von Doris Lenz

 

Die folgende Geschichte haben sich zwei Mädchen zusammen ausgedacht. Emma, mein Beobachtungskind im IHVO-Zertifikatskurs, ist inzwischen 4;11. Ihre Freundin  Maike ist 5;9 Jahre alt.

Mehr zu Emma können Sie hier lesen:

Emmas Stärken

Projekt: Ein Gartenbeet anlegen

Emma und ihre Freunde machen ein richtiges Geschichtenbuch

Die Geschichte

„THOMAS UND DIE GEBROCHENE PUPPE

Eine Weihnachtsgeschichte.

Thomas wünscht sich eine Puppe zu Weihnachten. Er hat gedacht, er bekommt sie nicht, weil die Mama gesagt hat, er bekommt keine Puppe und da war er sehr traurig.
Thomas guckt aus dem Fenster. Es könnte passieren, dass eine Sternschnuppe vom Himmel runter fällt. Es fallen ganz viele und deshalb wünscht er sich die Puppe von ganzem Herzen.

Thomas geht schlafen. Am nächsten Morgen ist Weihnachten. Thomas hat in ein Geschenk geguckt. Erst dachte er, es wäre keine Puppe darin, aber es war eine darin und er war sehr glücklich.

Seine Freundin Lilli kommt zu Besuch. Sie spielen zusammen. Lilli schmeißt die Puppe auf den Boden. Sie wollen beide die Puppe aufheben und ziehen an den Armen. Der neuen Puppe bricht der Arm ab. Thomas geht es schlecht.

Da kam die Mama ins Kinderzimmer und hat mit Thomas geschimpft.
Mama hat gesagt: “Warum hast du die schöne Puppe von Weihnachten so kaputt gerissen?“

Thomas hat der Mama gesagt: „Das war ich nicht. Meine Freundin hat sie auf den Boden geschmissen. Und dann wollte ich sie aufheben, aber dann hat sie sie mir aus der Hand gerissen und dann ist der Arm abgebrochen, weil sie so feste daran gerissen hat.“

Die Mama sagt: “Die Freundin wohnt nebenan und wir bringen sie gleich rüber.“
Dann hat Mama die Puppe wieder mit Sekundenkleber geklebt.

Thomas hat gesagt: „Da fließt ja aus der Seite noch Kleber raus.“
Da hat Mama gesagt: “Oh, das muss ich schnell mit einem Feuchttuch wegmachen.“

Weil die Mama die Puppe wieder geklebt hat, war Thomas sehr glücklich und hat der Mama eine Blume geschenkt, die er gebastelt hat.
Da war die Mama sehr, sehr glücklich und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“

…kurz gefasst …

Emma (4;11) zeigt ein erstaunliches Talent, nicht nur zusammen mit ihrer Freundin eine Geschichte auszudenken – sie macht daraus mit Leichtigkeit ein kleines Theaterstück, wobei sie den Ablauf der Geschichte, die leichte Unsicherheit ihrer Mitspielerinnen und alles Technische (Spielort, Requisiten) fest im Blick hat und selber gut die Hauptrolle spielt.

Sie denkt und handelt tatsächlich wie eine Regisseurin.

Wie wird aus der Geschichte ein Theaterstück?

Nachdem mir Emma und Maike die Geschichte erzählt haben, frage ich Emma, ob sie vielleicht Lust hat, die Geschichte zu spielen. Sie ist Feuer und Flamme und sprudelt sofort los: „Wir brauchen aber noch Jemanden, der mitspielt. Ich könnte Fee fragen. Also ich möchte den Thomas spielen, und du, Maike, kannst die Mutter spielen. Fee ist dann die Freundin.“ Ich weise sie darauf hin, dass sie Fee (5;0) auf jeden Fall fragen sollte.

Requisiten, Bühne und Co.

Ich höre bei den Beiden nach, was man denn alles benötigt, um die Geschichte vor zu spielen. Gemeinsam überlegen sie, was sie denn so alles brauchen. Ich erwähne, dass man beim Theater von Requisiten spricht. Mir ist es wichtig, das Emma und Maike auch neue Begriffe kennen lernen, die mit der Theaterwelt verbunden sind.
„Einen Tannenbaum, weil ja Weihnachten ist, und eine Puppe“ äußert Emma. Maike erwähnt die Sternschnuppen. „Und wir brauchen die Blume für die Mutter“, sagt sie. „Kleber dürfen wir nicht vergessen“, ergänzt Emma.

Ich weise auf unseren Tannenbaum im Flurbereich hin. „Dort können wir ja spielen“, meint Emma. Maike ist einverstanden und sagt, dass sie die Sternschnuppen und die Blume basteln könnten. Diese Idee greift Emma sofort auf und beide gehen in ihre Gruppe zum Basteltisch, holen sich Papier und beginnen zu zeichnen.

Plötzlich stoppt Emma und fragt: “Wie sehen denn Sternschnuppen aus?“ Maike malt einen Stern mit einem Schweif auf.
„Ach so“, meint Emma und beide Kinder malen ihre Sternschnuppen und schneiden sie dann aus. Die Blume wird von Maike auf ein Blatt Papier aufgemalt, die sie dann ebenfalls ausschneidet.

Nachdem beide fertig sind, fragt Emma ihre Freundin Fee, ob sie Lust hat mitzuspielen.

Nachdem ihr Emma erklärt hat, worum es sich handelt, ist Fee einverstanden.
Wir verabreden uns für den nächsten Tag zu einer „Theaterprobe.“

Theaterprobe

Am Vormittag treffe ich mich mit den drei „Schauspielerinnen“ im Flur. Gemeinsam überlegen wir (wobei ich minimale Impulse gebe) wo die einzelnen „Szenen“ stattfinden sollen. Hier ist Emma wieder in ihrem Element und übernimmt die Regie.

1. Szene
Emma hat sofort konkrete Vorstellungen und wählt die Sofaecke des Flurbereiches aus. Diese soll das Zimmer von Thomas sein. „Thomas“, gespielt von Emma, ist in seinem „Zimmer“. Ein höheres Regal wird von Emma kurzerhand zum Fenster umfunktioniert. Emma steigt auf einen kleinen Stuhl und schaut über dieses Regal hinweg in den „Himmel“.

Davor stellen die Kinder eine mit gelbem Stoff bezogene Stellwand. Hinter dieser soll sich Fee verstecken. Sie soll die „Sternschnuppen“ an der passenden Spielstelle über die Stellwand werfen.

Während „Thomas“ (gespielt von Emma) in seinem Zimmer ist, sitzt die Mutter an einem Tisch, der sich unweit von „Thomas Zimmer“ befindet. Ich frage die Kinder, ob die Mutter vielleicht etwas am Tisch zu tun hat, worauf Maike antwortet, dass die Mutter Wäsche falten könnte. (Unsere Küchenkraft sitzt häufig am selben Tisch und verrichtet dort genau die gleiche Arbeit.) Ich schicke sie in die Küche, um bei Brigitte (unserer Küchenkraft) Handtücher zu holen. Maike setzt sich an den Tisch und faltet die Handtücher, die sie geholt hat.
Emma gibt weitere Regieanweisungen zum Ablauf. „Ich (also in ihrer Rolle als Thomas) lege mich dann auf das Sofa zum Schlafen und die Mutter (gespielt von Maike) kommt und gibt mir einen Gutenachtkuss“, erklärt sie den anderen beiden Mädchen. „Wir brauchen noch das Zuhause von Lilli, die kann auf dem Klettergerüst wohnen“, ergänzt sie noch und Fee geht auch sofort dort hin.

Die fehlenden Requisiten werden ebenfalls zusammengetragen. Hier gebe ich Hilfestellung bezüglich des abgerissenen Arms. Da die Puppe bewegliche Arme hat, teils aus Stoff, zeige ich Emma, wie sie den Arm am besten verstecken kann, damit jeder denkt, er sei abgebrochen. Emma packt die Puppe als Geschenk in Krepppapier ein und legt sie unter den Weihnachtsbaum.

2. Szene
In dieser Szene wacht „Thomas“ auf und geht zum Weihnachtsbaum, der unweit vom Tisch steht. Dabei sagt Emma: „Erst schau ich mir die Anhänger an und dann guck ich auf das Geschenk und mache es auf.“
Ich finde es interessant, wie sie auf diese Art einen Spannungsbogen für das Publikum erreicht.

Maike und Fee äußern sich zu diesem Zeitpunkt nicht zum Thema „Regie“, sind aber dennoch bei der Sache, hören und schauen aufmerksam zu, was „Regisseurin“ Emma sagt und tut.

Nachdem das Geschenk geöffnet ist, geht „Thomas“ zur „Mutter“ und zeigt ihr die Puppe. „Er“ freut sich sehr darüber. Hier zeigt Emma ihr Können bei der Umsetzung in Gestik und Mimik.

Während „Mutter“ und „Sohn“ zusammenstehen, soll die „Freundin Lilli“, gespielt von Fee, klingeln. „Thomas“ öffnet die Tür und die Freunde gehen ins „Kinderzimmer“.
Auch hier hat Emma einen großen Anteil bei der Regieführung. Im „Kinderzimmer“ spielen beide Kinder mit der Puppe. Dabei fällt sie laut Geschichte zu Boden. Beim Versuch sie wieder aufzuheben, geschieht das Unglück und ein Arm der Puppe reißt ab.

Emma in ihrer Rolle als Thomas spielt einen wunderbaren „Weinkrampf“, bis die „Mutter“ erscheint. Maike ist in ihrer Rolle textlich noch nicht so fest, erhält aber sofort Unterstützung von Emma, die die Abläufe spontan in Dialoge umsetzen kann, so dass die Situation geklärt wird.

Die „Mutter“ bringt „Freundin Lilli“ nach Hause.
Nachdem „Freundin Lilli“ „nach Hause“ gebracht worden ist, verbleiben „Mutter“ und „Sohn“ vor Ort. Die „Mutter“ repariert die Puppe und zum Dank schenkt „Thomas“ ihr eine Blume.

Die Theaterprobe ist sehr positiv verlaufen. Ich frage bei den Kindern nach, ob es irgendetwas gäbe, was sie gerne verändern oder anders machen wollten. Aber auch sie sind zufrieden. Es wird vereinbart, das kleine Theaterstück am nächsten Tag während des Kita-Plenums vorzuspielen.

Aufführung

Die drei Kinder bereiten am nächsten Tag alles vor und spielen ihr
Theaterstück allen Kindern der Einrichtung vor.
Dabei ist bemerkenswert, mit welcher Selbstsicherheit gerade Emma (4; 11) ans Werk geht. Maike (5; 9) wirkt hin und wieder etwas unkonzentriert und Fee (5; 0) strahlt eine absolute Ruhe in ihrem Tun aus.

Die anderen Kinder hören und schauen aufmerksam zu und belohnen die drei Schauspieler mit einem großen Beifall.

Fazit

Emma war während der ganzen Entwicklungsphase von der Geschichte bis zum Theaterspiel selbst hoch motiviert, hatte alles im Blick, organisierte und zeigte wieder einmal ihre Führungskompetenz, ihre starke Eigenmotivation und ihre Kreativität in der Umsetzung. Die Talente von Emma kamen gerade hier sehr stark zum Vorschein. Im Gegensatz zu ihren oft zu komplexen Ideen, bei deren Umsetzung und Organisation sie öfter scheitert, war dieses Projekt eine gelungene und runde Sache.

Bei der Entwicklung der Geschichte waren Emma (4; 11) und Maike (5; 9) gleichwertige Partnerinnen, bei der Umsetzung war Emma ganz klar die Leaderin. Fee (5; 0) fiel ein geringerer Anteil zu, da sie ja auch erst später dazu stieß und eher die Rolle einer Statistin einnahm, ohne aber gelangweilt zu wirken.

Meine Rolle als Erzieherin

Ich hielt mich sehr zurück, um den Selbstbildungsprozess der Kinder nicht zu stören. Es waren nur selten kleine Impulse notwendig. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, das selbstständige Handeln zu beobachten und zu begleiten.

Ausblick

In zwei Monaten haben wir in unserer gesamten Kita das Thema „Theater“.
Hier wird Emma sicherlich wieder mit vollem Einsatz und ganzem Herzen dabei sein. Dabei lässt sich sicherlich auch eine Verknüpfung herstellen zu ihrem Interessenswunsch „Singen und Musik machen“.

Dennoch möchte ich auch die beiden im Interessen-Fragebogen angegebenen Punkte „Über Fragen nachdenken“ und „Rätsel lösen“ in den nächsten Wochen in die Arbeit mit Emma integrieren. Ich wünsche mir auch, dass ich die „Kleine Philosophenrunde“ wieder aufleben lassen kann.

 

Datum der Veröffentlichung: Januar 2015
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