: Er konnte Verständnis dafür aufbringen, warum ich nicht aus der Gruppe konnte, zeigte damit eine gute Fähigkeit zum Bedürfnissaufschub und war sehr geduldig.

Interessant zu beobachten war der Umgang mit den Instrumenten. Die Erfahrung zeigt, dass es Kindern in diesem Alter schwer fällt, nicht auf dem Instrument zu spielen, wenn sie nicht an der Reihe sind oder zuhören sollen. Das war hier nicht der Fall, was wieder großes Interesse an den Inhalten bestätigt.

Nachdem ich die Kinder einige Zeit die Instrumente habe ausprobieren lassen und dann das Buch rausholte, war mit einem Schlag Ruhe. Auch während der Betrachtung konzentrierten sich die Kinder auf ihren Bereich, spielten nicht übermäßig laut und machten nur wenige Einsatzfehler.

Beeindruckt war ich mal wieder von Murats Merkfähigkeit. Als einziger konnte er auch noch nach drei Tagen die englischen Wörter boy, girl, baby, dog und ihre Übersetzung wiedergeben. Auch andere Teile des Textes übersetzte er schon richtig. Ebenfalls begann er die Passagen mitzusprechen und animierte dadurch die anderen beiden Kinder zum Mitmachen.

Mein Ziel dieses Angebotes war es, dass die Kleingruppe ein Gefühl für die musikalische Unterstützung des Textes bekommt. Dadurch, dass sie die Instrumente selbst dem Text zugewiesen haben, mussten sie sich mit beidem auseinandersetzen. Rhythmus, Taktgefühl und Geschwindigkeit gehörten ebenso dazu, wie das Auf-den-Anderen-Achten und Miteinander-Spielen. Außerdem erfordern das Zuhören, das gleichzeitige Spielen, seinen Einsatz nicht verpassen und das Buch betrachten einen enormen Aufwand an Konzentration. Nicht zuletzt macht ein Instrument spielen ja auch sehr viel Spaß!

Anmerkung der Kursleitung:
Hast Du vermutet, dass auch Murat und die beiden anderen Kinder mit der musikalischen Untermalung gut zurechtkommen würden? Es ist gut gegangen, aber: Hätte Murat damit Schwierigkeiten gehabt und sich die Musik damit für ihn in den Vordergrund des Erlebens geschoben, hätte er sich vielleicht bald gefragt, was das soll, und die Motivation hätte sinken können: Wir wollten doch Englisch lernen!

Hoch begabte Kinder lieben komplexe Anforderungen; trotzdem ist es wichtig, das Hauptziel (hier: Englisch) weiter zu verfolgen – was Du ja auch tust.

Ideen:
Der Einsatz der Instrumente diente ebenfalls als Überleitung zum Hörspiel der Bärenjagd auf CD. Dass die Geschichte auf der CD gesungen wird, wäre der falsche Ausdruck. Es handelt sich eher um rhythmisches Sprechen des Textes, was sehr zum Mitmachen animiert.

Anmerkung der Kursleitung:
Das ist sicher ein gutes Mittel, um ein erstes englisches Sprachgefühl zu entwickeln, die Aussprache zu üben und die Texte im Kopf zu behalten.

Diese CD wollte ich den Kindern natürlich nicht vorenthalten. Um die einzelnen Wörter auch weiter visuell zu verstärken, entschloss ich mich, das Buch ebenfalls wieder dazu zu nehmen.
Da keines der Kinder sich besonders interessiert an einer Aufführung gezeigt hatte, beschloss ich beim nächsten Treffen nochmal anzusprechen, ob die Lust daran wirklich besteht.

Bärenjagd als Hörspiel auf CD (mit Bilderbuch visuell verstärkt)

Es entwickelte sich zum Ritual, dass mir die Kinder vor dem Aufschlagen des Buches die Charaktere auf Englisch nannten. Sie machten das schon von ganz alleine, wie als wäre das für sie der Einstieg ins Buch.

Ich ließ die CD einfach laufen, hielt das Buch dabei hoch, blätterte die einzelnen Seiten um und machte die einzelnen Bewegungen mit. Den Text sprach ich nur sehr leise mit und forderte die Kinder mit Mimik und Gestik zum Mitmachen auf.
Am Ende des Buches bat David mich nochmal zur Höhle zurück zu blättern. Ihm war aufgefallen, dass der Hund dort sehr ängstlich ausgesehen hat. Es entwickelte sich ein angeregtes Gespräch, bei dem die Kinder die Seiten durchblätterten und ihnen noch weitere Einzelheiten auffielen (zum Beispiel dass das Baby nicht laufen kann).

Zum Abschluss fragte ich die Kinder, ob sie sich nochmal Gedanken dazu gemacht haben, das Stück vielleicht anderen vorzuspielen. Murat fragte: „Meinst du so wie bei der Theater-AG, wo alle geguckt haben?“

Anmerkung der Kursleitung:
Also könnte die flaue Reaktion auf Dein erstes Fragen damit zu tun haben, dass es zu früh kam (erstmal brauchen wir ja Futter, das wir ausstreuen können) und dass die Kinder noch nicht so gefestigte konkrete Vorstellungen davon haben, was eine Aufführung ist.
Schön, dass Murat aber jetzt auf seine kitaeigenen Erfahrungen zurückgreifen kann…

Ich antwortete, vielleicht so, wie es damals war oder – je nach dem, wie sie Lust haben – vielleicht im Turnraum, vielleicht in der Gruppe. Der Turnraum fand großen Anklang und sie erklärten begeistert, ihrer und Sandras Gruppe ihre schon erworbenen Englischkenntnisse zu zeigen. Das Wann und Wie wollten wir dann beim nächsten Mal besprechen.

Reflexion:
Es war mir gelungen, das Buch erneut zu wiederholen und damit die erworbenen Vokabelkenntnisse zu verfestigen, ohne die Kinder damit zu langweilen. Ziel war es hier außerdem, Rhythmik und Taktgefühl zu fördern. Es herrschte wieder eine lockere und entspannte, aber dennoch konzentrierte Atmosphäre. Die Sitzkissen haben sich ebenfalls als Methode bewährt. Die Kinder wurden mutiger und sprachen heute lauter und deutlicher mit.

Murat beherrschte bereits zu diesem Zeitpunkt alle Passagen, die sich wiederholten und auch die meisten der einzelnen Orte (mud, grass, river, cave) . Aber auch David und Sandra kamen gut mit.

Schön empfand ich auch das Gespräch über Einzelheiten im Buch, die den Kindern vorher nicht aufgefallen waren, jetzt aber zu großer Wichtigkeit anwuchsen.

Wahrscheinlich hatte ich meine Idee, daraus eine Vorstellung zu machen, nicht deutlich genug erklärt.

Anmerkung der Kursleitung:
Ah ja, hier schreibst Du´s selbst – es war aber auch zu früh im Projekt, finden wir.
Die Kinder hatten den Kopf dafür noch nicht frei.

Dies erkannte ich an Murats Aussage, der offenbar erst heute verstanden hat, was ich damit gemeint hatte. Einen für die Kinder positiven und sinnvollen Abschluss für dieses Kurzprojekt zu finden, war mir sehr wichtig. Die Methode einer Vorführung fand ja dann doch noch positiven Anklang, zumal den Kindern auch sonst auf Nachfragen nichts anderes einfiel. Damit hatte ich eine Vorlage gegeben, das Wie, Wann und Wo wollte ich aber jetzt den Kindern in Eigenregie überlassen.

Ideen:
Das nächste Angebot sollte eine Verknüpfung aller bereits verwendeten methodischen Ansätze sein. Hier ging es darum, das Buch zu betrachten, der CD zuzuhören, sein Instrument im Rhythmus mitzuspielen und vielleicht sogar auch noch den Text mitzusprechen und die Bewegungen in dem Moment auszuüben, wenn man nicht spielt. Eine schwierige Aufgabe !

Anmerkung der Kursleitung:
(…und damit komplex genug für sehr begabte Kinder…)

Außerdem nahm ich mir vor, mit den Kindern einen Termin für die Aufführung zu finden und die Aufgabe der kompletten Organisation an Murat zu delegieren.

Bärenjagd als Hörspiel mit Unterstützung der eigenen Instrumente

Die Kinder entschieden sich dafür, die gleichen Instrumente wie beim letzten Mal zu spielen. Das heutige Angebot war aufgrund der Vielfältigkeit der Tätigkeiten eine große Herausforderung.

Da ich nur das Bilderbuch umzublättern und mitzusprechen hatte, konnte ich mich ausgiebig auf die Beobachtung der Kinder konzentrieren.

Am Schluss kam ich nochmal auf die Vorstellung zu sprechen. Wir beschlossen einstimmig, die Vorführung im Turnraum stattfinden zu lassen. Als ich nach dem Tag fragte, sagte Murat, dass wir ja den Montag nehmen können, weil unsere Gruppe da schließlich auch Turnraumtag hat.

Kurz darauf stellte er fest, dass sie eine Bühne bräuchten und eine Lampe.

Anmerkung der Kursleitung:
Er bietet sich damit als verantwortlicher Organisator selbst an und beschäftigt sich gedanklich schon damit.

Murat fragte mich nach der runden Tischlampe, die ich einige Tage zuvor beim Aufräumen entdeckt hatte und deren Lichtstrahl man unterschiedlich einstellen kann. Ich antwortete ihm, dass er diese gerne benutzen könnte. Außerdem sagte ich ihm mit, dass er nun derjenige sei, der dafür verantwortlich ist, dass alles da sein und am richtigen Platz stehen wird.

Er war jetzt der „Chef“ des Theaterstückes.

Wenn er Hilfe brauche, könne er sich gerne an David, Sandra und/ oder mich wenden. Murat fragte, wie oft wir noch schlafen müssten, und wir zählten die Tage bis Montag gemeinsam ab. Dabei stellten wir fest, dass wir nur noch den morgigen Tag zum proben haben und ich fragte die Kinder, ob sie sich das denn schon trauen würden. Einstimmig erhielt ich ein lautes „Ja.“

Zurück in der Gruppe, setzte sich Murat gleich mit einem Blatt an den Maltisch (den er sonst eher mied!).

Anmerkung der Kursleitung:
Das Übertragen der Verantwortung hat ihn offenbar zusätzlich beflügelt und inspiriert.

Er malte ein großes blaues Rechteck und erklärte mir unaufgefordert, dass das die Bühne sei und er sich jetzt einen Plan mache.

Reflexion:
Schön zu beobachten war die enorm hohe Konzentration der drei Kinder, die versuchten allen Anforderungen zu genügen. Deutlich konnte man erkennen, dass alle Kinder das Buch kaum noch beachteten. Sie sprachen alle Passagen mit und schauten nur bei den unterschiedlichen Orten auf. Murat konnte hier bis auf einzelne Wörter am Ende, bei dem die Kinder in ihrem Haus sind, alles mitsprechen und war auch heute wieder laut und deutlich.

Hier ist auch zu betonen, dass er alle englischen Wörter einwandfrei ausspricht.
Bemerkenswert fand ich auch die Ideen, die Murat nun äußerte. Er wusste, dass eine Bühne und Licht wichtig für eine Vorführung sind, und machte sich Gedanken darüber, wie und woher er diese beschaffen kann. Gut fand ich auch seine Idee mit der Aufzeichnung des Plans. Leider verschwand dieser noch vor seiner Fertigstellung (ihm fällt es häufig schwer, auf seine Sachen zu achten). Murat hatte keine Lust, nochmal einen anzufertigen.

Ich freute mich, dass die Kinder sich zum jetzigen Zeitpunkt schon zutrauten, das Stück vor Publikum vorzuspielen. Den Mut zu besitzen, vor der eigenen Gruppe aufzutreten, konnte ich mir vorstellen – ob sich Murat und David das aber auch vor der anderen Gruppe trauen würden, wollte ich noch nicht garantieren.

Ideen:
Die nächste Aktion sollte die letzte Probe vor dem großen Tag werden. Außerdem würden hier noch alle Einzelheiten für die Vorführung festgelegt werden.

Wie soll die Aufführung aussehen?

Wie immer trafen wir uns im Studierzimmer und nahmen mit den Instrumenten auf den Sitzkissen Platz. Kurz danach fragte Murat mich, wie wir denn bei der Bärenjagd laufen wollen mit den Instrumenten in der Hand. Ich antwortete: „Ich wusste nicht, dass ihr die Bärenjagd auch laufen wollt, sondern dachte, ihr wollt sie auf euren Instrumenten vorspielen und mitsingen. Wenn ihr aber dabei laufen wollt, finde ich das eine Super- Idee.“

Wir räumten die Instrumente weg, starteten die CD und begaben uns (zum ersten Mal ohne Buch) körperlich und sprachlich auf Bärenjagd. Dabei führten wir nun alle Bewegungen mit vollem Körpereinsatz durch (durch den Fluss schwimmen, große Schritte über das hohe Gras). Ich fragte David und Sandra, ob diese Methode für sie denn auch in Ordnung sei, und sie bejaten dies.

Zum Abschluss fragte ich Murat, ob er noch irgendetwas für die Vorbereitung im Turnraum brauche. Er verneinte und äußerte, dass wir die Bühne im Turnraum erst am Montag aufbauen, uns dann aber direkt nach dem Morgenkreis treffen würden. Er fragte die Kleingruppe, ob beide Gruppen gleichzeitig runter kommen sollen. Sandra war für gleichzeitig, die beiden Jungen für nacheinander und damit war Sandra demokratisch überstimmt.

Reflexion:
Ich fand Murats Vorschlag super, die Bärenjagd zu spielen und nicht mit Instrumenten vorzuführen. Es schien, als wäre das aber für ihn von vornherein klar gewesen, wohingegen ich gestehen muss, an diese Möglichkeit überhaupt nicht mehr gedacht zu haben.
Auch Sandra und David schienen, genau wie ich, nur auf die Instrumente fixiert gewesen zu sein. Ich persönlich fand diese Variation auch viel ansprechender und lebhafter und war froh, als die anderen beiden Gruppenmitglieder Murats Idee zustimmten.

Murat bewies kindgerechtes Organisationstalent und legte Ablauf und Uhrzeit fest. Wie die Gestaltung der Bühne aussehen sollte, verriet er nicht. Ob er zu diesem Zeitpunkt einen Plan davon im Kopf hatte, kann ich schwer einschätzen.

Ideen:
Die letzte Probe war erfolgreich verlaufen. Der weitere Plan war die Vorführung der Bärenjagd am nächsten Kindergartentag.

Aufführung des Stückes „We´re Going on a Bear Hunt“ vor zwei Gruppen

Wie am Freitag verabredet, gingen wir am Montag nach dem Morgenkreis in den Turnraum. Murat bat mich um die besagte Lampe und eine Taschenlampe. Wir liehen uns noch eine weitere Lampe aus einer anderen Gruppe und nahmen einen Stoffteddybären mit nach unten.

Im Turnraum angekommen, wartete ich erst einmal die Vorgehensweise der Kinder ab. Murat nahm sich sofort große Schaumstoffbausteine und wies David an, ihm beim Bau eines Hauses zu helfen. Dieses stand in relativ kurzer Zeit. Danach zog er alle Vorhänge zu und ich schloss die Lampen elektrisch an. Diese richteten wir dann gemeinsam auf das Haus. Nun fragte ich, wo die Zuschauer denn sitzen sollten. Sandra antwortete: „Auf der Bank“, so dass wir mit vereinten Kräften die Bänke zusammenstellten. Der Teddybär wurde gut erkennbar an das Klettergerüst „geklemmt“ und die Taschenlampe angeschaltet neben dem CD-Player platziert. Eine Matte diente als Bett.

Nun erklärte ich den Kindern die Bedeutung einer Generalprobe, die wir dann auch gleich durchführten. Es klappte alles gut.
Zum Schluss nahmen wir uns noch alle bei den Händen und übten die Verbeugung vor dem Publikum.

David fiel plötzlich auf, dass wir gar nicht an eine Bettdecke gedacht hatten. Sandra bot an, eine zu holen, und ich beauftragte David und Murat, in Zwischenzeit die Kinder unserer Gruppe in den Turnraum zu holen.

Als die Gesamtgruppe den Raum betrat, wiesen Sandra und die beiden Jungen sie an ihren Platz. Die Vorführung begann! Die CD war etwas leiser eingestellt, damit man die Kinder deutlicher hören konnte. Als die Kinder die Höhle betraten, improvisierte David spontan und schnappte sich die Taschenlampe, um den Teddybären bedrohlich anzuleuchten. Nach der Verbeugung folgte der Applaus.

Murat ging zur Tür und rief: „Ich hol jetzt die Drachengruppe!“ David äußerte, dass er Durst habe, so dass ich eine kurze Trinkpause anbot. Murat jedoch wollte nicht warten. Ich erklärte ihm, dass er ja nichts trinken bräuchte, jetzt aber sowieso Sandra dran wäre, ihre eigene Gruppe nach unten zu rufen. Daraufhin ging er dann doch etwas trinken.

Auch die Vorstellung vor der Drachengruppe verlief super.
Hinterher räumten wir gemeinsam auf und Murat, David und Sandra erhielten von mir nochmal ein großes Lob für ihre hervorragende Leistung.

Reflexion:
Murat dachte an alle Utensilien und baute die Bühne nach seinen eigenen Vorstellungen auf. Dabei konnte er die anderen beiden Kinder mit einbeziehen und Aufgaben verteilen. Schön fand ich die Idee, den Raum abzudunkeln.

Ich empfand die Kleingruppe wieder sehr als motiviert. Es war sehr mutig, dass sie sich vor den Gruppen präsentiert haben. Bemerkenswert war ebenfalls, dass die Kinder dasselbe Stück (inklusive Generalprobe) dreimal hintereinander aufführten, ohne ihre Begeisterung daran zu verlieren. Auch ihre Konzentration ließ über den Zeitraum von etwa einer Stunde nicht nach. Es freute mich, dass die Kleingruppe so viel Lob, Anerkennung und Applaus erhalten hat. Der Stolz war ihnen deutlich anzumerken.

Fazit und weitere Ideen:
Zusammengefasst war das Kurzprojekt ein voller Erfolg. Im Gesamtverlauf des Projektes hatten die Kinder viel Spaß, was für mich immer einen hohen Stellenwert hat. Im Hinblick auf Murats Entwicklung kann ich sagen, dass er seine ausgeprägte Merkfähigkeit und sein mathematisches Können gut unter Beweis stellen konnte.

Mit seiner schnellen Auffassungsgabe hatte Murat den englischen Text schnell begriffen und fortlaufend einzelne Wörter und Sätze wiedergeben. Bei den verschiedenen Treffen konnten seine weniger ausgeprägten Fähigkeiten* mit Hilfe seiner Stärken gefördert werden. Gemeint sind beispielsweise die erhöhte Konzentration, Geduld und Ausdauer, die er aufgebracht hat. Ebenfalls konnte er sich über einen längeren Zeitraum für eine Sache begeistern und die Motivation über den gesamten Zeitraum halten.
Schön fand ich die offene und harmonische Atmosphäre in der Kleingruppe. Murat war hier fest integriert und wegen seiner Fähigkeiten nicht hervorstechend. Er hatte gute Ideen und konnte die anderen Kinder damit begeistern. Die Umsetzung dieser Ideen machte er immer möglich. Seine Einfälle und Kompetenzen wurden wertgeschätzt und ernst genommen. Zu jedem Zeitpunkt hat er sich getraut seine Fähigkeiten zu zeigen. Weil er sehen konnte, dass seine Mitspieler seinen Anforderungen stand halten konnten, hatte er die Möglichkeit sein Potenzial zu zeigen.

* Anmerkung der Kursleitung:
Achtung: Fähigkeiten sind nichts Statisches. Dass er bisher im Kita-Alltag vielleicht nicht so viel Konzentration, Geduld und Ausdauer gezeigt hat (im Vergleich zu diesem Projekt), bedeutet nicht, dass er diese Tugenden gerade erst entwickelt hat. Wie sich gezeigt hat, verfügt er über sie, wenn er sie in einem angeregten Umfeld, bei einem spannenden Projekt einsetzen kann.
Dass er sie jetzt zeigen konnte, bedeutet auch nicht, dass er sie nun gelernt hat, um sie in allen möglichen Situationen einzusetzen. Es ist durchaus zu erwarten, dass er in frustrierenden Zusammenhängen auch wieder Ungeduld, Unlust und Unkonzentriertheit zeigen wird – und das ist eigentlich auch gut so, denn es kann ihm selbst und anderen anzeigen, dass er geistig unterfordert ist.

Nach der Vorführung fragten die Kinder nach dem nächsten Treffen der Englischgruppe. Da weitere Kinder aus meiner Gruppe Interesse an der Englischgruppe gezeigt haben, wäre ein mögliches Ziel, Englisch in einer größeren Gruppe als AG anzubieten.

Anmerkung der Kursleitung:
Dabei Murat nicht aus den Augen verlieren. Wenn es mit Rücksicht auf die anderen Kinder für ihn dann zu langsam vorangeht, er keine Herausforderung spürt, kann es für ihn negativ ausgehen. Du hast sicher genug Ideen, ihm entsprechendes Futter und eine entsprechende Rolle anzubieten.

Murat bat mich, die englische Bärenjagd noch mal im Stuhlkreis zu spielen. Hier wäre zu überlegen, ob man dieses Spiel in den Bestand der Stuhlkreisspiele mit aufnimmt (für die älteren Kinder). Die mathematischen Spiele und Aufgaben werde ich in das Freispiel integrieren. Jetzt hat Murat mit Freude den Lük- Kasten entdeckt.

Das nächste Projektthema steht schon fest: Mein Körper. Nicht nur, dass sich einige Jungs meiner Gruppe gerade besonders für die Entwicklung ihres Körpers interessieren, auch Murat fragte mich neulich, warum es eigentlich in seinem Hals hämmert, wenn er den Finger da dran hält.

Weitere Beiträge, in denen über Murat berichtet wird:

Besonders begabte Kinder in einer Englisch-AG

Murat und unser Projekt „Mein Körper“

 

Datum der Veröffentlichung: Juli 2017
Copyright © Hanna Vock