von Martina Lange-Blank

 

Bevor Jan-Hendrik dreieinhalb wurde, kam bei ihm schon die Idee auf, Geschichten zu schreiben: „Wie kann man schreiben lernen? Wenn ich immer Striche und Linien und halbe Kreise und Schlangen und Punkte male, dann kann ich auch Geschichtenschreiber werden. Schön malen kann dann mein Freund Jan, da sieht man, was wir meinen.“

Er kann sich mit mehreren Themen gleichzeitig und sehr gründlich befassen (zum Beispiel Ritter, Dinosaurier und Römer). Er kann sich dann über mehrere Stunden konzentrieren.

 

 

… kurz gefasst …

Jan-Hendrik ist ein sehr wissbegieriges Kind. In der Autorin (freigestellte Kita-Leiterin) findet er eine Mentorin, die ihn über einen längeren Zeitraum engagiert bei seinen frühen Studien begleitet.
Ein Teilprojekt aus dieser Förderarbeit wird hier beschrieben: die Erstellung eines Lexikons über die alten Römer mit einem Jungen, der gerade 5 Jahre alt geworden ist.

In unserer Kita gibt es zwei weitere Jungen etwa in Jan-Hendriks Alter, die ähnlich weit entwickelt und wissbegierig sind: Jan (4;2) und Benjamin (4;0). Jan-Hendrik ist inzwischen 5;0.
Diese drei Jungen haben sich bei gruppenübergreifenden Aktionen bereits gegenseitig „entdeckt“, sie sind oft zusammen anzutreffen und verstehen sich sehr gut.

Jan-Hendriks Antworten im Interessenfragebogen

Aus dem Interessenfragebogen seien hier einige Antworten von Jan-Hendrik wieder gegeben. Er war damals 3;6 Jahre alt:

Frage: Hast du eine ganz besondere gute Freundin oder einen ganz besonderen guten Freund?
Jan-Hendrik: „Matthias. Er kann schon lesen und schreiben.“ (Schulkind 2. Klasse)

Frage: Was kannst du besonders gut?
Jan-Hendrik: „Fahrrad fahren, Dinos malen, Geschichten erzählen und malen.“

Frage: Was tust du denn am allerliebsten im Kindergarten?
Jan-Hendrik: „Draußen im Gebüsch spielen. Streiche machen.“

Frage: Was gefällt dir im Kindergarten gar nicht?
Jan-Hendrik: „Wenn ein Kind das Gebaute zerstört. Wenn mich einer ärgert.“

Frage: Was möchtest du hier im Kindergarten als nächstes gerne lernen?
Jan-Hendrik: „Schreiben. Lesen können. Gitarre lernen. Geschichtenerzähler werden.“

Frage: Welchen Beruf findest du toll, was möchtest du einmal werden?
Jan-Hendrik: „Paläontologe oder Wissenschaftler für die Erde.“

Frage: Stell dir vor, du triffst einen Menschen, der alles über die Welt und das Leben weiß. Was würdest du diesen Menschen fragen wollen?
Jan-Hendrik: „Wie das Leben in der Ritterzeit war, wie man sich da benehmen muss.“

Und so malte Jan-Hendrik mit 3;6 einen Dinosaurier:

Um dem außergewöhnlichen Wissenshunger der drei Jungen, vor allem Jan-Hendrik, gerecht zu werden, habe ich mich entschlossen, begrifflich an Jan-Hendriks „Universitätsbuch“, das er vom ersten Tage mit in die Kita gebracht hat, anzuknüpfen.

Zu Jan-Hendrik und seinem Universitätsbuch siehe auch: Beispiele aus Kitas zu Kindern unter 3 Jahren.

In Absprache mit den drei Kindern gründete ich die „Warum-Kinder-Universität“.

Wir befassten uns längere Zeit damit, wie man an eine Universität kommt und wer dort arbeitet. Der gerade 4 Jahre alt gewordene Christof verkündete daraufhin, dass er der Assistent von Jan-Hendrik sein möchte.

Wir sprachen darüber, dass man als Forscher – Entdecker – Wissenschaftler Fragen hat, die einen sehr beschäftigen. Jan-Hendrik brachte die Beispiele:

Warum sind die Dinosaurier ausgestorben? oder: Warum kann man mit einem Anspitzer die Stifte spitz kriegen?

Die drei Jungen entschieden, dass ihre „Universität“ erst einmal klein sein sollte. Ihre Argumente waren:
Jan-Hendrik: „Es gibt große Menschen und kleine Menschen / große Schulen und kleine Schulen; und in einer kleinen Schule können auch nur wenige Menschen lernen.“
Jan: „Es wäre doch schön, wenn wir die gesamte Gruppe zu einer Universität umräumen könnten.“
Dagegen meinte Benjamin: „Es ist doch unsere Universität; wenn wir viel wissen, dann können auch die anderen Kinder zu unserer Universität kommen. Jan-Hendrik ist doch der Erfinder und auch unser Experte.“ (So wird Jan-Hendrik von beiden Jungen genannt, ihnen ist klar, dass er am meisten weiß.)

In dieser Phase trafen wir uns täglich für etwa eine Stunde, um über unsere Universität zu sprechen und ihren Aufbau in Angriff zu nehmen.

Unter anderem einigten wir uns auf eine Koffer-Universität, in der viel themenbezogenes Material zu verstauen war. Viele kleine Schätze und Schachteln fanden darin Platz.

Über längere Zeiträume beschäftigten wir uns mit den Wissens- und Forschungsgebieten:

    • Ozeanografie (Wale und Delfine),
    • Mineralogie (Steine),
    • Paläontologie (Dinosaurier),
    • Entwicklung der Erde

Für Jan-Hendrik, der sich (als einziger) sehr für Buchstaben und Schriften interessierte, legte ich außerdem noch eine umfangreiche Materialsammlung zu Buchstaben an, mit der er sich intensiv beschäftigte.

Fragen, die er mir stellte:

Weißt du, wer die Schrift erfunden hat?
Weißt du, wer die Buchstaben erfunden hat?
Weißt du, was Grapheme sind?

Diese Fragen waren für mich recht herausfordernd und wir begaben uns gemeinsam auf geistige Erkundungsreisen.

So kamen wir auch zu den Hieroglyphen, und bei Jan-Hendrik entwickelte sich ein tiefschürfendes Interesse für die alten Ägypter. Er wollte viel über die Kultur der Ägypter, die Hieroglyphen, die Pharaonen und die Pyramiden wissen.

Hier nur ein Beispiel dafür, wie er sich mit dem Thema auseinander setzte. Ich gab nur das Dreieck vor, er füllte es mit seinem neuen Wissen, die Begriffe sagte er mir, damit ich sie daneben schreiben konnte. Er war zu diesem Zeitpunkt 4;6 Jahre alt. Ein Stück weit zog er hier noch seine beiden Freunde mit, aber er war doch mit Abstand der Beharrlichste und Wissbegierigste.

Vorher hatte er zahlreiche Zeichnungen angefertigt, sozusagen Vorarbeiten. Hier ist eine davon:

 

Und nun die Römer…

Vom alten Ägypten wechselte sein Interesse nach längerer Zeit zu den alten Römern. Diesen Teil seiner Lernarbeit, der sich über die nächsten Monate erstreckte, möchte ich näher beschreiben.

Jan-Hendrik war jetzt 5;0 Jahre alt. Für die Koffer-Universität erstellten Jan-Hendrik und ich zusammen einen neuen, aktuellen „Forscher-Steckbrief“:

*****

Ich heiße: Jan-Hendrik
Ich bin: 5 Jahre alt
Ich arbeite als: Archäologe und Paläontologe

Ich mag gerne:

    • Steine, Fossilien, Muscheln sammeln
    • Lupen und Ferngläser
    • Geschichten, aber echte (echte sind Bücher … Sachbücher)
    • Bilder und Fotos von Pyramiden
    • Ausgrabungsmuseen (Ich war auch schon mal im Pergamon Museum in Berlin)
    • alles von Tutanchamun und den alten Ägyptern
    • alles über Wikinger, Ritter, die alten Römer, die alten Ägypter
    • Buchstaben und andere Schriften
    • Hieroglyphen
    • in Lexika lesen

Ich sammle alles, was mich interessiert, was ich gut kenne und wo ich gut bin, alles was mir viel Spaß macht.

Jetzt interessiere ich mich für die alten Römer, aber darüber gibt es kein eigenes Lexikon – das braucht man aber, wenn man über die alten Römer erzählen möchte.

*****

Er kannte schon die CD „Was ist was? Das alte Rom“. Nun besorgte ich einschlägige Bücher, Jan-Hendrik sah sie sich gründlich an (er konnte noch nicht lesen, hatte sich aber im Rahmen des Projekts alle Buchstaben angeeignet), fragte mich das eine oder andere.

Mit meiner Hilfe arbeitete Jan-Hendrik einen „Experten-Plan“ aus (wobei er und ich die Experten waren):

1. Gladiatorenarena und Gladiatoren aus Modelliermasse herstellen.

2. Ich möchte ein Rätsel für meine Gruppe und mein Buch über die Römer machen.

3. Warum-Fragen für mein Buch aufschreiben.

4. Lateinische Worte lernen.

5. Italienische Worte lernen.

6. Ich brauche dringend ein Römer-Lexikon. Ein Römer-Lexikon schreiben, Bilder einkleben, Bilder malen und mal sehen, ob wir es auch schaffen!

Auf die Frage, wann wir das alles bearbeiten wollen, antwortete Jan-Hendrik:

„Wir arbeiten, wenn wir Lust haben, nicht jeden Tag. Manchmal bringe ich auch Dinge von zu Hause mit, Fotos oder etwas aus dem Internet, wenn meine Eltern mir das suchen.
Wir sammeln jetzt erst mal viele Sachen für das Lexikon. Zu Hause habe ich jetzt auch ein Video über die Römer, das leihe ich dir aus, damit du dann auch darüber Bescheid weißt.“

Ein Gespräch

Als wir nun mit dem Lexikon loslegen wollten, führte ich das folgende Gespräch mit ihm:

„Warum möchtest du ein Lexikon schreiben oder herstellen?“
Jan-Hendrik: „Weil ich nur mit dem Lexikon Dinge lesen kann und es dann auch den anderen Kindern zeigen und auch erklären kann.“

„Weißt du denn schon, wie wir das Lexikon erstellen sollen?“
Jan-Hendrik: „Wir sammeln erst mal die Buchstaben, wie in meinem Tierlexikon.“

„Wenn wir alle Buchstaben aufgeschrieben haben, was machen wir dann?“
Jan-Hendrik: „Dann suchen wir aus unseren Römer-Büchern zu jedem Buchstaben ein Wort und erklären es dann, du schreibst es auf und ich sage dir, was du schreiben sollst.“

„Soll ich alles alleine schreiben? Was machst du dann?“
Jan-Hendrik: „Ich denke nach, wenn du schreibst.“

„Soll ich alles, was du mir zum Aufschreiben sagst, mit dem Computer schreiben?“
Jan-Hendrik: „Du kannst es ja versuchen, ich sage dir dann, wie das aussehen soll. Meine Mama hat auch einen Computer, ich mag ihn aber nicht. Aber es sieht immer schön aus.“

„Was sieht schön aus?“
Jan-Hendrik: „Die Bilder und das bunte Schreiben. Du kannst ja alle Buchstaben anders schreiben, ein Lexikon ist immer bunt.“

„O.K. Ich schreibe etwas für dich auf dem Computer und du sagst, ob wir es so für dein Lexikon gebrauchen können.“
Jan-Hendrik: „Ja, bring morgen mal ein Computerschreiben mit.“

„Was sollen wir denn dann heute für dein Lexikon machen?“
Jan-Hendrik: „Wir sammeln Forscherfragen für das Lexikon.“

„Soll ich die Forscherfragen aufschreiben?“
Jan-Hendrik: „O.K., das machen wir heute.“

Und dies waren die Forscherfragen:

1. Lebten alle Römer in Rom?

2. Wer war der Chef in Rom?

3. Was arbeiten die Römer?

4. Gab es auch Soldaten?

5. Welche Götter waren in Rom?

6. Wie sahen die Häuser aus?

7. Wie bekamen die Römer etwas zu essen?

8. Hatten die Römer eine Universität?

9. Welche Sprache haben die Römer gesprochen?

10. Wie haben die Gladiatoren gekämpft?

11. Was ist eine Arena?

12. Welche Schrift haben die Römer geschrieben?

13. Waren die Römer auch so wie die Ägypter?

Mit diesen Fragen waren wir erst einmal eine lange Zeit beschäftigt und brauchten weitere Bücher.

Was sich Jan-Hendrik über das Leben der alten Römer neu erarbeitet hat, verglich er immer wieder mit seinen Kenntnissen über die alten Ägypter, zum Beispiel ihre Schriftzeichen, ihre Kämpfe, die Schifffahrt, die Handelsgüter.

Wie die Kinder in diesen alten Zeiten gelernt haben, interessierte ihn sehr, zum Beispiel warf er die Frage auf: „Warum waren die Mädchen und Jungen nicht in einer Schule?“

Er stellte auch Vergleiche zwischen den Göttern her und fragte u.a.: „Warum heißen die römischen Götter wie unsere Planeten?“

Schließlich überlegten wir:

Wie erstellt man ein Lexikon?

Das Ergebnis unserer Überlegungen war:

Materialsuche:

    • Viele Bücher ansehen
    • Texte im Internet suchen
    • Fotos aus GEO und GEO National Graphic kopieren
    • Bilder aus dem Internet ausdrucken

Schriftarten und Text:

    • Schriften aus dem Internet ausprobieren
    • Schriften in Zeitschriften betrachten
    • Handschrift ausprobieren
    • Erklärungen für die verwendeten Bilder ausdenken und aufschreiben
    • Schwierige Worte erklären
    • Vergleiche anführen: Damals und Heute

O-Ton Jan-Hendrik: „Frau Blank und ich besorgen uns immer viele Sachen, die uns interessieren – dann kann man auch ein Buch machen.“

„Ich will das schwierige Buch für mich und meine Freunde machen, damit die auch etwas über die Römer wissen. Und ich habe immer Spaß, viele Sachen zu machen, die ein Wissenschaftler oder ein Archäologe macht oder ein Schriftsteller.“

Nicht nur Jan-Hendrik, auch ich habe viel in diesem Projekt neu dazu gelernt, und es hat mir riesigen Spaß gemacht. Der Aufwand zahlt sich jetzt auch für die Arbeit mit anderen wissbegierigen Kindern aus.

Und so ist das Römer-Lexikon am Ende geworden:

(Eine Korrektur ist nötig: Jan-Hendrik und ich wissen inzwischen, dass man Latein früher brauchte, um Wissenschaftler zu werden, dass Latein aber heutzutage nur noch für einige Wissenschaften Voraussetzung ist.)

Zum Vergrößern das Bild bitte anklicken.

Datum der Veröffentlichung: Februar 2014
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum