von Jordis Overödder

(Anmerkung der Redaktion:
Dieser Text wurde von Frau Overödder zu Beginn ihres IHVO-Zertifikatskurses im Jahr 2009 geschrieben.
Die Aufgabe war, Anregungen zum Umgang mit hoch begabten Kindern im Kindergarten aus drei Artikeln herauszuarbeiten, die in verschiedenen Fachzeitschriften erschienen waren. Erwünscht war auch eine kritische Wertung von Aussagen in den Artikeln.
Die Aufgabe wurde nach Ansicht der Kursleitung beeindruckend gelöst, weshalb der Text jetzt hier veröffentlicht wird.
Die zugrunde liegenden Artikel sind am Ende aufgeführt.)

Ziele in der Arbeit mit hoch begabten Kindern

Das zentrale Ziel in der Arbeit mit hoch begabten Kindern ist meiner Meinung nach, dass die Kinder glücklich sind und mit sich selbst zufrieden. Dazu brauchen sie ein positives Selbstkonzept. Wertschätzung und Anerkennung sind dazu unerlässlich. Wenn sie sich mit ihren Fähigkeiten und Schwächen annehmen und von anderen angenommen werden, entwickeln sie die Basis für eine stabile, glückliche Persönlichkeit.

Anmerkung der Kursleitung:
Das Akzeptieren und Annehmen allein reicht leider nicht aus, damit hoch begabte Kinder auf Dauer glücklich werden. Sie müssen sich auch (von wenigstens einer wichtigen Person) verstanden fühlen und angemessene Förderung erfahren. Du kannst das Kind akzeptieren und sogar lieben, so wie es ist – richtig glücklich wird es erst, wenn Du seine Gefühle und Gedanken hinreichend verstehst und ihm aktiv hilfst, seine ganz eigenen Lernwege erfolgreich zu gehen.

Grundlage dafür ist zunächst, dass man die Hochbegabung bei einem Kind überhaupt erkennt, um darauf adäquat reagieren zu können. Das erste Ziel ist also, auf der Basis von genauen Beobachtungen zu einer richtigen Einschätzung der Fähigkeiten und Bedürfnisse des Kindes zu gelangen. Nur so, darüber sind sich alle Autorinnen einig, werden die Ursachen für Stress, Frust und Langeweile deutlich und man kann darauf angemessen reagieren.

Integration wird als wichtiger Punkt genannt. Kinder haben ein Bedürfnis nach sozialer Einbindung. Aber in welcher Form sich das gestaltet, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Damit ist sicher nicht gemeint, dass hoch begabte Kinder sich um jeden Preis in das System der Gruppe fügen müssen und das gleiche Verhalten zeigen müssen wie alle anderen auch.
Ich finde diese Anregung von Frau Vock sehr gut: Ziel sollte sein, dem Kind Möglichkeiten zu eröffnen im Spiel mit anderen positive Erfahrungen zu sammeln. Man kann Freundschaften auf verschiedenen Ebenen fördern, dem Kind auch Kontakt zu Spielpartnern mit ähnlichen Fähigkeiten zum Interessenaustausch ermöglichen (Clusterbildung). Das sind Angebote. Die Entscheidung, welche Kontakte das hoch begabte Kind letztendlich annimmt, liegt bei dem Kind selbst. Man sollte nicht das Kind ändern, bis es in die Umwelt passt, wie es meiner Meinung nach bei Frau Bopp anklingt, sondern auch die Umwelt ändern, damit sie für das Kind ein gutes Lebensumfeld darstellt.

Anmerkung der Kursleitung:
Hier hast Du einen wichtigen kritischen Einwand gemacht.

Toleranz von Seiten der Kindergartengruppe / der Mitmenschen zu fördern ist daher ein wichtiges Ziel: gegenseitiges Verständnis und ein Klima der Wertschätzung in der Gruppe anstreben. Jeder Mensch ist besonders, kann irgend etwas besonders gut.
Diese Besonderheit aller Kinder gilt es zu fördern. Wie Frau Michelfeit sagt, braucht das Kind Möglichkeiten, um seine Fähigkeiten auszuschöpfen. Eigenaktivität ist dabei besonders wichtig, um Neugier und Wissensdurst stillen zu können. Wichtig ist, auf Fragen des Kindes einzugehen, gemeinsam nach Antworten zu forschen. Ziel in der Arbeit mit hoch begabten Kindern ist es, ihnen Zeit, Raum und Möglichkeiten zu geben, ihr Potenzial auszuschöpfen und selber aktiv sein zu können.

Zur Erzieherin

Bildungsvoraussetzungen

Eine gute Ausbildung der Erzieherinnen erachte ich als sehr wichtig. Unsere Arbeit erfordert es, immer wieder Distanz zu gewinnen, um den Alltagstrott, eingefahrene Sichtweisen und Einstellungen immer aufs Neue zu hinterfragen und zu korrigieren.

Wir dürfen uns nicht verschließen vor neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen oder sich wandelnden gesellschaftlichen Strukturen. Eine gute Grundausbildung und regelmäßige Weiterbildung der pädagogischen Fachkräfte ist daher unerlässlich.

Daher bin auch ich der Meinung, dass man Hochbegabtenförderung nicht „mal eben so nebenbei“ praktizieren kann, weil man einen kurzen Artikel darüber gelesen hat. Fundiertes Wissen ist notwendig, um seine Arbeit optimal zu gestalten und auch nach außen begründen und transparent machen zu können.

Anmerkung der Kursleitung:
Es freut uns sehr, dass Du diese Einsicht so klar formulieren kannst. Leider ist sie noch nicht weit verbreitet.

In Bezug auf die Kinderfragen finde ich die Anmerkung von Frau Michelfeit gut, dass wir nicht immer alles wissen müssen. Wir brauchen keinen Doktor der Physik und kein biogenetisches Fachwissen, sondern Empathie und Vertrauen in die Kinder. Um sich mit den Kindern auf die Suche nach Antworten machen zu können, muss man auch wissen, wo man sie findet. Ein gutes Allgemeinwissen und Kenntnisse im Umgang mit dem Internet sollten vorhanden sein.

Persönliche Voraussetzungen

Toleranz, Geduld und Ruhe soll eine Erzieherin nach Frau Bopp mitbringen. Das sind sicher auch wichtige Eigenschaften, reichen aber meiner Meinung nach nicht aus. Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit zu beobachten sind grundlegende Voraussetzungen, um die Interessen und Bedürfnisse der Kinder zu erkennen und darauf reagieren zu können.
Wichtig finde ich außerdem, dass die Erzieherin ihre eigene Begeisterung einbringt, dass sie, wie Frau Vock sagt, die eigene Lernfreude pflegt und offen für Neues ist. Man muss nicht allwissend sein, aber vielseitig interessiert. So erinnere ich mich an die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland. Das war nicht gerade mein Thema. Aber angesteckt von der Begeisterung der Kinder habe ich mich mit ihnen auf den Weg gemacht, wir haben Poster und Flaggen gemalt, in der Werkstatt Tore gebaut und sogar ein „Länder-Turnier“ im Kindergarten organisiert.

Es ist immer wichtig kongruentes Verhalten zu zeigen. Man muss dem Kind gegenüber ehrlich sein und darf ihm nichts vorspielen. So gibt es auch schwierige Themen, zu denen man eine persönliche Meinung hat, die sich vielleicht nicht mit der des Kindes oder der seiner Eltern (besonders in moralisch-ethischen, religiösen, politischen, sexuellen Fragen, aber auch in Fragen des Lebensstils) deckt.

Hier sind wir besonders stark von hoch begabten Kindern herausgefordert, deren besondere Interessen in diesen Bereichen liegen. Die Einstellung des Kindes gilt es wertzuschätzen. Ich kann ihm Fragen dazu stellen, die zum Nachdenken anregen und meinen Standpunkt mit Argumenten erklären. Wichtig ist auch darzustellen, dass die Menschen unterschiedliche Ansichten zu einer Sache haben können.

Anmerkung der Kursleitung:
Ja, dies ist eine Tatsache, die hoch begabte Kinder früh begreifen können – und die sie entlastet.

Bild vom Kind

Hoch begabte Kinder haben im Prinzip dieselben Spiel- und Lernbedürfnisse, wie alle anderen auch. Damit weist Frau Vock darauf hin, dass hoch begabte Kinder zunächst einmal ganz schlicht als Kinder gesehen werden, die genau so Liebe und Zuwendung brauchen wie andere auch, Menschen, denen sie vertrauen können, die ihnen wohlwollend zu Seite stehen. Sie sind keine „Übermenschen“, sondern brauchen unsere Liebe und Unterstützung wie alle anderen Kinder auch. Das finde ich einen sehr wichtigen Punkt, den man nie aus dem Auge verlieren darf, auch wenn ein hoch begabtes Kind noch so bestimmt und „erwachsen“ wirken mag.
Frau Michelfeit stellt dar, dass jedes Kind Kräfte und Fähigkeiten in sich trägt und dass es sich vor allem aus sich selbst heraus entwickelt. Auch Frau Bopp und Frau Vock betonen diese Eigentätigkeit. Das Kind darf selbst entscheiden, was und wo es spielen möchte, es ist selbst aktiv in forschendem kreativem Spiel.
In der heutigen Pädagogik werden dem Kind viele Rechte zugesprochen. Begriffe wie Partizipation und Mitbestimmung tauchen auf, Kinder können mit entscheiden, ihnen wird im Gegensatz zu früher vieles zugetraut. Sie erobern Erfahrungsräume, wie Werkstatt und Labor, die den veralteten Ansichten des „Struwwelpeter“ gegenüberstehen (Messer, Gabel, Schere, Licht…). Da dieses Bild vom Kind sich erst in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, trifft man immer wieder auf Hemmschwellen und Blockaden: „Die können das doch noch nicht!“.

Auch Frau Bopp geht davon aus, dass ein Kind mit Themen, die es nicht ausdrücklich erfragt hat, überfordert sei. Hier sehe ich noch diese althergebrachte Vorstellung vertreten, dass Kinder vor ihrer Umwelt zu schützen und zu isolieren seien. Sicher muss man behutsam sein mit der Auswahl und Präsentation von Themen, aber ich bin nicht der Meinung, dass man den Kindern diese Angebote verweigern sollte. Ob sie sie annehmen und was sie daraus machen, bleibt ja ihnen überlassen.

Anmerkung der Kursleitung:
Gut formuliert und klar erkannt, dass wir mit dieser Ansicht von Frau Bopp nicht weit kommen, schon gar nicht bei hoch begabten Kindern, die (zu Recht) vom Erwachsenen erwarten, dass er ihnen auch wichtige Informationen anbietet, auf die sie von alleine nicht kommen würden. Und die erwarten, dass der Erwachsene sie an seinen Erkenntnissen und Erfahrungen – unaufdringlich – teilhaben lässt.

So habe ich auch schon mal, obwohl wir eine nicht-konfessionelle Einrichtung sind, in der Osterzeit die Geschichte vom Sterben Jesu erzählt. In der Kirche haben wir uns die Bilder des Kreuzweges angeschaut und einige Kinder, die mit ihren Eltern in die Kirche gehen, erzählten davon. Das Thema war nicht bei allen aktuell, einige haben sich mit diesem Angebot beschäftigt, andere haben es als Geschichte gehört und auf sich beruhen lassen.
Es ist wichtig, dem Kind etwas zuzutrauen, denn in diesem Zutrauen liegt auch der Schlüssel für das positive Selbstbild des Kindes.
Frau Bopp listet in ihren Beschreibungen der hoch begabten Kinder viele negative Eigenschaften auf, zum Beispiel: sie reden sich oft raus, stören in der Gruppe. Leserinnen der Zeitschrift werden anhand dieser Beispiele sicher einige Parallelen zu ihrem Alltag entdecken, aber es ist eine sehr einseitige Darstellung. Den besonderen Begabungen, dem oft erstaunlichen Können und Wissen der hoch begabten Kinder misst sie wenig Bedeutung bei und geht da gar nicht näher darauf ein. Das missfällt mir.

Erzieherverhalten

Die Anforderungen an die Erzieherin sind in den Artikeln sehr differenziert dargestellt. Frau Michelfeit sieht die Erzieherin als Begleiterin, die das Tun der Kinder mit stummer Zustimmung und Ermutigung begleitet. Ihre Stellung ist dem Kind gegenüber eher gleichgestellt. Das Kind weiß selbst, was gut für es ist, die Erzieherin bezieht es zum Beispiel bei Planungen ein.
Die Rolle der Erzieherin ist mir hier etwas zu passiv, wobei ich ihren Ansatz, in das Spiel der Kinder nicht vorschnell einzugreifen, sehr gut finde. Ich befürworte, dass die Kinder Zeit haben, etwas alleine zu erarbeiten, ohne dass die Erzieherin die Lösung vorschnell herbeiführt. Das ist ein Ansatz, den ich zum Beispiel auch in unserer Holzwerkstatt immer wieder praktiziere.
Beispiel: Ein Kind möchte zwei Hölzer an einem Brett befestigen. Auf Grund meiner Erfahrung könnte ich ihm sofort mehrere Möglichkeiten präsentieren, um dieses Vorhaben zu einem schnellen Ergebnis zu führen. Ich halte mich aber zurück, um das Kind selbst eine Lösung finden zu lassen. Und nach einigem Probieren hat es eine Nagel-Draht-Leim-Kombination gefunden, die mir gar nicht in den Sinn gekommen wäre!

Frau Bopp stellt die Erzieherin eher als jemanden dar, die besser weiß, was dem Kind gut tut. Die Erzieherin soll das Gespräch mit dem Kind suchen, Ursachen eruieren und Verhaltensweisen reflektieren. Das klingt bei ihr schon ein wenig nach: „Guck mal, das hast du falsch gemacht und ich weiß, wie es besser ist!“ Mit dieser Grundhaltung ist jedes Gespräch mit dem Kind nur eine hübsche Verpackung für Maßregelungen und Verhaltensvorschriften. Der Artikel liest sich fast wie ein Rezeptbuch: Hat das Kind das und das gemacht, ist wie folgt zu verfahren, um das unerwünschte Verhalten abzustellen. Vielleicht tue ich Frau Bopp damit Unrecht, aber das Gefühl habe ich dabei.

Die Rolle der Erzieherin beschränkt sich meiner Meinung nach nicht nur darauf, Materialien bereit zu stellen und ermutigend daneben zu sitzen, ist aber auch kein klassisches Lehrer-Schüler-Verhältnis nach dem Motto „Ich bin erwachsen und weiß alles besser“, sondern etwas dazwischen. Meine Aufgabe ist, genau zu beobachten und, wie Frau Vock es beschreibt, durch intensive Kommunikation mit dem Kind seine Interessen herauszufinden.

Besonders bei den stilleren und angepassten Kindern liegen da oft Dinge im Verborgenen, die man durch bloßes Beobachten nicht herausfindet. Diese Kinder gilt es, durch besondere Anforderungen „aus der Reserve“ zu locken. Was kann ich diesem oder jenem Kind anbieten, eine Aufgabe oder Materialien mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad, die es wirklich fordern? Im Gespräch mit den Kindern kann ich auch Fragen stellen, die zum Weiterdenken anregen und Impulsen der Kinder folgen, wenn ihre Gedanken über „Hölzchen und Stöckchen“ noch in ganz andere Richtungen gehen. Es ist eher eine Pädagogik des Führens und Folgens, ein wechselseitiger Prozess.

Anmerkung der Kursleitung:
Ja, und dann macht es beiden Seiten ja auch erst richtig Spaß!

Wichtig ist es, an den Stärken der Kinder anzuknüpfen. Sie bringen so ein großes Potenzial an Fähigkeiten mit, über die sie andere Bereiche ausgleichen können. Ein Kind, das sich zum Beispiel nicht traut im Morgenkreis etwas zu erzählen, aber musikalisch sehr begabt ist, möchte den Kindern statt zu sprechen mal etwas auf dem Xylophon vorspielen.

Die Kinder bringen täglich neue Impulse ein. Diese Kraft von innen, die intrinsische Motivation, erlebe ich als große Bereicherung meiner Arbeit. Es ist ein bisschen so, als  wenn man beim Surfen die Welle nimmt anstatt gegen die Brandung anzupaddeln: Man kommt weiter! Genau so gebe ich aber auch hier und da Impulse, schlage Themen vor oder mache Angebote, biete neue Materialien oder eine AG an.
Die „Welle“ kann auch ich mal machen, weil ich von etwas begeistert bin, und die Kinder surfen mit! So habe ich zu Hause das Löffelschnitzen für mich entdeckt. Ich habe einige meiner Ergebnisse mit in den Kindergarten genommen, und die Kinder waren begeistert. So etwas wollen sie auch mal machen! Das werden wir jetzt in Angriff nehmen. So herum kann es auch funktionieren. Wichtig ist, die Kinder nicht mit eigenen Ideen und Vorstellungen zu überfrachten, sondern vor allem ihre Interessen im Blick zu behalten!

Mir ist es auch wichtig, die Fragen der Kinder ernst zu nehmen und zu beantworten. Da habe ich nicht immer gleich eine Antwort parat, aber vielleicht finden wir es dann gemeinsam heraus. „Wann paaren sich Wildschweine und wie lange ist die Sau trächtig?“ – „Was ist eigentlich der DAX?“ – „Warum regnet es?“ Im Bücherregal, im Internet, mittels eines Experimentes kommen wir der Lösung auf die Spur.
Es können auch schon mal unangenehme Fragen auftauchen, die einen selbst sehr berühren. Ich merke dann immer, wie wichtig es ist, den Kindern ehrliche Antworten zu geben. Sie sollen erleben, dass auch die Erzieherin mal traurig oder ratlos sein kann. Schließlich sind wir auch im Umgang mit Trauer und Frust Vorbild für die Kinder.

Das Wichtigste zum Schluss: Kinder wachsen vor allem mit Liebe und einem Gefühl des Angenommenseins. Egal, was wir mit den Kindern machen, sollten sie immer diese Liebe spüren.

Spiel- und Lernumfeld

Raumgestaltung

Eine förderliche Umgebung, die immer wieder neue Anreize und Herausforderungen bietet, ist für das Spiel der Kinder unerlässlich. Frau Michelfeit fordert viel Raum, veränderbare Möbel, Ebenen, Nischen, Nebenräume, Garten. Die Räume sollen sich den Kindern anpassen, nicht die Kinder den Räumen. Sie sollen vielfältige Bewegungsmöglichkeiten bieten. Die Zeiten, in denen Kinder am Tisch sitzen mussten, sind Gott sei Dank vorbei. Der Tisch wird zum Schiff, das Sofa zum Feuerwehrauto, der Raumteiler muss der Autobahn weichen… Grundsätzlich stehe ich solchen Ideen offen gegenüber.

Aber ich merke auch, dass ich in der Praxis noch mal überprüfen muss, inwieweit ich wirklich bereit bin, das zuzulassen. Müssen die Kinder nachher alles wieder zurückstellen, oder bleibt die Veränderung langfristig, weil sie von den Kindern gerne genutzt wird? Wie wichtig sind mir meine eigenen ästhetischen Vorstellungen von einem „schönen“ Gruppenraum?

Anmerkung der Kursleitung:
Es ist gut, dass Du Dich diesen Fragen selbstkritisch stellst. Die Kinder haben einen eigenen Anspruch auf Ästhetik, die ja auch viel mit Funktionalität zu tun hat. Wie funktioniert dieser Gruppenraum besser für das Spiel der Kinder? Die Antwort auf diese Frage kann immer wieder eine andere sein. Entsprechend beweglich sollte die Einrichtung sein. Wichtig ist auch darauf zu achten, wie viele und welche Kinder den Gruppenraum für sich gestalten? Kommen andere dabei mit ihren Interessen (zum Beispiel ungestörte Malecke) zu kurz?

Nebenräume und Nischen für ungestörtes und unbeobachtetes Spiel sind auch sehr wichtig. Lernen mit Gleichaltrigen, Ko-Konstruktionen ohne störende Erwachsene, die kontrollieren oder eingreifen, sind in diesen Räumen möglich. Dazu gehört das Vertrauen in die Kinder, diese Räume eigenverantwortlich zu nutzen.

Manchen Eltern wird bei der ersten Begehung unserer Einrichtung regelrecht schlecht, wenn sie sich vorstellen, dass die Kinder ohne einen Erwachsenen in der Holzwerkstatt mit Sägen und Hammern arbeiten. Ich erlebe aber tagtäglich, dass das Konzept tatsächlich funktioniert, dass man Kinder alleine losschicken kann und ihnen etwas zutrauen kann, wenn man sie sorgfältig angeleitet hat.

Sie wachsen an der Verantwortung, die man ihnen überträgt. Besonders für hoch begabte Kinder sind diese Möglichkeiten sehr wichtig. Sie brauchen Freiheit und Platz für ihr kreatives, forschendes Spiel, Räume, die schmutzig werden können, wo man laut sein kann ohne jemanden zu stören, oder wo man mal ganz für sich ist und seine Ruhe hat.

Das Lernumfeld sollte sich nicht nur auf das Kindergartengelände beschränken. Umgebungserkundungen im Ort, Waldspaziergänge, Besuche beim Bäcker oder bei der Feuerwehr sind tolle Möglichkeiten, Neues zu entdecken. Und sie liegen ja oft direkt vor der Tür.

Spielmaterial

Frau Bopp erwähnt in ihrem Artikel nur Materialien, die sowieso zur Standardeinrichtung eines Kindergartens gehören. Sie spricht dem Kind sehr großzügig das Recht zu, spielen zu können, was und wo es möchte. Wenn man die räumlichen und materiellen Möglichkeiten jedoch beschränkt hält, so ist das in meinen Augen ein Witz. Ist doch schön, wenn man zwischen Puppenwagen und Bauklötzen wählen kann, nicht?
Ganz anders beschreibt es Frau Michelfeit. Die Kinder bringen Steine in den Waschraum, schrubben sie und befördern sie in die Gruppe, um daraus eine Mauer zu bauen. Tatsächlich eine beachtliche Leistung! Beim Lesen gefällt mir dieses Projekt, das ganz aus den Ideen der Kinder heraus entstanden ist, sehr. Aber ich merke auch, dass ich hier noch nicht ganz offen bin für alle Ideen. Ob ich in unserem Gruppenraum den Bau einer Bruchsteinmauer zulassen würde, kann ich mir noch nicht so recht vorstellen. Hier muss ich wohl in Zukunft noch lernen, über den einen oder anderen Schatten zu springen.

Anmerkung der Kursleitung:
Wir möchten Dich dazu ermutigen. Ich (Hanna) erinnere mich an eine Situation in meinem Kindergarten, als wir uns mit Pippi Langstrumpf beschäftigten. Pippi war ja unter anderem „Sachensucher“. Das wollten meine Kita-Kinder auch sein. Aber was findet man in ein einer Stadt? Größtenteils Weggeworfenes, Sperrmüll, Abfall.
Nun ja, die Kinder trugen viel davon zusammen und wollten es an eine Leine quer durch den Gruppenraum hängen, fanden aber selber, dass es zu dreckig sei. Statt der kleinen Arbeitshandschuhe, mit denen wir auf die Suche gegangen waren, kamen jetzt Latexhandschuhe zum Einsatz. Denn die Kinder wollten alle gesammelten Sachen im Waschraum selber abwaschen.
Kurz nach Ende der Aktion kam eine Routine-Kontrolle des Gesundheitsamtes vorbei, und ich bin immer noch begeistert darüber, dass ich die ansonsten fast unerträglich pingelingen Damen vom pädagogischen Wert und der Sauberkeit der Müllsammlung überzeugen konnte 😉

Materialien flexibel nutzen, Dinge zweckentfremden, auch mal verschwenderisch sein, Regeln nicht immer ganz streng einhalten, sondern flexibel gestalten, damit neue Ideen und Experimente umgesetzt werden können, darauf kommt es bei Spielmaterialien besonders an.
Hoch begabte Kinder brauchen Konstruktionsmaterialien, die vielseitig einsetzbar sind, verschiedenste Materialien zur kreativen Ausdrucksmöglichkeit, gute Literatur, die Themen auch vertiefend behandelt, Spiele, Messgeräte und Werkzeuge, die auch eine hohe Anforderung an die Kinder stellen und nicht nur den Durchschnitt bedienen.

Zeit

Frau Michelfeit betont in ihrem Artikel, wie wichtig die Zeit für Kinder ist. Sie finden Dinge wichtig, denen wir keine Bedeutung beimessen, müssen mal eben noch auf der Mauer balancieren oder ein Bild fertig malen. Im Gegensatz zu uns haben sie ja eigentlich auch noch eine Menge davon. „Eigentlich“, denn unsere oft viel zu starren Zeitpläne im Tagesablauf verhindern allzuoft ein freies, unzerteiltes und ungestörtes Spiel.
Wir müssen immer wieder hinterfragen, ob diese oder jene Unterbrechung wirklich nötig ist. Muss das Kind aus der Spielsituation gerissen werden, damit es zum Beispiel an dem gemeinsamen Angebot teilnimmt, oder kann ich flexibel darauf reagieren und zum Wohle des Kindes von meinen eigenen Vorstellungen abrücken? Das ist immer wieder ein Balanceakt, ein individuelles Abwägen und eine große Anforderung an unsere Organisationsfähigkeit.
Uns sollte die Bedeutung der Zeit als kostbares Gut immer im Bewusstsein bleiben, damit wir den Kindern freie Zeiträume schaffen und wir uns genug Zeit nehmen zum Zuhören und Beobachten.

Beispiele für Angebote

Es ist nicht damit getan, den Kindern Räume, Materialien und Zeit zur Verfügung zu stellen, man muss auch damit arbeiten. Sicher ist das freie Experimentieren und Erforschen der Spielumwelt ein erster wichtiger Schritt. Darüber hinaus sollte es aber auch gezielte und geleitete Angebote geben. Wie Frau Vock bemerkt, muss den Kindern auch gezeigt werden, wie man mit dem Material umgehen kann. Die Kinder entdecken ja vielleicht nicht alles von alleine: Um zum Beispiel beim Mikroskopieren ein befriedigendes Ergebnis hervorzubringen, muss man die Funktionen des Mikroskops schon kennen.
Themenbezogene Projektarbeit nennt Frau Michelfeit als wichtiges Angebot, um Lerninteressen der Kinder zu koordinieren und zu bündeln. So kann man bei bestimmten Themen in die Tiefe vordringen und betrachtet nicht nur viele Sachen oberflächlich, sondern einige auch umfassend und auf vielen Erfahrungsebenen.
Diskussionsrunden, um das Erlebte zu besprechen, finde ich auch sehr wichtig. Zunächst macht jeder Einzelne seine persönlichen Entdeckungen, aber erst der Austausch darüber gibt ein vielschichtiges Bild. Man kann so gemeinsam zu Erkenntnissen kommen.
Eine schöne Idee finde ich auch das Aufschreiben von Geschichten, die die Kinder erzählen. Damit gibt man ihren Erzählungen einen besonderen Stellenwert. Gerade sprachlich begabten Kindern bietet man so noch eine weitere kreative Ausdrucksmöglichkeit.

Gruppe / Spielpartner

Hoch begabte Kinder brauchen Freunde. Diese Freundschaften können unterschiedlich geartet sein. Mit dem einen trifft man sich zum Fußballspielen, den anderen beschäftigen ähnliche philosophische Fragen. Frau Vock betont, dass es wichtig ist, ähnlich motivierte und befähigte Kinder zusammenzubringen, damit sie auch auf Gleichgesinnte treffen, mit denen sie sich über ihre Gedanken austauschen können. Oft fehlen diesen Kindern adäquate Spielpartner, die auf ihrem Niveau denken.
In Kleingruppen kann man solche Kinder zusammenbringen und mit ihnen intensiv arbeiten.

Das hoch begabte Kind sollte entscheiden können, ob es an Gruppenaktivitäten teilnehmen möchte oder eigene Pläne verfolgen will. Gleichzeitig soll das Kind aber auch keine Sonderrolle bekommen. Wie schon bei der Frage nach der unzerteilten Zeit finde ich auch hier wichtig, von Fall zu Fall abzuwägen und dem Kind Freiräume zu gewähren. Dann dürfen aber auch andere Kinder sich mal von der Gruppe absetzen.
Generell ist es wichtig eine gute Balance zwischen der Einhaltung der Regeln und den Ausnahmen zu finden.

Elternarbeit

Die Eltern sind ein ganz wichtiger Faktor in der Förderung der Kinder und sie müssen daher immer mit einbezogen werden. Um eine gute Vertrauensbasis zu schaffen, ist es wichtig, ihnen Wertschätzung und Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Kontinuierlicher Austausch und Gespräche fördern ein gutes Miteinander.
Eltern hoch begabter Kinder haben darüber hinaus noch zusätzlichen Beratungsbedarf. Sie haben, wie Frau Vock bemerkt, wenig Vergleichsmöglichkeiten in ihrem Umfeld und sind verunsichert. Freunde und Verwandte können ihnen zu ihrer besonderen Situation wenig Rat geben. Hier ist es wichtig, auch den Eltern kompetente Hilfe anzubieten, sie gegebenenfalls bezüglich eines geeigneten Einschulungstermins zu beraten oder auf Institutionen aufmerksam zu machen, die ihnen weiterhelfen können.

Öffentlichkeitsarbeit

Zum Thema Hochbegabtenförderung muss noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden, da immer noch viele Kinder darunter leiden, dass ihre Begabung nicht erkannt wird.
Hoch begabte Kinder müssen vor negativer Etikettierung geschützt werden und der Sprachgebrauch dahingehend überprüft werden, ob er diese Kinder diffamiert. Das Umdenken in der Gesellschaft hat gerade erst begonnen und es bestehen immer noch Vorurteile gegen „Streber“, „Besserwisser“ und „Elitebildung“.
Auch die Politik muss die Wichtigkeit einer Hochbegabtenförderung erkennen und ausreichend Mittel für Personal und Einrichtungen zur Verfügung stellen, anstatt noch weiter zu kürzen.

Aus- und Weiterbildung

Da bisher das Thema Hochbegabtenförderung in der Ausbildung der Erzieherinnen kein Thema war, fühlen sich, wie Frau Michelfeit feststellt, viele Erzieherinnen damit überfordert. Es ist dringend erforderlich, dass das Thema in Aus- und Weiterbildung einfließt und flächendeckend publik gemacht wird. Denn die Erzieherinnen sind die ersten pädagogischen Fachkräfte, die Kontakt zu Kind und Familie haben und in dieser Funktion schon Weichen stellen können für das Wohlergehen der Kinder.

Vernetzung

Eine Vernetzung der unterschiedlichen Institutionen finde ich sehr wichtig. Die Zusammenarbeit mit Fachleuten, sei es von pädagogischer Seite (Frühförderstelle…) oder profaner Seite (Künstler, Förster…), bereichert und ergänzt die eigene Arbeit.

Im Kontakt zur Schule kann man den Übergang für die Kinder, besonders die hoch begabten, fließend gestalten und durch intensiven Austausch über das Kind Vorurteile und Hemmungen seitens der Lehrkräfte abbauen. Über das IHVO hat man die Möglichkeit, durch den Austausch mit anderen Fachkräften stets viele Ideen, Anregungen und neue Erkenntnisse zu diesem Thema zu gewinnen.

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Hier die Aufgabe (die Frau Overödder hier bearbeitet hat):

Sie haben Kopien von drei Zeitschriftenaufsätzen erhalten:

– Elisabeth Bopp, Auch kluge Köpfe haben´s manchmal schwer.
In: Kindergarten heute 7-8 /2000, Seiten 6-11.
– Gretl Michelfeit, Hoch begabte Kinder – Praxisbericht aus einem
normalen kommunalen Kindergarten. In: BMW Group (Hrsg.)
Kleine Kinder – große Begabung. München 2000. Seiten 147-163.
– Hanna Vock, Hochbegabung im Kindergarten. Begabungen erkennen
und fördern. In: Kita aktuell, Okt. 2003. Seiten 200-202.

Bitte lesen Sie diese Artikel und arbeiten Sie heraus,
welche Anregungen zum Umgang mit hoch begabten Kindern
im Kindergarten die drei Autorinnen geben.

Arbeiten Sie Übereinstimmungen und Unterschiede heraus.

Bitte nehmen Sie auch kritisch Stellung zu den Ideen der Autorinnen.
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Datum der Veröffentlichung: August 2015
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