von Sonja Marquardt
Sofie ist mir durch ihre schnelle Auffassungsgabe und ihr großes Interesse an neuen Informationen und an neuem Wissen aufgefallen. Ich will sie genauer beobachten, um mir über ihre Begabungen und ihren Förderbedarf klarer zu werden.
Unsere Angebote für Vorschulkinder stoßen bei Sofie auf großes Interesse, obwohl sie erst 4;4 Jahre alt ist. So nimmt sie freiwillig und regelmäßig an Experimentier-Angeboten, am Würzburger Trainingsprogramm und an mathematischen Angeboten teil und zeigt dabei, dass sie mit den Leistungen der Vorschulkinder Schritt halten kann.
Bei Kreisspielen und Erzählrunden zeigen sich ihr großer Wortschatz, ihre differenzierte Sprache sowie ihr Selbstbewusstsein.
Als sie neu im Kindergarten war, wirkte sie sehr schüchtern, auch hatte sie Schwierigkeiten, sich von der Mutter zu lösen. Kreisspiele oder ähnliche Situationen hat sie zum damaligen Zeitpunkt am liebsten gemieden. Sie konnte Momente, in denen sie im Mittelpunkt stand, schlecht aushalten. Dieses löste sich aber schon nach etwa 1 ½ Monaten und sie war bei gemeinsamen Aktivitäten sowie Angeboten in Kleingruppen aktiv dabei.
… kurz gefasst …
Die Autorin beobachtet ein vierjähriges Mädchen, das ihr weit entwickelt erscheint. Provozierende Beobachtungen sowie die Nutzung einer „Entwicklungsschnecke“ und des „Gelsenkirchener Entwicklungsbegleiters“ führen zu der Erkenntnis, dass die kleine Sofie in vielem den Entwicklungsstand eines Vorschulkindes erreicht hat. Entsprechend wird sie weiterhin gefördert.
(Siehe: Arten der Beobachtung.)
Im Freispiel sucht sich Sofie Kinder in ihrem Alter, gelegentlich auch Ältere. Sie spielt oft Rollenspiele, in denen sie die Führungsposition einnehmen kann, – aber sie kann sich auch unterordnen.
Sie ist in der Kindergartengruppe (20 Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren) sehr beliebt.
Auf Grund unseres Konzepts (siehe dazu: Unser Buten-und-Binnen-Konzept) findet immer ein monatlicher Wechsel zwischen dem Waldstandort in der freien Natur und unserem Kindergartengebäude statt. Sofie kann sich nach dem Wechsel immer wieder sehr schnell in die jeweilige Standortsituation einfinden. Mir ist aufgefallen, dass andere gleichaltrige Kinder mehrere Tage dafür brauchen oder sogar einen der Standorte eher annehmen können als den anderen. Sofie lebt sich immer schnell ein und nimmt die jeweiligen Materialien, Räumlichkeiten, Wetterbedingungen und Regeln an und sucht sich oft eigene Herausforderungen.
Sofie hat zwei ältere Geschwister, einen Bruder, der das Gymnasium besucht und bei dem bereits eine Hochbegabung festgestellt wurde, und eine Schwester, die sehr schüchtern ist, sich kaum an Gesprächen beteiligt, aber auch durch hohe Intelligenz auffällt. Beide Elternteile sind auf die Förderung ihrer Kinder bedacht und setzen sich dafür ein.
Ich sehe bei Sofie für mich die Aufgabe festzustellen, ob sie (nur) durch die Förderung der Eltern und Geschwister überdurchschnittlich weit im kognitiven Bereich ist oder ob eine Hochbegabung zutrifft.
Ich möchte auch in Zukunft eine Über- und eine Unterforderung vermeiden.
Bisher konnte ich keines von beiden beobachten.
Beobachtung 1 (Provozierende Beobachtung):
Ort: Waldgebiet – ruhige Lage, abseits von unserem Gruppenplatz im Wald.
Bedingungen: Die Beobachtung fand im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft (Zahlen AG) statt. Die AG läuft vormittags statt und dauert eine Stunde.
Teilnehmer: Sofie, 3 Vorschulkinder, 2 Fünfjährige, 1 dreijähriger Junge, der großes Interesse an Zahlen zeigt, sowie ich selbst.
Sofies Aufgabe: Sie soll mithilfe eines Seils eine Zahl legen. Dann soll sie Kinder auswählen und sie so auf das Seil legen, dass die Zahl wieder zu erkennen ist.
Vorüberlegungen:
Ich habe mich dazu entschlossen, Sofie in die Arbeitsgemeinschaft „Zahlen AG“ aufzunehmen. Diese AG richtet sich, was den Wissensstand betrifft, an Vorschulkinder. Da Sofie immer mit Begeisterung verschiedene Arbeitsgruppen besucht und auch schon mal in dieser AG „geschnuppert“ hat, habe ich sie gefragt, ob sie nicht regelmäßig daran teilnehmen möchte.
Im Rahmen dieser AG kann ich Beobachtungen im Bereich des logischen Denkens, des mathematischen Verständnisses, des Selbstbewusstseins und der Durchsetzungsfähigkeit machen.
Falls eine von mir nicht bedachte Überforderung eintreten sollte, werde ich gegebenenfalls einschreiten und Aufgaben abändern. Da es sich bei dieser AG um eine im Sozialbereich starke Gruppe handelt, gehe ich davon aus, dass die Gruppe Sofie nicht ablehnen wird. Dadurch dass ein noch jüngeres Kind auch diese AG besucht, ist ein weiterer Faktor gegeben, der Ausgrenzung unwahrscheinlich macht.
Im Folgenden stelle ich nur die Beobachtungseinheit von 15 Minuten dar und nicht die vollständige Stunde.
Es sollen folgende Fragen durch Beobachtung geklärt werden:
- Kann Sofie sich in einer Kleingruppe durchsetzen?
- Traut sie sich frei zu sprechen und aktiv mitzuarbeiten?
- Zeigt Sofie die Fähigkeit, eigene Überlegungen umzusetzen?
- Kann Sofie meine Aufgaben verstehen und ausführen?
Ausgangssituation
Die AG-Stunde ist bereits fortgeschritten, die Regeln sowie die Aufgaben habe ich schon erklärt. Zwei Kinder haben bereits zwei Zahlen gelegt und sich Kinder gesucht, die so sich das Seil so platziert haben, dass man die Zahl erkennen konnte. Dann wurden die Kinder und die gelegte Zahl fotografiert. Sofie wurde beide Male schon ausgewählt, sich auf das Seil zu legen. Sie hat konzentriert mitgearbeitet.
Beobachtung:
Ich gebe Sofie das Seil und fordere sie auf, die Zahl Drei zu legen. Sie nimmt das Seil, lacht mich an, legt das Seil vor sich auf den Boden und betrachtet es ca. 30 Sekunden. Dann nimmt sie einen Stein, legt ihn auf eines der Seilenden und beginnt das Seil zu formen. Nach ca. 2 Minuten wendet sich Sofie an mich und fragt:
“ Wie geht eine Drei?“
Ich erkenne, dass das bereits Gelegte schon eine Ähnlichkeit mit einer Drei hat, und fordere sie auf, es noch einmal zu probieren. Als Sofie wieder zu formen beginnt, greift das Vorschulkind Charlotte ein und will das Seil gemeinsam mit ihr formen. Ich warte erst ca. 30 Sekunden lang ab. Charlotte übernimmt das Seil vollständig und will es alleine legen. Ich greife ein und erkläre Charlotte, dass es Sofie erst mal alleine probieren soll.
Charlotte setzt sich auf den Rasen und sagt: “Da hinten muss es noch runder!“ Sofie formt weiter. Als sie aufhört, ist sie mit der 3 fertig. Ich frage, ob sie zufrieden ist. Sie nickt.
Dann fordere ich Sofie auf, die Kinder auszusuchen und sie so auf das Seil zu legen, dass die Körper der Kinder eine Drei ergeben. Alle Kinder melden sich. Sofie sucht sich ein langes Vorschulkind aus, lässt es sich an das obere Ende legen und biegt es leicht, so das eine Rundung entsteht. Dann wählt sie ein weiteres, aber kleineres Vorschulkind. Sie legt es an die Füße des anderen Kindes und biegt es ebenfalls leicht.
Sofie tritt drei Schritte zurück und schaut die bereits liegenden Kinder an, geht wieder zur Drei und rückt das eine der Kinder noch etwas zur Mitte. Dann sucht sie sich den dreijährigen Jungen aus und legt ihn mit ausgestreckten Armen an das vorige Kind an. Dann wählt sie mich aus. Als ich ein paar Schritte auf sie zu gehe, sagt sie:
“Sonja, du machst lieber das Foto. Du bist zu lang!“
Dann wählt sie ein 5-jähriges Mädchen aus und legt es an den Dreijährigen. Sie geht ein paar Schritte zurück und fordert mich nun auf, ein Foto zu machen. Dann stehen alle Kinder auf und schauen sich das Foto auf der Digitalkamera an, alle Kinder jubeln laut. Sofie hebt das Seil auf und bringt es mir zurück. Wir bilden einen Kreis und ich fordere die Kinder auf, zu überlegen, welche Zahl nach der 3 kommt.
Reflexion
Ich habe mich dafür entschieden, Sofie in diese AG-Gruppe weiter fest zu integrieren, ebenso auch den dreijährigen Jungen. Der Junge zeigte großes Interesse an der AG und hat auch aktiv mitgearbeitet.
Eigene Interpretation der Beobachtungen
Kann sich Sofie in einer Kleingruppe durchsetzen?
Ich würde dieses schon bejahen, obwohl Sofie sich erst das Seil aus der Hand nehmen lässt. Ich muss hierzu erwähnen, dass es sich bei Charlotte um ein sehr dominantes Kind handelt, das schwer abwarten kann.
Sofie sucht sich selbstständig die Kinder aus, die sie für geeignet hält. Sie kann es auch gut aushalten, im Mittelpunkt zu stehen. Sie zeigt auch keine Berührungsängste gegenüber den Kindern, indem sie Kinder so bewegt, dass sie die von ihr gewünschte Haltung einnehmen.
Traut sie sich frei zu sprechen und aktiv mitzuarbeiten?
Ich habe Sofie zwar das Seil übergeben und sie somit aufgefordert, aktiv mitzumachen. Dieses tat sie dann auch, sie hätte sich aber auch verweigern können. Somit finde ich schon, dass sie gut und aktiv in der Gruppe gearbeitet hat, auch hat sie laut und deutlich gesprochen, zwar nicht in langen Sätzen, aber gut verständlich.
Zeigt Sofie die Fähigkeit, eigene Überlegungen umzusetzen?
Das kann ich eindeutig mit Ja beantworten. Sofie hat zwar erst Schwierigkeiten, die Drei mit dem Seil zu legen. Ich kann aber nicht eindeutig ausschließen, dass sie vielleicht wirklich nicht mehr wusste, wie eine Drei aussieht. Es kann aber auch sein, dass sie unsicher war und Bestätigung gebraucht hat.
Nachdem sie überlegt hat, ist es ihr aber gelungen. Im späteren Verlauf kann sie präzise die Kinder auswählen, die sich auf das Seil zur Drei legen sollen. Sie korrigiert sogar Unebenheiten.
Zunächst überlegt sie, plant, visualisiert. Dann legt sie einen Stein aufs Ende des Seils, um es zu befestigen. Ein sehr geordnetes Vorgehen, das die Fähigkeit zum geordneten Denken und Handeln zeigt.
Kann Sofie die Aufgabe verstehen und umsetzen?
Ja, das kann Sofie. Sie zeigt kein Anzeichen der Überforderung.
Weiteres:
Sie zeigt logisches Denken, indem sie den Stein auf das Seil legt, damit es sich nicht verzieht.
Sofie braucht eventuell eine Bestätigung/Sicherheit/Motivation, um die Drei zu beenden. Vielleicht braucht sie aber auch nur eine Gedankenpause, um ihre Überlegungen noch mal durchzugehen. Vielleicht ist die Pause auch ein Zeichen der Unsicherheit.
Logisches Denken zeigt sie auch, als sie mich erst für die Drei einbinden will, dann aber merkt, dass ich zu groß dafür bin.
Vielleicht zeigt sie auch soziale Kompetenz, als sie mich beauftragt, das Foto zu machen, vielleicht damit ich nicht traurig darüber bin, weil sie doch jemand anderes ausgewählt hat.
Weiterer Beobachtungsplan
Ich werde Sofie gezielt beobachten, welche Zahlen sie erkennt und lesen kann.
Ich werde Sofie in einer ähnlichen Situation beobachten, wo sie – ohne meine Unterstützung – im Mittelpunkt stehen muss.
Beobachtung 2 (Provozierende Beobachtung)
Ort: Kleiner Gruppenraum (im Kindergartengebäude), wir sitzen gemeinsam an einem Tisch.
Bedingungen: Die Beobachtungen finden im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft (Zahlen AG) statt. Die gesamte Dauer der AG beträgt 1 Stunde (09.00 Uhr bis 10.00 Uhr).
Ich beobachte Sofie gezielt von 09.10 Uhr bis ca. 09.25 Uhr.
Teilnehmer: Sofie, 3 Vorschulkinder, 2 Fünfjährige, 1 dreijähriger Junge. (Identische Gruppe von Beobachtung 1.)
Aufgabe
Sofie soll Zahlen ordnen und benennen. Sie soll die Punktzahl der Würfel benennen, zwei Würfel samt ihren Punkten zusammenlegen und die Gesamtzahl herauskriegen.
Vorüberlegungen
Sofie hat nun schon öfters aktiv an der Zahlen AG teilgenommen. Ihr ist die Gruppe nun gut bekannt und sie ist in die Gruppe integriert. Ich habe die für meine Ausarbeitung wichtigen Beobachtungen niedergeschrieben und die anderen Angebote und Abläufe weg gelassen.
Es sollen folgende Fragen durch Beobachtung geklärt werden:
- Erkennt Sofie die Zahlen und kann sie benennen?
- Benutzt Sofie ihre Finger zum Zählen der Punkte auf dem Würfel?
- Kann Sofie eine leichte Additionsaufgabe lösen?
- Geht es Sofie in der Gruppe gut?
Ausgangssituation
In einer voran gegangenen AG-Einheit haben die Kinder Zahlen von 1 bis 10 aus Wellpappe angefertigt. Nach einem kleinen Zahlenfingerspiel setzen wir uns gemeinsam an einen großen Tisch und schauen uns die angefertigten Zahlen an. Ich motiviere die Kinder, verschiedene Zahlen anzufassen, zu beschreiben, wie sie sich anfühlen und was ihnen auffällt.
Ich fordere die kleine Gruppe auf, gemeinsam die Zahlen der Reihe nach zu ordnen. Ein Vorschulkind (Charlotte aus der Beobachtung 1) übernimmt die Führung und sorgt dafür, dass die Zahlen in die richtige Reihe kommen. Sofie beobachtet und beteiligt sich nicht handelnd.
Ich frage, ob sich jemand traut, die Zahlenreihe alleine zu legen. Ein fünfjähriger Junge meldet sich und legt die Reihe selbstständig, nachdem ein anderes Kind die Zahlen wieder durcheinander gebracht hat. So wird dieses immer wiederholt, bis jeder mal an der Reihe war außer Sofie, die immer noch ruhig beobachtet.
Ich frage Sofie, ob wir gemeinsam mal ausprobieren wollen, die Zahlenreihe zu legen. Sie nickt. Somit werden die Zahlen wieder gemischt.
Beobachtung 2 a
Sofie sucht sich sofort die Zahl 1 aus und legt sie vor sich hin, sie schaut kurz zu mir und greift sich die Zahl 2. Dann schaut sie ca. 1 Minute lang auf die weiteren Zahlen, wendet sich dann zu mir und sagt:
“Ich weiß nicht, wie es weiter geht!“
Ich motiviere Sofie, indem ich mit ihr einmal laut zähle. Darauf sagt sie zu mir:
“Ich weiß, dass die 3 kommt, ich weiß nur nicht mehr, wie sie aussieht!“
Gemeinsam angeln wir uns wahllos Zahlen aus dem Zahlendurcheinander und überlegen gemeinsam, wie sie heißen. Kurz, nachdem wir damit begonnen haben, erkennt sie die 3 und legt die Zahlenreihe fließend weiter bis zur 7. Sie zögert etwa eine halbe Minute lang, dann legt sie die Reihe bis zur 10 weiter.
Ein zweites Spiel wird eingeleitet. Ich lege einen Schaumstoffwürfel in die Mitte und frage die Kinder, was das ist. Sofie ruft:
“Ein Würfel!“
Ich stimme ihr zu und erkläre das zweite Spiel: Jedes Kind darf einmal würfeln und seine gewürfelten Punkte sagen. In der ersten Runde soll festgestellt werden, wer die höchste Zahl hat, und in der zweiten Runde, wer die niedrigste Zahl gewürfelt hat. In der dritten Runde bekommt man zwei Würfel und soll beide Punkte zusammenzählen.
Beobachtung 2 b
Nachdem drei Kinder gewürfelt haben (einmal 2 Punkte, dann 4 Punkte und dann 3 Punkte), ist Sofie an der Reihe. Sie würfelt und ruft augenblicklich “Vier“, ohne die Punkte mit den Fingern nach zu zählen. Die übrigen vier Kinder würfeln auch: 2 Punkte, dann 1 Punkt, 5 Punkte und wieder 3 Punkte. Ich frage die Kinder, ob sich jeder seine Punktzahl merken konnte. Nachdem jeder seine Punktzahl laut gesagt hat, frage ich die Kinder, wer die höchste Punktzahl hat. Die Kinder nennen das Kind, das die 5 gewürfelt hat.
Sofie hat nicht mit den anderen Kinder gerufen, sondern still auf ihrem Platz gesessen. In der zweiten Runde würfelt Sofie die 2. (Die 2 wurde schon von zwei anderen Kindern gewürfelt und von keinem unterboten.) Auch diesmal ruft sie sofort die gewürfelte Zahl.
Nachdem jeder gewürfelt hat und jeder seine Punktzahl genannt hat, fordere ich die Kinder auf sich zu melden: „Wer meint zu wissen, wer die niedrigste Zahl gewürfelt hat?“
Ich nehme Sofie dran, die sich leise meldet. Sie erklärt mir, dass mehrere die niedrigste Zahl gewürfelt haben. Nämlich zwei Kinder und sie selbst.
Bei der dritten Runde gebe ich den zweiten Würfel dazu und erkläre den Kindern, dass wir immer beide Würfel zusammenzählen wollen.
Sofie beobachtet die Kinder, die vor ihr dran sind, und man kann ihren Lippen ansehen, dass sie die Punkte der Kinder leise zählt. Als sie an der Reihe ist, würfelt sie die 5 und die 3. Ich frage Sofie, welche Zahlen sie gewürfelt hat. Sie antwortet unverzüglich und richtig, und zwar ohne die Würfelpunkte mit den Fingern nach zu zählen. Ich frage sie, wie viele Punkte das zusammen sind. Sie antwortet mir sofort: “Sieben!“ Ich fordere Sofie auf, nochmal hin zu schauen. Dann antwortet sie mir: “Neun!“ Nun motiviere ich Sofie, mit den Fingern alle Punkte ab zu zählen. Nachdem sie das getan hat, ruft sie:
“Das sind acht!“
Interpretation der Beobachtung
Erkennt Sofie die Zahlen und kann sie benennen?
Ich würde dies wieder bejahen, da sie nur kurz eine Motivation von mir braucht, um dann aber gleich wieder weiter zu machen. Sie zeigt deutlich, dass sie zählen kann, sagt aber, dass sie die 3 nicht erkennt. Dieses ist in einer vorigen Beobachtung auch schon aufgefallen. Beide Male hatte sie Probleme bei der Zahl 3, die sie aber schnell und zum größten Teil auch alleine löste. Vielleicht sucht sie einfach eine Bestärkung, damit sie ihre Antwort geben kann.
Benutzt Sofie ihre Finger zum Zählen der Punkte auf dem Würfel?
Sofie kann eindeutig bis zu 5 Punkte im Kopf zählen, dieses zeigt sie mit ihren schnellen und richtigen Antworten. Als es um die Additionsaufgabe geht, hat sie Schwierigkeiten mit dem Zählen. Das kann aber auch an der ungewohnten Aufgabe liegen.
Kann Sofie eine leichte Additionsaufgabe lösen?
Das kann ich nicht eindeutig bejahen, da Sofie bei der Aufgabe Schwierigkeiten hatte. ”5 + 3” ist jetzt auch nicht die leichteste Aufgabe, wenn man zum ersten Mal im Kopf addiert. Mit meiner Hilfe und mit ihren Fingern gelang es ihr dann. Es könnte auch sein, dass Sofie zu schnell geantwortet hat, ohne sich die Punkte genau anzusehen. Es könnte aber auch sein, dass ihr diese Aufgabe unangenehm war und sie schnellstmöglich aus der Situation entkommen wollte.
Geht es Sofie in der Gruppe gut?
Das möchte ich mit einem Ja beantworten. Sofie macht weiterhin aktiv mit. Manchmal nimmt sie eine beobachtende Rolle ein, findet aber schnell wieder in die Aktivität zurück. Dass sie sich wohlfühlt, zeigt mir Sofie auch damit, dass sie laut und deutlich spricht und auch mal laut wird.
Weiteres
Sofie zeigt eine gute Merkfähigkeit, indem sie sich die Würfelzahlen merken kann.
Sie kennt die Begriffe „Höchste“ und „Niedrigste“.
Weiterer Beobachtungsplan
Ich möchte gezielt durch Beobachtungen heraus finden, ob Sofie die Zahlen von 1 bis 10 erkennen kann und was es mit der Schwierigkeit, die 3 zu erkennen, auf sich hat. Ob sie eventuell nur durch Zufall als Pause herhalten muss.
Ich will in einer ruhigen Einzelaktion mit Sofie herausfinden, bis zu welcher Zahl sie im Kopf abzählen kann.
Leider ging Sofie nun in einen sehr langen Urlaub, so dass ich diesen Plan nicht weiter verfolgen konnte und mir ein anderes Beobachtungskind suchen musste. (Sarah – siehe in: Schmetterlings-AG und Die Berg-AG.)
Um mein Bild von Sofie weiter zu vervollkommnen, füllte ich aber noch zwei Beobachtungshilfen aus dem Gedächtnis und in Abstimmung mit meiner Kollegin aus.
Nutzung von Beobachtungshilfen
1. Beobachtungsschnecke
Die Beobachtungsschnecke (die wir in einer Fortbildung kennengelernt hatten) wurde für Sofie das erste Mal vor einem Jahr ausgefüllt. Nun bearbeite ich sie weiter: In der Zwischenzeit neu Gelerntes wird markiert, Abweichungen vom ersten Eintrag werden sichtbar gemacht. Die Beobachtungsschnecke gibt Aufschluss über das, was das Kind kann.
So sieht es für Sofie aus:
Bereich Spielen
Dieser Bereich ist nun schon fast voll ausgefüllt, denn markieren konnte ich:
– Sofie setzt sich für die Gruppenleistung ein und erlebt dieses als eigene Leistung.
– Sofie kann Farben und Formen benennen.
– Sie erfasst einfache Mengenbegriffe.
– Sofie besitzt Ausdauer und beendet ihr Spiel meistens. Es kann aber auch passieren, dass sie ein Spiel abbricht, weil es sie langweilt.
– Sie erfindet Fantasiespiele und überträgt eigene Verhaltensweisen auf Puppen und Tiere, mit sichtlicher emotionaler Anteilnahme.
– Sie kann sich durchschnittlich 30 Minuten lang konzentrieren.
Bereich Sprechen, Hören, Sehen
– Sofie spricht in ganzen Sätzen und besitzt variable und vielseitige Ausdrucksmöglichkeiten.
– Sie traut sich immer mehr, nach Wortbedeutungen zu fragen, allerdings eher in einer Kleingruppe.
– Sofie spricht zwar deutlich und betont, aber oftmals sehr leise. In einer Kleingruppe hingegen auch laut und sicher.
– Sofie beginnt Oberbegriffe zu verwenden.
– Sie benutzt Gegenwart und Vergangenheit sicher, sie verwendet die Mehrzahl richtig.
– Sofie erkennt schnell Zusammenhänge und kann Gegensätze benennen.
– Sie kann eine kurze Geschichte sicher und vollständig wiedergeben, sie kann eine Bildszene beschreiben.
Bereich Denken
– Sofie weiß, was Buchstaben und Zahlen sind und kann sie auch unterscheiden.
– Sie ordnet Tätigkeiten im Tagesablauf bestimmten Tageszeiten zu und kann „gestern“, „heute“ und „morgen“ sicher unterscheiden.
– Sie entwickelt eigene Ideen, Materialien zu verwenden, und führt sie aus. Sie kann auch andere Kinder für ihre Ideen begeistern.
– Sofie beherrscht den Umgang mit Schreibmaterial schon gut, ist aber manchmal noch unsicher und verkrampft in der Haltung.
– Sie kann geometrische Formen zeichnen, zeichnet noch wackelig, aber gut erkennbar.
– Sofie kann Mengen und Zahlen zueinander ordnen. Ab der Zahl 5 benutzt sie die Finger zum Zählen.
– Sofie verfügt über gute Ausdauer, Merkfähigkeit und Konzentration.
Bereich Bewegung
– Sofie passt ihre Bewegungen bewusst der Situation an.
– Sie kann sich im Raum gut orientieren, sie verfügt über ein gutes Raumgefühl.
– Sie ist motorisch gut entwickelt. Sie läuft sicher rückwärts, hüpft zwei- und einbeinig, krabbelt, geht frei eine Treppe hinauf und hinab, balanciert sicher auf einer Linie oder einem Balken, sie kann gut ihr Gleichgewicht halten und zeigt im Allgemeinen sehr viel Bewegungsfreude.
– Sofie schneidet entlang einer Linie, manchmal ist sie noch wackelig. Entdeckt sie aber eine Unebenheit, korrigiert sie diese selbstständig.
– Sie hält den Stift mit drei Fingern, verkrampft aber manchmal.
Lebenspraxis
– Sofie holt sich Hilfe, wenn es nötig ist, und zwar von Erziehern und auch von Kindern.
– Sie zieht sich alleine aus und an, auch ihre Anziehsachen findet sie heraus. Sie kann die Schuhe „richtig“ anziehen.
– Sofie entwickelt Eigeninitiative.
– Sofie kennt bereits ein paar Verkehrsregeln, bei der Umsetzung braucht sie noch Unterstützung.
– Sie führt gerne kleine Tätigkeiten im Haushalt aus und unterstützt die Erzieher gern beim Kochen oder Backen sowie bei den alltäglichen Dingen wie Küchenwagen vorbereiten.
Soziales Miteinander
– Sofie kann sich gut von ihrer Bezugsperson trennen und hat Beziehungen zu den Kindern und zu den Betreuern aufgebaut.
– Sofie kann ihre jeweilige Gefühlslage ausdrücken. Allerdings kann man nur ganz selten beobachten, dass Sofie Wut zeigt.
– Sie ist sehr hilfsbereit, zeigt Mitgefühl, nimmt Rücksicht und achtet fremdes Eigentum.
– Sofie setzt sich sprachlich mit anderen Kindern auseinander und bildet Freundschaften, die auch beständig sind.
– Sie hat die Fähigkeit, in einer Kleingruppe zu arbeiten und auch mal die Führung zu übernehmen.
– Sie entscheidet selbstständig und kann ihre Entscheidung vertreten.
– Sofie behält im Gruppengeschehen die Übersicht, zieht sich aber auch mal zurück und beobachtet.
– Sie verhält sich in Konfliktsituationen konstruktiv, aber manchmal noch unsicher.
– Sofie verfügt über ein stabiles Selbstbewusstsein, ist manchmal aber gegenüber Fremden schüchtern und unsicher.
– Ihre Frustrationstoleranz ist ausgeprägt. Wenn etwas aber nicht gleich klappt, sucht sie sich oft eine andere Beschäftigung. Weist man sie darauf hin, kann sie die Aufgabe/Situation auch beenden.
– Sofie ist ein fröhliches Kind, sie erfährt durch Mitfeiern Lebensfreude und vermittelt sie auch.
2. Gelsenkirchener Entwicklungsbegleiter
Dieses Instrument habe ich noch ergänzend hinzu gezogen. Bei aller bekannten Kritik am Gelsenkirchener Entwicklungsbegleiter gibt er doch in den Bereichen Sprache, Kognitive Entwicklung, Soziale Kompetenz, Feinmotorik und Grobmotorik gute Anhaltspunkte für den Entwicklungsstand eines Kindes. Hierbei habe ich festgestellt, dass Sofie viele Bereiche beherrscht und erfüllt.
Zusammenfassende Auswertung:
In fast allen Bereichen – außer Feinmotorik – konnte ich für Sofie (4;4) die meisten Items für das Alter 5 – 5 ½ Jahren bestätigen.
Im Bereich Sprache und im Bereich der kognitiven Entwicklung entsprechen ihre Fähigkeiten zumeist den von Kindern im Einschulungsalter. Auch im Bereich soziale Kompetenz ist dieses ähnlich.
Nur im Bereich Feinmotorik konnte ich nur einschließlich bis 4 ½ Jahren vollständig ausfüllen, was ja aber völlig altersgerecht ist.
Im Bereich Grobmotorik konnte ich bis zum Absatz Einschulung Etliches ausfüllen. Sofie ist motorisch gut entwickelt. Sie kann gut klettern, gezielt mit dem Ball schießen, eine Rolle machen, viele Hampelmannsprünge schaffen. Beim Ballfangen hat sie noch Schwierigkeiten.
Schlussfolgerung aus den Beobachtungen
Ich konnte feststellen, dass Sofie überdurchschnittlich weit in ihrer Entwicklung ist.
Sie ist in vielen Bereichen auf dem Entwicklungsstand eines Vorschulkindes.
Eine Hochbegabung kann ich zwar nicht eindeutig erkennen, aber die Möglichkeit besteht nach meiner Einschätzung.
Ich erlebe Sofie als ein glückliches und ausgeglichenes Kind, was mich vermuten lässt, dass sie weder unter- noch überfordert ist. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass Sofie sich auch einfach gut der Gruppe und deren Entwicklungsstand und deren gegebenen Anforderungen anpasst.
Ich werde Sofie weiterhin die Möglichkeit geben, Arbeitsgemeinschaften wahrzunehmen, die ihrem Entwicklungsstand gerecht werden.
Eine Hochbegabung möchte ich zu diesem Zeitpunkt nicht sicher bejahen aber auch nicht ganz ausschließen. Mir persönlich fehlt noch die Sicherheit zu diesem Thema und ich hoffe, die weiteren Kurseinheiten (im IHVO-Zertifikatskurs) werden mir helfen.
Zu Sofies weiterer Entwicklung
Obwohl die Eltern Sofie noch nicht einschulen wollten, konnte sie sehr bald nach meinen Beobachtungen bereits am „Brückenjahr“ teilnehmen, wurde in schulische Aktionen einbezogen und machte all dies fröhlich und engagiert mit.
Von der Einschulung an erhielt sie fördernde Extra-Aufgaben, so hielt sie zum Beispiel viele Referate vor der Klasse.
Datum der Veröffentlichung: Juli 2013
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.