Vom Drachen zur Feuerwerkstatt
von Petra Cohnen
Ergün, mein „Beobachtungskind“ im IHVO-Zertifikatskurs, ist inzwischen 4;6 Jahre alt.
Mehr über Ergün lesen Sie hier:
Er hat seinen festen Platz in seiner Gruppe und lebt stabile Freundschaften zu Yves (4;9) und zur sechsjährigen Lisa. Neue gute Kontakte zu Vorschulkindern aus anderen Gruppen sind entstanden. Insbesondere mit Paul, 5;3 Jahre alt, spielt Ergün häufiger. Themen, die die beiden verbinden, sind das Spiel mit der Bewegungsbaustelle und der Werkbank sowie ihr Interesse für Dinosaurier und Drachen.
Vorüberlegungen / Ziele
In den letzten Wochen beobachtete ich, dass Ergün (4;6) und Yves (4;9) sich oft mit Drachen beschäftigen. Sie spielen selbst Drachen, wobei für Ergün wichtig ist, dass Drachen sehr stark sind und Feuer spucken können. Ihn beschäftigt die Frage, ob Drachen wirklich gelebt haben.
… kurz gefasst …
Ergün (4;6) und zwei ältere Jungen erleben, dass die Erzieherin ihnen zu neuen Erkenntnissen über Feuer verhilft.
Durch genaues Beobachten der gemeinsam durchgeführten Experimente sowie durch Fragen von beiden Seiten – der Erzieherin wie der Kinder – entdecken sie Zusammenhänge und eignen sich Wissen an, betreiben also forschendes Lernen.
Ihre Ergebnisse halten sie mit Bildern und Texten in einem Werkstattbuch fest.
Es ergibt sich über längere Zeit eine erfreuliche Zusammenarbeit.
Ich sage ihm, dass ich ihm ein Buch mitbringen kann, in dem viele Informationen über Drachen zu finden sind. Nachdem er durch unsere gemeinsame Recherche erfahren hat, dass Drachen in Sagen und Märchen vorkommen, aber nicht leben oder gelebt haben, erfindet er im Rollenspiel gemeinsam mit Yves zahlreiche Drachengeschichten. Immer ist das Feuerspucken ein wesentlicher Teil der Handlung.
Durch das Mind-Map (siehe auch: Pläne, Zeichnungen, Skizzen, Mind-Maps) zum Thema „Drachen“, das ich mit beiden Jungen durchführe, bestätigt sich meine Einschätzung. Neben dem Aspekt „Drache im Vergleich zu Dinosaurier“ ist das Feuerthema für Ergün das bedeutsamste. Ergün und Yves unterhalten sich über die Gefahr, wenn Drachen Feuer spucken, wenn Gegenstände / Menschen brennen, wie ein Brand gelöscht werden kann, usw. und haben dazu viele Fragen.
Mir wird deutlich, dass Ergün und Yves hier zwar ein großes Interesse zeigen, aber noch wenig Sachwissen haben. („Womit kann Feuer gelöscht werden? / was brennt?“).
Da ich durch verschiedene Beobachtungen weiß, dass auch Paul großes Interesse am Thema „Feuer“ hat, entschließe ich mich, ihn an den Angeboten zu beteiligen.
Ergün zeigt dauerhaftes Interesse am Thema, also erscheint der Zeitpunkt günstig.
Ich werde mit Ergün, Yves und Paul Experimente zum Thema „Feuer“ durchführen:
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- Anzünden einer Kerze mit dem Streichholz,
- Löschen der Flamme durch Auspusten,
- Löschen der Flamme durch Sauerstoffentzug (Glas über Kerze stellen),
- brennbare und nicht brennbare Stoffe.
Wesentlich wird sein, welche weitergehenden Fragen die Kinder entwickeln werden. Sollten die Kinder Fragen stellen, die ich nicht in der Situation beantworten kann, werde ich mit ihnen gemeinsam über mögliche Erklärungen beraten und ihnen sagen, dass ich die notwendige Information für das nächste Treffen herausfinden will. Wichtig hierbei ist mir, den Kindern zu erklären und zu zeigen, wie ich an die Informationen gelangt bin.
Zur Dokumentation der Versuche und ihrer Ergebnisse werde ich mit den Kindern ein Werkstattbuch anlegen.
Da Ergün schon längere Zeit an Buchstaben interessiert ist, nehme ich an, dass er gerne einiges zum Thema für das Werkstattbuch schriftlich festhalten möchte. Die beiden anderen Kinder zeigen bislang zwar Interesse an Buchstaben, aber noch kein Interesse am Schreiben.
Entweder wird ihr Interesse durch diese Aktion geweckt, oder Yves und Paul übernehmen es, die Bilder zu den Sätzen zu malen. Diese Arbeit wird genau so wichtig sein wie das Schreiben, da die Mehrzahl unserer Kinder noch nicht lesen kann.
Wenn das Interesse der Kinder zu einem anderen Themenbereich übergehen sollte, werde ich diesem Interesse der Kinder nachkommen und entsprechende Versuche vorbereiten. Denkbar wären Themen wie: Luft und Sauerstoff / Wasser / Buchdruck und Entstehen eines Buches.
Abschließend sollen das Werkstattbuch und die Experimente den anderen Kindern der Kita vorgestellt werden.
Sachanalyse:
Entzünden eines Streichholzes:
Der Zündkopf der heutigen Sicherheitszündhölzer enthält Kaliumchlorat, ein Salz, das Sauerstoff enthält und als Brandbeschleuniger wirkt.
An der Reibefläche der Schachtel befindet sich roter Phosphor, der leicht entzündlich ist.
Wenn nun der Zündkopf an der Reibefläche der Schachtel gerieben wird, kommen diese beiden leicht brennbaren Stoffe in Kontakt. Die entstehende Reibungswärme reicht aus, das Gemisch aus Kaliumchlorat und rotem Phosphor zu entzünden.
Die Hölzchen sind meist mit Paraffin getränkt, das leichter brennt als Holz. Es hilft, die Flamme in Gang zu halten.
Entzünden einer Kerze:
Kerzen bestehen meistens aus Paraffin oder anderen künstlichen Wachsen, die gut brennen und schon bei 60 Grad Celsius schmelzen, also flüssig werden. Bei weiterer Erhitzung geht das flüssige Wachs dann in den gasförmigen Zustand über, es bildet Dämpfe.
Entzündet man den Docht der Kerze, schmilzt das Wachs in der Nähe des Dochts durch die Hitze.
Der Docht besteht aus Baumwollfäden; zwischen den einzelnen Fäden gibt es Spalten und Röhren.
Flüssigkeiten (also auch flüssiges Kerzenwachs) zeigen ein besonderes Verhalten: Sie steigen in engen Röhren nach oben. Das nennt man Kapillareffekt. Das zunächst flüssige Wachs füllt also die Lücken im Docht , kommt dadurch nahe an die Hitze der Flamme und wird gasförmig. Nun kann es in der Kerzenflamme verbrennen, neues flüssiges Wachs wird wie in einem Fahrstuhl nachgezogen.
Beim Abbrennen einer Kerze wir Energie frei gesetzt (in Form von Wärme und Licht) und es entstehen Rauch, Ruß und Asche.
Löschen einer Kerzenflamme durch Auspusten:
Die gepustete Luft kühlt die Flamme ab, so dass der Flammpunkt (siehe weiter unten), der zum Brennen notwendig ist, unterschritten wird.
Löschen einer Flamme durch Sauerstoffentzug:
Wird die Luftzufuhr zur Flamme unterbrochen, beispielsweise durch Abdecken der Flamme, erlischt diese nach kurzer Zeit, sobald nicht mehr genügend Luft-Sauerstoff vorhanden ist, der ja zu jedem Verbrennungsvorgang gebraucht wird.
Brennbare und nicht brennbare Materialien:
Entscheidend dafür, ob ein Material brennt oder nicht, ist vor allem die Fähigkeit des Materials, mit Sauerstoff zu reagieren und dabei Energie in Form von Wärme und Licht abzugeben. Beim Brennen wird Sauerstoff aufgenommen. Materialien, die das können, sind brennbar, die anderen nicht.
Wie leicht ein Material brennt, dafür sind der Flammpunkt und der Zündpunkt entscheidend.
Der Zündpunkt (auch Zündtemperatur genannt) ist diejenige Temperatur, auf die man ein brennbares Material erhitzen muss, damit sich das Material (Feststoff, Flüssigkeit, deren Dampf oder Gas) ausschließlich aufgrund seiner Temperatur – also ohne Zündquelle wie z.B. einen Zündfunken – selbst entzündet.
Bei der Reibung des Streichholzkopfes an der Reibefläche der Schachtel muss also die Zündtemperatur von rotem Phosphor erreicht werden. Diese liegt bei 300 Grad Celsius.
Der Flammpunkt eines Stoffes ist die niedrigste Temperatur, bei der sich über dem Stoff ein zündfähiges Dampf-Luft-Gemisch bildet. Der Verbrennungsvorgang stoppt in der Regel kurze Zeit nach einer Zündung wieder, wenn die Temperatur des Flammpunktes kurz nach der Zündung nicht erreicht wird. Dann entstehen nicht genügend brennbare Dämpfe, um die Verbrennung aufrecht zu erhalten. Die Kerze würde dann wieder von selbst erlöschen.
Das Kerzenwachs hat einen so niedrigen Flammpunkt haben, dass die Zündung den Docht und das dochtnahe Kerzenwachs so weit erhitzen kann, dass die Kerze auch nach der Zündung weiter brennt. Der Flammpunkt von Kerzenwachs (Paraffin) liegt bei 200 Grad Celsius.
Ziele des Angebots
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- Ergün, Yves und Paul erweitern ihr Wissen zum Thema „Feuer“ und zu weiteren Themen, die sich durch die Fragen der Kinder ergeben.
- Durch das Experimentieren lernen sie, eigene Vermutungen über Verlauf und Ausgang zu formulieren, das Ergebnis des Experiments mit ihren Vermutungen zu vergleichen und Ursachen für mögliche Abweichungen zu finden. Systematisches, schlussfolgerndes und forschendes Denken wird gefördert.
- Ergün, Yves und Paul erfahren, dass ihre Fragen gerne gehört werden und dass ihr Interesse und ihre Neugier meine Anerkennung oder mein „Mit-staunen“ hervorruft. Durch meine Haltung sollen sie ihr Fragen positiv erleben können und in dieser Verhaltensweise gestärkt werden.
- Ergün übt sich im Schreiben von Buchstaben und in der Benutzung der Anlauttabelle. Bei Yves und Paul soll die Neugierde geweckt werden, sie sollen sich eingeladen fühlen, ebenfalls erste Schreibversuche zu starten.
- Die Kinder erfahren, dass ihre Fragen den weiteren Verlauf der Versuche / Aktivitäten weitgehend bestimmen. Sie sollen sich als handlungsleitend erleben können.
- Paul, Yves und Ergün können sich als kompetent in der Vermittlung von Wissen erleben und Interesse bei den anderen Kindern wecken.
Durchführung
Für das erste Experiment stehen Kerze, Streichhölzer, ein Teller für die abgebrannten Streichhölzer, drei unterschiedlich große, leere Wassergläser und Löschwasser bereit.
Yves und Paul benennen einige Dinge, Ergün kennt außerdem Begriffe wie Reibefläche, Wachs, Docht und Zündkopf. Auf meine Frage nach der Funktion der einzelnen Teile erklärt er: “Wenn die Kerze brennt, ist das Feuer am Docht und das Wachs wird nass.“
Ich frage nach, ob das Wachs wirklich nass wird, wenn die Kerze brennt, und die drei Jungs stellen Überlegungen an. Paul zweifelt an der Aussage, kann aber auch keine andere Erklärung finden. Ich frage: “Was geschieht denn, wenn Wasser ganz nah ans Feuer kommt?“ „Das Feuer geht aus“ sagt Ergün sofort.
Um seine Aussage zu bekräftigen, frage ich Ergün, ob er selbst die Kerze anzünden und dann etwas Wasser neben den Docht gießen möchte. Er tut dies, wobei ich feststelle, dass er sehr sicher und geübt ist im Gebrauch von Streichhölzern. Er erzählt, dass er dies mit Papa zu Hause schon häufiger geübt hat. Die Flamme erlischt erwartungsgemäß und Ergüns Vermutung hat sich somit als richtig erwiesen. „Siehst du, sag ich doch“, stellt er fest. Allen leuchtet jetzt ein, dass es kein Wasser sein kann, was sich in der Nähe des Dochts befindet.
Da die Kinder zu diesem Zeitpunkt die richtige Lösung nicht finden und ich nicht zu viel Wissen vorgeben möchte, vertagen wir die Beantwortung der Frage auf später. Ich bitte die Kinder, sich die Frage zu merken und später, wenn die Kerze brennt, das Wachs in der Nähe des Dochts genau zu beobachten.
Ich frage die Kinder, was wir weiter machen können. Paul und Yves sind der Meinung, dass wir die Kerze mit dem Streichholz alle nacheinander anzünden und jeweils mit Wasser löschen werden.
Ich bestätige ihre Vermutung, dass wir heute ausprobieren, wie man eine Kerze mit Wasser löschen kann und dass dies eine Möglichkeit ist, eine Flamme zu löschen. Yves und Paul möchten ebenfalls die Kerzenflamme durch Wasser löschen, was beide dann auch nacheinander tun. Ich bitte die beiden Jungs, die dem Versuch zusehen, das Geschehen genau zu beobachten. Sie stellen fest: Die Flamme erlischt jedes Mal, wenn das Wasser an den brennenden Docht gegossen wird.
Ergün ist noch etwas aufgefallen: “Als der Paul – beim Wiederanzünden, nachdem schon mit Wasser gelöscht war – das Streichholz an den Docht gehalten hat, hat es gezischt!“ Ich frage ihn, was er glaubt, warum es zischt. „Das ist das Wasser, das wird heiß,“ sagt Ergün und die anderen stimmen zu.
Ich bestätige ihre Vermutung und gebe ihnen folgende Erklärung: Es zischt, weil das Wasser in dem wachsdurchtränkten Docht kleine Einschlüsse bildet. Dort verdampft es durch die Wärme der Streichholzflamme. Da der Wasserdampf mehr Platz braucht als das flüssige Wasser, platzt es aus dem Wachs heraus und es „zischt“.
Ich frage nun die Kinder, ob sie sich noch andere Möglichkeiten vorstellen können, wie eine Kerzenflamme gelöscht werden kann. Ergün sagt, man könne die Kerze ja auch auspusten, was Yves und Paul bestätigen. Jeder probiert das Anzünden und anschließende Auspusten der Kerze aus. Yves und Paul gelingt es jetzt schon besser, das Streichholz im richtigen Tempo und Neigungswinkel an der Reibefläche entlang zu ziehen und so das Streichholz zu entzünden. Ergün gibt ihnen hier gerne Hilfe, wenn sie ihn darum bitten. Ich sehe, dass er diese Hilfe gut leisten kann und beobachte das Geschehen, ohne eingreifen zu müssen.
Die Kinder haben nicht die Frage gestellt, wieso die Kerzenflamme erlischt, wenn man pustet. Ich habe es so stehen lassen, da ich mich ja an den Fragen der Kinder orientieren will.
Sie interessieren sich jetzt dafür, woraus das Streichholz eigentlich besteht.
Wir besprechen das Aussehen und die Funktion des Streichholzes. Der Begriff „roter Phosphor“ ist den Kindern fremd, scheint sie aber zu faszinieren, mehrmals verwenden sie den Begriff und korrigieren sich gegenseitig im Gebrauch.
Die entstandene Reibungswärme entdeckt Paul, als er nach mehreren Versuchen mit dem Finger über die Reibefläche streicht, die sich nun warm anfühlt.
Es ist Ergün, der bemerkt, dass beim Löschen der Flamme Rauch aufsteigt. Er hält sich die Nase zu und sagt: “Das stinkt“. Wir unterhalten uns über den entstandenen Rauch und Ergün erklärt, dass der Rauch nicht gut ist für die Gesundheit, davon muss man husten. Ich stimme ihm zu und wir öffnen auf seinen Vorschlag hin ein weiteres Fenster.
Ich frage die Kinder, wann sie den Rauch bemerkt haben und ob sie eine Idee haben, was Rauch ist. Yves beschreibt die Farbe des Rauches als dunkel und Ergün hat beobachtet, dass der Rauch aufstieg, als die Flamme ausgepustet wurde. „Dann war er auf einmal weg,“ sagt Paul. „Aber nicht ganz“, sagt Ergün, „ich kann ihn immer noch riechen.“
Ich greife diesen Satz von Ergün auf und erkläre ihnen, dass der Rauch, der nach dem Auspusten der Kerze aufsteigt, vom Docht und noch unverbrannten Wachsteilchen stammt. Wenn die Flamme erlischt, steigt kein Wachsdampf mehr durch den Docht, dann verbrennt der Docht ein bisschen selber, bis er weiter abgekühlt ist.
Ergün möchte wissen, wie denn die kleinen Teilchen vom Wachs in den Docht kommen können. Ich bitte ihn und die beiden anderen Kinder, sich doch jetzt noch mal den Docht genauer da anzuschauen, wo er aus der Kerze kommt. Die Kerze hat nun eine Weile gebrannt und das Wachs ist jetzt flüssig.
Ich sehe nun eine gute Gelegenheit, die Frage, ob die Flamme das Wachs nass macht, wieder aufzugreifen und zu klären.
Ergün stellt fest, dass sich am unteren Ende des Dochtes jetzt eine Flüssigkeit befindet und alle sind sich einig, dass dies wohl Wachs sein muss. Paul sagt: “Die Flamme ist heiß und hat das Wachs geschmolzen.“ Ergün und Yves sehen das genau so.
Zur Probe möchten sie ein Teelicht anzünden und noch einmal genau zuschauen, ob auch dann wieder das Wachs flüssig wird. Die Probe ergibt das gleiche Ergebnis, womit die oben genannte Frage für die Kinder schlüssig geklärt ist. Ergün bemerkt, dass flüssiges Wachs und Wasser sich sehr ähnlich sehen. „Deshalb habe ich gedacht, das wäre Wasser,“ sagt Ergün.
Ich möchte sicher gehen, dass die Kinder verstanden haben, warum die Flüssigkeit kein Wasser sein kann und frage sie danach. „Na, weil Wasser die Kerze ausmacht und die hier (zeigt auf unsere Kerze) brennt weiter, obwohl da die Flüssigkeit ist“, sagt Ergün.
Nun erkläre ich den Kindern, dass das Wachs aus Kohlenwasserstoffen besteht. Wenn das Wachs im festen Zustand ist, sind die Kohlenwasserstoff-Teilchen untereinander fest verbunden, durch Erhitzen verlieren sie diese Bindungen und werden „beweglicher“, lösen sich voneinander und beginnen zu fließen. Das Wachs wird flüssig. Diese „Teilchen“ sind so klein und beweglich, dass sie durch den Docht nach oben steigen und verbrennen können.
Ergün ist mit dieser Antwort offensichtlich zufrieden, staunt aber darüber, dass „eine so feste Kerze durch einen so engen Docht passt“, wenn sie heiß wird. Ich freue mich sehr über sein Staunen und teile es mit ihm: „Ja, nicht wahr, das ist einfach wunderbar und man kann es sich kaum vorstellen“, sage ich. Ergün schlussfolgert: „Dann weiß ich jetzt auch, warum die Kerze, wenn sie lange brennt immer kleiner wird: Erst wird das Wachs flüssig, dann geht es in den Docht und dann wird es verbrannt oder zu Rauch.“
Für heute beenden wir unsere Experimente und beraten darüber, wie wir die Ergebnisse für unser Werkstattbuch festhalten wollen. Wir entscheiden, bei unserem nächsten Treffen mit dem Gestalten des Werkstattbuches zu beginnen.
Ergün kündigt an, auf jeden Fall schreiben zu wollen. Ihm fällt auf, dass wir die drei Wassergläser gar nicht benutzt haben. Ich sage ihnen, dass wir dies beim nächsten Treffen tun können und bitte die Kinder, schon mal zu überlegen, wozu diese Gläser wohl gebraucht werden können.
Werkstattbuch
Unser nächstes Treffen beginnt mit dem Gestalten des Werkstattbuches. Ergün hat viele Fragen und genaue Vorstellungen vom Aussehen des Buches: „Ein richtiges Buch hat vorn und hinten dicken Karton, hast du so was, Frau Cohnen? Und es muss an der Seite auch ganz fest gemacht sein, nicht nur getackert.“
Wir beratschlagen, welche Materialien wir zur Verfügung haben. Fester Karton für den Einband und ein Spiralbindegerät sind vorhanden und Ergün ist beruhigt.
Wir sammeln gemeinsam die Ergebnisse unseres letzten Treffens; Paul, Yves und Ergün erinnern fast alle Ergebnisse und Versuche, lediglich der Begriff Kohlenwasserstoff fällt ihnen nicht mehr ein, sie umschreiben den Begriff aber als „ganz kleine Teilchen“.
Wir legen fest, wer welches Ergebnis beschreibt und wie er das macht. Ergün arbeitet mit der Anlauttabelle. Paul zögert noch, nimmt dann jedoch auch eine Anlauttabelle und beginnt zu arbeiten. Nach kurzer Zeit bemerke ich, dass er nicht zurecht kommt und gar nichts mehr tut. Er wirkt traurig, sagt aber nichts. Ich frage ihn, ob es ihn traurig macht, dass er nicht mit der Anlauttabelle arbeiten kann. Er nickt und nimmt mein Hilfe-Angebot an. Meine Hilfe besteht darin, dass ich ihn bitte, das Wort, das er schreiben möchte, deutlich auszusprechen. Gemeinsam finden wir die einzelnen Buchstaben des Wortes „Kerze“ heraus und Paul sucht der Reihe nach die jeweiligen Symbole der Buchstaben und schreibt die Buchstaben dann auf sein Blatt. Am Ende ist er sehr stolz, auch ein Wort geschrieben zu haben. Schnell wird aber auch deutlich, dass ihm das Schreiben noch sehr schwer fällt und er viel Zeit braucht.
Ergün findet es eher unverständlich, dass Paul – der doch ein Vorschulkind ist – nicht gerne schreibt. Meine Erklärung, dass Paul heute zum ersten Mal geschrieben hat, leuchtet ihm jedoch ein. „Ja, ich schreibe ja auch zu Hause schon mal und mach das schon lange“ sagt er, „deshalb hab ich das schon mehr geübt.“ Mit dieser Erklärung kann auch Paul, als der ältere von beiden, gut leben und sagt: “Wenn ich Lust habe, kann ich ja jetzt immer ein bisschen schreiben.“
Die Beiden vereinbaren, Pauls Satz über die Kerze gemeinsam zu beenden.
Yves malt, wie der Rauch über der Kerze aufsteigt. Er malt sehr genau und detailliert und sagt: “Dann können die anderen genau sehen, wie das mit dem Rauch war.“ Ich sage den Jungs, wie gut sie ihre Arbeit machen und wie erfreut ich bin, dass sie so vieles über das Thema Feuer jetzt schon herausgefunden und behalten haben.
Kerze löschen durch Luftentzug
Nachdem dieser Teil der Arbeit am Werkstattbuch beendet ist, stelle ich wieder die Kerze, Teller für die Streichhölzer, Löschwasser und drei leere Gläser unterschiedlicher Größe bereit.
Ich frage die Kinder, ob sie eine Idee haben, wozu wir Gläser und Kerze brauchen könnten. Als niemand antwortet, sage ich: „Stellt euch vor, ihr wollt die Kerzenflamme löschen. Ihr habt aber kein Wasser, euer Mund ist voll mit einem leckeren Bonbon, also wollt ihr keinesfalls pusten. Wie könnt ihr dann noch die Kerze löschen mit den Dingen, die hier auf dem Tisch stehen?“
Ergün nimmt ein Glas in die Hand und sagt: “Ich kann es über die Kerze stellen“. Ich ermuntere die Kinder, zu beratschlagen, was wohl geschehen würde, wenn Ergün das Glas in der Weise benutzt, und warum das so wäre.
Paul meint, die Kerze brennt weiter brennen und das Glas wird heiß. Yves erinnert sich offenbar an das schmelzende Wachs und sagt: “Dann schmilzt das Wachs und kommt an die Wand vom Glas“. Ergün sagt: „Das Glas wird heiß und die Kerze geht aus.“
Wir führen diesen Versuch durch. Jedes Kind probiert mit unterschiedlich großen Gläsern. Anschließend halten wir die Ergebnisse fest. Schnell wird klar, dass die Flamme am Ende immer erlischt und dass die Brenndauer von der Größe des Glases abhängt.
Die Ursache dafür klärt sich erst, als ich den Kindern sage, dass die Flamme etwas braucht, was hier im ganzen Raum sei, also auch im Glas. Im Glas sei aber nur eine kleine Menge davon, und wenn diese kleine Menge verbraucht sei, könne die Flamme nicht weiter brennen. „Luft!“, ruft Ergün, Paul und Yves stimmen zu.
Ich erkläre ihnen, dass der Teil der Luft, den die Flamme braucht, der Sauerstoff ist. „Ja“, sagt Ergün, „den brauchen wir auch zum Atmen, der geht in die Lunge.“ Ein Gespräch über tauchen, Luft anhalten, keine Luft mehr bekommen entwickelt sich.
Ergün will nun aber noch genau festhalten, um wie viel länger das große Glas die Flamme brennen lässt als das kleinste. Ich frage, ob er eine Idee hat, wie wir dies feststellen können. Paul meint, wir könnten zählen. Ergün entdeckt die Uhr mit Sekundenzeiger und wir einigen uns darauf, die Sekunden zu zählen.
Beim kleinsten Glas (Schnapsglas) sind es keine zwei Sekunden, das nächst größere lässt die Flamme acht Sekunden und das größte Glas zwölf Sekunden lang weiter brennen, bevor der Sauerstoff aufgebraucht ist.
Auch diese Ergebnisse werden beim nächsten Treffen im Werkstattbuch als Bilder und Text festgehalten.
Die weiteren Experimente zu brennbaren und nicht brennbaren Stoffen verlaufen in ähnlicher Weise. Die Kinder testen nacheinander Stein, Sand, Eisennagel (brennen nicht) und Papier, Holz, Pappe (brennen).
Auch bei diesen Experimenten haben Ergün, Yves und Paul genau beobachtet und gute Schlussfolgerungen gezogen.
Für Ergün war das Thema Ruß noch sehr interessant. Er entdeckte die Rußbildung durch die Kerzenflamme und wollte ausprobieren, wie man damit malen und schreiben kann. Ich erzählte ihm von den Höhlenmalereien der Steinzeitmenschen. Dies interessierte ihn sehr. Er schaute mit Yves und Paul Bilder von Höhlenmalereien an.
Im Verlauf unserer weiteren Experimente mischten die Kinder Ruß mit Wasser und gestalteten damit ihre eigenen Höhlenmalereien.
Sie waren ebenfalls sehr an der Frage interessiert, wie große Feuer gelöscht werden. Unterschiedliche Möglichkeiten wurden benannt. Das Löschen mit Sand war zwar nicht von mir geplant, wurde aber trotzdem spontan ausprobiert, da Ergün festgestellt hatte, dass Sand nicht brennt. Beim Überlegen, womit man beispielsweise ein Lagerfeuer löschen kann, fiel ihm der Sand ein. Also probierten wir im Freien an geeigneter Stelle die Löschwirksamkeit von Sand aus.
Natürlich benannten die Jungs auch die großen Wasserschläuche der Feuerwehr. Yves erzählte von einem Feuerwehreinsatz und von der großen Wassermenge, die aus den Rohren kam. Ergün stellte dann die weiter führende Frage: “Und woher hat die Feuerwehr das Wasser?“ Eine angeregte Unterhaltung über diese Frage entstand, in der ich den Kindern den Begriff des Hydranten und der jeweiligen Hinweisschilder erklärte. Das nächste Ziel von Ergün, Yves und Paul ist es nun, mehr über Hydranten zu erfahren.
Reflektion
Ich denke, ich habe meine Ziele weitgehend erreicht. Ergün, Yves und Paul haben neues Wissen zum Thema „Feuer“ erworben und ein weiteres Thema gefunden, zu dem sie mehr Informationen erhalten möchten (Hydranten).
Jeder der drei Jungen hat gemäß seinem Entwicklungsstand Fragen gestellt, neue Erkenntnisse gewonnen und Schlussfolgerungen gezogen.
Mir wurde wieder einmal bewusst, dass Ergün seinen Altersgenossen im sprachlichen Bereich und im kognitiven Bereich weit voraus ist. Seine Beobachtungsgabe führte ganz oft dazu, dass Zusammenhänge von ihm erkannt wurden, die den beiden anderen Kindern noch nicht aufgefallen waren. (Beispiele: Rauchentwicklung, Ruß, Verbrennungsvorgang bei Wachs).
Kommentar der Kursleitung:
Die Kleingruppe war gut zusammengestellt; zwar erscheint Ergün, obwohl er der Jüngste ist, am weitesten und am denkkreativsten, aber die anderen Beiden konnten gut mithalten und ebenfalls, wenn auch weniger, eigene Ideen und Überlegungen einbringen. Mit weniger motivierten und weniger fähigen Kindern wäre vermutlich kein so harmonisches und erfolgreiches Zusammenarbeiten mit Ergün möglich gewesen.
Ergün hat häufig eine aktive Rolle eingenommen, war oft derjenige, der Dinge und Sachverhalte benennen konnte und neue Überlegungen anstellte. Er zeigte sich kooperativ und zur Zusammenarbeit bereit (gemeinsam mit Paul den Satz zu Ende schreiben) und konnte sich in die Lage von Paul versetzen, als diesem das Schreiben nicht so leicht fiel.
Das neue Wissen, das er erworben hat, hat er sowohl in seiner Gruppe als auch zu Hause sofort mitgeteilt. So erzählte er zu Hause von Höhlenmalereien, wie Ruß entsteht und welche kleinen Teilchen im Rauch zu finden sind. Fachbegriffe, wie Kohlenwasserstoff und roter Phosphor, hat er gelernt und deren Bedeutung kann er zumindest ansatzweise erklären.
Ich denke, die Angebote waren für Ergün passend, sowohl inhaltlich wie auch zeitlich. Er zeigte durchgehend ein hohes Maß an Interesse und Ausdauer. Unsere Treffen dauerten in der Regel eine Stunde; Ergün wollte manchmal im Anschluss daran noch weiter am Werkstattbuch arbeiten und „in Ruhe schreiben“, wie er sagte. Es gab aber auch Tage, an denen er wenig konzentriert war, zwar schreiben wollte, aber erlebte, dass es ihm nicht gut gelang. An diesen Tagen brauchte er meine unterstützende Haltung. Ich bekräftigte, dass es völlig in Ordnung sei, wenn er ein anderes Mal weiter schreibe und überlege, was er jetzt wirklich machen möchte. Meist entschied er sich dann, weitere Bilder für das Werkstattbuch zu malen.
Ergüns Gruppe hat von ihm laufend Informationen zum Thema “Feuer“ erhalten. Weitere Auswirkungen für die Kinder aller Gruppen gab es dann durch das Vorstellen des Werkstattbuches und durch die Vorführung der Experimente.
Durch meine Haltung und meine Impulse habe ich für Paul, Ergün und Yves einen Rahmen geschaffen, der sie zum forschenden Denken einlädt, aber auch Sicherheit bietet, wenn Unklarheiten entstehen (Bsp: Pauls Umgang mit der Anlauttabelle, Gespräche über die Gefahr, die mit Feuer verbunden ist…).
Das Werkstattbuch zum Thema „Feuer“ wurde nach seiner Fertigstellung von Ergün, Yves und Paul in den vier Gruppen der Kita vorgestellt. Einige unserer Experimente führten die drei Jungs den anderen Kindern selbstständig vor. Sie zeigten sich als gute Wissensvermittler, stellten Fragen, nahmen Ideen der Kinder auf und regten zum Nachdenken an.
Sie zeigten in diesem Zusammenhang also gute soziale Kompetenzen.
Ergün: „Überlegt doch mal, habt ihr eine Idee, wieso der Docht jetzt nicht mehr brennt?“
Es hat mich gefreut, zu hören, wie viel an neuem Wissen die drei Jungs behalten haben und weitergeben konnten.
Aber genauso sehr freuten mich die durchweg positiven Reaktionen meiner Kolleginnen. Sie waren begeistert von der Souveränität und dem Stolz, mit dem Ergün, Yves und Paul ihr Wissen und ihre neuen Erkenntnisse vorstellten.
Während der gesamten Arbeit hat mich die Genauigkeit und Ernsthaftigkeit der Kinder beeindruckt. Selbst kleinste Details wurden benannt und ausgiebig besprochen.
So stellte Ergün den Unterschied zwischen brennen und glimmen fest, während er sich mit brennbaren und nicht brennbaren Materialien beschäftigte.
Mein Vorgehen, Impulse vorzugeben und den Kindern möglichst viel Raum zur weiteren Entwicklung des Geschehens zu lassen, halte ich auch weiterhin für fruchtbar.
Weitere Ideen
Mit anderen Kindern führte ich Experimente zum Thema „Luft / Fliegen“ durch. Auch hier gestaltete ich die Angebote nach dem hier beschriebenen Prinzip. Daraus ergab sich eine Themenkiste mit sämtlichen Materialien und dem Handlungsleitfaden zur Durchführung von Experimenten.
Diese Kiste befindet sich nun in unserer Bibliothek und kann von allen Kolleginnen genutzt werden. Eine weitere Themenkiste „Feuer“ wird jetzt folgen.
Ich hoffe, viele meiner Mitarbeiterinnen werden von den Schilderungen von Ergün, Paul und Yves so beeindruckt sein, dass sie ebenfalls Angebote dieser Art durchführen. Ich werde begeistert davon erzählen und ich bin überzeugt, Ergün, Paul und Yves tun dies ebenfalls.
Für die Sachanalyse benutzte Quellen:
In Wikipedia folgende Suchbegriffe eingeben:
Streichholz
Wachs
Lipide
Brennbarkeit
Flammpunkt
Zündtemperatur
Fettalkohole
Datum der Veröffentlichung: Dezember 2013
Copyright © Petra Cohnen, siehe Impressum.